Wirtschaftsweiser will gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro – Wirtschaftsministerin will neue Berater

Der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger fordert eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro – notfalls per Gesetz. Parallel rüstet sich Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) mit einem neuen Beraterkreis namhafter Ökonomen. Der Sachverständigenrat hat ausgedient.

picture alliance/dpa | Sven Hoppe
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche beim Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund am Tegernsee (Bayern) am 09.05.2025

Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, fordert eine deutliche Anhebung des Mindestlohns. „Sollte die Mindestlohnkommission darunter bleiben, muss die Koalition eingreifen und den Mindestlohn per Gesetz auf 15 Euro anheben“, sagte der sogenannte Wirtschaftsweise dem Magazin Politico. Die Verantwortung sieht Truger bei der Bundesregierung: „Es ist ein gesetzlicher Mindestlohn, letztlich liegt die Entscheidung bei der Politik – das sind ja keine Tarifverhandlungen“.

Damit greift der von den Gewerkschaften in den Sachverständigenrat berufene Professor das bisherige Mindestlohngesetz massiv an – er hält das nicht nur für sozialpolitisch geboten, sondern auch für wirtschaftlich vertretbar.

Keine günstigen Restaurants mehr wegen Mindestlohn?

Truger widerspricht dem Argument, ein höherer Mindestlohn könne Arbeitsplätze kosten. Diese Sorgen hält er für unbegründet. Zwar habe es nach der Einführung einen Rückgang bei Minijobs gegeben, doch insgesamt seien keine negativen Beschäftigungseffekte erkennbar. Ein höherer Mindestlohn könne sogar die Produktivität steigern. „Mit 15 Euro wird es möglicherweise ein paar billige Restaurants weniger geben, aber nicht weniger Arbeit“, so Truger.

Das ist eine etwas arrogante Behauptung: Dem wohlbestallten Professor vom Sachverständigenrat mit Doppeleinkommen und einem dritten Einkommen aus aufgrund seiner Position hoch vergüteten Vorträgen mag es auf ein preiswertes Mittagessen oder einen erschwinglichen Kneipenbesuch nicht ankommen. Der Bevölkerung schon.

Derzeit liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 12,81 Euro. Eine Erhöhung auf 15 Euro würde einem Plus von rund 17 Prozent entsprechen – Deutschland hätte dann den höchsten Mindestlohn unter allen Industrieländern. „Das Feintuning könnte dann in Zukunft wieder die Mindestlohnkommission übernehmen“, so Truger.

Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission betont, schrieben aber, dass 2026 ein gesetzlicher Mindestlohn von 15 Euro erreichbar sein sollte. Die Entscheidung der Kommission wird bis zum 30. Juni erwartet.

Reiche setzt auf wissenschaftliche Expertise

Während Truger auf staatliche Eingriffe drängt, stellt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) offenbar die Weichen für eine fundiertere Wirtschaftspolitik. Wie das Handelsblatt berichtet, will sie einen neuen Beraterkreis einrichten, der sich aus führenden Ökonomen zusammensetzt.

Zu den voraussichtlichen Mitgliedern sollen laut Regierungskreisen Veronika Grimm, Justus Haucap und Volker Wieland gehören. Alle drei sind profilierte Stimmen in der wirtschaftspolitischen Debatte: Grimm ist amtierende „Wirtschaftsweise“, Haucap war Vorsitzender der Monopolkommission, Wieland war langjähriges Mitglied des Sachverständigenrats.

Reiche will sich künftig direkte Ratschläge einholen – sowohl bei kurzfristigen als auch grundlegenden Fragen. Die Ökonomen sollen ehrenamtlich beraten, nicht im Ministerium angestellt werden und weiterhin unabhängig öffentlich auftreten und kommunizieren. Offiziell bestätigt ist das Berater-Gremium allerdings noch nicht – im Wirtschaftsministerium laufen derzeit noch interne Abstimmungen, auch über die genaue Zusammensetzung. Zudem müssten vor dem offiziellen Start noch Formalien geklärt werden.

Krach unter den Rätinnen

Der bisherige Sachverständigenrat ist offenbar an sein Ende gekommen. Truger hatte schon früh ein Aussetzen der Schuldenbremse gefordert, und ist so ganz auf Regierungslinie. So stellte er im Jahresgutachten 2022/2023 dem damaligen Finanzminister Christian Lindner schon eine Vorschussabsolution für 2023 aus: „Die ökonomischen Folgen des Angriffskrieges und die Energiekrise könnten das erneute Aussetzen der Schuldenbremse auch im Jahr 2023 rechtfertigen.“ Richtig heiß wurde es im Rat aber wegen eines Konflikts zwischen den drei führenden Damen des Rates, von denen nur eine wirtschaftspolitische Expertise besitzt: Veronika Grimm.

