Die demokratiezerstörende Phrase von der „demokratischen Mitte“

Das Grundgesetz eröffnet ein weites demokratisches Spielfeld. Das Gerede von der „demokratischen Mitte“ verengt den Raum im Extremfall auf eine Nadelspitze. Und dann streiten sich die Politiker, wie viele Demokraten auf eine Nadelspitze passen.

Auf einem Fußballfeld gibt es die unterschiedlichsten Positionen. Torwart, Rechtsaußen, Linksaußen, Abwehr, Mittelfeld und Sturm. Ein gutes Team spielt diese Positionen miteinander und auf keinen Fall gegeneinander aus.

Das Grundgesetz mit dem Grundkonsens von 19 grundrechtlichen Artikeln und Grenzmarkierungen eröffnet ein großes politisch-gesellschaftliches Spielfeld. Dieses Spielfeld lässt unterschiedlichste Positionierungen zu. Der Rechtsaußen ist genauso demokratisch wie der Linksaußen, sofern die Seitenlinien nicht überschritten werden. Beide sind in keinster Weise undemokratischer als der Spieler, der genau auf dem Mittelpunkt steht.

Das Gerede von einer „demokratischen Mitte“ ist der beste Weg, die grundgesetzliche Weite zu zerstören. Die vermeintliche „demokratische Mitte“ errichtet auf dem Spielfeld eine Hackordnung, in der die machthabende Elite die Mitte definiert und alle anderen abwertet, je nachdem, wie weit diese vom Mittelpunkt entfernt sind.

Es ist eine Torheit, wenn Felix Banaszak (Bundesvorsitzender GRÜNE) am Tage der Bundesverfassungsrichterwahl schreibt: „CDU und CSU haben sich heute aus der demokratischen Mitte unseres Landes verabschiedet. Man kann nur hoffen, dass sie den Weg zurückfinden.“ Wo von „demokratischer Mitte“ die Rede ist, da wird es kleinkariert und eng. Im Extremfall wird aus einem Fußballfeld eine Nadelspitze. Die Theologen haben im Mittelalter darüber gestritten, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Heute streiten die mittelalterlichen Politiker darüber, welche Parteien auf der Nadelspitze „demokratische Mitte“ Platz haben. Und jeder, der offene Augen hat, sieht: Je substanzloser, hohler und inhaltsloser die Politiker, umso mehr passen auf eine Nadelspitze.

In dieser Woche hat sich die Corona-Impf-Aktivistin Frauke Brosius-Gersdorf beworben; nicht für die Hauptrolle in einem Margot-Honecker-Spielfilm, sondern für das Bundesverfassungsgericht in einem öffentlichen Bewerbungsgespräch bei Markus Lanz. Auch sie spricht dort immer wieder von der „demokratischen Mitte“ und der „Mitte der Gesellschaft“, die selbstverständlich in ihrer Person das Zentrum hat. „Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte der Gesellschaft.“

„Demokratische Mitte“ – diese Phrase lässt die Menschen ehrfurchtsvoll erstarren. „Demokratie“ ist vielen ein Herzensanliegen. Und „Mitte“ hat auch ein hohes Ansehen, denn „in der Mitte liegt die Wahrheit“ (Johann Gottlieb Fichte). Doch auf dem gesellschaftlichen Spielfeld wird diese Phrase zerstörerisch: Ein Team, in dem viele Spieler lautstark die linksextreme Seitenlinie zum Mittelpunkt erklären, ein Team, in dem Spieler mit ehemals großem Namen zaghaft und verunsichert um den Mittelpunkt herumschleichen, ein Team, in dem die auf der rechten Seite auf die Ersatzbank verbannt werden, kann als Gesellschaft nicht erfolgreich sein.

