Die SPD sinkt und sinkt und sinkt

Insa sieht die SPD nur noch bei 13 Prozent. Das Sinken geht weiter und weiter. Doch die SPD findet den Grund nicht – auch weil die Sozialdemokraten sich weigern, die richtigen Fragen zu stellen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Die Ergebnisse von Parteien verlaufen in Wellen. Sie sind einem ständigen Auf und Ab unterlegen. Wer sie also im historischen Vergleich betrachten will, muss die Aufs mit den Aufs und die Abs mit den Abs vergleichen. In der Bundestagswahl im Februar holte die SPD 16,4 Prozent, ihr historisch schlechtestes Ergebnis – damit hat sie ein Ab erreicht. So dachte man. Doch in der Koalition mit der Union geht es weiter abwärts. Insa sah die SPD in einer Umfrage jüngst bei 13 Prozent.

Das wirkt verwunderlich. Von Februar bis Mai ist der Parteivorsitzende Lars Klingbeil von einem Erfolg zum nächsten geschwommen. In den Koalitionsverhandlungen hat er Friedrich Merz (CDU) häufiger über den Tisch gezogen als einen Küchenschwamm. Vor allem die Wirtschaftspolitik trägt sozialdemokratische Züge, obwohl die Christdemokraten das Ressort mit einer der ihren besetzt haben: mehr staatliche Eingriffe und kein Bremsen des Anstiegs der Lohnnebenkosten. Zudem ist die Reform des Bürgergelds vom Tisch. In Berlin gibt es weniger Christdemokraten, die das Wort überhaupt noch in den Mund nehmen als Zauberer, die in den Büchern um Harry Potter den Namen Lord Voldemort offen aussprechen.

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Die SPD setzt sich in der Koalition ein ums andere Mal durch. Warum tauchen ihre Umfragewerte dann weiter ab? Nun: Die SPD verliert in den Umfragen, weil sie sich in der Koalition inhaltlich ein ums andere Mal durchsetzt. In ihrer Welt, der Berliner Blase, ist derjenige König, der sich durchsetzt. Egal wie, egal mit was. Er kriegt in der Kantine den laktosefreiesten Pudding. Doch außerhalb dieser Blase spielt es eben doch eine Rolle, mit was sich der Berliner König da durchgesetzt hat – und sind es im Fall der SPD weiter steigende Beiträge zu Pflege- und Krankenversicherung oder eine weiterhin hohe Stromsteuer für Normalbürger, dann wählt der Bürger so ziemlich alles, nur nicht den Berliner König.

Das größte Problem der SPD ist, dass sie ihr Gespür für Themen verloren hat. Vielmehr hat sie es freiwillig aufgegeben. Als 1992 in Deutschland Helmut Kohl (CDU) wie ein unbesiegbarer Gegner wirkte, jagte in den USA der Demokrat Bill Clinton überraschend den Amtsinhaber George Bush Senior aus dem Amt – obwohl dessen außenpolitische Bilanz brillant war. Er war der Mann, unter dem nach 40 Jahren Kalter Krieg der Ostblock zusammenbrach.

Von 1992 an waren die deutschen Sozialdemokraten bereit, von den amerikanischen Demokraten zu lernen. Anfangs durchaus erfolgreich. Vor allem ihr späterer Spitzenkandidat Gerd Schröder bläute sich das Leitmotto Clintons ein: „It’s the economy, Stupid“. Es ist die Wirtschaft, Dummkopf. Mit modernen Mitteln der Kampagne und mit einer Konzentration auf Wirtschaftspolitik im Sinne von Mehren des allgemeinen Wohlstands wurde die SPD mit rund 40 Prozent stärkste Partei und übernahm das Kanzleramt. Das letzte Auf.

