Zynisch, abgehoben und unersättlich: Von einer entgrenzten Staatsaristokratie

Während die Politik mit überdimensionierten Schuldenprogrammen aus dem Vollen schöpft, empfiehlt sie dem Bürger Austerität. Der immer dreistere Griff in die sich leerenden Taschen der Steuerzahler zeigt, dass sich in Berlin eine entgrenzte Staatsaristokratie gebildet hat.

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Zwei epochale Bonmots, deren historischer Wahrheitsgehalt sicherlich bezweifelt werden kann, beschreiben den Ausklang der französischen Monarchie in ihrem Schlusskapitel am prägnantesten.

Da wäre zum einen der fatalistische Ausspruch der Madame de Pompadour, nachdem sie während eines Abendempfangs die Nachricht von der Niederlage der französischen Armee gegen Preußen 1757 bei Roßbach erhalten hatte. Um die Betroffenheit unter den Gästen ob dieser Katastrophe zu überspielen, soll die Maitresse des Königs gesagt haben: „Après moi le déluge!“, oder „nach mir die Sintflut“ – mit den Problemen werden sich andere herumschlagen müssen.

Zum anderen wurden der verhassten Königin Marie-Antoinette, Gemahlin von König Ludwig XVI., inspiriert vom Zeitgeist die zynischen Worte in den Mund gelegt: „Wenn Sie kein Brot haben, sollen Sie eben Brioche essen.“ Eine ihr fälschlich zugeschriebene, aber bis auf den heutigen Tag gern zitierte Sentenz, um die Abgehobenheit des Politikerstandes zu paraphrasieren.

Postmoderner Neofeudalismus

Doch ist es gar nicht nötig, in den Geschichtsbüchern so weit zurückzublättern, um auf der Spurensuche nach staatsaristokratischem Übermut fündig zu werden.

Bundeskanzler Friedrich Merz fiel in den vergangenen Monaten regelmäßig mit Appellen an die Bürger auf, ihr wirtschaftliches Leistungsniveau zu überdenken. Noch im Mai, beim Wirtschaftsrat der CDU, sagte Merz, die „Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance allein werden den Wohlstand nicht sichern“. Er sprach sich für Reformen bei gesetzlichen Arbeitszeitregelungen und eine stärkere Führungsrolle Deutschlands in der EU aus, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern.

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Da mag er sicherlich richtig liegen. Doch dürften diese Worte gerade im Sozialparadies Deutschland auf berechtigte Empörung stoßen. Denn es sind genau diejenigen, die Merz hier mit seiner dreisten Kritik adressiert, und mit deren Leistung er nicht zufrieden zu sein scheint, die das Märchen vom universellen Wohlfahrtsstaat mit ihrer eigenen Leistungskraft (nahezu) klaglos fortspinnen.

Diese Worte aus dem Munde des für die größte Schuldenorgie der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlichen Bundeskanzlers, eines Mannes, der repräsentativ für eine politische Elite steht, die unfähig ist oder nicht willens, die strukturellen Probleme Deutschlands durch ein passendes Rahmenwerk zu adressieren, sind empörender Ausdruck der Abgehobenheit. Weder im Bereich der Überregulierung noch der Massenmigration leistet die politische Repräsentanz das Minimum dessen, was man angesichts der fürstlichen Ausstattung des Staats mit Steuergeld erwarten muss.

Zu den unbescheidenen Mahnern zählt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich vom deutschen Volk eine bescheidenere Lebensführung wünscht und dazu rät, den Gürtel doch deutlich enger zu schnallen. Und dass ausgerechnet von dem Mann, der dem Steuerzahler während des Umbaus seines Amtssitzes von Schloss Bellevue eine Rechnung von 205 Millionen Euro für ein Ersatzgebäude präsentiert, ohne auch nur in Erwägung gezogen zu haben, bereits bestehende Büroflächen während der Renovierungsarbeiten anzumieten. Das wäre eines echten Staatsoberhauptes offensichtlich nicht würdig. Dieses Verhalten verleiht Steinmeier eine Sonderstellung innerhalb der Berliner Elite.