Die Spielfeldabsteckung des Grundgesetzes wurde mühsam als Grundkonsens nach katastrophalen gesellschaftlichen Irrwegen errungen. Mit „demokratische Mitte“ geht diese mühsam erworbene Weite wieder verloren und eine selbsternannte arrogante Elite übernimmt das Kommando, schreibt vor, grenzt aus und diszipliniert die Mitspieler. Die „demokratische Mitte“ wird zu einem Konsens-Surrogat, das ein Miteinander in Vielfalt vortäuscht, doch in Wahrheit das Miteinander grundlegend zerstört. Die Axt wird an den bewährten weitherzigen Konsens des Grundgesetzes gelegt. Wenn die Aktivisten der „demokratischen Mitte“ mit ihren Äxten ins Bundesverfassungsgericht einziehen, dann kann uns nur noch ein Bürgertum retten, das die selbsternannte Nadelspitzen-Demokratie satt hat und sich mit einem lauten „Nein“ wehrt.

Genau dies ist die letzten Wochen passiert. Freie Bürger haben klar und laut ihre Stimme erhoben. Meine evangelische Amtskirche hat zwar ohrenbetäubend laut geschwiegen; sie hat eloquenten und intellektuell hochgezüchteten Grundrechtezuteilern wie Brosig-Gersdorf wohl nichts mehr entgegenzusetzen. Aber ich freue mich, mit Tichys Einblick an der Gegenbewegung für die Weite des Grundgestezes teilhaben zu dürfen; und dass uns gemeinsam mit vielen Bürgern und Medienportalen zumindest hin und wieder beachtliche Erfolge gelingen. Gut, wenn Christen, Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten in dieser zentralen gesellschaftlichen Frage innerlich verbunden an einem Strang ziehen.

Dabei emfpinde ich es als Auszeichnung, wenn mich die Nadelspitzen-Demokraten als „rechten Mob“ bezeichnen, wie es Matthias Miersch, Fraktionsvorsitzender der SPD, getan hat. Ein Gruß an alle Mitspieler auf dem weiten Spielfeld der Demokratie, die um des Grundgesetzes willen verachtet werden und trotzdem weiterhin – gelassen, kämpferisch und selbstbewusst – das Spielfeld in seiner ganzen Breite und Tiefe nutzen.

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Kommentare ( 32 )

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Michael Palusch
20 Tage her

in der die machthabende Elite die Mitte definiert und alle anderen abwertet, je nachdem, wie weit diese vom Mittelpunkt entfernt sind.

Der große Unterschied, um im Bild des Fußballfeldes zu bleiben: Der Linksaußen steht, weil bereits dort die linke Torauslinie ist, maximal 10m links der Mittellinie, während der Rechtsaußen bis zur Mittellinie mindestens 90m zurücklegen muss.
Wenn das so weiter geht wird es nicht mehr lange dauern, bis die Mittellinie auf der linken Torauslinie liegt und damit der Linksaußen der Vergangenheit angehört während der Rechtsaußen ferner denn je der „Mitte“ ist.

Last edited 20 Tage her by Michael Palusch
H.D.
20 Tage her

Die heutige politische Mitte wird von den Kartellparteien definiert. In Wahrheit ist diese „Mitte“ soweit nach links gerutscht, dass man sie von der wirklichen Mitte kaum noch sehen kann. Hin und wieder zuckt diese Mitte. Einzig die AfD steht nah an der wirklichen Mitte, so wie es die CDU, CSU und die FDP Jahrzehntelang waren. Aber aus Feigheit vor Brandmarkung und Angst davor, den politischen Job zu verlieren, halten die Demokraten der wirklichen Mitte lieber die Klappe und tanzen nach der Pfeife der linken „Mitte“.

