Friedrich Merz will im Ampel-Bundestag über eine Verfassungsänderung und eine massive Neuverschuldung abstimmen lassen. Im neuen Bundestag, der sich noch konstituieren muss, könnten Linke und AfD zusammen diese Gesetzesänderungen verhindern. Darüber, ob das legal sein kann, sprach TE mit dem Juristen und Verfassungsexperten Ulrich Vosgerau.

Tichys Einblick: Ist dieser Winkelzug, mit einem alten Bundestag noch schnell Gesetze zu verabschieden, legal?
Ulrich Vosgerau: Ein wirklich gut funktionierender Verfassungsstaat, eine wirklich gut funktionierende Demokratie erkennt man daran, dass Verfassungslegalität und Legitimität nicht auseinanderfallen. Damit ein Verfassungsstaat auch funktional bleibt, ist es indessen erforderlich, dass man jedenfalls in Grenzfällen die Verfassung auch wirklich nur so anwendet, wie sie eigentlich gedacht war. Nicht aber so, wie ihr Wortlaut das äußerstenfalls vielleicht ja gerade noch hergibt, es aber ganz und gar nicht ihrem Geist entspricht.
Wenn man das tut, dann haben wir genau dieses Auseinanderfallen zwischen Verfassungslegalität im rein formellen Sinne auf der einen Seite und Legitimität auf der anderen. Das führt ganz schnell zu einer Delegitimierung des Verfassungsstaates. Also das, worüber sich der Verfassungsschutz so gerne Gedanken macht in anderen Zusammenhang. Hier spielt also nicht nur eine Rolle, ob man diesen Winkelzug führen darf, sondern auch sollte.
Gab es schon vorher einmal Abstimmungen in dieser Übergangsphase zwischen den Parlamenten?
Die Idee, das Grundgesetz auf diese Weise noch schnell zu ändern, formulierte erst die Grünen-Fraktion im Bundestag, später sprang Friedrich Merz darauf auf. Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, habe ich gedacht, das hat es noch nie gegeben. Wenn man jetzt ein bisschen recherchiert, findet man heraus, dass es schon mal einen ähnlichen Fall gegeben hat. Im Herbst 1998, da war die Kohl-Regierung bereits abgewählt. Der neue Bundestag war noch nicht konstituiert. Und da hat trotzdem der Bundestag eine Sitzung gemacht und hat Beschlüsse gefasst zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr (konkret: die Genehmigung von Nato-Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien, Anm. d. Red.), weil dieser ganz besonders eilbedürftig erschien und man dachte, dass ansonsten eine humanitäre Katastrophe droht.
Wenn der Bundestag in solch einer Übergangsphase schon über Krieg und Frieden entscheiden konnte, warum dann nicht jetzt über Schulden?
Der Kosovo-Einsatz ist absolut kein Präzedenzfall. Denn damals, 1998, ging es einzig und allein um die Eilbedürftigkeit. Es ging einzig und allein darum, dass sich das Geschehen auf dem Kosovo nicht nach dem deutschen Parlamentskalender richtete und deswegen Maßnahmen erforderlich schienen, die es bislang noch nicht gegeben hatte. Hier ist es ganz anders. Hier geht es nicht um eine besondere Eilbedürftigkeit und das behauptet ja auch niemand, sondern es geht ausdrücklich darum, dass eben in dem neuen Bundestag eine sogenannte Sperrminorität für AfD und Linkspartei zusammengenommen besteht.
Die Unzufriedenheit mit der Zusammensetzung des nächsten Bundestages motiviert die Politik jetzt dazu zu sagen, wir nutzen die alten Mehrheitsverhältnisse aus, solange sie eben noch da sind. Und das ist wiederum etwas, das dem Wortlaut der Verfassung zwar nicht direkt widerspricht, was aber eindeutig dem Geist der Verfassung widerspricht. Der kommissarische alte Bundestag wird missbraucht, um ein Veto gegen den Wählerwillen auszusprechen. Diese Beobachtung drängt sich schon im Ausgangspunkt auf. Nun kommt noch ein weiterer Aspekt dazu, nämlich: Allein schon die Höhe und Begründung des Sondervermögens lassen daran zweifeln, dass das Vorhaben grundgesetzkonform ist.
