Warum tut Friedrich Merz, was Friedrich Merz tut

Warum tut er das? Das ist die Schlüsselfrage, die im Wirken Friedrich Merz‘ immer wieder auftaucht. Zu seinen 20 Jahren auf der Ersatzbank der CDU, über seine Rolle als konservativer Hoffnungsträger und Fortsetzer der Merkel-Politik. Die Antwort ist so banal wie folgenschwer.

picture alliance/dpa | Daniel Löb

Eine der aussagekräftigsten Meldungen stand diese Tage in der Bild. Christian Lindner ließ Olaf Scholz wissen, dass er ihn nicht mehr zu seiner Hochzeit einladen würde. Junge Eltern kennen diesen Sound. Wenn sie ihrem Kleinkind etwas zumuten müssen, etwa ins Bett zu gehen, dann schleudert es ihnen gerne mal Sätze entgegen wie: „Dann hab‘ ich dich gar nicht mehr lieb.“ Es ist das einzige, schärfste und letzte Schwert des Kleinkinds, der Liebesentzug. Lindner zieht dieses Schwert nun gegen den Kanzler: Auf seine Hochzeit würde er den Regierungschef nicht mehr einladen. Autsch.

Auf der Handlungsebene ist das keine bedeutende Nachricht. Wenn Lindner denn nochmal heiratet, kann es dem normalen Bürger egal sein, wen er auf Sylt bewirtet. Interessant wäre höchstens die Frage, wie jemand zum Jet-Set-Millionär wird, der eigentlich immer nur im öffentlichen Dienst Geld verdient hat. Vermutlich ein besonders effektiver Umgang mit Rabattmarken. Interessant ist die prophylaktische Ausladung des Kanzlers nur, weil sie einen Einblick in das Wirken der Berliner Blase zulässt. Der Liebesentzug ist in dieser Bezugswelt eine derart harte Strafe, dass ein ehemaliger Finanzminister gar nicht mehr mitkriegt, wie sehr er außerhalb der Blase wie ein trotziges Kleinkind wirkt, wenn er diese Strafe öffentlich ausspricht.

Vor drei Jahren kehrte Friedrich Merz als konservativer Rebell in diese Bezugswelt zurück. Zumindest hatte er sich dieses Image zugelegt. Eigentlich hatte er diese Welt nie verlassen. Er hatte lediglich 20 Jahre lang auf der Ersatzbank Platz genommen, um die begabteren wie Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Armin Laschet auszusitzen. In der Zeit verdiente Merz sich als Lobbyist und Rechtsanwalt.

Bis 2009 hatte der Rechtsanwalt zudem im Bundestag gesessen. Mit Mandat ausgestattet ließen sich die Interessen der Mandanten noch leichter vertreten. 20 Jahre ging es dem Ausgemusterten ganz gut in einer Welt, in der gilt: Man kennt sich, man hilft sich. In der für gestandene Regierungschefs Liebesentzug schlimmer ist als für junge Eltern. Sich vor Liebesentzug zu bewahren, ist ein banaler Schlüssel, um die Entscheidungen von Friedrich Merz offenlegen zu können – aber es ist ein Schlüssel, der erschreckend oft greift.

Merz hat in den 20 Jahren Ersatzbank gelernt, sich Images zuzulegen. Er hat aber nicht gelernt, diese mit Leben zu füllen, wenn er die Gelegenheit dazu erhält. Mit dem Image des konservativen Rebellen wurde Merz CDU-Chef, schlug in der Direktwahl Merkels Kanzleramtschef Helge Braun demütigend. Doch kaum im Amt beförderte Merz in der Union die Merkelianer, die ihn zuvor öffentlich bekämpft und beleidigt haben. Er äußerte sich nur noch grün und erklärte eine innerparteiliche Frauenquote zu seinen ersten Projekten. Wenn Merz aus Versehen eine konservative Äußerung entschlüpfte, entschuldigte er sich stets innerhalb von zwölf Stunden. Den Liebesentzug des rot-grünen Milieus wollte und konnte der CDU-Vorsitzende nicht ertragen.

Eine inhaltliche Festlegung war in Merz‘ 20 Jahren auf der Ersatzbank auch nicht machbar. Vor seiner Zeit als Reservist machte er mit dem Bierdeckel Schlagzeilen, auf dem Bürger ihre Steuererklärung abgeben können sollten. Das entsprach dem neoliberalen Sound der Zeit. Diese Forderung macht Merz nicht zu einem Neoliberalen, für den ihn manche Liberale fälschlicherweise heute noch halten. Sie machen ihn nur zu einem Zeitgeist-Reiter.