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Doch später war es kein Erfolgsrezept mehr, sich die Rezepte der amerikanischen Demokraten abzuschauen. Die setzten immer mehr auf die Auswüchse einer wohlstandsdekadenten akademischen Elite und schafften es 2016, mit Hillary Clinton als Kandidatin einen sicheren Vorsprung zu verspielen. Seitdem haben SPD, Demokraten, deutsche und amerikanische Medien zwei Dinge gemein: Sie finden tausend hoch tausend Gründe, warum Donald Trump ein erbärmlicher Trottel sei. Und sie stellen sich nie die Frage, warum ein erbärmlicher Trottel sie zweimal schlagen konnte. Das zweite Mal sogar mit Wucht.

Dabei würde die Antwort auf genau diese Frage zum Grund der abflauenden SPD-Welle führen. Die Demokraten wie mit Verzögerung die SPD setzen auf den ganzen woken Mist. Sie verfolgen die Strategie, wenn sie alle Minderheiten hinter sich bekommen, dann haben sie die Mehrheit. Doch das funktioniert nicht. Ärzte, Architekten, Handwerker und Bandarbeiter warten nicht auf einen Lauch, der kein Gluten verdauen kann, ihnen aber aus seiner Schutzzone heraus bis ins Detail diktieren will, wie sie zu leben haben.

Das jüngste Thema, das die SPD von den Demokraten übernommen hat, ist die Legalisierung der Abtreibung. Die Sozialdemokraten wollen Frauke Brosius-Gersdorf nicht zur Richterin am Verfassungsgericht machen, obwohl sie im Ruf steht, für die Legalisierung der Abtreibung zu sein – sondern weil. Für diese Legalisierung gibt es, zumindest laut Umfragen, eine Mehrheit. Doch die Sozialdemokraten haben eine atemberaubend falsche Einschätzung vom Charakter dieser Mehrheit.
Es findet sich vermutlich ebenfalls eine Mehrheit dafür, kranken, leidenden Menschen eine Erleichterung des Sterbens zu ermöglichen. Nur käme niemand auf die Idee, sich auf X dafür zu feiern, dass man wieder jemand um die Ecke gebracht habe. Genau das tun aber Aktivisten aus dem sozialdemokratischen Milieu. Sie feiern den Mord an Ungeborenen als ihren Triumph – weil sie sich durchgesetzt haben. Wieder folgen sie nur ihrer Berliner Logik und verstehen nicht, wie das außerhalb der Blase ankommt. Eine Mehrheit mag zwar dafür sein, einer verzweifelten Schwangeren in prekärer Lage einen Ausweg zu eröffnen. Aber kein vernünftiger Mensch will, dass sie danach den toten Fötus wie eine Trophäe feiert. Nur linke Aktivisten wollen das. Also keine vernünftigen Menschen.

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Von solchen Ideen ist aber die SPD durchdrungen. Auch im Bundestag. Seitdem Malu Dreyer als Vize-Vorsitzende durchgesetzt hat, dass künftige Kandidaten links, weiblich, jung zu sein hätten. Davon ist die im Februar gewählte Fraktion durchdrängt. Das erklärt auch, woher die Abgeordneten kamen, die im ersten Durchgang gegen Friedrich Merz als Kanzler gestimmt haben und so für einen historisch einmaligen Unfall gesorgt haben. Und das, obwohl ihnen Merz in den Koalitionsverhandlungen jeden Wunsch erfüllt hat. Diese neue Generation an SPD-Abgeordneten ist wie ein Einzelkind von Helikoptereltern: Es kriegt alles und trotzt trotzdem. Weil alles zu kriegen, für es der Normalfall ist und Trotzen zu seiner Identität gehört.

Mit dieser Generation an Abgeordneten wird die SPD kein Gespür für Themen mehr finden. Je mehr sie sich in der Koalition gegen die willensschwache Union durchsetzt, desto mehr werden beide Parteien verlieren. Schon jetzt hat die einst „große Koalition“ in den Umfragen keine Mehrheit mehr. Nur ist die SPD eine Funktionärspartei. Für sie ist die Opposition tatsächlich „Mist“, denn da gibt es kaum Posten an die Funktionäre zu verteilen. Wo die SPD das aber auf Dauer nicht kann, da sinkt sie ab wie in Bayern oder Baden-Württemberg.