Die Vorsitzende Monika Schnitzer beschäftigt sich mit weltfernen mathematischen Modellen der Spieltheorie; ein theoretisches Gebiet, das wenig Bezug zu den klassischen Themen der Wirtschaftspolitik wie Haushalt, öffentliche Finanzen und Arbeitsmarkt aufweist. Sie geriet mit Veronika Grimm, ihrer Kollegin im Rat, übers Kreuz, die sich zunehmend kritisch zur Energiepolitik äußerte. In einer E-Mail an Grimm – in Kopie an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt sowie die Minister Christian Lindner und Robert Habeck – sprach sie zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding von „möglichen Interessenkonflikten“ bei Themen, die für die zukünftige Arbeit des Sachverständigenrats von zentraler Bedeutung sein werden. Wie stilvoll, einen internen Konflikt auf diese Art und Weise vor denjenigen auszutragen, denen man gefallen will. Man soll Grimm sogar den Rücktritt aus dem Gremium nahegelegt haben. Hintergrund war ein Aufsichtsratsmandat, das Grimm im Dezember 2023 bei Siemens Energy angenommen hatte.

 

Monika Schnitzer wiederum kämpft seit langem dafür, den Rentnern den Stecker zu ziehen. 2023 schlug die von der SPD ins Amt einer „Wirtschaftsweisen“ entsandte Professorin vor, dass Witwenrenten künftig wegfallen sollen und Rentensteigerungen weitgehend ausgeschlossen werden, ab circa 1.500 Euro im Monat. Nur Beamtenpensionen wie ihre eigene sollten natürlich weiter mit Inflation und Einkommen steigen dürfen.

Letztlich hat der Sachverständigenrat sich mit diesen Vorgängen und Vorschlägen selbst beerdigt: das „Verpetzen“ von Mitgliedern bei den kritisch zu beratenden Politikern ist nicht nur peinlich. Mit diesem Verhalten hat der Rat sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben. Und was die wirtschaftspolitische Beratung angeht: „Aus einem unabhängigen Expertengremium ist ein Rat zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln geworden“, bilanzierte TE bereits 2023:

Zurück zur Marktwirtschaft?

Die Berufung eines neuen Ratgeber-Gremiums durch Wirtschaftsministerin Reiche könnte der Beginn einer neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung sein. Während Truger als Mitglied des Sachverständigenrates für mehr staatliche Lenkung, etwa beim Mindestlohn, setzt Reiche womöglich auf eine Rückkehr zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft. Die Frage, ob der Mindestlohn kurzfristig auf 15 Euro angehoben wird, könnte zum Prüfstein werden – für Reiches Anspruch, wirtschaftliche Entscheidungen künftig ordnungspolitisch zu fundieren.

Die Wirtschaftspolitik steht damit vor der Frage: mehr staatliche Umverteilung oder mehr marktwirtschaftliche Vernunft? Die kommenden Wochen werden zeigen, welche Politik die neue Wirtschaftsministerin wählt und wie groß der Einfluss ihrer ökonomischen Ratgeber sein wird – und vor allem, ob sich Reiche in der Regierungskoalition mit der SPD mit einem neuen Kurs hin zur Marktwirtschaft wird durchsetzen können.

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Kommentare ( 55 )

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Haeretiker
1 Monat her

Na ja, das nötige know how bekommt die Reiche jetzt in Stockholm mit. Sie ist neben Klingbeil und Klöckner Teilnehmerin der 71. Bilderberg-Konferenz.

Mikmi
1 Monat her

50 Cent mehr und die Gehälter im Beamtentun machen eine Nullrunde, bis sie wieder in der Realität angekommen sind.

MartinKienzle
1 Monat her

Ein Wahnwitz: Leute wie all im Artikel genannten Menschen, die kein Jota zum materiellen Wohlergehen des indigenen Deutschen Volkes beitragen, maßen sich an, über uns Landsleute zu richten, die alltäglich für dessen Wohlstand sorgen; nach dem zeitnahen Untergang der BRD werden all die erwähnten sogenannten „Experten“ unehrenhaft entlassen, das an die ehemalige DDR dahingehend erinnert, dass nach deren Untergang unzählige sogenannte „Staatsbedienstete“, die in der sozialistischen DDR noch eine wichtige Position innehatten, in der Bedeutungslosigkeit versanken!

Joe4
1 Monat her

Ökonomen ignorieren grundsätzlich die sozialen Belange. Deshalb haben sie im Beraterkreis für die Politiker zu den Themen Rente, Bürgergeld, Steuern, Krankenversicherung nichts zu suchen, zumindest nicht erstrangig. Frau Grimm und Frau Schnitzer sind gute Beispiele dafür, dass die sozialen Aspekte und trad. Werte an Bedeutung verlieren und die Bürger „funktionalisiert“ werden sollen.