Sattes Gehaltsplus

Geld spielt in diesen Kreisen offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Während viele Bürger sich durch Inflation und Steuerlast hangeln, fragen sich manche Volksvertreter scheinheilig: „Was fehlt denn dem Volk?“ Die Antwort liefert ein Blick auf die eigenen Bezüge: Seit 2013 stiegen die Bundestagsdiäten um satte 43 Prozent – ganz automatisch, jedes Jahr zum 1. Juli. Heute kassiert ein Abgeordneter mit über 11.800 € Monatsgehalt mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Bruttolohns. Nach 20 Jahren winkt dann eine Altersversorgung von über 70 Prozent, selbstverständlich zusätzlich zur Rente, sofern ein Rentenanspruch erworben wurde.

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Da kann der einfache Bürger nicht mitreden. Nach mehreren Rezessionsjahren und hoher Inflation steht bei ihm seit 2013 eine Reallohnsteigerung von nicht einmal mehr 10 Prozent zu Buche. Gehälter, Prämien, Rentenansprüche sind in der freien Wirtschaft das Produkt persönlich erworbener Kompetenz und dauerhafter Leistungsbereitschaft – ein hartes Brot, das jeden Respekt verdient.

In der Politik und den korrespondierenden Behörden hingegen werden vom Steuerzahler erpresste Budgets zu Finanzierungsquellen von Karrieristen, die sich auf diesem Wege dem Leistungsprinzip des freien Marktes erfolgreich entziehen.

Genau das ist es, was die Staatsaristokratie unserer Zeit am besten beschreibt: Es ist ihre Fähigkeit, sich in einer ökonomisch abgesicherten Parallelwelt zu bewegen und für den Notfall Auffangbecken und Pseudotätigkeiten wie Behörden und NGOs geschaffen zu haben, die das „Berufsleben“ auf ein risikoloses Vollkasko-Prinzip reduzieren.

Oberhoheit über den Mediensektor

Neben der Macht über die Ausgestaltung eigener Budgets und Bezüge, der nahezu unbegrenzten steuerpolitischen Gewalt, zählt die Oberhoheit über den Mediensektor zu den Kernkriterien der Staatsaristokratie.

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Seine Macht entspringt im Wesentlichen aus der Fähigkeit, Stimmungen, Meinungen und Narrative zu manipulieren, zu setzen und im öffentlichen Raum zirkulieren zu lassen. Neben die zwangsfinanzierten Staatsmedien tritt ein wahrer Schutzwall affirmativer Medienträger, teils durch öffentliche Gelder am Leben gehalten, die dem staatlichen Organon mediale Übermacht verleihen.

In Brüssel findet dieses Bestreben seinen Ausdruck in der zunehmend aggressiv-invasiven Bekämpfung der freien Rede auf dezentralen Medienplattformen wie X oder Telegram, die mit Gesetzen wie dem Digital Services Act (DSA) in die Knie gezwungen werden sollen. Die Emphase, mit der sich Brüssel gegen diese Medien stellt, zeigt, dass möglicherweise hier die entscheidenden Schlachten über die Zukunft bürgerlicher Freiheiten geschlagen werden.

Korrespondierende Bürokratie

Zur Funktionärselite zählt auch eine korrespondierende Hyperbürokratie. Etwa 5,4 Millionen Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst – davon sind rund zwei Millionen verbeamtet. Vor zehn Jahren lag ihre Zahl noch bei etwa 4,7 Millionen. Ein Stellenaufwuchs von etwa 15 Prozent in gerade mal einer Dekade. Der arbeitssparende technologische Fortschritt konnte die politisch geförderte Wucherung des Regulierungswesens personalpolitisch nicht kompensieren.

Die omnipräsente Verwaltungstätigkeit der öffentlichen Hand bildet nicht nur einen politischen Machtfaktor des Staates und seiner Repräsentanten. Sie ist das Signum einer neuen Zeit, eines invasiven Sozialismus, der sich eine Kompetenz anmaßt, wie wir es seit der Wendezeit nicht mehr erlebt haben.

