Der irreale Wunsch nach der deutschen Atombombe

Kaum zu glauben aber wahr, das Spiel mit offenen Karten der Trump-Administration schreckt selbst die bräsigen Deutschen auf. Sogar bisherige Tabuthemen wie Atomwaffen für die Bundeswehr werden neu diskutiert.

IMAGO / ITAR-TASS

Die sicherheitspolitische Lage Europas hat sich dramatisch zugespitzt. Russlands Angriff auf die Ukraine, Chinas zunehmender Einfluss und die deutlichen Ansagen von Donald Trump werfen eine alte Frage neu auf: braucht Deutschland eine eigene Atombombe? Jahrzehntelang war der Kontinent unter dem nuklearen Schutzschirm der Vereinigten Staaten gut aufgehoben. Spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz sind Unwägbarkeiten mit Händen zu greifen. Dass die Europäer ihre äußere Sicherheit eigenständig gestalten müssen, ist keine Frage mehr des Ob, sondern des Wie. Hierzu gehört elementar die nukleare Abschreckung, die über den Kalten Krieg hinweg den Frieden mitgesichert hat.

Die bisherige Sicherheitsarchitektur: Nukleare Teilhabe der NATO

Deutschland verfügt über keine eigenen Atomwaffen. Die nukleare Teilhabe im NATO-Rahmen war daher das Mittel der Wahl zur atomaren Abschreckung in Europa. Im Ernstfall könnten US-Atomwaffen von deutschen Kampfflugzeugen eingesetzt werden. Die Letztentscheidung trifft der US-Präsident. Bis jetzt werden dafür die alternden Tornado-Flieger vorgehalten. Zur Lösung der Nachfolgefrage hat die Ampel-Regierung entschieden, amerikanische F-35 Tarnkappenbomber zu beschaffen – geradezu ein Symbol für Deutschlands sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA. TE hat davor seit Jahren gewarnt.

Die nukleare Teilhabe war jedenfalls bisher ein Grundpfeiler der Sicherheitspolitik und galt als verlässliches Mittel der Abschreckung gegen die Sowjetunion und später Russland. Angesichts der aktuellen geopolitischen Rahmenbedingungen sind die Rufe nach stärkerer europäischer Eigenständigkeit nicht mehr zu unterdrücken.

Donald Trump und die Ungewissheit des US-Schutzschirms

Dass neue Prioritäten der US-Politik zum zentralen Problem unserer Sicherheitslage werden würden, galt bisher als ausgeschlossen. Die angeblich gemeinsamen Werte sollten dies verhindern. Donald Trump hat bereits in seiner ersten Amtszeit begründete Zweifel hervorgerufen, ob seine Regierung die NATO-Verbündeten ohne bessere Lastenteilung im Fall des Falles verteidigen würde. Die NATO bezeichnete er als „obsolet“, zurecht forderte er eine drastische Steigerung der europäischen Verteidigungsanstrengungen.

Nun ist frei nach Konrad Adenauer die Lage da und Trump erneut Präsident. Seine Paukenschläge hat man lange genug kommen sehen und dennoch nicht konsequent gehandelt: sie stellen die US-Sicherheitsgarantie für Europa zur Disposition. Ob der Brutalismus von Donald Trump am Ende von der US-Administration vollständig geteilt wird, ist zunächst unerheblich. Ein weiteres Zuwarten nach dem Motto, es wird schon nicht so schlimm kommen, verbietet sich. Selbst wenn die Amerikaner nicht aus der NATO austreten, wird deren Engagement in Europa künftig erheblich kleiner ausfallen. An einer eigenständigen und glaubwürdig mit Kräften hinterlegten Machtposition der Europäer darf kein Weg mehr vorbeiführen. Deutschland tut gut daran, sich auf ein Szenario vorzubereiten, in dem die US-Abschreckung nicht mehr uneingeschränkt gilt.

