Die Bundeswehr-Krise: Zu viele Bürokraten, zu wenig Soldaten für den Kampfeinsatz

Laut dem Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel ist die Hälfte der Bundeswehrsoldaten im Ernstfall für einen Einsatz an der Front nicht mehr geeignet. In einem Interview schlägt der Professor für Militärgeschichte Alarm und fordert tiefgreifende strukturelle Veränderungen.

picture alliance / teutopress | -
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel beklagt den Zustand der Bundeswehr.

„Mehr als 50 Prozent unserer Soldaten sind nicht in der direkten Auftragserfüllung tätig“, so Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Viele seien in Verwaltungsapparaten, Stäben oder Ministerien gebunden – weit entfernt von der kämpfenden Truppe. Zwar könne ein Teil im Krisenfall unterstützend tätig werden, ein großer Anteil jedoch sei „für einen Einsatz an der Front nicht mehr geeignet – körperlich, handwerklich oder schlicht zu lange von der Truppe entfernt“, sagt Neitzel im Gespräch mit der Welt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe zwar mehr Bewegung in das Ressort gebracht als seine Vorgänger, räumt Neitzel ein. Doch an den zentralen strukturellen Problemen habe sich nichts geändert. „Ohne politischen Willen – und zwar parteiübergreifend – bleibt jede Reform Stückwerk“, so seine Einschätzung.

Auswertung des Bundesrechnungshofes
Die Schreibtischkrieger: Zu viel Führung, zu wenig Soldaten in der Bundeswehr
Ein besonders brisantes Detail: Der Anteil der Offiziere in der Bundeswehr ist mit 22 Prozent laut Neitzel fast dreimal so hoch wie im Kalten Krieg. „Wir haben heute genauso viele Oberstleutnante wie Hauptgefreite. Das ist ein absurdes Ungleichgewicht.“ Trotz dieser Schieflage sei im Verteidigungsministerium kein struktureller Umbau in Sicht. Reformvorschläge würden regelmäßig im Verwaltungsapparat versanden.

Neitzel fordert eine tiefgreifende Personalstrukturreform: „Oben kürzen, unten stärken.“ Konkret schlägt er vor, 30.000 Offiziere und Unteroffiziere frühzeitig in den Ruhestand zu versetzen, um Platz für neue, einsatzfähige Kräfte zu schaffen.

Zu viel administratives Personal

Zum Vergleich: Israel betreibt seine Armee mit nur 25 Prozent administrativem Personal, Deutschland hingegen mit über 50 Prozent. „Eine Organisation, in der die Mehrheit nicht am eigentlichen Auftrag arbeitet, kann nicht effizient funktionieren“, warnt Neitzel.

Auch das Rekrutierungsziel verfehlt die Bundeswehr weiterhin deutlich. Statt der anvisierten 203.000 Soldatinnen und Soldaten stagniert die Zahl bei 181.000 – trotz intensiver Werbekampagnen, Social-Media-Offensiven und gesenkter Eignungskriterien. Um das von der NATO geforderte Verteidigungsniveau zu erreichen, müsste Deutschland laut Pistorius mindestens 50.000 bis 60.000 zusätzliche Kräfte aufbauen. Ein Ziel, das angesichts der aktuellen Struktur kaum erreichbar scheint.

Neitzels Fazit fällt ernüchternd aus: „Es gibt kein klares Konzept, keine ehrliche Analyse – nur wachsende Frustration in den Reihen der Truppe.“ Ohne mutige politische Entscheidungen drohe der Bundeswehr dauerhaft der Verlust ihrer Einsatzfähigkeit.

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Kommentare ( 54 )

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54 Comments
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Memphrite
1 Monat her

AfD Parteimitgliedern wird die WBK entzogen, müssen bzw. dürfen die nun auch an der Waffe ausgebildet werden? Fragen über Fragen 🙂

Monostatos
1 Monat her

Ich wünsche mir ausdrücklich, dass solche „MilitärexpertINNEN“ wie Sönke Neitzel, Claudia Major, Roderich Kiesewetter, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und deren bellizistische GesinnungsgenossINNEN unverzüglich an die ukrainische Ostfront entsandt werden, um dort ihre Kampffähigkeit an Ort und Stelle höchstpersönlich unter Beweis zu stellen. Jede KriegstreiberIN weniger ist ein Schritt auf dem Weg zu einer friedfertigen Gesellschaft.

