Klartext statt Menschenfurcht: Ist die Kirche zurück?

Mehrere Bischöfe und das ZDK haben erkannt, wie weitreichend die Wahl von Brosius-Gersdorf wäre. Sie positionieren sich klar dagegen, trotz Kritik aus Medien und Politik. Das ist bemerkenswert: Wird sich die Kirche von der Gefallsucht gegenüber den Meinungshegemonen befreien?

picture alliance/dpa | Daniel Löb

Bereits am 2. Juli hatte sich der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, besorgt über die anstehende Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin gezeigt. Größere Aufmerksamkeit erzeugten dann aber erst die Wortmeldungen einer ganzen Reihe von katholischen Bischöfen – und wurden prompt mit medialem und politischem Widerspruch bedacht.

Aus der SPD heraus bezeichnete der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch den Protest der Bischöfe als „unchristlich“. Kirche darf politisch sein – aber doch nicht so! Der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil, Kirchenbeauftragter der SPD-Fraktion im Bundestag, versuchte es versöhnlicher, und bot der Kirche einen Dialog an, „auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und im Bewusstsein der jeweiligen Verantwortung“. Beim Spiegel ist man derweil sauer über den prononcierten Widerstand und ist der Ansicht, die Kirche gehe die Wahl der Verfassungsrichter „nichts an“. Ist das so?

Mitnichten. Die Kirche muss sich – ob es gefällt oder nicht – in Politik und Gesellschaft einbringen, weil der katholische Glaube nicht diffuse Spiritualität bedeutet, sondern die gesamte Realität, die „sichtbare und die unsichtbare“, erfasst und umfasst. Eine Kirche, die sich nicht politisch äußert, würde belegen, dass sie gar nicht glaubt, was sie zu glauben vorgibt. Wenn Kirche nicht Anstoß erregt, nicht aufzeigt, wo die Gesellschaft abdriftet, auch, wenn es keiner hören will, hat sie ihren Auftrag verfehlt. Das gilt für linke wie rechte Irrwege gleichermaßen.

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Natürlich ist es verständlich, dass sich SPD-Kreise pikiert zeigen, weil die Kirche nun einem links-progressiven Umbauvorhaben widerspricht – ein Mutausbruch, auf den nicht nur Gläubige schon lange warten, sondern der der Glaubwürdigkeit der Kirche zuträglich ist. Mit der unkritischen Unterstützung der politischen Brandmauer, der absurden Bejahung der Genderideologie und der willfährigen Anbiederung an den Zeitgeist in gesellschaftspolitischen Belangen war die katholische Kirche in Deutschland nicht nur gesamtkirchlich auf einem recht eigenen Kurs. Sie drohte auch, in der öffentlichen Wahrnehmung ähnlich der EKD zum Sprachrohr der jeweils herrschenden opportunen Meinung zu werden.

Es stellt sich durchaus die Frage, ob diese neue Eigenständigkeit nicht auch dem Pontifikat Leos XIV. geschuldet ist. Der neue Papst strahlt unaufgeregte Klarheit aus, die auf den deutschen Episkopat abfärben könnte. Zudem hat er bereits von Beginn an deutlich gemacht, dass er es als Aufgabe der Kirche betrachtet, nicht um sich selbst zu kreisen, sondern auf Basis der kirchlichen Lehre Wegweisungen für aktuelle Herausforderungen zu entwickeln.

Die Resonanz auf die Wortmeldungen zeigt überdies, dass die Marginalisierung der katholischen Kirche tatsächlich vor allem auf Selbstverzwergung zurückzuführen ist: Sie hat es selbst in der Hand, wieder zu einer relevanten und vor allem unabhängigen Stimme zu finden.

Vorhersehbar war, dass sich jene Bischöfe zu Wort melden würden, die auch sonst am wenigsten Menschenfurcht zeigen: Bischof Rudolf Voderholzer aus Regensburg, der seine Meinung stets geradeheraus äußert, Bischof Stefan Oster, dessen Kritik gewöhnlich versöhnlich und vorsichtig ausfällt, und Rainer Maria Kardinal Woelki, der in seinem Erzbistum einer unverhohlen feindseligen Presse, einer dementsprechend eingenordeten Stadtgesellschaft und innerkirchlichen Akteuren gegenübersteht, die sich an seiner Romtreue stören.

