Von einem, der auszog, eine Frau zu werden: Spannung auf dem Standesamt

Unser Autor hat sich offiziell zur Frau erklärt. Einfach so. Weil es jetzt einfach so geht. Michael Plog sieht es als seine journalistische Pflicht an, das neue Selbstbestimmungsgesetz am eigenen Leibe auszuprobieren. Lesen Sie ab heute in loser Folge von einem, der auszog, eine Frau zu werden. Von Brunhilde Plog

IMAGO / Panama Pictures

„Warum?“ Das ist die Frage, die ich neuerdings sehr häufig höre. Gern auch „Warum zum Teufel?“ oder „Bist du jetzt völlig verrückt geworden?“ Oder einfach nur „Häh?!?“

Ich gebe zu: Die Frage ist berechtigt. Ich selbst würde sie allerdings eher dem Gesetzgeber stellen. Was in Herrgotts Namen hat die Bundesregierung geritten, so ein Gesetz zu beschließen? Seit November 2024 ist es jedermann möglich, sein Geschlecht frei zu wählen. Einmal pro Jahr, immer wieder neu, ganz nach Lust und Laune. Aus Frauen werden Männer, aus Männern Frauen. Und wer sich nicht entscheiden kann oder will, der wählt einfach „divers“. Ganz simpel per Sprechakt. Eine ärztliche Untersuchung ist nicht notwendig, nicht einmal ein Gespräch. Keine geschlechtsangleichende Operation, keine Hormontherapie. Nicht mal mehr rasieren muss man sich, um künftig ganz offiziell als Frau anerkannt zu werden. Brunhilde mit Vollbart – kein Problem.

Das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ oder kurz Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) soll „die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung … für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sicherstellen“. So steht es im Gesetzestext.

Das Problem: Niemand muss mehr beweisen, dass er oder sie tatsächlich „transgeschlechtlich“, „intergeschlechtlich“ oder „nichtbinär“ ist. Man kann es einfach so behaupten. „Die Frage, ob eine Person, die zusätzlich geschlechtsangleichende körperliche/medizinische Maßnahmen in Erwägung zieht, solche vornehmen kann, wird nicht durch das SBGG geregelt“, heißt es offiziell. Vom Bundestag und Bundesrat abgenickt – so klar wie lapidar.

Das will ich ausprobieren. Ich gehe also Anfang November 2024 in das Verwaltungsgebäude meiner kleinen Samtgemeinde. Alles sehr überschaubar hier. Zweigeschossiger Flachbau, sechs Besucherparkplätze vor der Tür. Alle frei. Am Info-Schalter weiß man zunächst nicht so recht, wie man mir helfen soll. Geschlechterwechsel? Hmm, mal überlegen – wer könnte dafür wohl zuständig sein? Die Dame hinter der imposant aufragenden Coronavirenschutzscheibe (immer noch!) ist ratlos. Sie fragt ihre Kollegin. Gerda? Aber Gerda weiß es auch nicht. Dann mal auf die Website der Gemeinde lugen. Nein, schade, da steht leider auch nichts weiter. „Versuchen Sie es doch am besten mal im Standesamt!“

Also ab in den Wartebereich, Nummer gezogen, Viertelstunde gewartet und frohgemut hineinmarschiert. Zack, Frau Schumann, Standesamts-Sachbearbeiterin, guten Tag. „Ich möchte eine Frau werden“, sage ich. Frau Schumann reagiert nervös. „Aha, soso. Ja, da sind Sie hier richtig.“ Beziehungsweise doch nicht. Frau Schumann verweist mich gleich an ihre Vorgesetzte. Gut zu wissen: Geschlechterwechsel ist hier Chefsache. Ich gehe also zwei trostlose Durchgangsbüros weiter und lande bei Frau Seifert, Standesbeamtin, grauer Blazer, geschätzte fünf Jahre bis zur Pension. Die Frau hat Erfahrung.

„Oh Gott, Sie sind mein erster Fall!“, ruft sie. Ob Gott ihr bei dieser woken Angelegenheit tatsächlich helfen wird, bleibt abzuwarten.

In einer deutschen Behörde ist üblicherweise alles bis ins kleinste Detail geregelt und durchstrukturiert. Urkunden, Formulare, Anträge, Durchschläge – Unterschrift hier, Stempel dort. Normalerweise gehst du auf ein Amt, und es wird mit dir geschehen. Doch heute ist alles anders. Heute weiß Frau Seifert selbst nicht so recht, wie ihr geschieht. Mein Anliegen versetzt sie in helle Aufregung.

