Rentenkrise verhärtet sich: Wirtschaftsweise warnt vor sozialen Verwerfungen

Auch die neue Bundesregierung wird die Rentenkrise allem Anschein nach nicht in den Griff bekommen. Im Koalitionsvertrag fehlt jegliche Spur entsprechender Maßnahmen. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisiert die Sozialpolitik von CDU/CSU und SPD.

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Wirtschaftsweise Veronika Grimm beim Ludwig Erhard Gipfel 2025 auf Gut Kaltenbrunn am Tegernsee, 09.05.2025

Die neue Bundesregierung blendet ein zentrales Zukunftsproblem konsequent aus: das marode Rentensystem. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hebt dieses Versäumnis im Gespräch mit Focus online auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 hervor. „Bei der Rente ist eine große Leerstelle im Koalitionsvertrag“, warnt sie. Obwohl das System bereits heute auf wackligen Beinen steht, lege die Ampel laut Grimm „noch einen drauf“ – und verschärfe damit die strukturelle Schieflage weiter. Ihre Warnung ist unmissverständlich: „Man läuft da sehenden Auges auf einen Abgrund zu.“

Festhalten am Rentenniveau – ein gefährlicher Irrweg?

Veronika Grimm fordert umfassende Reformen der Rentenpolitik und mahnt eindringlich, dass die Politik nicht länger tatenlos zusehen dürfe. Besonders der bevorstehende Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge – jener, die Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre geboren wurden – verschärfe die Lage zusätzlich. Das derzeitige Rentenniveau konstant zu halten, sei laut Grimm „nicht nachhaltig“.

Das Rentenniveau gibt an, wie viel Prozent des durchschnittlichen Einkommens ein Rentner nach 45 Beitragsjahren erhält. Im Jahr 2024 erreichte es mit 48,0 Prozent den niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch plant die Bundesregierung, diesen Wert bis 2031 beizubehalten. Ein Vorhaben, das kaum als zukunftstauglich gelten kann. Schon heute leben viele Senioren in finanzieller Not. Eine Anhebung der Rente wäre notwendig.

Genau hier setzt Grimms Kritik jedoch an: Um das aktuelle Rentenniveau dauerhaft zu stabilisieren oder gar anzuheben, müssten die Beitragssätze steigen – mit gravierenden Folgen. Höhere Lohnnebenkosten würden Beschäftigte wie Unternehmen gleichermaßen belasten, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe schwächen und womöglich Arbeitsplätze gefährden oder auch die Abwanderung ins Ausland beschleunigen. Bereits jetzt sind die Beiträge nämlich enorm hoch. Aktuellen Daten von Allianz zufolge beträgt der Beitragssatz im Jahr 2025 insgesamt 18,6 Prozent des Bruttolohns, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte zahlen, also jeweils 9,3 Prozent.

Nach Grimms Logik müsste das Rentenniveau also eigentlich gesenkt werden, um das System langfristig tragfähig zu halten. Demgegenüber steht jedoch die soziale Realität: Eine Absenkung wäre für die deutschen Senioren verheerend, denn die steigenden Lebenshaltungskosten machen immer mehr Rentner zu Sozialfällen.

Nach einer repräsentativen Umfrage des Haftpflichtverbands der Deutschen Industrie (HDI) müssen sich über die Hälfte der Rentner im Alter stark einschränken; nicht einmal 17 Prozent können ihren bisherigen Lebensstandard halten. Zwei Drittel haben ausschließlich auf die gesetzliche Rente vertraut und privat nicht vorgesorgt. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy bringt es auf den Punkt: „Die gesetzliche Rente muss wieder eine solide Grundlage für den Ruhestand sein …“ – aktuell ist sie das nicht.

Dilemma: Ein höheres Rentenniveau ohne steigende Beiträge?

