Ist Pazifismus heute rechts?

Wer früher für eine Außenpolitik eintrat, die sich auf Interessen und Interessenausgleich stützte, und nicht auf hohe Moral, der galt als "Bellizist" und Kriegstreiber. Heute wird in die rechte Ecke gestellt, wer sich als "pazifistisch" outet.

Screeprint: Kalenderblatt via Youtube

Wer ein wenig älter ist, erinnert sich noch gut an den grünen Pazifismus, an Petra Kelly, einst das Gesicht der Friedfertigkeit. In ihrem ersten Wahlprogramm 1980 forderte die Partei die „Demontage“ der Bundeswehr und „die sofortige Auflösung der NATO“.

Gegen den Nato-Doppelbeschluss (1979), eine „Kombination aus Nachrüstung und Dialog“, gingen in Deutschland einst Millionen auf die Straße. Legendär die Demonstration in Bonn mit etwa 500 000 Teilnehmern. In der DDR und in der Bundesrepublik war man sich einig: ganz Deutschland würde im Fall des Falles zerstört werden. Diese Friedensbewegung war ganz im Sinne der Sowjetunion. Und in der Tendenz antiamerikanisch.

1991 kulminierte erneut die deutsche Angst vor einem dritten Weltkrieg, weiße Bettlaken hingen aus den Fenstern und man demonstrierte mit weißen Gesichtern gegen die drohende Auslöschung. Der Anlass: der erste Golfkrieg. 1990 eroberte der Irak unter Saddam Hussein Kuwait. Im Januar 1991 begann eine Koalition, angeführt von den USA und legitimiert durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, mit Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits. Und dabei beließ man es zunächst auch, die Absetzung Saddam Husseins war nicht das Ziel.

Ich war damals der Meinung, dass man die Ölmacht Kuwait im eigenen Interesse nicht dem Irak überlassen dürfe. Das brachte mir den Ruf einer Bellizistin ein. Die politisch korrekte Parole hieß „Kein Blut für Öl“, „Interesse“ galt als schmutziges Wort und nicht als einhegendes Moment: man zerstört nämlich nicht, was man braucht.

Doch in Deutschland bevorzugt man die Moralisierung militärischer Aktionen, entweder, um sie zu diskreditieren, oder um sie unangreifbar zu machen. Joschka Fischer, damals seit einem halben Jahr deutscher Außenminister, griff 1999 zum ganz großen Besteck, als er Auschwitz bemühte, um die Intervention im Kosovo-Krieg zu rechtfertigen. Es sei ja doch eine „humanitäre Intervention“.

Nun, mit dem Völkerrecht war die Bombardierung Jugoslawiens nicht vereinbar, der Kosovo ist kein autonomer Staat, der Militärschlag der NATO verletzte die staatliche Integrität Jugoslawiens. Weshalb im Falle des Kosovo-Konflikts auch kaum anders als moralisch argumentiert werden konnte. Moral bricht Völkerrecht.

Damals kam Fischers Bekenntnis bei den Grünen noch nicht sonderlich gut an. Und auch, wie der damalige Verteidigungsminister Peter Struck 2002 die deutsche Beteiligung am Einsatz einer Internationalen Truppe in Afghanistan rechtfertigte, gefiel nicht jedem: „Unsere Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Doch immerhin: hier wird wenigstens der Anschein erweckt, es gehe um Interessen, nicht um den Kampf gegen das Böse.

Doch die lebenswichtige Unterscheidung zwischen Moral und Interesse ist ausgerechnet bei den einst Friedensbewegten offenbar völlig verschwunden. Die Kritik an dem in der Tat völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine und der Wunsch, ihn zurückzuweisen, ist das eine. Und verständlich ist die Furcht, Russland sei nichts anderes als die Sowjetunion. Doch die überschießende Kriegslust und der Wunsch nach einer möglichst umfangreichen Schädigung Russlands, wie sie nicht nur von der hoffentlich bald ehemaligen Außenministerin Annalena Baerbock wieder und wieder geäußert wird („das wird Russland ruinieren“), ist nicht hilfreich, um mit Angela Merkel zu sprechen.

Ebenso wenig hilfreich ist es, jede Analyse der russischen Interessen als „Putinismus“ zu definieren. Denn eben das ist die Aufgabe von Diplomatie: die Analyse von Kräfteverhältnissen und Interessen. Realpolitik bedeutet, alle Seiten in Augenschein zu nehmen. Das aber wird ein unmögliches Unterfangen, wenn Russland und Putin zum absolut Bösen erklärt werden, weshalb man sie weder verstehen noch mit ihnen verhandeln kann.

Unsere neuen Bellizisten wünschen die Vernichtung des Gegners, nicht ein baldiges Ende des Sterbens und Tötens.

Ihre Rechtfertigung? Im Kampf gegen das absolut Böse sind alle Mittel erlaubt. Moralisierung ist das Kennzeichen eines sich zum Totalen hinwendenden Kriegsgeschehens. Trumps Frage an Selenski, ob der einen dritten Weltkrieg wünsche, war nicht unberechtigt.