Ihr Blick hat etwas Skeptisches. Erinnert mich an den Arzt bei meiner Musterung für den Wehrdienst in den 1980er-Jahren. Was will der – verweigern? Na, das schauen wir uns doch mal ganz genau an. Hose runter! Und heute: Was will der – eine Frau sein? Das glaubt der doch wohl selbst nicht. Das jedenfalls lese ich in Frau Seiferts Augen. Zum Glück weiß ich aber, dass ich hier und heute bei ihr nicht die Hosen runterlassen muss. Glück gehabt.

Zugleich scheint sie mein Antrag aber auch ein wenig zu amüsieren. Vielleicht war ich beim Vortrag nicht ernst genug? Und dann ist da Vorsicht in ihrem Blick. Die Gefahr, für das falsche Ansprechen einer Person womöglich angezeigt zu werden, wabert wie ein trüber Schleier über den Aktenordnern dieser charmefreien Behördenzelle. Es drohen schließlich erhebliche rechtliche Konsequenzen und empfindliche Bußgelder bis zu 10.000 Euro, wenn man eine Person dem falschen Geschlecht zuordnet oder sie mit dem falschen Personalpronomen anspricht. Frau Seifert vermeidet tunlichst irgendwelche Pronomen. Als sei ich bereits Brunhilde.

Rund 12.000 Einwohner zählt meine kleine Gemeinde, und heute wird hier Neuland betreten. Hier, in diesem Raum. Zunächst aber muss sich Frau Seifert erst einmal selbst durchbeißen. Sie erklärt mit einem zerknirschten Lächeln und erfreulich ehrlich, dass sie leider überhaupt keine Ahnung hat, was nun eigentlich zu tun ist. Sie hackt etwas in ihren Computer, und der Drucker läuft heiß: einmal den Gesetzestext ausdrucken, bitte. Vollständig und lückenlos. Und auch gleich die zugehörige Arbeitsanweisung. Frau Seifert lehnt sich zurück und beginnt ein intensives Studium des Stapels an Ausdrucken. Ich spiele mit dem Kuli, bereit für alles, was da kommen und zu unterschreiben sein möge. Kaffee gibt’s leider nicht. Mir wird langweilig. „Soll ich später nochmal wiederkommen?“ – „Nein, nein, ich hab’s gleich.“

Nach gut fünf Minuten weiß Frau Seifert mehr. Nämlich, dass sie nichts weiß. Die Arbeitsanweisung helfe ihr nur bedingt, sagt sie. Sie habe Fragen, aber das könne man „jetzt hier so ad hoc“ leider nicht klären. Deshalb würden wir beide jetzt einfach mal loslegen. Dass das keine so gute Idee ist, wird sich erst später herausstellen.

Sie trägt also die Daten aus meinem Personalausweis in den Computer ein und fragt mich, welchen Vornamen ich künftig zu tragen gedenke. „Brunhilde“, sage ich und kraule mir den Fünf-Tage-Bart. „Brunhilde“, wiederholt sie. Mit ihrem fränkisch angehauchten rollenden „R“ klingt der Name richtig schön. „Kommen da noch weitere Vornamen hinzu, oder bleibt es dabei?“, fragt Frau Seifert. „Erstmal nicht“, antworte ich. „Wie viele darf ich denn?“ – „So viele Sie wollen. Aber das müssen Sie nicht jetzt entscheiden. Sie haben ja noch Zeit“, sagt Frau Seifert. „In drei Monaten müssen wir es dann genau wissen.“ Sie druckt ein Formular aus, liest mir die ganze Seite komplett vor, reicht sie mir zur Durchsicht und bittet mich um eine Unterschrift. Ich setze meinen Michael darunter. Das war’s.

Doch zu früh gefreut: Als ich das Amt längst verlassen habe und bei meinem Goldhändler stehe, um mir zur Feier des Tages (und zur Rettung vor der Inflation) eine kleine Vreneli-Münze zu gönnen, ruft mich die Gemeindeverwaltung an. Ich erkenne die Nummer, aber ich kann gerade nicht, drücke sie weg. Doch die Gemeinde lässt nicht locker. Viermal versucht sie es, und das innerhalb von nur zehn Minuten. Muss wohl doch was Wichtiges sein. Als ich wieder im Auto sitze, gehe ich ran.

Frau Seifert! Sie ist ganz aufgeregt. „Ich habe Ihnen aus Versehen das falsche Dokument mitgegeben“, hechelt sie in den Hörer. „Sie sollten die Kopie des Antrags bekommen. Aber jetzt haben Sie schon die fertige Erklärung.“ Ob ich wohl so nett sei, nochmal eben ins Amt zu kommen und die Formulare zu tauschen? Es sei zwar mittlerweile bereits Feierabend, aber sie würde dann so lange auf mich warten.