Es ergibt sich ein festgefahrenes Dilemma. Klar ist: Eine weitere Erhöhung der Beitragssätze zur Rentenversicherung steht nicht zur Debatte – sie sind bereits jetzt auf einem historisch hohen Niveau. Gleichzeitig ist es ebenso untragbar, das Rentenniveau auf dem derzeit niedrigen Stand zu belassen oder gar weiter abzusenken. Noch vor wenigen Jahrzehnten lag dieses deutlich höher: Im Jahr 1977 betrug das Rentenniveau in Deutschland etwa 59,8 Prozent des Durchschnittseinkommens.

Auch im europäischen Vergleich zeigt sich, wie schlecht Deutschland dasteht. Während Länder wie Dänemark (80 Prozent), Luxemburg (76,6 Prozent), Portugal (74,9 Prozent), Italien (74,6 Prozent) oder Österreich (74,1 Prozent) weit über dem deutschen Wert liegen, schneidet auch Frankreich mit 60,2 Prozent deutlich besser ab.

Die Herausforderung besteht nun darin, das Rentenniveau anzuheben, ohne die Beitragssätze weiter in die Höhe zu treiben – und damit sowohl Rentner als auch die Beitragszahler zu entlasten. Die einzige realistische Lösung: Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Ohne zusätzliche Haushaltsmittel ist dieses Ziel nicht erreichbar.

Doch die politische Initiative dafür fehlt. Wie schon unter der Vorgängerregierung zeigt sich auch bei der neuen Koalition, welchen geringen Stellenwert Rentner scheinbar in der politischen Prioritätensetzung haben. Während milliardenschwere Posten für ideologisch motivierte Klimavorhaben bereitgestellt werden, bleibt die eigene Bevölkerung auf der Strecke.

Allein im Bundeshaushalt 2024 wurden 47,4 Milliarden Euro für die „grüne‟ Transformation eingeplant. Statt Rentnern unter die Arme zu greifen, werden lieber ambitionierte Weltrettungspläne finanziert. Altersarmut in Deutschland hingegen? Die wird achselzuckend in Kauf genommen.

Hohes Renteneintrittsalter: Ein weiteres ungelöstes Problem

Ein weiteres Problem, das von der neuen Koalition fahrlässig ignoriert wird, betrifft das Renteneintrittsalter. Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist keine Abkehr vom bisherigen Kurs vorgesehen – das gesetzliche Rentenalter von 67 Jahren wird wohl unverändert bestehen bleiben.

Dabei wäre auch hier ein politisches Umsteuern dringend nötig gewesen. Denn wie beim Rentenniveau zählt Deutschland beim Renteneintrittsalter ebenfalls zu den Schlusslichtern im europäischen Vergleich. Während in Frankreich mit 64 Jahren, in Spanien mit 65 und in Griechenland bereits mit 62 Jahren der Ruhestand beginnt, liegt das deutsche Renteneintrittsalter weiterhin an der oberen Grenze. Selbst in China ist der Renteneintritt deutlich früher möglich: Frauen dürfen dort schon mit 55 bis 58 Jahren in Rente gehen, Männer ab 63.

Fazit: Der kleine Mann kommt zuletzt

Es wird immer deutlicher, wie viel die ältere Bevölkerung den politischen Entscheidungsträgern tatsächlich wert ist – nämlich wenig. Über Jahrzehnte hinweg haben sie Steuern und Lohnnebenkosten gezahlt, doch von Wertschätzung durch die Obrigkeit ist keine Spur – weder in Form eines fairen Rentenniveaus noch durch ein angemessenes Renteneintrittsalter.

In Deutschland gilt: schuften bis zum Tod für das System. Die Sozialpolitik der Ampelregierung ist krachend gescheitert. Und unter der neuen Bundesregierung deutet alles darauf hin, dass dieser Kurs nahtlos fortgesetzt wird.