Teiresias
1 Monat her

Stückpreise:
Abrams-Panzer: 8-10mio$,
Leopard 8: 29mio$.

Die „deutschen“ Rüstungskonzerne sind allesamt in amerikanischer Hand (z.B. Blackrock), teils mit französischer Beteiligung.

Angesichts absurd überhöhter Preise liegt der Verdacht nahe, daß es bei der deutschen Aufrüstung weniger um Kampfbereitschaft geht, sondern es vielmehr um eine Umverteilung von Schulden geht mit Waffen als Gegenstand der Geldwäsche.

Schliesslich muss Geld im Sinne der Banken dahin fliessen, wo die Schulden sind.
Mit diesen Waffenkäufen zu Mondpreisen steigen deutsche Schulden um 1000mrd €, die Bilanzen der USA und Frankreichs werden entsprechend verbessert, weil da die Extremgewinne hinfliessen.

Last edited 1 Monat her by Teiresias
old man from black forrest
1 Monat her

Der Vergleich der bunten Wehr mit der Armee von Israel ist hier nicht statthaft. Die von Israel ist nämlich im Dauerkriegseinsatz und effizient vom „learning by doing“. Im Übrigen war der Tross in der Etappe notwendiger weise schon immer größer dimensioniert als das Kanonenfutter an der Front. Speziell im 1.WK.

alter weisser Mann
1 Monat her

Speziell im 1.WK war die kämpfende Truppe anteilig noch deutlich höher als in späteren Kriegen.

Der Person
1 Monat her

„Mehr als 50 Prozent unserer Soldaten sind nicht in der direkten Auftragserfüllung tätig.“

Ja, dieses Verhältnis nennt man Tooth-to-tail ratio und die ist bei modernen Armeen eher bei 1:3 oder gar 1:5, d.h. auf einen Frontsoldaten kommen 3 bzw. 5 Leute in der Etappe. Wieso fragt man nicht wirkliche Experten, also Militärs? Neitzel dagegen ist Historiker, das ist ein reiner Theoretiker.

Franz Schroeder
1 Monat her

Die Frage ist doch die, wen oder was soll diese Bundeswehrtruppe eigentlich mit dem Einsatz ihres Lebens verteidigen? Eine Bevölkerung, der man die Liebe zum eigenen Land Generation übergreifend aberzogen hat, eingebläut hat, wie schlecht sie sind und deren Kinder noch nicht einmal Cowboy und Indianer spielen durfen und die alleinerziehenden Mütter von Torben, Kevin und Sören und Nele verboten haben mit Pfeil und Bogen zu schießen……. Wie zum Teufel sollen die den Wunsch haben, im Krieg andere Menschen zu töten um irgendwelchen Großkopferten den Ars… zu retten? Eine Bevölkerung, die zu einem Drittel aus Menschen besteht, die gar nicht… Mehr

Edwin Rosenstiel
1 Monat her

Wie im Fußball, bei jeder Weltmeisterschft: es gibt 83 Millionen Bundestrainer und nur 11 Spieler, die nach deren Meinung alles falsch machen. In jedem Betrieb gibt es zahllose Mitarbeiter, die glauben, sie könnten die Arbeit des Chefs besser, und wüßten auch alles besser. Schon im Mittelalter, auch jetzt in der Ukraine, mußte der Adel, um seine Kriege führen zu können, die Gemeinen zum Waffendienst pressen, weil die nur in Ruhe leben wollten, und ihr Land bestellen oder ihren Geschäften nachgehen. Die Bundeswehr hat einen Wasserkopf an Sesselfurzern, die nicht aus den gewohnten Bahnen kommen, da sie ja überflüssig werden könnten,… Mehr

