Die in naturwissenschaftlichen Prinzipien erfassbaren materiellen Grundlagen unserer Existenz zu ignorieren oder gar zu leugnen, ist zweckloser und gefährlicher Idealismus, der autoritärer Willkür alle Türen öffnet. Semantik formt nicht die Wirklichkeit, wie sich an der Geschlechterdebatte verdeutlichen lässt.

Alle Menschen sind weiblich. Es sei denn, ihre Keimdrüsenentwicklung würde durch mindestens ein funktionierendes Y-Chromosom im Erbgut gesteuert. Dann sind sie männlich. Dies gilt auch für alle Abweichungen von den Standardausprägungen XX und XY. Manchen Frauen fehlt eines der beiden X-Chromosomen (Turner-Syndrom). Manche haben gleich drei davon (X-Trisomie). Bei Männern können Kombinationen wie XXY (Klinefelter-Syndrom), XYY (Jacobs-Syndrom) oder sogar vereinzelt Muster wie XXXY, XXXXY oder XXXYY vorkommen. Ein defektes Y-Chromosom wirkt sich wie ein nicht vorhandenes aus.
Der Begriff „XY-Frau“ ist in solchen Fällen (etwa beim Swyer-Syndrom) höchst irreführend, „X0-Frau“ wäre passender. Ebenso sollte die Bezeichnung „XX-Mann“ besser „XY-Mann“ lauten, denn bei diesem ist eines der X-Chromosomen in entscheidenden Sequenzen zum Y mutiert (De-la-Chapelle-Syndrom). Und dann gibt es noch den äußerst seltenen Fall, bei dem in einem Individuum sowohl XX- als auch XY-Zellen in nahezu gleicher Häufigkeit vorkommen. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn sich zwei von unterschiedlichen Spermien befruchtete Eizellen zu einem Embryo zusammenfinden, statt zweieiige Zwillinge auszubilden. Meist übernimmt dann die XX-Kombination das Regiment, nur gelegentlich setzt sich XY durch. Echte Hermaphroditen oder gar dritte Geschlechter entstehen aber auch bei diesem Genotyp nie. Molekularbiologisch ist die Zweigeschlechtlichkeit beim Menschen kompromisslos determiniert. Genetisch lässt sich daher jedem Individuum immer eindeutig eines von nur zwei möglichen Geschlechtern zuweisen.
Der Begriff „Intersexualität“ zur Kategorisierung der genannten chromosomalen Spielarten und weiterer hormoneller Besonderheiten scheint die Existenz von Zwischenformen zu suggerieren. Er stammt jedoch aus der prä-genetischen Ära der Medizin, in der Ärzte oft nur den Augenschein beschreiben konnten, ohne die Ursachen zu kennen. Heute bestehen keine Zweifel an der Geschlechtsdifferenzierung als solcher. Bei der sich weiblich und männlich allerdings jeweils in einem breiten Spektrum von Erscheinungsformen ausprägen, ob chromosomal, gonadal (die Funktion der Keimdrüsen betreffend), hormonell oder anatomisch. Was manche Verwirrung begründen mag. Zumal das biologische Geschlecht nicht definiert, wie man lebt und wen man liebt. Es führt zwar meist zu gewissen Präferenzen, aber es erzwingt nicht die Anpassung an etablierte gesellschaftliche Normen.
Mitunter bleiben die beschriebenen chromosomalen Varianten sogar unbemerkt. Manche Betroffene führen ein völlig normales Leben. Bis dann vielleicht ein nichterfüllter Kinderwunsch oder ein anderes medizinisches Problem Untersuchungen erfordern, bei denen die eigene Besonderheit zutage tritt. Personen mit solchen Diagnosen als „divers“ anzusehen, als weder männlich noch weiblich, als eine Mixtur aus beidem oder gar als geschlechtslos, ist reine, von jeglicher Evidenz befreite Imagination.