Innere Unruhe
1 Monat her

Mindestlohn wird für ungelernte Arbeit bezahlt. Wo ist die Spreizung? Wenn die Ungelernten 17 % mehr bekommen sollen, warum dann nicht die Ärzte und MINTler? Warum nicht Polizisten und alle anderen??? Was gerechtfertigt die Mindestlohnerhöhung? Wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt, weil das Bürgergeld zu hoch ist, dann muss man beim Bürgergeld ansetzen. Warum sollen deren Kinder eigene Zimmer haben? Warum brauchen Leute ohne Deutschkenntnisse kulturelle Teilhabe? Wie sollen sie ohne Deutsch an unserer Kultur partizipieren? Warum sollen wir ihnen Sport, Schwimmen, Reisen, Kleider zahlen, wo sie eh immer die gleiche lange Kleidung tragen und beim Schwimmen in der Schule… Mehr

ceterum censeo
1 Monat her

„…greift der von den Gewerkschaften in den Sachverständigenrat berufene Professor…“ Da war klar, woher der Wind weht! Kein sachkundiger Ökonom kann einen Mindestlohn fordern, nicht in der Höhe, nicht bei der desolaten Wirtschaftslage. Das grundsätzliche Problem (Lohn-Preis-Spirale mal ganz außen vor gelassen!). Wie wäre es denn mal, die Lohnnebenkosten zu senken? Dann bliebe mehr Netto übrig und der Mindestlohn erübrigt sich. Hieße aber, von Staatswegen zu sparen. Dann bräuchte man auch keine ergaunerte Billion „Sondervermögen“…

Deutscher
1 Monat her

Ach so, jetzt verstehe ich erst den Denkfehler der Arbeitgeber: Sie glauben, der Lohn des Arbeitnehmers gehöre ihnen, sie denken, er sei ihr Eigentum, und von diesem Eigentum würde ihnen etwas genommen.

Liebe Arbeitgeber, so ist das natürlich nicht. Der Lohn ist natürlich das Eigentum des Arbeiters, das er erwirtschaftet hat. Wenn nun der Lohn erhöht wird, ist es so, dass der Arbeiter dem Arbeitgeber künftig weniger von seinem Eigentum abgibt. Ist in Zeiten der Inflation ja auch logisch, denn wie soll es sonst gehen?

Zum alten Fritz
1 Monat her

Schon Frau Merkel kannte nicht so recht den Unterschied zwischen Brutto und Netto. Später war ihr dann klar das mehr Netto vom Brutto bleiben muss. Allerdings ohne Plan wie das geht. Als erstes sollte die Lohnsteuer über den Mindestlohn beginnen, hierzu muss die Lohnsteuer auf das Netto bezogen werden. Also fällt zum Beispiel Lohnsteuer erst ab 20€ über Mindest-Netto mit 5€ an, usw. Vom Nettolohn kassiert der Staat ja noch jede Menge Steuern und Abgaben durch Konsumierung. Ja Herr Merz das sind Lösungen die auf den Bierdeckel passen. Allerdings braucht es da auch Kürzungen in der Bürokratie. Aber kein Problem… Mehr

Deutscher
1 Monat her

Keiner der Kommentatoren hier macht für 15 € auch nur einen einzigen Handgriff, das ist mal sicher.

Michael M.
1 Monat her
Antworten an  Deutscher

Wollen Sie ernsthaft behaupten jeder hier geht mit > 15 € netto (um nichts anderes geht es bei den normalen Arbeitnehmern) Stundenlohn nach Hause?!
Wobei Netto und Brutto ja ganz offensichtlich nicht so ihr Steckenpferd ist 😉.

Last edited 1 Monat her by Michael M.
Deutscher
1 Monat her

Jetzt will der Arbeiter auch noch Geld für seine Leistung! Was denkt der sich nur?

Deutscher
1 Monat her

Hier wird von manchem beklagt, dass bei Mindestlohn 15 € der AN 220 € mehr bekomme, der AG aber 460 € mehr bezahle.

Das stimmt so nicht: Die 220 € gehören ja gar nicht dem AG, sondern dem AN. Also zahlt der AG nur 230 € mehr.

Last edited 1 Monat her by Deutscher
Biskaborn
1 Monat her

Ob sich Reiche gegen stramm Linke wie Truger durchsetzen kann, wird entscheidend für die deutsche Wirtschaftsentwicklung sein. Bein linken Kurs von Merz,ist mit dem Schlimmsten zu rechnen!