Merz plant ein „Sondervermögen Infrastruktur“ von 500 Milliarden Euro, dazu eine Quasi-Abschaffung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben in ähnlicher Höhe und eine Lockerung der bislang rigorosen Schuldenbremse auf Länder-Ebene. Wie verändert das Ihre Einschätzung?
Ein entscheidendes Problem besteht bereits in der Höhe der Schulden, die Merz hier aufnehmen will. Der Haushalt ist das „Königsrecht“ des Parlaments – selbst als es Könige und Fürsten gab, war der Staatshaushalt zuerst Entscheidungsrecht des Parlaments. Und ein Parlament kann dieses Königsrecht immer nur für die bestehende Legislaturperiode ausführen. Daher, der Bundestag kann in diesem Jahr nicht über den Haushalt für die nächsten vier Jahre entscheiden. Der (nächste) Bundestag kann aber seine haushaltspolitische Entscheidungsbefugnis und Verantwortung nicht mehr wahrnehmen, wenn schlicht kein Geld mehr da ist – weil nämlich das letzte Parlament, strenggenommen nicht kurz vor Toresschluss, sondern bereits danach alles verfrühstückt hat, also Verpflichtungen eingegangen ist, von denen künftige Bundestage nicht mehr herunterkommen und die dann zu bedienen sind.
Und um solche Größenordnungen geht es hier. Zählt man die Schuldenrückzahlungen für Rüstung und Infrastruktur und die Zinszahlungen zusammen, gehen die Gesamtkosten des Merz’schen Plans auf mehr als eine Billion Euro! Zwar gibt es ein Gegenargument, nämlich: Das „Sondervermögen“ sei ja bekanntlich kein Vermögen, sondern eine Kreditermächtigung, die das Parlament nützen könne oder auch nicht. Wir haben bislang noch keine schriftlichen Beschlussvorschläge. Aber es muss jedenfalls mit der Einrichtung des Sondervermögens irgendeine haushaltsrechtliche Verbindlichkeit begründet werden, sonst bräuchte man es nicht einzurichten und bräuchte auch diese Sondersitzungen des alten Bundestages nicht …
Wie könnte denn der Husarenstreich im Ampel-Bundestag verhindert werden?
Der „Königsweg“ zur nachträglichen Beseitigung verfassungswidriger Haushaltsgesetze ist die Normenkontrollklage. Dafür braucht man 158 Bundestagsabgeordnete, also 25 Prozent von 630. Die AfD-Fraktion hat allein derzeit bereits 152 Abgeordnete, es kämen 64 von der Linkspartei hinzu. Und möglicherweise sogar Dissidenten von Union und SPD, die das faule Spiel nicht mitmachen wollen. Gegen diese Normenkontrollklage könnten die jetzigen Verschwörer dann wohl nichts machen. Dann muss das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden.
Wie stehen die Chancen, dass das Bundesverfassungsgericht erstens schnell und zweitens zu Ungunsten von Friedrich Merz entscheidet? Durch Regierungsferne ist gerade der erste Senat nicht aufgefallen …
Das Bundesverfassungsgericht wird wohl entscheiden, und dies auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Denn es gibt nicht nur die Normenkontrollklage, mit der die Verfassungswidrigkeit etwa des geplanten „Sondervermögens“ geltend gemacht werden kann. Im Wege der Normenkontrollklage bietet sich kein ergänzendes Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz an, denn dies würde auf die „Vorwegnahme der Hauptsache“ hinauslaufen und wäre deswegen wohl unzulässig. Jedoch können Fraktionen und einzelne Abgeordnete, auch „prozessstandschaftlich“ namens des Bundestages, im Wege der Organstreitklage das Verfahren angreifen. Das wird auch geschehen, und in diesem Zusammenhang wird es Anträge auf einstweilige Anordnungen geben.