Zu sehr optimiert sind die chemischen Mechanismen, durch die das Leben den Imperativen der Evolution gehorcht. So stellt die sexuelle Fortpflanzung den effektivsten Mechanismus zur Fehlerkorrektur dar. Denn auf keinem anderen Weg werden schädliche Mutationen schneller und gründlicher wieder aus dem Genpool einer Population entfernt. Die Zweigeschlechtlichkeit wiederum ist ihre effizienteste Umsetzung, steht bei dieser doch immerhin noch die Hälfte aller Individuen einer Art zur Erzeugung von Nachwuchs zur Verfügung. Und sie gestattet durch die Aufteilung in weiblich und männlich die für das perfekte Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Gewebe in komplexen Organismen so bedeutende einheitliche Qualität der Mitochondrien. Weil sie es ermöglicht, wichtige Teile der Baupläne dieser Zellkraftwerke der sexuell induzierten Variation zu entziehen und nur durch die mütterliche Linie weiterzugeben. Menschliche Biochemiker könnten kaum ein eleganteres Verfahren der Vermehrung entwerfen.
Dennoch verleugnen viele Zeitgenossen die Unzweideutigkeit des genetischen Fundaments unserer Biologie. Und sie stützen das nicht etwa mit neuen Erkenntnissen über mögliche Reaktionsketten, die bislang unentdeckte Pfade zu funktionierenden Zwittern oder zusätzlichen Geschlechtern öffnen. Vielmehr argumentieren sie rein semantisch. Durch das Umdeuten von Begriffen und die Hinzufügung neuer Definitionen trachten sie, eine Wirklichkeit zu erzeugen, die es so nicht gibt. Ihre Rechtfertigungen beruhen teils auf dialektischer Vernebelung wissenschaftlicher Befunde, teils greifen sie auf mystizistisch/esoterische Denkmuster zurück und teils erheben sie individuelle emotionale Befindlichkeiten zu allgemeingültigen Maßstäben.
Dieser Idealismus, der da glaubt, die materiellen Grundlagen unserer Existenz hingen davon ab, wie man sie beschreibt, markiert in seiner Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Methodiken einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten. Er gewinnt zunehmend an Popularität. Man findet ihn nicht nur in der Genderdebatte mit ihrer munteren Vermischung von biologischem Geschlecht, sozialen Geschlechterrollen und sexuellen Vorlieben. Er begründet auch den Ökologismus mit seiner Konstruktion einer wohlwollenden, durch fein abgestimmte Regelkreise stabilisierten Wildnis als Subjekt mit eigenen Rechten. Er führt zu Konstrukten wie der sogenannten „kritischen Rassentheorie“, die Rassismus in allen gesellschaftlichen Strukturen selbst dann ausmacht, wenn diese phänotypische Merkmale ignorieren. Etwa in einer Gerichtsbarkeit, die blind ist gegenüber der Hautfarbe und daher die spezifischen Diskriminierungserfahrungen farbiger Delinquenten nicht berücksichtigt. Er gebiert den Postkolonialismus, der die Kolonialisierung nicht mehr als historische Epoche der geographischen europäischen Expansion, sondern vor allem als noch immer andauernden sozialen Kulturkampf deutet, in dem der „weiße Westen“ seine Vorstellungen und seine Lebensart allen anderen Völkern aufzwingen wolle. Was einerseits alle ökonomischen Zusammenhänge ausblendet und andererseits in der Glorifizierung archaischer Gemeinschaften unabhängig von deren Sitten und Gebräuchen den Mythos vom „edlen Wilden“ kultiviert.
Jede dieser Ideologien stellt sich explizit oder implizit gegen Errungenschaften, die den Menschen von den durch ihn nicht kontrollierbaren Zufälligkeiten seiner Existenz emanzipieren. Gegen den technischen Fortschritt, der ein Leben unabhängig von den Limitierungen der vorgefundenen Umweltbedingungen ermöglicht. Gegen die Globalisierung, die Chancengleichheit unabhängig vom Ort der Geburt schafft. Gegen die allgemeinen Menschenrechte und deren Übernahme in eine Gesetzgebung, die freie Entfaltung unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit gestattet. Und gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die eben deswegen ein notwendiges konstituierendes Merkmal jeder zivilisierten Gesellschaft ist, weil niemand für sein zufällig bestimmtes biologisches Geschlecht verantwortlich gemacht werden kann.