In Merz‘ 20 Jahren auf der Reservebank hat sich der Zeitgeist geändert: Merkel opferte 2015 den gefestigten Rechtsstaat, weil sie schlechte Bilder an den Grenzen fürchtete. Jede Kritik daran wurde zum Tabu, jeder Kritiker hinter die „Brandmauer“ eingesperrt. Statt der Freiheit der 90er Jahre beherrschte nun der Untertanen-Geist der Merkel-Jahre das gesellschaftliche Klima. Auf die Spitze getrieben in der Pandemie, als selbst kleine Ladenschwängel sich plötzlich zu mächtigen Vollstreckern der staatlichen Geboten aufschwangen. Als sie Kunden nicht mehr begrüßten mit „Was darf’s sein, bitte?“ sondern mit „Maske auf! Impfausweis vorzeigen! Abstand halten!“

Die deutsche Wirtschaft hat sich in Merz‘ 20 Jahren auf der Ersatzbank auch geändert. Merkel profitierte zum einen von den Hartz-Reformen unter ihrem Vorgänger Gerd Schröder (SPD). Zum anderen waren die Jahre nach der Bankenkrise eine Epoche ungestörten internationalen Handels, was für die Exportnation Deutschland gut war. Und dann floss das günstige Gas aus Russland, was der deutschen Wirtschaft ebenfalls half. Die Abhängigkeit von Wladimir Putin und ihre Folgen sind heute gut bekannt. Doch die wäre reparabel gewesen.
Was nicht reparabel ist, ist die Wirtschaftspolitik, die Merkel eingeleitet hat – zusammen mit ihrer zuerst treusten Ministerin und nun Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Statt staatliche Schulden abzubauen und Straßen, Schienen, Brücken und Internetnetz in Schuss zu halten und zu verbessern, steckten Merkel und von der Leyen samt ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker das Geld in Gigantismus.

Alles wurde gigantisch: der bürokratische Apparat in Brüssel. Die Vorschriften, die dieser Apparat zur Selbstbestätigung machen musste. Die Summen, mit der dieses bürokratische Monster sich zunehmend anmaß, der bessere Wirtschaftsentscheider zu sein. Pandemie und Krieg nutzten EU und Bundesregierung, um in ihren Förderprogrammen aus Millionen Milliarden zu machen – und bald aus Milliarden Billionen. Wenn nicht gerade Krieg oder Pandemie war, musste der Klimawandel als Begründung für die gigantische Geldumschichtung herhalten. Und Friedrich Merz? Als Lobbyist machte er Geschäfte mit dieser Geldumwälzung. Als Politiker unterstützte er die Parteifreundin von der Leyen und verschaffte ihr eine weitere Amtszeit.

Umso größer der Moloch EU wurde, desto machthungriger wurde der: Das Internet durchsuchen lassen und unbescholtene Bürger unter Generalverdacht stellen und konsequenter verfolgen als manchen Kriminellen. Die freie Rede als „Hassrede“ tabuisieren und letztlich strafrechtlich verfolgen lassen. Wahlen für ungültig erklären lassen, wenn das Ergebnis einem nicht passt. So wie in Rumänien. All das geht von der EU aus, unter der Herrschaft der Christdemokratin und Merkel-Getreuen von der Leyen.

Und was macht Merz? Was waren seine tatsächlichen Projekte in drei Jahren als Oppositionsführer? Er hat Merkelianer innerhalb der Partei befördert, selbst wenn sie ihn zuvor massiv öffentlich beleidigt hatten. Er hat eine Frauenquote durchgesetzt, der Frauen einen deutlich höheren Anteil an Führungspositionen in der Partei zugesteht, als es tatsächlich Frauen in der CDU gibt. Er hat durchgesetzt, dass kein Christdemokrat gegen den Apparatschik-Präsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) kandidiert. Er hat eine zweite Amtszeit von der Leyens ermöglicht.