Russische Bedrohung und europäische Eigenständigkeit

Die größte Bedrohung für Europa geht derzeit von Russland aus. Unabhängig davon, wie der Krieg in der Ukraine begonnen hat, zeigt sich Wladimir Putins Bereitschaft, Grenzen mit militärischer Gewalt zu verschieben. Aktuell mit dem Bruderkrieg beschäftigt wächst die Ungewissheit, ob der Kreml nicht in Zukunft weitere europäische Länder ins Visier nehmen wird. Auch ist Deutschland als immer noch wirtschaftlicher Kern Europas zunehmend Ziel für hybride Kriegsführung, für Cyberangriffe und atomare Erpressung. Ohne eigene nukleare Abschreckung bleibt Deutschland auf Andere angewiesen. Nachdem das Wort Atom für weite Kreise in unserem Land ein Unwort ist, liegt es nahe, intensiv die Möglichkeiten gemeinsamen Vorgehens mit Partnern zu prüfen.

Ein Mittelweg zwischen völliger Abhängigkeit von den USA und einer eigenen deutschen Atombombe wäre eine abgestimmte europäische Nuklearstrategie. Frankreich und Großbritannien verfügen über eigene Atomwaffen, doch bislang gibt es keine klare Vereinbarung, diese auch zur Verteidigung anderer europäischer Staaten heranzuziehen. Immerhin fordert der französische Präsident Macron seit Jahren, Europa müsse in Verteidigungsfragen unabhängiger werden. Trotz eindeutiger Signale der Franzosen, auch über eine engere nukleare Zusammenarbeit mit Deutschland und anderen europäischen Partnern zu verhandeln, haben Bundeskanzler Scholz wie bereits Angela Merkel das Thema unter den Teppich gekehrt. Seit Merz’ Kanzlerkandidatur gibt es mit den europäischen Atommächten immerhin erste Kontakte über Möglichkeiten, Deutschland und den Kontinent unter ihren Schutzschirm zu nehmen.

Ein europäischer Nuklearschirm: mehr als Wunschdenken?

Wohin diese Abstimmungen führen, wird sich zeigen. Es ist derzeit kaum anzunehmen, dass die europäischen Atomstaaten ihre souveräne Entscheidungsgewalt über Nuklearwaffen aufgeben und andere mit an den Drücker lassen. Auch ein übergreifender und gemeinsam organisierter europäischer Atomschirm ist bislang nur eine vage Idee. So oder so können die 200 bis 300 französischen wie auch britischen Atomwaffen nicht den breit angelegten Schutz des amerikanischen Abschreckungspotentials bieten. Deren dreigliedriges System aus Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützten Raketen und Langstreckenbombern ist mit unbegrenzter Reichweite global einsetzbar.

Jedes Vorgehen ist so oder so politisch heikel. Welches Land sich wie auch immer daran beteiligt, müsste definitiv bereit sein, strategische Entscheidungen mit Deutschland oder auch anderen EU-Staaten bis zu einem gewissen Grad abgestimmt zu treffen. Selbstverständlich gegen militärische wie auch finanzielle Beteiligung, hierfür stehen Milliardenbeträge im Raum. Ob Großbritannien als NATO-, aber Nicht-EU-Staat Teil einer solchen Strategie werden könnte, berührt zudem die britische Sonderrolle in Europa. Wer im Ernstfall den Einsatz von Atomwaffen autorisiert, hätte den entscheidenden Schlüssel in der Hand. Die EU-Kommission könnte es nicht sein, ihr fehlt die demokratische Legitimation. Die Glaubwürdigkeit eines wie auch immer gearteten europäischen Schutzschirms wäre mithin eine zentrale Frage.

Deutschland und der Atomwaffensperrvertrag: Ein Dilemma

Nicht zuletzt ist Deutschland Mitglied im Atomwaffensperrvertrag, der die Verbreitung von Nuklearwaffen verhindern soll. Ein Ausstieg aus diesem Regelwerk im Interesse einer eigenen atomaren Bewaffnung hätte gravierende politische und diplomatische Folgen. Interessierte Kreise würden Deutschland in eine Reihe von Staaten wie Nordkorea oder den Iran stellen, die internationale Abkommen gebrochen haben.