Überraschender war, dass auch das kirchliche „Reformlager“ an dieser Stelle nicht dazu bereit war, Grundüberzeugungen aufzugeben: Bischof Dieser aus Aachen äußerte sich ebenso unmissverständlich wie Irme Stetter-Karp, die Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Hinzu traten Weihbischof Thomas Maria Renz aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart, und, mit scharfer Kritik, Erzbischof Herwig Gössl aus Bamberg: „Ich möchte mir nicht vorstellen, in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet“, sagte er in einer Predigt, die der BR auch gleich zum Anlass nahm, um zu behaupten, es sei eine „gezielte Kampagne“ gegen die Juristin gefahren worden. Die Wortmeldung Gössls ist bemerkenswert, weil sich die Kritik an Brosius-Gersdorf vor allem an der Frage nach Menschenwürde und Lebensrecht entzündet hatte. Das ist zwar für die katholische Kirche äußerst relevant, der Erzbischof macht allerdings die tiefere und noch grundsätzlichere Dimension der Problematik deutlich.

Quer durch innerkirchliche Frontverläufe wurde verstanden, was mit der Wahl Brosius-Gersdorfs auf dem Spiel stünde, und man ließ sich nicht einmal davon einschüchtern, dass zeitgleich „rechte“ und „alternative“ Medien zu demselben Ergebnis kamen.

Die Gesamtheit des deutschen Episkopats hat die hellsichtige Bereitschaft zum Einstehen für die christliche Grundlegung der Gesellschaft zwar nicht erfasst: Eine Stellungnahme der Bischofskonferenz als solche lässt auf sich warten. Doch die Bischöfe könnten aus ihrer individuellen Positionierung das Selbstbewusstsein schöpfen, sich auch künftig deutlicher anhand katholischer Lehre in den Diskurs einzubringen.

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In den anstehenden Debatten stellt das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild ein unverzichtbares Korrektiv dar: Transaktivismus und woker Umbau der Gesellschaft, Massenmigration und demographische Krise – noch äußern sich zu wenige Bischöfe nuanciert und an der katholischen Lehre orientiert. Ob aus Bequemlichkeit, Angst oder auch aus mangelndem Verständnis für die weitreichenden Folgen dieser Phänomene.

Auf der anderen Seite lauert der neue rechtsidentitäre Tribalismus. Hier zeigt man sich zwar weniger naiv, müsste aber auch an dieser Stelle nicht bloß linke Empörungsrhetorik kopieren, sondern valide Argumentation anbieten.

All das sind Felder, in denen die Kirche sich bedacht, umsichtig, aber auch klar am Glauben orientiert zu äußern hätte. Natürlich kann die Gesellschaft die Wortmeldungen der Kirche ignorieren. Aber selbst wenn man ihre Positionen ablehnt: Sie gehören in den Diskurs einer pluralen Gesellschaft.

Die katholischen Würdenträger könnten nun erkennen, wie dringend es in der Gesellschaft einer eigenständigen katholischen Position bedarf, und dass es sich lohnt, dafür Gegenwind in Kauf zu nehmen, gerade auch von jenen, die derzeit die Meinungsbildung bestimmen. Der Fall Brosius-Gersdorf könnte also als Nebeneffekt eine Befreiung der kirchlichen Hierarchie von der Gefallsucht gegenüber weltlichen Instanzen mit sich bringen.

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Kommentare ( 28 )

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Biskaborn
26 Tage her

Der Bamberger Bischoff Gössl hat als erster schon den Rückzug eingeleitet. Er habe Frau B.-G. falsch verstanden. Wann werden die anderen kirchlichen Kritiker folgen?

Soistes
25 Tage her
Antworten an  Biskaborn

Die katholische und noch mehr die evangelische Kirche war in Europa mindestens seit 1648 nicht mehr als ein Hilfsorgan der Regierung.

Thomas S62
26 Tage her

Eine Wende in der katholischen Kirche?
NIEMALS.
Hat nicht kürzlich Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz das Neue Testament 2.0 vorgestellt?
Jesus: Laßt alle Kinder zu mir kommen, mit Ausnahme von AfD-Mitgliedern und AfD-Wählern!