Merz hat gezeigt, dass er in der Ideologie der EU verhaftet ist: „Transformation“, was in der Praxis bedeutet, das Geld der Privatwirtschaft zu entziehen, um gigantische staatliche Projekte der Planwirtschaft durchzuziehen. Grenzenlose illegale Migration zu fördern. Tabuisierung von Kritik an dieser Migration inklusive der rechtsstaatlichen Verfolgung der Kritiker. Ein Aushebeln der Meinungsfreiheit über kommunistische Kampfbegriffe wie „Kampf gegen Hassrede“. Dafür stehen nicht nur von der Leyen in Brüssel und die SPD in Berlin. Dafür steht auch Friedrich Merz, der von der Leyen stützt und die Sozialdemokraten als bevorzugten Koalitionspartner benennt.

Im Januar hat Merz vor dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos gesprochen. Er hat dort versprochen, die Migration bekämpfen und die deutsche Wirtschaft strukturell stärken zu wollen. Doch selbst das Schweizer Staatsfernsehen hat kritisiert, wie belanglos unkonkret Merz dabei blieb. Den Stopp des „Green Deals“ hat die CDU im Europawahlkampf versprochen, weil sie weiß, wie unbeliebt die gigantische Geldumwälzung ist und wie wenig die Deutschen den Brüsseler Bürokraten trauen. Doch nach der Europawahl haben die Christdemokraten so getan, als ob sie dieses Versprechen nie gegeben hätten.

Merz weiß, dass es ihm keiner ein zweites Mal glauben würde. Deswegen raunzt er nur noch was von Bürokratie abbauen und Strukturen reformieren. In der Hoffnung, dass es wie beim WEF keiner so genau wissen will. Schließlich sitzen in Davos genug, die privat an der Umwälzung oder „Transformation“ verdienen. Denen will Merz gefallen. Das ist ein banaler Grund zu handeln. Aber meistens ist das Böse halt banal. Und noch hat Lindner nicht damit gedroht, Merz zu seiner nächsten Hochzeit nicht einzuladen. Also alles gut für den Kanzler.

Sein Problem ist nur: Das Image des liberalen Erneuerers wird noch schneller zusammenbrechen als das des konservativen Rebellen. Im April wird Merz Kanzler unter Saskia Esken und/oder Robert Habeck sein. Er wird sich der EU-Transformation verpflichtet fühlen, die Schuldenbremse abschaffen und den gigantischen Staat mit Schuldengeld wuchern lassen.

Der Meinungsfreiheit hat er an diesem Wochenende bereits offen den Kampf angesagt. In weniger als zwei Jahren wird Merz ein Kanzler sein, der bei den Bürgern komplett durchgefallen ist, den in der Blase aber alle noch lieb genug haben, um ihn zu ihrer Hochzeit einzuladen.

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Kommentare ( 66 )

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H. Priess
1 Monat her

Nun hat er es ja schon gesagt, unter Wirtschaftsminister Habeck will er nicht Kanzler sein, oder so ähnlich. Nur, wer will sich den Himmelfahrtsposten auf den Hals reißen? Habeck ganz sicher, der ist mit uns noch nicht fertig und sein Ego ist Grenzenlos aber sonst? Irgend jemand wird Merz finden müssen dem er das Scheitern seiner Regierung, und das kommt unweigerlich, anlasten kann. Gut, jemanden zu finden dem sein Ruf als Politiker völlig egal ist wird nicht schwierig wenn man demjenigen eine sehr gut dotierte Anschlußverwendung in der Wirtschaft verspricht. Käuflich sind die alle, nur die Preise unterscheiden sich. Ich… Mehr

Mausi
1 Monat her

„…dass er ihn nicht mehr zu seiner Hochzeit einladen würde.“ Dieses Kindergartenverhalten zeigt sich in D auf allen Ebenen. Herr Trump ruft es hervor. Keine Verhandlungen mit Herrn Putin gehört auch dazu. Wie wollen Menschen, die sich so verhalten, eigentlich Toleranz und friedliches Zusammenleben nach D bringen? Sie bringen ja nicht mal tägliches Aushandeln zustande, sondern nur eine Armeslänge Abstand.

Last edited 1 Monat her by Mausi
Metric
1 Monat her

Diese Wahl wäre für die CDU die letzte Chance, in einer CDU/AfD-Koalition den Kanzler zu stellen. Ab 2029 (vrsl. früher) wäre sie nur noch Juniorpartner. Und deswegen dann auf ewig an SPD/Grüne gekettet.