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Der Katastrophen-Haushalt
Dieser neue Sozialismus findet seinen materiellen Ausdruck im Staatshaushalt der neuen Regierung. Diese versucht der strukturellen Wirtschaftskrise mit einer biblischen Kreditschwemme zu begegnen. Dieser Kreditwuchs dient als Hebel für eine weitere Steigerung des staatlichen Dirigismus im Wirtschaftsleben und wird in eine haushaltspolitische Katastrophe führen.

Kreditfinanzierte Staatsausgaben sind Power Food für Behörden, Kontrollorgane und Regulierer, die ihre Existenzberechtigung aus einer expansiven Regulierungsarbeit herleiten. Auch Bürokratien sind soziale Körper, die, ganz so wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen, um eine Ausweitung ihrer Budgets kämpfen und schleichend zu einem Staat im Staate mutieren.

Den Mitgliedern der Staatsaristokratie eröffnen sie weitere Karrierealternativen. Denken Sie an die ehemalige SPD-Vorsitzende und Arbeitsministerin Andrea Nahles, die heute der vollkommen ineffizienten Arbeitsagentur vorsteht und mit einem Team von 100.000 Mann mehr schlecht als recht den Mangel am Arbeitsmarkt bewirtschaftet.

Klimawirtschaft und Rüstungssektor

Dabei handelt es sich nur um eines von unzähligen Beispielen aus der Welt der deutschen Hyperbürokratie. Eine groteske Steigerung erlebt sie in der artifiziellen Klimawirtschaft. In dem verzweifelten Versuch, eine Kunstwirtschaft mit einem gigantischen Subventionsapparat am Leben zu halten, arbeiten in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten zehntausende Verwaltungsbeamte und Angestellte im öffentlichen Dienst an der Projektierung und Mittelverteilung an die Subventionsunternehmen des grünen Sektors. Er ist neben der Rüstungsindustrie die zweite tragende Säule der Wirtschaft der Staatsaristokratie.

Höhere Fördermittelbudgets bringen eine wachsende Zahl von Entscheidern in der Wirtschaft in die Abhängigkeit der Subventionsmaschine. Der Staatsadel erkauft sich mit Steuergeld das Schweigen großer Teile der Unternehmerschaft, Kritik an der gescheiterten grünen Transformation wird zum Sakrileg. Dieser Prozess hat längst neofeudale Züge angenommen, da sich die politisch Verantwortlichen jeder Kontrolle entziehen und gegenüber Kritik medial immunisiert haben.

Der neue Haushalt der Europäischen Kommission soll vom Zeitraum 2028 bis 2034 etwa 750 Milliarden Euro an Transferleistungen zur Verfügung stellen, um diesen Komplex liquide zu halten. Dies impliziert ungezählte neue Verwaltungsposten, Aufsichtsratsstellen, Partizipationschancen für Vertreter der Politik und öffnet der Korruption Tür und Tor.

Das Schweigen Subventionsunternehmer

Es ist der Webfehler populistischer Demokratien, dass ihre politischen Eliten ausschließlich in einem parteiinternen Selektionslauf ausgewählt werden und sich zuvor keinerlei Meriten in der freien Wirtschaft erwerben mussten. Eine Begrenzung der Mandatsträgerschaft auf zwei oder drei Wahlperioden, die Streichung der Pensionsbezüge und eine Begrenzung der finanziellen Zuwendungen auf das Nettogehalt der zurückliegenden drei Jahre des jeweiligen Bewerbers auf ein öffentliches Amt würden dieser maliziösen Entwicklung einen Riegel vorschieben.

Selbstverständlich wird dies nicht geschehen, da die Staatsaristokratie weitgehend im immunisierten Raum operiert. Und so werden wir in Zukunft während der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise regelmäßig von Steinmeier, Merz und Co. die Leviten gelesen bekommen. Denn in Berlin wissen sie eines ganz genau: Auch ihr letztendlich fragiles Machtgebilde speist sich am Ende aus dem ökonomischen Reservoir der Leistungsträger, über die sie so abfällig reden.