Nun, da unter dem neuen Sheriff in den USA eine weitere Unterstützung der Ukraine und Selenskis fraglich wird, bläht man sich nicht nur in Deutschland, das sich stets gern hinter dem Rücken der USA versteckt hat, sondern in Europa auf, als könne man innerhalb von Monaten herstellen, was man so lange schon vernachlässigt hat: nicht nur die Kriegs-, sondern auch die Verteidigungsfähigkeit.

Jetzt fordert Joschka Fischer ein Zurück zur Wehrpflicht, auch für Frauen. Die CSU möchte das noch in diesem Jahr erreichen: „Wir können ja nicht teilnahmslos zusehen, wie die Welt um uns unsicherer wird.“

Eine ziemlich späte Erkenntnis. Pazifismus ist jetzt rechts, als ob es nicht einfach um Weitblick und das Abwägen von Kosten und Nutzen ginge.

Kurz: Wenn die Stimmung vom bedingungslosen Pazifismus zum bedingungslosen Bellizismus kippt, sollte man misstrauisch sein.

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Kommentare ( 56 )

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Haba Orwell
14 Tage her

> Ihre Rechtfertigung? Im Kampf gegen das absolut Böse sind alle Mittel erlaubt.

Bisher wurde in den USA definiert, wer die Guten und wer die Bösen sind? Die US-Nachrichtendienstkoordinatorin sieht es glasklar: https://uncutnews.ch/ukraine-und-viele-europaeische-laender-handeln-gegen-demokratie-und-freiheit-tulsi-gabbard/
„Ukraine und viele europäische Länder handeln gegen Demokratie und Freiheit“

joly
14 Tage her

Sie haben noch ein Horrorszenario vergessen: Die NATO und auch die EU sind am auseinanderbrechen. Begründung: Ohne Zusicherung des uneingeschränkten nuklearen Schutzschirmes der USA brauchen wir die NATO – weil nutzlos – nicht mehr. Da ist eine Neutralität die sicherere Lösung. Übrigens: 2 NATO-Partner haben unsere Gasversorgung zerstört. Das ist für unser Volk und unsere Wirtschaft tödlich. Praktisch eine Kriegserklärung – auch an all jene Staaten die von uns abhängig sind. Die EU-Kommission verstößt permanent gegen ihre eigenen vertraglich definierten Rechte. Frankreichs Opposition hat das schon deutlich genug öffentlich kommuniziert. Das alles und noch deutlich viel mehr (BRICS) hat die… Mehr

Haba Orwell
14 Tage her
Antworten an  joly

> Sie haben noch ein Horrorszenario vergessen: Die NATO und auch die EU sind am auseinanderbrechen.

Das lese ich sehr oft, zum Beispiel: https://tkp.at/2025/03/05/realitaet-konfrontiert-herrschende-schicht-europas-durch-den-riss-in-der-fantasieblase-sehen-sie-ihren-eigenen-untergang/
Was ist aber Horror darin? Eher habe ich Hoffnung auf das Ende der grenzenlosen Korruption und Abzocke. Obwohl der „Green Deal“ bereits höchst suizidal ist, Frau Von Der kam kürzlich mit noch einem weiteren „Deal“ dieser Sorte.

Michael W.
14 Tage her

Ich bin dafür. Uneingeschränkt!
Wehrpflicht für alle, auch Frauen (außer Schwangere und mit Kindern unter 10). 2 Jahre, wie zu Kaisers Zeiten. Bürgergeldempfänger dürfen nicht verweigern, sonst Bürgergeld weg. Grünen-Wähler wollen Krieg, dürfen auch nicht verweigern. Alle Bundestagsabgeordneten, die für die Wehrpflicht sind, müssen in den Parlamentsferien antreten (unabhängig vom Alter, Verwendung altersgerecht).
Eingezogen werden alle U40, die nicht nach der alten Wehrpflicht oder freiwillig „gedient“ oder schon entsprechenden Ersatzdienst geleistet haben (wird angerechnet).
Wenn dann noch die AfD dagegen ist, dann habe die ihre 50% sicher!

Thomas S62
14 Tage her

„bei den einst Friedensbewegten“
Seit wann waren die Grünen Friedensbewegt.
Ich erinnere an den gegen Polizisten steinewerfenden Außenminister an der Startbahn West. Oder Wackersdorf, die Castortransporte, oder oder oder.

Dr. Friedrich Walter
14 Tage her

Meine Großeltern haben sowohl den ersten, als auch den zweiten Weltkrieg als Erwachsene erlebt, anschließend die Vertreibung aus Schlesien. Meine Eltern haben den 1. Weltkrieg als Kinder erlebt, den 2. als Erwachsene, anschließend die Vertreibung. Wenn man in so einem Umfeld aufwächst, wird man selbstverständlich zum „Pazifisten“ erzogen. Jetzt soll das alles falsch gewesen sein und wir werden wieder als „Lumpenpazifisten“ beschimpft??? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Leute, wie Kiesewetter, Hofreiter, Strack-Zimmermann und Konsorten würde ich nicht einmal an die Front schicken, wo sie den ersten Tag nicht überleben würden, sondern in ein frontnahes Hilfslazarett, in das all… Mehr