Ob die deutsche Gesellschaft eine atomare Bewaffnung deutscher Streitkräfte aushalten würde, muss hier ebenfalls offenbleiben. Nicht nur die SPD müsste jahrzehntelang gepflegte pazifistische Reflexe abstellen. Deutschland rühmt sich bisher als Vorreiter der Abrüstung und setzt auf Diplomatie, nun steht der Elefant Machtpolitik mitten im Raum. Die politische Debatte über Atomwaffen wäre jedenfalls hochemotional und dürfte auf massiven Widerstand stoßen – zumindest innerhalb Deutschlands.

Technische und finanzielle Hürden einer deutschen Bombe

Selbst wenn Deutschland sich für eine eigene Atomwaffe entschiede, wäre der Weg dorthin lang und teuer. Die Entwicklung eines nuklearen Arsenals erfordert enorme finanzielle Investitionen, hochspezialisierte Wissenschaftler und eine Infrastruktur, die erst aufgebaut werden müsste. Schätzungen zufolge würde es Deutschland mindestens ein Jahrzehnt kosten, eine eigene Atombombe zu entwickeln. Auch wenn die wesentlichen technischen Fähigkeiten vorhanden sind, würde der Bau von Trägersystemen und Abschussbasen wie auch erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen erhebliche Ressourcen binden. Hinzu käme die Frage nach der politischen Kontrolle: Wer hätte über den Einsatz zu entscheiden? Wie würde Deutschland seine Doktrin der nuklearen Abschreckung in Abstimmung mit Partnern ausgestalten?

Deutschland steht mitten in einem sicherheitspolitischen Umbruch wie selten zuvor. Der wankende US-Schutzschirm, der Eindruck wachsender Bedrohungen in einer multipolaren Welt und die Notwendigkeiten größerer europäischer Eigenständigkeit erfordern neue Lösungen – und zwar jetzt und nicht irgendwann. Eine deutsche Atombombe wäre absehbar mit enormen politischen, finanziellen wie gesellschaftlichen Kosten und einem hohen Zeitaufwand verbunden.

Fazit: Deutschland braucht eine Nuklearstrategie, aber keine eigene Atombombe

Stattdessen sollte Deutschland auf eine enge Kooperation mit Frankreich und Großbritannien setzen, um eine glaubwürdige europäische Abschreckung zu realisieren. Ein möglicher Zwischenschritt wäre die von Macron angebotene Stationierung eines nuklearfähigen Luftwaffengeschwaders in Deutschland. Selbst dies würde einen immensen Aufwand verursachen. Es müssten zwischenstaatliche Verträge geschlossen und diverse Abkommen abgestimmt, ein halbwegs passender Fliegerhorst müsste ausgewählt und ertüchtigt werden. Allein die Absicherung der Nuklearwaffen verursachte zurecht einen immensen Aufwand.

Letztlich muss Deutschland seine sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA umgehend verringern – eine eigene Atombombe ist jedoch im gegenwärtigen Umfeld nicht der angesagte Weg. Vielmehr sollte Deutschland seine konventionelle Abschreckung endlich wieder glaubwürdig aufbauen und gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn eine neue Sicherheitsarchitektur einschließlich des Atoms entwickeln, die geeignet ist, auch ohne die USA die deutschen und europäischen Sicherheitsbedürfnisse zu erfüllen.

 

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Kommentare ( 156 )

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ktgund
15 Tage her

Russland hat Europa noch nie angegriffen. Noch nie! Europa hat Russland hingegen fünf mal angegriffen und jedes Mal eine genozidale Verwüstung hinterlassen.

Auch ist die Behauptung, die größte Bedrohung Europas ginge von Russland aus, mit Blick auf das stehende Ersatzheer von Millionen wehrfähiger „Flüchtlinge“, die praktisch täglich Mordanschläge begehen, nicht nur abenteuerlich, es ist eine Sichtweise, die Europa existentiell bedroht!

Die Schicksalsfrage Europas wird sein, ob es in der Lage ist, den nicht abreißenden Strom an illegalen Migranten aus barbarischen Steinzeitkulturen zu beenden und den Islam militärisch einzuhegen. Russland spielt dabei überhaupt keine Rolle.

GP
15 Tage her

Keine Kernwaffen ohne Kernkraftwerke, diese Zusammenhänge müsste vielleicht jemand unseren Politikern erklären….

Spengler
15 Tage her

Man kann doch einem Kindergarten keine Atombombe in die Hand geben.