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Na, wer würde nicht lieber in Bonn am Rhein ein ordentlich geheiztes Büro einem unangenehm nass-kalten Truppenübungsplatz vorziehen wollen? Und dann diese Geknalle, der Pulverdampf, der Dreck. Dann lieber Etappenhengst, um mal dieses schöne alte Wort mal wieder zu benutzen.
Und auch die Bezahlung und die Pension eines Oberstleutnants ist besser als die eines Hauptgefreiten, schließlich war so ein Posten früher mal typischerweise für Bataillonskommandanten bestimmt, denn darüber gibt es nur noch Obristen und Generäle.
Mein Vorschlag: ab ins Gelände mit 90 % des Ministeriums. Ein bisschen Geländesport hat noch keinem geschadet. Drehstuhlhusaren blockieren eher als dass sie nützen.

Last edited 1 Monat her by Wilhelm Roepke
Haba Orwell
1 Monat her

> Laut dem Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel ist die Hälfte der Bundeswehrsoldaten im Ernstfall für einen Einsatz an der Front nicht mehr geeignet.

Die letzten Jahre ist Buntschland zu allen möglichen Fronten bis hin zum Hindukusch gerannt – einfach damit aufhören. Ansonsten wurde NS gesprengt, wovon Buntschland nicht mal was wissen will. „Gäste“ übernehmen zunehmend den Laden – ob die Bunteswehr dagegen helfen möchte? Manche haben Messer, sehr gefährlich.

Leopold Schmidt
1 Monat her

Professor Neitzel ist ein kluger Mann. Der einzige Militärhistoriker im Land. Aber sein Denken bleibt in engen Grenzen verhaftet. Er fragt nicht nach dem Sinn. Daher: Sterben in der Ukraine für Herrn Bundeskanzler Merz, weil dort unsere Freiheit verteidigt wird? Nun, meine Freiheit jedenfalls nicht. Sterben auf der Westbank oder in Gaza wegen Deutschlands Staatsraison (übersetzt: Der Grund für unsere Existenz, unser Sein). Auch hier: Mein Existenzgrund ist das nicht – da kann unsere Ex-Kanzlerin noch soviele Reden halten. Und wie steht eigentlich der wachsende muslimische Bevölkerungsanteil in der Bundeswehr zu dieser Idee? Sterben an der Ostfront, wenn 2028 der… Mehr

Haba Orwell
1 Monat her
Antworten an  Leopold Schmidt

> Sterben in der Ukraine für Herrn Bundeskanzler Merz, weil dort unsere Freiheit verteidigt wird? Es gibt alternative Medien, wo solche Narrative widerlegt werden: https://uncutnews.ch/oh-la-la-putin-laesst-wahrheitsbombe-auf-macron-fallen/ > „… Die grosse Täuschung, die Macron und andere, darunter die EU-Spitzenbeamten Ursula von der Leyen und Kaja Kallas sowie Mark Rutte von der NATO, projizieren, ist dabei, Europa zu zerstören. …“ So offen wird das aber nicht zugegeben: > „… wenn Macron und alle NATO-Staaten das täten, würden sie ihre Schuld an der Entstehung des grössten Krieges in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg eingestehen. Die politischen und rechtlichen Auswirkungen wären für Macron und die… Mehr

Westfale
1 Monat her
Antworten an  Leopold Schmidt

Sehr geehrter Herr Schmidt,
ich bitte um Entschuldigung.
Den „Daumen runter“ habe ich Ihnen fälschlicherweise verpasst, sollte nicht sein.
Im Gegenteil.
Ihre Einschätzung ist stichhaltig.

joly
1 Monat her

Seit die Grünen unter Fischer Krieg spielen, haben sie sich offensichtlich per Tarnanzug überall breit gemacht. Sogar bei der BW scheinen diese Tarnenden der Friedensapostelpartei sich wie die Viren zu vermehren.
„Stell Dir vor es ist Krieg und alle sind getarnt unter dem Schreibtisch“
Destruktiver geht es nicht.