Die Demokraten können sich das Auf und Ab der Wellen leisten. Im amerikanischen Zwei-Parteien-System. Sie müssen nur lange genug warten, dann schwemmt ein Ab der Republikaner sie schon wieder nach oben. Im deutschen Verhältniswahlrecht sieht das anders aus. Da gibt es auf der rechten Seite der SPD die Grünen, die ihnen ihr altes Erfolgsrezept abgeschaut haben: linkes Gehabe, bei eigenem konservativen Lebensstil, finanziert durch erfolgreiche Raubzüge auf die öffentlichen Kassen. Auf der linken Seite stehen die Linken und greifen mit Maximalforderungen all die Experten ab, die sich selbst für maximal schlau halten und die wie Heidi Reichinnek die Verstaatlichung der Bahn fordern, weil es so gut klingt – weshalb sie sich nicht darum kümmern, dass die Bahn schon dem Staat gehört.

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Weitere linke Parteien stehen vor der Tür: Volt, die grüner sind als die Grünen. Die Piraten oder die Partei – für alle, die Politik nur noch in zynischer Negation ertragen. Anders als die Demokraten wird die SPD nicht automatisch nach oben gespült, falls die Union absäuft. Beide sind verzichtbar. Für beide gibt es Alternativen. Was die SPD in die Verzweiflung treibt, ihre Konkurrenten verbieten zu wollen. Wofür sich ihre Bewerberin fürs Verfassungsgericht ebenfalls schon ausgesprochen hat.

2021 gewann Olaf Scholz für die SPD die Wahl. Wenn auch mit fast 15 Prozent weniger als zuvor Gerd Schröder und etwa 20 Prozent weniger als davor Willy Brandt. Schon das war ein Auf, das niedriger ausfiel als die vorhergehenden Aufs. Das Gleiche gilt für die Abs. Das letzte vor Scholz hatte die SPD 2019. Es führte zum Rücktritt von Andrea Nahles. Damals gab es in der Partei eine Debatte, ob es überhaupt noch richtig sei, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen oder ob das nicht zu peinlich wirke. Momentan rangiert die SPD 15 bis 30 Prozent unterhalb des letzten Abs.

Sie wird sich trotzdem nicht die richtigen Fragen stellen: Warum ein Donald Trump in den USA zweimal Präsident wurde? Warum die AfD in Deutschland gesichert über 20 Prozent steht? Die Antworten darauf würden eine Erkenntnis bringen, die Basis für ein neues Auf sein könnten. Doch wer nicht fragt, bleibt dumm. Lars Klingbeil wird weiter drauf setzen sich durchzusetzen. Gegen den willensschwachen Friedrich Merz kein Problem. Also das Durchsetzen. Aus diesem folgt aber eine sozialdemokratische Politik. Die wird sehr wohl zum Problem für die Partei. Was nur fair ist. Denn für das Land ist das ein noch viel größeres Problem.

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Kommentare ( 128 )

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BellaCiao
11 Tage her

Ein Sinken von 16 % Zustimmung auf 13 % ist übrigens ein Rückgang um 18,75 % (16 * 0,1875 = 13) – nicht etwa ein Rückgang um 3 %.
Ein Wachstum um 18,75 % würde als phänomenal gefeiert werden. Genauso stark ist jedoch auch die Leistung beim Schrumpfen.

BellaCiao
11 Tage her

SPD, jetzt Kurs halten. Die 10-%-Marke ist in Sichtweite.

Lizzard04
11 Tage her

Auch wenn es schade ist, aber bei 10 Prozent dürfte der Boden erreicht sein. Bürgergeldempfänger und NGOs gehen denen sicher nicht von der Stange!