Rob Roy
14 Tage her
Antworten an  Dr. Friedrich Walter

Heute heißt es nicht „Lumpenpazifisten“ sondern „Friedensschwurbler“.

gernot69gernot
14 Tage her

Es stellen sich bei den beginnenden Aufrüstungsorgien zugunsten des militärisch industriellen Komplexes und der Totengräber die Frage: glauben wir der Russische Staat wird das tatenlos mitansehn? und sollte die Bundeswehr nicht gleichzeitig einige Batallione an Rechtasanwälten und Psychologen ausbilden für kommende Kriege um gewappnet zu sein.Ich persönlich und ich denke meine Söhne auch nicht stehn für Habeck , Merz,Baerbock,Esken ,Klingbeil,Hofreiter ,Stark -Zimmermann etc etc nicht mit meinem Leben an der Front um die Demokratie zu verteidigen . Diese heroische Aufgabe überlasse ich denen selbst bzw ich vordere sogar das sie uns , im Kriegsfall,mit ihrem Leben an vorderster Front verteidigen… Mehr

Michael W.
14 Tage her
Antworten an  gernot69gernot

ich denke meine Söhne auch

Warum haben sie die nicht direkt gefragt? Haben Sie Angst, dass die „Grüne“ oder „Linke“ wählen und ihnen das direkt auf den Kopf zusagen werden?

joly
14 Tage her
Antworten an  gernot69gernot

Wir brauchen Russland nicht zu fürchten. Eine Hochrüstung ist nicht nötig!!
https://www.cicero.de/aussenpolitik/folgen-des-ukrainekriegs-fur-russland-vorstoss-gescheitert
Eine neue Sicht – sehr interessant

elly
14 Tage her

die Grünen einst gegen Atombomben, heute für Atombomben, dafür weiterhin gegen Atomkraftwerke.

Johny
14 Tage her

Wehrpflicht für Männer und Frauen? Ich stell mir jetzt gerade die eingebürgerte Muslima in Bundeswehruniform vor. Oder die gemischt religiösen Panzerbesatzungen. Merkel hat die Wehrpflicht 2012 ausgesetzt und 2015 mit der Massenmigration meist unintegrierbarer Neubürger endgültig abgeschafft. Vielleicht das einzige Gute ihrer Kanzlerschaft was bleibt: Kein Kriegzszwang.

Last edited 14 Tage her by Johny
Metric
14 Tage her

Die ganzen ARD-verblödeten Rentner, denen CDU und SPD ihre Stimmen zu verdanken haben, trifft es ja nicht mehr. Aber die jüngeren, denen man erst mit der Coronapolitik ihre Jugend geklaut hat, sie dann an die Ostfront schicken und im Fall des Überlebens ohnehin für den Schuldendienst wie nie zuvor melken will, wachen ganz langsam auf. Hoffentlich schnell genug.

Ulrich B.
14 Tage her

Sehr geehrte Frau Steffen, das ist eine ziemliche – ebenfalls moralisierende – Unterstellung von Ihnen: „Unsere neuen Bellizisten wünschen die Vernichtung des Gegners, nicht ein baldiges Ende des Sterbens und Tötens.“ Ich z. B. bin ebenfalls gegen einen Frieden bei dem Putin seine bisher erreichten Ziele behalten darf. Das Hauptproblem dabei ist, dass meiner Einschätzung nach Putin Verträge nicht einhält, wenn diese seinen Interessen zuwider laufen. Und Putin hat imperiale Interessen (und nicht nur bzgl. der Ukraine). Deshalb bedeuten ihre ‚Friedensgespräche‘ aus meiner Sicht, dass Sie bereit sind noch größerem Leid Vorschub zu leisten. Denn Friedensverträge gab es bereits nach… Mehr

Michael W.
14 Tage her
Antworten an  Ulrich B.

meiner Einschätzung nach Putin Verträge nicht einhält,

Kann es sein, dass ihre Einschätzung falsch ist?
Welche Verträge sollen das sein, die Putin nicht einhält?

Ulrich B.
14 Tage her
Antworten an  Michael W.

Nun, er hat beispielsweise den

  • Russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag und den
  • Russisch-ukrainischen Flottenvertrag

gebrochen.

joly
14 Tage her
Antworten an  Ulrich B.

Vielleicht ist das sein Ziel – gewesen. Aber den Ukrainekrieg hat er definitiv verloren. Er wollte die gesamte Ukraine erobern als Puffer gegen die NATO. Nach ca. 1 Million toter Soldaten ist er mit seinen 4 eingesetzten Heeresgruppen kläglich gescheitert. Er hat gerade mal 20 % der Ukraine besetzt. Er muss nun einen Weg finden als Sieger aus der Schexxße rauszukommen. Sonst hat er ein Problem – mit seinen Oligarchen und der russischen Bevölkerung. Er ist kein Stalin und kontrolliert nicht mehr das Volk bis ins kleinste Dorf. Er hat schlichtweg nicht mehr die Mittel um uns mit einem konservativen… Mehr