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Kommentare ( 131 )

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Britsch
2 Monate her

„Experten“ wie z.B. Fratzscher bestimmen das Geschehen und sind für die Entstehung und solcher Ergebnisse verantwortlich. Streiten aber jegliche Verantwortung ab. Darin absolute Meister

Britsch
2 Monate her

Man sollte auch mal die durchschnittliche Lebensarbeitszeit zusammen mit der Durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von früher mit heute vergleichen.
Dann sollte man noch betrachten was selbsternannten Experten bezüglich Familien – Gesellschafttspolitik propagiert wurde, Selbstverwirklichung usw. Die gleichen die auch die einstig gute Bildung bzw. das schulische Bildungssystem zerstört haben. Beispiel aussage eines Schulleiters. Es ist Aufgabe der Schule Kultur, politisches Interesse beizubringen, z. B. durch Theaterbesuche, Demonstrationsteilnahme. Rechnen, Schreiben usw. können die Eltern zu Hause beibringen

Axel Haare
2 Monate her

Ihr Artikel enthält keinen einzigen wirklich zielführenden Vorschlag das System zu verbessern, was nicht anderswo schon längst gescheitert wäre. Schon heute wird jeder 4. Euro des Bundeshaushalts als Bundeszuschuss in die Rente gepumpt. Und Sie meinen allen Ernstes, das wäre immer noch zu wenig? Der Staat ist nicht dafür da, jedem Bürger die individuellen Lebensrisiken abzunehmen, um diese dann zu alimentieren! Wenn zwei Drittel aller Rentner keine eigene private Vorsorge besitzen, sondern ihr Geld lieber in Karibikurlaube und Tatoositzungen investiert haben, dann haben diese Leute eben Pech gehabt! Ebenso wer bis Mitte 30 alle Orchideen Fächer studiert, in der Weltgeschichte… Mehr

Ulrich
2 Monate her
Antworten an  Axel Haare

Warum sollte Herr Märtin einen „zielführenden Vorschlag“ machen, wenn auch von Ihnen nur pauschale Statements kommen? Eine Überprüfung, inwieweit die Rentenkasse auch Nichtbeitragszahlern zugute kommt, wäre schon mal ein Ansatz, um das System zu reorganisieren.

Axel Haare
2 Monate her
Antworten an  Ulrich

Ein zielführender Vorschlag wäre ja z.B. gewesen, eine dynamisch steigende Maschinensteuer anstelle des Arbeitgeberbeitrages auf sämtliche gewerblich genutzte IP-Adressen, sei es Smartphones, Büro PCs und Computer gesteuerte Produktionslinien und Transferstraßen. Das gilt nicht nur für die Rentenversicherung, sondern gleichermaßen für die KV und PV, während alle Arbeitnehmer die Möglichkeit bekommen sollten ihren Arbeitnehmerbeitrag zur RV zu 20, 40 oder 60% individuell am Kapitalmarkt anzulegen. Letzteres würde allerdings ein gewisses Maß an Bildung voraussetzen. Und hier sehe ich schwarz für die Zukunft Deutschlands, solange wir uns anmaßen „das Sozialamt dieser Welt“ zu sein!

Ulrich
2 Monate her
Antworten an  Axel Haare

Nun ja, „Rürup“ und „Riester“ waren ja als weitere „Säule“ der Rente gestartet. Gefreut hat es eigentlich nur die Herren Rürup, Riester und Maschmeyer. Jetzt wird die ETF-Rentenversicherung als neue Sau durchs rentenpolitische Dorf gejagt.

Wolfgang Schuckmann
2 Monate her

Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass den Rentenkassen Kapital für Zahlungen entzogen werden, die mit dem eigentlichen Zweck nichts zu tun haben. Genau so “ hilfreich“ ist es dass die Krankenkassen geplündert werden für Patienten, die noch nie einen Cent in die Kasse gelegt haben und trotzdem Schlaraffenlandleistungen erhalten.Aber ich höre schon den Chor aus grüner Wiese und blauem Himmel singen: Immer diese Nazis mit ihren unpassenden Argumenten. Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, und dazu muss man das Muster Dänemark bemühen, kann man behaupten man habe alles versucht auch in dieser Ecke die nötigen Maßnahmen anzuwenden. Aber da sei… Mehr