Als ich bei der Gemeinde ankomme, ist drinnen alles dunkel. Frau Seifert empfängt mich persönlich an der Tür. Wir tauschen konspirativ die Formulare. „Ach, guck an“, sagt sie erleichtert, „wäre ja doch gar nicht so schlimm gewesen. Den Stempel hatte ich auch vergessen.“

Fortsetzung folgt.


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Kommentare ( 49 )

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Elmar
7 Tage her

Neben der Brunhilde mit Vollbart gibt es auch noch den Arsch mit Schnurrbart. Der scheint mir das größere Problem zu sein, da er sich nicht selten in öffentlichen Ämtern befindet.

jopa
8 Tage her

Ich hätte einen Untertitel für das ganze: Deutschland anno 2025, eine Realsatire. Und seien sie froh, daß sowohl der Drucker funktioniert hat wie auch der Rechner nicht gehackt und das Dach noch dicht war.

Jens Frisch
8 Tage her

„Frau Seifert vermeidet tunlichst irgendwelche Pronomen. Als sei ich bereits Brunhilde.“
Genau deshalb habe ich es mir angewöhnt, alle mit mir nicht gut befreundeten Menschen zu „siezen“ – da kann nichts schief gehen!

Dr.KoVo
8 Tage her

Hallo Brunhilde, fürchten Sie nicht, dass das Gesetz plötzlich gekippt werden kann und die „Rückverwandlung “ dann nicht mehr funktioniert? Die Sache ist riskant. Aber Opfer müssen gebracht werden!

Fabienne
9 Tage her

Vielen herzlichen Dank – ich freue mich schon jetzt voller Ungeduld auf die Fortsetzung. Das ist wirklich Journalismus auf einem Niveau, das man selbst auf alternative Medien wie TE nur noch selten findet. Weiter so!

nicht immer dagegen
9 Tage her

Spannend – ich bleibe auf jeden Fall dran an Ihrer Fortsetzungsgeschichte 🙂

Marcel Seiler
9 Tage her

Bei der Standesbeamtin spüre ich die Freude, endlich wieder einmal etwas Neues machen zu dürfen: die erste in der Gemeinde, die erste in ihrem Standesbeamten-Kollegenkreis, die zukünftige Expertin, die alle ihre noch unerfahreneren Kollegen konsultieren werden. Endlich mal wieder richtig Spaß. Vielen Dank, Brunhilde, dass Sie ihr das ermöglichen!

Kaktus 61
9 Tage her

Brunhilde! Haben sie denn gar kein Mitleid mit den Beamten, Herr/Frau Plog? In deutschen Amtsstuben werden Tastaturen häufig noch mit dem System Adler bedient, d.h. der Zeigefinger kreist in großer Höhe, Taste anvisieren, dann draufstürzen. Auch als Einfingersuchsystem bekannt. Mit „Michaela“ hätten sie die Bearbeitungszeit enorm verkürzt.

Don Didi
6 Tage her
Antworten an  Kaktus 61

Hier tippen sie nach dem Terroristensystem. Stündlich ist mit einem Anschlag zu rechnen…..

Sozia
9 Tage her

Keine Sorge. Wenn Sie in 6 Monaten Ihren Vornamen wieder zurücktauschen und ein Mann sein wollen, dann hat die Dame auf dem Amt schon Erfahrung und dann geht das alles viel problemloser. Übrigens eine echte Chance, sich einen anderen Vornamen zu besorgen, vielleicht einen, der heute üblich ist? Wie wäre es mit Leo oder Lukas? Und schon haben Sie sich gleich noch wesentlich jünger gemacht. Zumindest den Namen. Und können endlich selbst über ihren Vornamen entscheiden. Das ist übrigens auch eine gute Idee für Menschen, die sich in der Öffentlichkeit furchtbar blamiert haben. Man macht dann aus Annalena beispielsweise zunächst… Mehr

Rob Roy
8 Tage her
Antworten an  Sozia

„… Vornamen …“
Wie ist das? Wenn man im drauffolgenden Jahr das Geschlecht wieder zurückändert, muss man dann den alten Vornamen annehmen? Oder darf man einen völlig neuen wählen?
Das wäre dann einfacher, als ohne Geschlechtswechslung lediglich seinen (ungeliebten) Vornamen beim Standesamt ändern zu wollen.

olive
9 Tage her

Liebe zukünftige Brunhilde, Sie ziehen das wirklich durch?
Freue mich sehr auf weitere Folgen der Geschichte!