In jeder dieser Ideologien ersetzen dogmatische Interpretationen die objektive Beschreibung der Wirklichkeit. Dieser Ansatz findet sich sonst nur bei fanatisch-fundamentalistischen religiösen Strömungen. Was nebenbei auch den Duktus der Diskussionen über die genannten Themen erklärt. Ein Land, das allen Ernstes ein Gesetz in Kraft setzt, nach dem jedes Individuum sein reales, physiologisches Geschlecht per einfacher, regelmäßig wiederholbarer Deklaration durch sein gefühltes oder gar durch ein aus unterschiedlichen Erwägungen gewünschtes ersetzen kann, hat daher den ersten Schritt zur Theokratie zurückgelegt. Idealisten schaffen es leider immer, Mehrheiten zu organisieren. Materialisten hingegen liegen immer richtig.
Der dem Selbstbestimmungsgesetz zugrunde liegende Aberglaube lässt sich jedenfalls mit einem einfachen Gedankenexperiment veranschaulichen. Sollte so etwas wie Intergeschlechtlichkeit beim Homo Sapiens auf natürliche, molekularbiologische Weise tatsächlich möglich sein, wären Zwitter häufig anzutreffen. Sie würden aufgrund des mit dem Entfall der Partnersuche verbundenem Fortpflanzungsvorteils vielleicht sogar die Mehrheit bilden. Ob die Menschheit die mit der Existenz zahlloser Klone verbundene Degeneration überstanden hätte, bleibt aber fraglich.
Alternative Geschlechter oder Individuen ohne Geschlecht hingegen tragen aufgrund ihrer prinzipbedingten Unfruchtbarkeit nicht zur Arterhaltung bei. Reproduktionsprozesse mit diesen Ergebnissen hätte die natürliche Selektion daher längst verworfen und aussortiert. Wer dennoch an der Überzeugung festhält, die Dualität von weiblich und männlich wäre nicht von den Prinzipien der Evolution vorgegeben, kämpft keineswegs für Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation. Sondern unterwirft sich der Willkür dogmatischer Kreationisten.
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Vielen Dank, endlich mal ein Artikel zu diesem wirklich komplexen Thema, geschrieben von Einem, der es wirklich verstanden hat. Man kann es auch so zusammenfassen, dass alle vom XY/XX Status abweichenden Mutationen mehr oder weniger loss of Function Mutationen (Verlust der Funktion) sind bezüglich des eigentlichen Ziels der Evolution, der Fortpflanzung, auch wenn es den Gleichheitsapologeten zu wieder ist. Wohl gemerkt, über den Wert der einzelnen Person, des Menschen ist damit nichts ausgesagt. Deswegen geht auch jeder Versuch, die Benennung dieser Tatsachen als menschenverachtend zu disqualifizieren, absolut ins Leere, sie dient nur der Verschleierung!.
Wenn man so in die materielle und philosophische Tiefe gehen will, muss man weiter und gründlicher ausholen. Ob jemand als Mann oder Frau eingeordnet wird, beruht auf traditioneller Wahrnehmung, nicht auf der Wissenschaft der Chromosomen, die erst viel später möglich wurde. Vielmehr lief es so, dass die spätere Kenntnis über die Chromosomen so zurechtgelegt wurde, dass sie mit der Wahnehmung weitgehend übereinstimmte. Das gelang aber wegen der Ausnahmen nicht perfekt. Wenn die materielle Sicht immer die reale sein und auch noch als alleinige Entscheidungsgrundlage dienen soll, gilt bei Verzicht auf interpretative Semantik Folgendes: Die materielle Konfiguration von bis zu fünf… Mehr
Bei allem Richtigen, das hier gesagt ist, springt der biologistische Ansatz jedoch zu kurz. Der Mensch ist ein geistiges Wesen, was ihn wesentlich von allen anderen Kreaturen der Evolution, ich würde sagen: der Schöpfung, unterscheidet und heraushebt. Durch sein Bewusstsein, das SelbstBewusstsein ist, ist er sich seiner selbst bewusst als Subjekt, das sich in seiner Subjektivität von allen anderen unterscheidet, und die niemand als er selbst empfindet und erlebt. Auch Homosexualität macht hinsichtlich der Fortpflanzung und Arterhaltung keinen Sinn, kann also weg: das hatten wir ja schon, zum Glück sind wir, trotz aller Widerstände, zumindest in „zivilisierten“ Gesellschaften darüber weitgehend… Mehr
Danke für die gute Erklärung!