Enrico
12 Tage her

Sie (die SPD) wird überleben. Auch weil viel zu sehr verzahnt in kommunalen Einrichtungen und Behörden, die Amtssesselkissenplattdrücker und Stadtratredenschwinger. Einige BL sind ja immer noch tiefrot (RP, NRW, Saarland, …), da kann passieren was will. Es ist einfach (partiell) noch viel zu viel Substanz vorhanden. Aber mal sehen wie lange noch. 10-11% als Tiefpunkt prognostiziere ich. Drunter gehts nicht (Grund siehe oben). Ich hoffe ich habe nicht recht. Einstellig wäre superschön. Dabei habe ich sie mal gewählt. Aus einer Arbeiterfamilie in blutjungen Jahren vom Vater selig vergattert, dann durch die Bildungsoffensive durch Brandt/Schmidt (BAföG) studieren können und den Dank… Mehr

Fieselsteinchen
12 Tage her

Ei wei, jetzt hat mir doch der gute alte Freud einen Streich gespielt. Beim schnellen Überlesen prangte die Überschrift “Die SPD stinkt und sinkt…”. Ich hoffe guten Herzens, dass ich (nicht) allein mit meinem schludrigen Leseverhalten stehe.

Siggi
12 Tage her

Dass die Wahlmanipulation noch ausgebaut wird, dürfte unter4 den gegebenen Umständen logisch sein. Deshalb sollte man ein Online-Wahl-Lokal einrichten, bei der jede IP nur einmal abstimmen kann (so wie hier bei den Zustimmungen etc.). DAs hätte zwar keine rechtliche Relevanz, aber man könnte die Abweichungen zwischen Sein und Schein aufdecken.

Vielleicht ein Ansatz an die Redaktion, so etwas hier zu installieren. Das dürfte kein Hexenwerk sein, sit die Struktur ja bereits vorhanden, würde aber sehr viel Aufmerksamkeit bringen. Just my 2 cents.

Wunderland
12 Tage her

Merkel hat in der Koalition die SPD sich thematisch totsiegen lassen. Vielleicht schafft es Klingbeil (oder wer war Kanzler?), nicht nur die SPD unter die 10% Prozent Marke zu führen, sondern dabei gleich noch die CDU mit in den Abgrund zu reißen.

Regina Lange
12 Tage her

Hauptsache sie bringen ihre linksradikale Richterin in Amt und Würden. SPD und Grüne halten sich doch sowieso für den Nabel der Welt, sonst würden sie nicht ständig und mit einer derartigen Penetranz die Klappen soweit aufreißen! Dass ihnen das nicht hilft, haben sie noch immer nicht registriert! Die roten Scheuklappen sind blickdicht!

Alf
12 Tage her

Die SPD sinkt und sinkt und sinkt.
CDU und CSU sind schon weiter.
Sie sind bereits untergangen.

HavemannmitMerkelBesuch
12 Tage her

Leider beleuchtet der Artikel nicht die aus Sicht der Gutmenschlichverblödeten Einparteienhansels aller Parteien außerhalb der AfD, die sich mit Brandmauern in eine Zwickmühle begaben, die eben existiert, wenn man faktisch aus Deutschland ein Einparteiensystem machte. Die daraus automatisch auflaufenden dramatischen Zwänge, mißachtet der Autor komplett. Denn anders als in den USA haben wir ja ein von allen Altparteien erklärtes Einparteiensystem, in dem der Wähler, dessen gewählte Verteter der AfD von allen anderen von allem Anderen abgehalten und übervorteilt wird, ein tatsächliches Einparteiensystem, wie es in der DDR vollkommen normal war. Da wurde eben nichts mehr zur Wahl gestellt an den… Mehr

Last edited 12 Tage her by HavemannmitMerkelBesuch