Insofern könnten sich erstens die Abgeordneten des alten Bundestages, der also einerseits vom Bundespräsidenten ausdrücklich aufgelöst worden ist, nun aber, obwohl schon ein neuer Bundestag gewählt wurde, unter anderem über mehrere Verfassungsänderungen entscheiden soll, darauf berufen, dass die Beratungszeit viel zu kurz ist, um in wenigen Tagen über derart weitreichende Gesetzentwürfe zu entscheiden. Verfassungsrechtler sprechen insofern inzwischen vom „Heilmann-Verfahren“…
… benannt nach einem CDU-Bundestagsabgeordneten, der vor dem Bundesverfassungsgericht die Abstimmung über das Heizungsgesetz aufhalten konnte …
Ja, genau, ich wurde auch am Telefon gefragt, ob man da was machen kann, und meinte spontan: ‚Macht denen doch alles kaputt – mit Heilmann!‘ Ob das hier erfolgversprechend ist, wird allerdings davon abhängig, wie kompliziert die zu beratenden schriftlichen Vorlagen sind. Diese kennen wir noch nicht. Eine Sachverständigenanhörung, die auf jeden Fall hier unverzichtbar ist, soll nun am Donnertagnachmittag stattfinden.
Es kommt also für den einstweiligen Rechtsschutz darauf an, ob der Bundestag in der Kürze der Zeit hinlänglich hat beraten können?
Auch, aber nicht nur! Es ist verfassungsrechtlich bislang noch nicht einmal geklärt, ob ein Bundestag, der nach einer negativ ausgegangenen Vertrauensfrage des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten vorzeitig und ausdrücklich aufgelöst worden ist, sich überhaupt noch einmal versammeln darf. Das wäre der eine Punkt, der in der bisherigen Diskussion meines Erachtens noch nicht hinlänglich berücksichtigt wird. Und der zweite: Auf Verlangen eines Drittels der Bundestagsabgeordneten muss die Bundestagspräsidentin den Bundestag einberufen, wie jetzt wohl geschehen. Das steht im Grundgesetz. Dort steht aber nicht, welchen Bundestag sie hier einberufen muss, den neuen oder den alten!
Die Bundestagspräsidentin will offenbar den alten Bundestag einberufen. Es müsste aber der neue einberufen werden, sofern dies faktisch möglich ist. Wenn statt dessen der alte Bundestag einberufen wird, so könnten dagegen jedenfalls sämtliche neu gewählten Bundestagsabgeordneten klagen, die dem bisherigen Bundestag noch nicht angehört haben! Mit der Begründung, sie werden hier von der Abstimmung ausgeschlossen, obwohl sie eigentlich berufen wären … – Es bleibt also interessant.
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… ein sehr schöner gedanklicher Ansatz! Wichtig ist, der Möchtegernmachthaber und die Interessen von Wirtschaft ud Gesellschaft verratende Merz wird verhindert und dieser „Heiopei“ Klingbeil …
Solche Handlungsweisen verhinderte die Finanzverwaltung, indem Sie Gestaltungsmißbrauch unterstellte! Traf manchen hart, aber diese Machthaber träfe es zu Recht !!! Schauen wir mal, ob sich das BVerfG noch besinnt.
Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum der Bundestag überhaupt noch etwas beschließen darf. Schließlich ist er nach §63 GG aufgelöst. Ein aufgelöstes Gremium existiert nicht mehr.
Offenbar hält sich die Meinung, aufgrund §39 GG sei der alte Bundestag bis zur Konstitution des neuen weiter im Amt. Nur steht das dort nicht bzw. nur bezogen auf die normale Amtsperiode.
Hätten die Väter des GG eine Weiterexistenz des alten BT im Sinne gehabt, hätten sie sicher nicht von Auflösung gesprochen, sondern nur von vorgezogenen Neuwahlen.
Das erscheint einem „normal denkenden“ Menschen in der Tat widersinnig. Die Wahlperiode dauert einerseits vier Jahre. Andererseits endet sie erst, wenn der neue Bundestag zusammentritt, ist also insofern doch offen.