Wie hier erklärt (https://youtu.be/fz7NQDfa4eU?si=UVDzF8Shf_GsreyQ) sind Embryos nicht per default weiblich sondern unbestimmt.
Sonst danke!!
Danke fuer die Verwendung des Begriffes „Idealismus“. Er trifft durchaus einen Punkt, der, zusammen mit anderen ismen, den Deutschen als solchen zutreffend beschreibt. Und der, zusammen mit anderen, wiewohl positiv besetzt ein sehr hohes Risikopotential darstellt. Fuer die Deutschen, aber auch fuer andere. Er kontrastiert zusammen mit dem Romantizismus vor allem mit dem, was man Realitaet oder Realismus nennt. Und es ist nicht nur, aber ganz besonders ein deutsches Problem, mit immer wieder verheerenden Folgen, den es mündet regelmaessig in das was man Ideologie nennt. Die Anfälligkeit fuer die damit verbundenen Geschichten wird dann lebensgefährlich, wenn Ideologie und Macht zusammenkommen,… Mehr
Eine Frage bleibt offen: Warum stellen sich Menschen gegen das Existenzielle? Einfache Antworten wie „Dummheit“, „Böswilligkeit“ oder Ähnliches dürften weder analytisch ausreichend noch überhaupt ursächliche Begründungen sein. Auch ist die Frage zu stellen, ob Materialisten selber alles vom Existenziellen kennen. Dazu wäre nichts Geringeres als Allwissenheit nötig, während physikalische Messinstrumente nur messen können, woran zuvor gedacht wurde. Oder man definiert als existenziell nur, was sich materiell nachweisen lässt oder zumindest vorstellbar nachweisen ließe. Was natürlich wegen der beweislosen, dogmatischen Selbstbeschränkung auf das Materielle intellektueller Unfug wäre. Notabene: der Physik fehlt jede Erklärung, warum das Universum existiert, hat auch sonst nach… Mehr
SCHON WIEDER haben die Deutschen sich mit allen, die maßgeblich sind, zerstritten. Mit den Russen über Kreuz, mit den Amis über Kreuz, bestenfalls Büttel der Chinesen ohne es zu merken, denken sie echt, dass die paar wirtschaftsschwachen europäischen Südländer, an die sie sich unterwürfig ketten (und die ihnen per EU und € noch das letzte Hemd wegstrippen), ihnen da irgendwie helfen können? Wie nennt man das, Selbstzerstörungssucht gepaart mit Größenwahn? Man sieht sich diese Leute an, von Scholz über Baerbock oder Habeck, wie sie sich scheinbar normal auf Konferenzen bewegen und sogar wohl noch glauben, sie würden den Kurs vorgeben… Mehr
Ohne großartiges Drumherum auf den Punkt gebracht. Vielen Dank Herr Heller.
Dennoch geht mir durch den Kopf, dass es tatsächlich jährlich zigtausende menschliche Schicksale gibt, die sich das Individuum eben nicht ausgedacht hat und die man natürlich auch niemandem einreden kann. Da frage ich mich dann, ob es dem Menschen ob der eher geringen Zahl der geschlechtsspezifischen Probleme gerade etwas langweilig geworden ist?
Ich bin 182 cm groß. So steht es in meinem Pass. Ich fühle mich aber 192 cm groß. Ich will, dass ich meine Größe selbst bestimmen kann, anstatt dass mir diese behördlich zugewiesen wird! Ich bin 1968 geboren. So steht es in meinem Pass. Ich werde heute also als Erwachsener gelesen. Ich fühle mich aber als Kind. Ich will, dass ich mein Alter selbst bestimmen kann, anstatt dass mir dieses behördlich zugewiesen wird! Ich will, wie andere Kinder auch, altersgerecht in die Kita und in ein paar Jahren dann in die Grundschule! Meine Eltern waren mein Vater und meine Mutter.… Mehr
„…fühle mich aber als Kind von Susanne Klatten und Stefan Quandt.“
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Susanne Klatten und Stefan Quandt sind Geschwister.
So ungefähr stellen sich manche die sogenannte Selbstbestimmung bestimmt vor, davon bin ich überzeugt. Vor Lauter Selbstbestimmung kommen wir dann gar nicht mehr zu dem was jedes Wesen eigentlich interessieren sollte. Das Leben.