Flik Flak
15 Tage her

Die größte Bedrohung für Europa geht derzeit von Russland aus? So ein Unfug! Die größte Bedrohung für Europa geht derzeit von Brüssel aus!

Klaus Uhltzscht
15 Tage her

Nach dieser Theorie, daß man als Atommacht gegen Angriffe geschützt ist, müßte dann auch z.B. Bosnien-Herzegowyna sich Atombomben anschaffen. Oder der Staat Kongo in Afrika. Der lebt in ständigem Zwist mit seinem Nachbarstaat, der Demokratischen Republik Kongo. Wenn jeder der beiden verfeindeten Kongo-Staaten seine Atombombe besitzt, ist Frieden?

Ralph Martin
16 Tage her

Was ist eigentlich mit dem Atomwaffensperrvertrag?Gilt der nur für böse Atommachtaspiranten wie den Iran und für Gute wie Deutschland nicht?

Fritz der alte
16 Tage her

„…..wächst die Ungewissheit, ob der Kreml nicht in Zukunft weitere europäische Länder ins Visier nehmen wird…..“
Tschüss!
Wie hieß noch das Lied? „Sie sind gegangen, um zu kommen?“
Oder näher am Autor: „Oh baby, baby, ballaballa…..“

joly
16 Tage her

Das Niveau dieses Artikels gleicht dem Vorschlag sich unter den Schutzschirm Chinas zu begeben. Oder sollen wir die nukleare Aufrüstung der beiden Siegermächte finanzieren, damit diese vor unserer konventionellen Aufrüstung geschützt sind. Glaubt denn irgend wer, dass diese Länder Paris oder London opfern um unsere Städte zu schützen? Oder Rache für ein im nuklearen Feuer zerstörten Berlins zu üben? Diese beiden Mini-Atommächte unterhalten ihre Atombombe um weiterhin GB bzw. La Grande Nation träumen zu können. Klar beide Staaten würden uns mit lachendem Auge konventionell mit den Polen u.a. gegen die Rote Armee anrennen lassen. Wir zahlen den Blutzoll und die… Mehr

ratatoesk
15 Tage her
Antworten an  joly

>>Oder Rache für ein im nuklearen Feuer zerstörten Berlins zu üben?<<
Warum sollte dies überhaupt wer wollen. Ein versüffter Sumpf trockengelegt und nunja , Preußen war noch nie gut für Frieden in Germanien ,also ein annehmbarer Kollateralschaden win+win

Dundee
16 Tage her

Ich habe den Artikel und sämtliche 130 Kommentare bis zum letzten gelesen. Es ist wirklich witzig. Es wird gezetert und gestritten, die einen sind für Atomwaffen, die anderen dagegen. Witzig wird das Ganze durch einen einzigen Kommentar irgendwo in der Mitte. Der ist von mir und in dem erkläre ich, dass es gar keine Atombomben gibt. Dieser Kommentar hat Minusdaumen, wahrscheinlich von beiden Seiten. Liebe Leute, glaubt es mir: Es gibt keine Atombomben! Kernspaltung ist eine wochenlange Kettenreaktion in einem großen und schweren Reaktor. Zu schwer für eine Bombe. Kernkraft gibt es in Kraftwerken und in großen U-Booten oder Flugzeugträgern… Mehr

Last edited 16 Tage her by Dundee
Riffelblech
16 Tage her

Bekäme dieses Land Verfügungsgewalt über Atomwaffen und es kommen solche Politischen Geistesgrößen wie Baerbock,Habeck, Strack Zimmermann usw usf an den Knopf dann Gute Nacht liebes Land .
Da ist Verantwortung und politische Klugheit so weit entfernt das noch nicht einmal das Universum ausreicht um deren Fähigkeiten abzuzeichnen .
Nein,
Moralische Integretität, Achtung vor der anderen Meinung und Respekt vor dem Leben anderer Menschen müssen uns leiten und keine Scharfmacherei.
Denn die oben genannten Politischen Geistesgrößen ziehen ja wohl nicht in den Krieg wie zu erwarten ist . Das lassen sie dann schön andere Menschen erledigen haben.