Logiker
2 Monate her

„Rentenkrise verhärtet sich: Wirtschaftsweise warnt vor sozialen Verwerfungen“ Das ist nur ein Beispiel, nichts anderes als z.B. bei der Krankenversicherung, bei der Bürokratie (Beamtentum) oder bei der Bildung. Seit Beginn der 70er Jahre wird von sämtlichen Alt-BRD-Politikern die Lösung dieser Probleme konsequent vermieden, besser gesagt, geradezu verweigert. Das war die Zeit, als die Sozis und andere linke Gauklertruppen bundespolitisch salonfähig gemacht und in Verhinderungsämter gekommen sind. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Wirtschaft hieße ein solches Verhalten „Insolvenzverschleppung“, nur dass das dort zeitnah und mit Konsequenzen geahndet wird. Aber gottseidank kann man den Deppen namens Bürger immer… Mehr

Olbus
2 Monate her

Die Lage ist viel dramatischer, da Pflege- und Krankenversicherung ebenfalls am Ende sind. Prioritäten der Regierung: Ukraine, Rüstung, Klima. 500 Mrd alleine zusätzlich für die Bundeswehr… und für diese „Sondervermögen“ sind jedes Jahr Zinsen zu zahlen, die die Spielräume im Haushalt weiter einengen. Das System ist schlicht und einfach am Ende, heruntergewirtschaftet von – nennen wir es höflich – überforderten Politikern.

GR
2 Monate her

Das System ist nicht nachhaltig. Es geht nur, indem alle überflüssigen Ausgaben gestrichen werden (eine Annalena 360 Grad Wende) und schmerzhafte (für die Politiker) Einschnitte gemacht werden. Genau das wollen die Altparteien nicht, gibt nur Ärger. Und die Rentner wählen die, also alles gut. Deshalb weiterwursteln und auf eine Währungsreform hinarbeiten oder einen Krieg provozieren.

dienbienphu
2 Monate her

Der Artikel verwirrt mich. Dass kein Geld da ist, schrieb Sarrazin schon 2010.
Die Situation war damals noch deutlich besser als heute. Ohne viele der ruinösen Entwicklungen.
Wie soll es also aus heutiger Sicht möglich sein, irgendetwas zu verbessern, oder auch nur den Status Quo beizubehalten?

Last edited 2 Monate her by dienbienphu
H. Hoffmeister
2 Monate her

Wir wählen Obrigkeiten wieder und wieder in die Regierung, denen das Wohl und Wehe von fremden Zuwanderern, peruanischen Radfahrern und Klima wesentlich wichtiger ist, als seinen rezenten und ehemaligen Leistungsträgern.

Apfelmann
2 Monate her

Die gesetzliche Rente ist tot. Das Problem ist hier die Demographie. Mit 1,2 Kinder pro Frau und wir werden auch noch unter 1 gehen, ist diese Rente nichtmehr haltbar. Das einzige was hilft: Die gesetzliche Rente abschaffen. Jeder kann sich dann selbst versichern, ganz nach seinen Vorlieben! Das wäre doch toll!

verblichene Rose
2 Monate her
Antworten an  Apfelmann

Ausnahmsweise gebe ich Ihnen mal recht!
Aber das würde dann auch bedeuten, daß es zunächst hunderttausende zusätzliche Arbeitslose gäbe, die es sich nämlich in diesem System äusserst gemütlich gemacht haben. Was macht man mit denen und könnten die sich von deren Hände Arbeit überhaupt selber versichern?

moorwald
2 Monate her
Antworten an  Apfelmann

So ist es: Das umlagefinanzierte System ist nicht zu halten. Es fehlt einfach der eine Partner des „Generationenvertrags“ (ein Euphemismus, der nur der Verschleierung der wahren Verhältnisse dienen soll). Es gibt folgende Auswege:
Die Rentenhöhe weiter senken
Das Eintrittsalter erhöhen (entspricht ebenfalls einer Rentenkürzung)
Die Beiträge erhöhen (geht nicht unbegrenzt, da dann enteignungsgleich)
Die Rente völlig aus Steuermitteln finanzieren
Den Arbeitnehmern die Beiträge auszahlen und ihnen selbst eine (verpflichtende) Vorsorge fürs Alter überlassen.