Kassandra
20 Tage her

Wie bei uns auch in den USA – allerdings vor Trump: „Unsere Mitte ist“ das alte links. Musk hat das lange beschrieben: „…diese selbsternannten Demokraten der Mitte…“ haben die Skala in der Aera Merkel weit nach links verschoben, um sich mittig präsentieren und die aus der Mitte überhaupt erst propagandistisch rechts verorten zu können: https://x.com/elonmusk/status/1519735033950470144 „Wir“ haben ein „linkes“ Übergewicht – und das samt union, und „sie“ gedenken uns so weiter ins Unglück zu stoßen. Unsere Arbeit wird sein, die Skalierung zu berichtigen – um aus zugeschriebenem far right wieder ein just right zu machen. . Auch Steinmeier ist als… Mehr

Nibelung
20 Tage her

Die demokratische Mitte war früher allenfalls schwarz und gelb, während die Roten schon immer nach links tendierten und sie im Prinzip nur mit einem Bein mittig standen, weil die schwarze Übermacht zumeist hinderlich war um sich voll in ihren historischen Entwicklungen zu entfalten. Das hat sich mit dem Aufkommen der Grünen und der späteren Zuwanderung durch die SED gründlich verändert, sodaß man davon ausgehen kann, daß es nur noch die abgespalteten Blauen und wenige andere sind, die noch alte Traditionen pflegen, während alle anderen schon in Teilen dem Sozialismus hold sind mit Hardcore-Charakter einzelner Parteien und damit die Mitte nach… Mehr

H.H.
20 Tage her

Wie wahr! Und: Dieser fürchterliche Neusprech ist eine gesichert linksextremistische Methode der Volksverdummung, was obendrein noch bösartiger ist als Volksverhetzung. Es bräuchte einen Aufstand der wahren Germanisten, die dagegen zu Felde ziehen sollten: So wie Jesus die Geschäftemacher aus dem Tempel warf, so sollte man die „Genderprofessor:innen“ aus den Unis werfen! Sie zerstören die deutsche Sprache NACHHALTIG (ja, „Nachhaltigkeit“ ist das nächste Gaunerwort). Wir sollten uns auflehnen, nicht erst bei (noch witzig empfundenem) Gestammel über Dilettanten und Dilettantinnen sondern bereits bei kaum noch wahrgenommenen „Gegner und Gegnerinnen“! Man möge doch nur Artikel/Kommentare vergleichen zwischen vor 50 Jahren und Heute! Man… Mehr

Waehler 21
20 Tage her

Nette Metapher, dass mit der Nadelspitze. Ich hätte auch eine. Stellen sie sich vor, Ladendiebe können bestimmen wie die Hausdetektive eingesetzt werden.

MfS-HN-182366
20 Tage her

Die Frage lautet: Wann kommt die Rote Karte für diese „Nadelspitzen-Demokraten“?

Die Negativelite, welche hier fälschlich „Elite“ genannt wird, kann meiner bescheidenen Meinung nach ihre Mitte in „UnsererDemokratie“ behalten. Ich will sie nicht, denn dieser Standort ist miefig, eng und zu nah am Tor zur Hölle.

Kraichgau
20 Tage her

Herzlichen Dank für diesen zutreffenden und befreienden Artikel am Morgen 🙂

Haba Orwell
20 Tage her

> Dabei emfpinde ich es als Auszeichnung, wenn mich die Nadelspitzen-Demokraten als „rechten Mob“ bezeichnen

Wenn die Typen:innen so anfangen möchten, könnte man doch gerne über die korrupte Kaste hiesiger Kakistokratie reden – eine viel bessere Bezeichnung für die „demokratische Mitte“ „unserer Demokratie“.

rainer erich
21 Tage her

Danke. Bedenklich genug, dass es derartiger Artikel braucht , auch bei den sogenannten Liberalkonservativen, die sich mit den Linken um diese ominöse „Mitte“ balgen. Ein Konstrukt , von Menschen erzeugt, die sich aus psychischen Geuenden nicht positionieren wollen oder können, klassisch deutsch. Im Zusammenhang mit demokratisch ist der ( Ausgrenzungs)Begriff barer Nonsens. Wie soviele andere auch.