Am 5. Juli ist Christean Wagner (82) verstorben. Wagner hatte in Hessen über 37 Jahre hinweg (1977 bis 2014) eine politische Bilderbuchkarriere hingelegt. Nur das Amt des hessischen Ministerpräsidenten blieb ihm verwehrt, weil er mit Roland Koch und Volker Bouffier zweimal Jüngeren Platz machte oder Platz machen musste.

Christean Wagner wurde am 12. März 1943 im ostpreußischen Königsberg geboren. Nach dem Jura-Studium in Marburg und Heidelberg und der anschließenden Promotion war Wagner 1977 bis 1981 Vorsitzender des Gemeinderats seines Wohnortes Lahntal, von 1975 bis 1981 dann Erster Kreisbeigeordneter des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Schließlich wurde er Landrat des Kreises Marburg-Biedenkopf (1981-1985) und Staatssekretär des CDU-Bundesumweltministers Walter Wallmann (1986-1987), seines wichtigsten Förderers. Mit dem Sieg Wallmanns bei der hessischen Landtagswahl und dessen Wahl zum Ministerpräsidenten wurde Wagner Kultusminister (1987-1991).
Von 1991 bis 1999 regierte dann wieder die SPD in Hessen. Das Amt des Ministerpräsidenten holte Roland Koch für die CDU zurück, er machte Wagner für die Amtszeit von 1999 bis 2005 zum Justizminister. Von 2005 bis 2014 war Wagner dann als CDU-Fraktionsvorsitzender im Hessischen Landtag neben Ministerpräsident Koch bzw. später Ministerpräsident Bouffier der Zweitstärkste in der Hessen-CDU. Dem Hessischen Landtag gehörte Wagner 23 Jahre lang an. Als Wagner 2014 mit 71 Jahren ausschied, begann die schwarz-grüne Koalition, die Wagner wider Erwarten noch mit vorbereitet hatte.
Ein echter Konservativer
Wagner war ein Konservativer im ursprünglichen Sinn des Wortes und in der ideellen Nachfolge Alfred Dreggers, der 1974 bei der Wahl im „roten“ Hessen mit 47,5 Prozent nur knapp an der absoluten Mehrheit gescheitert und von 1982 bis 1991 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war. Der evangelische Christ Wagner plädierte für eine „Rückkehr der religiösen Dimension in das öffentliche Bewusstsein“. In einem FAZ-Gastbeitrag kritisierte er 2007 den „Mangel an kultureller Sicherheit“ als Kern einer verbreiteten Unsicherheit. Wörtlich: „Auch die Liebe zum Land ist Bestandteil der eigenen Identität. Sie umfasst das Bekenntnis zum Wertekanon des Grundgesetzes, ebenso wie das Bewusstsein, Teil einer christlich-abendländisch geprägten Gemeinschaft zu sein.“
Wagner weiter: Kulturelle Selbstvergewisserung mache uns unbefangener und toleranter gegenüber Fremden. Wagner forderte, „mehr Leitkultur“ zu wagen. „Nur eine klare kulturelle Identität wird den Menschen in unserem Land die Sicherheit verschaffen, aus der heraus sie die Kraft zur Gestaltung ihrer Zukunft schöpfen. Wenn wir uns wieder stärker dessen versichern, was uns leitet, dann gewinnen wir inneren Halt zurück, um Freiheit in Verantwortung wahrnehmen zu können. Wir müssen mehr Leitkultur wagen – um der Freiheit willen.“ Wagner warb auch dafür, mehr Kreuze in Schulgebäuden aufzuhängen. Wagner erhob auch Forderungen, die nicht überall auf Gegenliebe stießen. So stritt er für eine elektronische Fußfessel und die rasche Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern. Der Umstand, dass er selber geschieden war, bedrückte ihn sehr, da er für traditionelle Familienwerte warb.
Mit Merkel konnte er nicht
Für die CDU der Angela Merkel war Wagner ein unbequemer Mann, wie es ihn in der linksverrutschten und weichgespülten CDU nicht mehr gibt. Als Wortführer des konservativen „Berliner Kreises“ innerhalb der CDU griff er bei Parteitagen wortgewaltig in Debatten ein. 2010 kritisierte er die Merkel-CDU und erklärte gemeinsam mit drei anderen CDU-Politikern in einem offenen Brief, die Union müsse unter anderem das christliche Wertefundament der Gesellschaft stärker betonen. Im Magazin „Focus“ forderte er 2010 eine Rückbesinnung auf das „C“. Leidenschaftlich stellte sich Wagner gegen Merkel wegen des Aussetzens der Wehrpflicht und des Ausstiegs aus der Atomkraft.
Wagner kritisiert auch, dass Merkel dem SPD-Mann Frank-Walter Steinmeier 2017 den Weg ins Präsidentenamt geebnet hatte und ab 2015 in der Flüchtlingspolitik für einen „ungeregelten Zuzug“ gesorgt hatte. Bis in die letzten Jahre kommentierte er aktuelle Entwicklungen. So sagte er zur Niederlage der Union bei der Bundestagswahl 2021 mit Spitzenkandidat Armin Laschet: „Mit Söder und Merz hätten wir ein erheblich besseres Ergebnis erzielt.“ Im kleinen Kreis kritisierte er auch so manchen CDU-Ministerpräsidenten, der sich Merkel unterworfen habe und – so Wagners Worte – zu viel auf Merkels Schoß sitze.