Erfurter
1 Monat her

Ja, das klingt schlüssig und gem. Ockham als einfachste Erklärung demzufolge am Wahrscheinlichsten.
Für meinen Geschmack fehlt aber noch eine Prise Geopolitik – also V-Theorie. Ich denke der Trump ist ihm regelrecht unheimlich.

Freigeistiger
1 Monat her

Sehr guter Artikel von Herrn Thurnes. Warum tut Merz, was er tut? Weil er seit vielen Jahren zum sog. Establishment gehört, weil er wie Scholz, Habeck, Baerbock etc. und früher schon Merkel WEF-gesteuerte Elitenpolitik gegen die Bevölkerung macht. Soros und BlackRock sind seit vielen Jahren an maximaler Verschuldung und Umverteilung von Untern nach Oben interessiert. Das wurde bisher konsequent umgesetzt (neben der Massenzuwanderung gehören auch Klimapolitik, Kriegs-/Rüstungspolitik und die Corona-Plandemie dazu) und soll weiter forciert werden. Merz ist Profteur und Knecht der Kapitaleliten, von ihm ist keine politische Wende zu erwarten, die dem Wohl der Bevölkerung dient. Allerdings haben die… Mehr

ktgund
1 Monat her

Es gibt seit letzter Woche eine neue Variable in der Gleichung. Die heißt JD Vance. Der Vizepräsident und mutmaßlich kommende US-Präsident, der eben nicht bereit ist, das verlogene Lied vom Wertewesten zu singen, sondern schonunsglos und deutlich die Lebenslügen der Eurokratie anprangert. Auch Präsident Trump ist nicht Willens, Narrative einer protosozialistischen Bürokraten-Sowjetunion in Europa zu bedienen. Er hat keine Verwendung mehr für ein herabgewirtschaftetes Sowjet-Europa, das für die USA kein nützlicher Partner mehr sein kann, wenn es seine Wirtschaft aktiv vernichtet. Merz ist seine Beliebtheit in der Bevölkerung egal, solange er im Dienst des Regimes gut dasteht. Aber das Regime… Mehr

schwarzseher
1 Monat her

Die einzige Erklärung dafür, warum Merz auf keinen Fall die AfD in einer Regierung will, kann meines Erachtens nur sein, daß er Dreck am Stecken hat wie so viele jetzt in den USA. Und eine AfD würde das publik machen. So wie unter den Dems in den USA die Sauereien unter Verschluß gehalten wurden.

Apfelmann
1 Monat her

Friedrich Merz ist für viele Menschen das kleinste Übel. Wer die Wahl zwischen Habeck, Scholz und Merz hat……es ist halt wie als wenn man abends 19:55 an die Brottheke im Supermarkt kommt und gerne eine frisches, warmes knusprigen Brot zum Abendbrot möchte, dann sieht dass alles leer ist und nur noch ein hartes, altes Brot vom Vortag da ist. Man hat halt Hunger. Un da ist es eben besser als nichts.

Burnetatswiese
1 Monat her
Antworten an  Apfelmann

Sehr guter Vergleich. Und ich setze noch einen drauf: das harte, alte Brot wird dem Kunden als gesundes Vollkornbrot verkauft. In Wirklichkeit besteht es aber nur aus eingefärbtem billigem Mehl, einer Backmischung, die im Supermarktautomaten in Minutenschnelle aufgebacken wurde. Das gute Brot liegt rächts vom Supermarkt in der traditionellen Bäckerei. Da geht man aber lieber nicht rein – man könnte ja gesehen werden ….

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Merz will nur noch Kanzler werden, egal, warum, wofür, wie lange, mit wem. Natürlich wird er wie Scholz scheitern. Aber er ist dann der Altkanzler.

Martin Mueller
1 Monat her

Herr Merz ist der klassische Typ des Rückversicherers….

So einer pirscht mal vor mit viel Elan – im Nebensatz stets die Rückversicherung tragend – um letztlich doch nichts gegen den Zeitgeiststrom zu unternehmen.
Solche Leute sind sehr auf den eigenen Erfolg bedacht, stets das Risiko abwägend, das diesen Erfolg gefährden könnte.

So einer ist zu einer politischen Wende nicht willens und fähig. Es fehlt einfach Mut, Rückgrat und Willen.

So einer reißt keine Mauern ein, um große Probleme zu lösen….

Last edited 1 Monat her by Martin Mueller