Wahrscheinlich wollten die Väter des GG eine parlamentslose Zeit vermeiden, wie ja auch die abgewählte Regierung weiter im Amt ist.
Der Wählerwille zählt nicht mehr, wenn er gegen das politische Establishment stimmt
Wir haben eine Demokratie-Problem in Deutschland
Der Bundestag wurde aufgelöst weil er beschlussunfähig ist.
Festgestellt vom Bundespräsidenten, gemäß seinem verfassungsmäßigen Recht dazu aus GG Art.68. So steht es in GG Art.68. geschrieben.
Ein beschlussunfähiger Bundestag kann nichts mehr beschließen.
Auch das BverfG kann nichts anderes festellen, als das was der Bundespräsident festgestellt hat Kraft seiner Amtszuständigkeit.
Ende der Diskussion.
Da blinken bereits jetzt schon alle roten Lampen. Jedem normal denkenden Politiker signalisiert das „Finger weg davon“.
Prof. Boehme-Nessler hat auf CICERO geschrieben: „Aus der Treuhänder-Funktion ergibt sich, was der alte Bundestag tun darf – und was nicht. Ein Treuhänder darf nicht im eigenen Interesse handeln, auch wenn er das rechtlich könnte. Er muss die Interessen seines Treugebers verfolgen. Dafür ist er da. Er darf also Entscheidungen treffen. Aber nur solche, die den Übergang zum neuen Parlament praktisch absichern. Er muss sich zurückhalten. Auf keinen Fall darf er weitreichende Gesetze verabschieden, die das neue Parlament langfristig binden. Das wäre treuwidrig.“
https://www.cicero.de/innenpolitik/das-parlament-als-treuhander-warum-das-merz-manover-verfassungswidrig-ist
Leider haben wir seit der Entsendung eines Merkel-Vertrauten in das Bundesverfassungsgericht keine normale Situation mehr.
Der Bundestag ist kein Treuhänder der Staatsfinanzen.
Die Treuhänder Funktion der Staatsfinanzen hat die Bundesbank.
sh. „Gesetz über die Deutsche Bundesbank“ – BBankG
Der alte Bundestag darf gar nichts mehr weil der Bundespräsident seine Beschlussunfähigkeit rechtkräftig festgestellt hat.
Es ist eine Karrikatur von Demokratie was Merz und Co einführen wollen. Schnell noch 4 Jahre Sause und dann der AfD den Konkursladen übergeben.
Gemäß GG Art.68 muss der Bundespräsident in eigenem Ermessen einen „Ist-Zustand“ der Beschlussunfähigkeit des Bundestages feststellen, um den Bundestag auflösen zu dürfen und Neuwahlen ansetzen zu dürfen. Willkürlich darf er es nicht tun. Der „Ist-Zustand“ der Beschlussunfähigkeit des Bundestages ist damit als Rechtfaktum gesetzt. Der abgewählte Bundestag ist damit rechtkräftig Handlungsunfähig !!! Hervorggangn aus der politischen Handlungsunfähigkeit. Genau deswegen muss es lt. GG einen neuen Bundestag durch Neuwahl geben. Ein rechtkräftig Handlungsunfähiger Bundestag kann und darf nichts mehr beschließen. Auch wenn die Legislaturpriode des abgewählten Bundestages, erst mit dem Zusammentreten des neugewählten Bundestages, enden mag (wie manche Rechtexperten meinen) existiert… Mehr
Die Legislaturperiode des Bundestages endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. (Art.39 GG)
Der aufgelöste Bundestag ist also sozusagen noch geschäftsführend im Amt, ähnlich wie die Bundesregierung trotz gescheiterter Vertrauensfrage noch im Amt ist (Art. 69 GG)
Die eigentliche Frage ist, was der alte Bundestag noch an weitreichenden Beschlüssen verabschieden darf.
Von „Beschlußunfähigkeit“ des Bundestages steht nichts im GG.
Herr Ulrich Vosgerau und Frau Birgit Kelle sind Mitglieder der CDU und haben daher bei der Bundestagswahl die CDU gewählt und damit Friedrich Merz.