Persönliche Erfahrungen
Wagner las und mochte TE, auch wenn er da und dort anderer Meinung war und uns das freundlich-bestimmt wissen ließ. Am 18. Juli 2016 ging er in einem Gastbeitrag für TE anhand von fünf Punkten der Frage nach: „Was ist konservativ?“ Darin schrieb Wagner: „Der Konservative verteidigt nicht das Bestehende, sondern das Bewährte. Für ihn ist nicht Fortschritt, was heute schlicht nur anders ist als gestern. Fortschritt ist dagegen das, was heute besser ist als gestern.“ TE-Gastautor Ismail Tipi, hessischer CDU-Landtagsabgeordneter mit türkischen Wurzeln, allzu früh verstorben Anfang 2023, hat das am 10. Mai 2017 noch einmal aufgegriffen. Auch er fehlt der Politik – und TE.
Ich, der Verfasser dieses Nachrufs, habe Wagner 1987 kennengelernt. Wagner war soeben hessischer Kultusminister und ich ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes geworden. Wir verstanden uns auf Anhieb gut. Ich besuchte ihn in seinem Haus, weil er wegen einer Knöchelfraktur, die er sich beim Volleyballspiel zugezogen hatte, nicht in Wiesbaden sein konnte. Unsere Zusammenarbeit vertiefte sich 1990, als wir Seminare für reformbereite Lehrer aus der Noch-DDR organisierten. 1995 war Wagner derjenige, der mich dem CDU-Spitzenkandidaten Manfred Kanther als „Schattenkultusminister“ in dessen Wahlkampfmannschaft empfahl.
Kanther wurde 1995 jedoch nicht Ministerpräsident, weil eine mögliche CDU/FDP-Koalition bei 46,6 Prozent hängen (CDU: 39,2; FDP 7,4) und SPD/Grüne mit 49,2 vorne blieb (SPD: 38,0; Grüne 11,2). Das tat unserem Austausch keinen Abbruch. Bis vor wenigen Monaten gab Wagner per Mail oder telefonisch Rückmeldung auf meine und andere TE-Texte. Traurig, dass er von uns gegangen ist. Und schlimm, dass die CDU solche Leute mit Ecken und Kanten nicht mehr hat – und auch unter Merz nicht mehr haben will.
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Gefällt mir gut, was ich hier über den hessischen CDU-Politiker Wagner lese. Fast schon nostalgisch. „Nur eine klare kulturelle Identität wird den Menschen in unserem Land die Sicherheit verschaffen, aus der heraus sie die Kraft zur Gestaltung ihrer Zukunft schöpfen“. Und: „Der Konservative verteidigt nicht das Bestehende, sondern das Bewährte. Für ihn ist nicht Fortschritt, was heute schlicht nur anders ist als gestern. Fortschritt ist dagegen das, was heute besser ist als gestern.“ Man kann nur hoffen, dass die AfD diese überaus richtigen Leitlinien befolgt. Dann besteht Hoffnung für Deutschland. Ohne klare kulturelle Identität kein Zusammenhalt im Land. Ja und… Mehr
Zitat:“Dem Hessischen Landtag gehörte Wagner 23 Jahre lang an.“ – Und dann kein einziges Beispiel für etwas, was die Hessen seiner Initiative verdanken? Lebe selbst in Hessen und verfolge die Landespolitik seit 40 Jahren. Kann mich an exakt nichts erinnern, was die CDU hier Positives auf Landesebene geleistet hätte. Nur in Frankfurt/Main brillierte Petra Roth als Bürgermeisterin. Aber sie war auch keine typische Berufspolitikerin wie dieser Wagner…
Denke da gab einige in der CDU.
Alfred Dregger , heute , bestimmt nicht in dieser Partei.
Ich hab von dem Mann noch nie zuvor gehört.
In der CDU gibt es Konservative?
Also so Richtige, nicht nur Good Cop, Bad Cop a la Bosbach?
Zweifelhaft. Dann wäre man schon lange ausgetreten.
Mal unter uns Betschwestern: der Mann aus Königsberg war ein lupenreiner Apparatschik. Er hat nicht einen Tag in der freien Wirtschaft gearbeitet. Diese Typen ruinieren sei Jahren das Land.
Sehr schön geschrieben, Herr Kraus, auch wenn ich mit dem Namen Christean Wagner zunächst nichts anfangen konnte. Aber noch schöner ist es zu hören, dass ein CDU-Mann TE gelesen hat und sich aktiv damit auseinandersetzte!
Merz, mit dem schütteren Haarbüschel – gern fotografiert von den TV-Leuten – ist zu selbstverliebt und so überaus stolz, endlich Bundeskanzler zu sein. Da unterwirft er sich schon mal. Ich halte ihn, den ehemaligen „Mann mit dem Bierdeckel“ für unfähig. Er war (ist?) ein guter Lobbyist für BlackRock, aber eine Katastrophe für D.
Oh, ein aechter Konservativer … und was verdanken wir ihm nun konkret aus seiner aktiven Zeit?
Na, Sie wissen schon. Also da war – äh…
Naja, jedenfalls war er da. Das ist doch auch schon etwas, oder?
Er hat über 20 Jahre von unserem Steuergeld als Abgeordneter gelebt – und dann null Leistungsbilanz? A bisserl dünn, nicht wahr?