Btw. In der Augsburger Allgemeinen gibt es ein interessantes und sehr aufschlußreiches Interview von ihm über Frau Brosius-Gersdorf.
Online verfügbar ohne Bezahlschranke.

Axel Fachtan
26 Tage her

Bundesverdienstkreuz für Beatrix von Storch.
Sie hat „aus der Hüfte geschossen“ und Merz ist nach 60 Regierungstagen
moralisch erledigt und Spahn gleich mit.
Die Kirchen bauen mit an der „Brandmauer“.
Wer Mitglied der AfD ist oder Wähler oder parteiloser Kandidat, der wird gerade von der EKD und der Diakonie zum „Antichristen“ erklärt.
Wer das Kalifat fordert und Ungläubige niedermetzelt, ist gemäß EKD und Diakonie der bessere Christ.

Jens Frisch
26 Tage her

„Wird sich die Kirche von der Gefallsucht gegenüber den Meinungshegemonen befreien?“
Diese „Meinungshegemonie“ ist nur eingebildet und die öffentliche Meinung hat mit der veröffentlichten Meinung immer weniger Übereinstimmungen – ein Blick auf die Wahlergebnisse genügt für diese Erkenntnis.

Mausi
26 Tage her

Nein, sie wird sich nicht befreien. Denn leider gibt es da noch eine zweite Kandidatin. Und der rechte Flügel der „Blockpartei“ verlässt sich darauf, dass die Sommerpause den Frieden zurückbringt. Dann werden alle drei Kandidaten für das BVerfGE durchgewinkt.

H.H.
26 Tage her

Man muß Frau Storch für ihre Frage und auch Herrn Merz für sein dummbeherztes JA dankbar sein.

AlNamrood
26 Tage her

TE hat diese unheilige Art, bei jedem Zucken des Kadavers deutscher Politik den Patienten für bald genesen zu erklären.

maru
26 Tage her

Diese „Befreiung von der Gefallsucht“ stünde nicht nur den kirchlichen Institutionen, sondern der gesamten Gesellschaft gut zu Gesicht.
Frei zu sein von Gefallsucht ist der erste und wichtigste Schritt zum freien Individuum.

verblichene Rose
26 Tage her
Antworten an  maru

Kleiner Vorschlag zur Güte.
Wie wäre es, wenn man zunächst die Dummheit ausrottet?
Dann wäre nämlich eine gewisse Eitelkeit, ähnlich des gesunden Egoismus, schon viel erträglicher 😉

Dundee
26 Tage her

Es ist doch sowieso ein abgekatertes Spiel. Die Kirche ist so regierungstreu wie eh und je, die befreit sich von gar nix. Brosius-Gersdorf ist ein Strohmann. Um sie wird soviel Wind gemacht mit einer „Demokratie funktioniert“ und „Kirche funktioniert“ -Show, dass in ihrem Windschatten eine andere Verfassungsrichterin wird, die außer Abtreibung bis zur Geburt exakt das Gleiche auf ihrer Agenda stehen hat wie Brosius-Gersdorf. Die einzige Rettung für die Kartellparteien ist ein Verbot der AfD. Dafür braucht es stalinistische Verfassungsrichter. Genau das wird durchgezogen. Brosius-Gersdorf ist ein Knochen der den wütenden Hunden zum Fraß vorgeworfen wird. Dadurch sind sie (die… Mehr

Danton
26 Tage her

Kirche ist nicht nur spirituell, sondern zutiefst konservativ. Nur verhält sie sich nicht mehr so. Sie ist zu einem Sammelbecken für islamaffine, queere, und unchristliche Freaks geworden. Nun kommt sie dieses eine Mal tatsächlich ihren christlichen Werten nach, und zitiert aus den 10 Geboten, ‚du sollst nicht töten‘, und schon kommt ein links defomirter Apparatschik um die Ecke und wirft ihr ‚Unchristlichkeit‘ vor. Ist denn wirklich keiner mehr bei der sozialistischen Undemokratenpartei dabei, der seine Genossen in ihrer unhaltbar dumm-dreisten Agitations- und Feindbildpropaganda daran erinnert, das so ein sinnloses Daherschwurbeln jeden halbwegst intelligenten Menschen in die Flucht schlägt? Diese ganzen… Mehr