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Kommentare ( 52 )

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AlexR
10 Tage her

Einer der schlimmsten der Aristokraten steht bereits im der Bütt. Alle anderen sind nur wenig weit von ihm weg. Vllt sollte man die Höhe der Steuerverschwendung und Subventionen an Staaten auflisten, die dringend einen Radweg oder Stadien benötigen.

moorwald
11 Tage her

Ohne einen Systemwechsel wird es nicht gehen. Elemente wären z.B. :
Mehrheitswahlrecht und damit Wegfall dieser bizarren Koalitionen vorbei am Wählerwillen, Begrenzung der Amtsdauer, direkte Demokratie…

Last edited 11 Tage her by moorwald
moorwald
11 Tage her

Eigentlich eine vorrevolutionäre Situation. Wie noch immer, wenn sich die Herrschenden zu weit von den Beherrschten entfernen.

JoergJ.
11 Tage her

Als Einzelner, kann man dem nur begegnen, in dem man seine Leistungskraft, dem Staat so gut es geht zu entziehen. Wie in der DDR, nur das Nötigste und weniger.

siebenlauter
11 Tage her

Ganz hervorragender Beitrag. Wobei konsequenter Klartext eigentlich nicht mehr ohne das Wort Laterne auskommt. Nicht wenigen Armen geht es inzwischen an die nackte Existenz, der Sozialstaat funktioniert nur noch für die Parteigänger.

Teiresias
11 Tage her

Die Frage ist doch: Von wem geht die Macht aus? Sind das wirklich neofeudale Eliten, die wirklich die Macht haben wie einst der Sonnenkönig? Ich habe da Zweifel. Denn in fast allen westlichen Ländern mit ihren verschiedenen politischen Traditionen findet dieselbe Politik statt. Die tatsächlichen Machtzentren sehe ich daher ausserhalb der sichtbaren Politik. Merkel, Scholz oder Merz sind doch keine Herrscher. Das sind Lakaien, die Autoritäten gehorchen, welche nicht selbst in Erscheinung treten. Wie Seehofer sagte: „Die bestimmen, wurden nicht gewählt, die gewählt wurden, haben nichts zu bestimmen.“ Folge dem Geld. Die globalisierte angloamerikanische Hochfinanz macht mit den Völkern des… Mehr

Memphrite
11 Tage her

Republik = Oligarchie mehr braucht man eigentlich nicht um zu verstehen

caesar4441
11 Tage her

Die Demokratie hat leider auch ihre Schwachstellen.In den grichischen Stadtstaaten in denen die Demokratie erfunden wurde war nach jeweils 50 Jahren der Staatsapparat infolge Korruption am Ende und wurde durch einen Tyrannen abgelöst der den Saustall ausmisten mußte.Nach 80 Jahren ist auch hier die Demokratie am Ende.

alter weisser Mann
11 Tage her

„Sentenz, um die Abgehobenheit des Politikerstandes zu paraphrasieren“
Marie-Antoinette wurde ganz sicher nicht ob ihres Daseins als abgehobene Politikerin paraphrasiert.

Freigeistiger
11 Tage her

In der Tat haben wir in Deutschland heutzutage eine Staatsaristorkatie, ein Neu-Versailles, neofeudale Verhältnisse mit demokratischem Deckmantel. Der Souverän hat nichts zu sagen, er darf alle paar Jahre mal wählen und dann macht die Regierung, was sie will. Merz ist ein Parade-Beispiel. Partei- und Staatsapparat weiten sich immer mehr aus, alles auf Kosten der Leistungsträger dieses Landes. Diese Bürger (und ihre Nachfahren) bürgen auch für die gigantische Verschuldung, nicht die Politiker. Das kann und wird auf Dauer nicht gutgehen, wenn gleichzeitig die Wirtschaft einbricht und die Sozialausgaben aufgrund einer entgrenzten Migrationspolitik immer neue Rekorde erreichen. Sie beschwören immer Nachhaltigkeit, handeln… Mehr