Frankreich versucht sich am Haushalt

Frankreich steht vor einer Zerreißprobe. Am Dienstag legte Premierminister François Bayrou ein Sparprogramm vor, das die maroden Staatsfinanzen vor dem Kollaps bewahren soll. Die politische Blockadearbeit setzte unmittelbar ein.

picture alliance / abaca | Lafargue Raphael/ABACA

Frankreich hat sich über lange Zeiten hinweg den Ruf der Unregierbarkeit erarbeitet. Das Land trat in der Vergangenheit immer wieder den Beweis für die These an, dass parlamentarische Demokratien im Prinzip fiskalisch nicht reformierbar seien. Ausgabenkürzungen in den Sozialbudgets führten in der Regel zum sicheren politischen Tod der Initiatoren. In einem Land, das seine Sozialversicherungen zum allverantwortlichen Staat im Staate erhoben hat, ist dies politischer Suizid.

In ihrem Vorkrisenstadium mutieren postmoderne Demokratien zu illusionären Sozialkörpern, deren innerer Friede zu einem großen Teil auf kostspieligen, schuldenfinanzierten Sozialgeschenken beruht. In Frankreich finden daher geplante Kürzungen der Sozialbudgets regelmäßig in brennenden Großstadt-Banlieus ihr verschämtes Ende.

Neues Spiel, neues Glück

Nächster in der Reihe der politischen Suizidkandidaten ist nun also Premierminister François Bayrou. Dieser hatte dem Parlament am Dienstag ein erstes Paket zur Konsolidierung der maroden Staatsfinanzen vorgelegt. Mit Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro plant er die angedrohten EU-Sanktionen abzuwenden und das Haushaltsdefizit von 6,1 Prozent aus dem vergangenen Jahr auf zunächst 4,6 Prozent im Jahr 2026 zu reduzieren.

Zieht man als Richtmaß der Neuverschuldung eines Staates die längst vergessenen und verwaisten Maastricht-Kriterien zu Rate, so würde Frankreich auch im kommenden Jahr die Marke von drei Prozent deutlich überschreiten. Das Land, das sich zur Befriedung seiner zahlreichen sozialen Krisen, denken Sie an die Migrationsproblematik, eine Staatsquote von 57 Prozent erlaubt, wäre also noch immer weit von fiskalpolitischer Normalität oder ruhigerem Fahrwasser entfernt.

Alles schön und gut, aber…

Flankierend zu den geplanten Kürzungen der Sozialbudgets soll bis einschließlich 2026 auf Rentenerhöhungen verzichtet werden. Zudem ist geplant, zwei Feiertage zu streichen, um die Produktivität der darniederliegenden französischen Wirtschaft anzuheben. Aus ökonomischer Sicht wäre wohl eine Politik, die privatwirtschaftliche Investitionen anreizt, das geeignetere Format. Aber wir reden von einer von Brüssel inspirierten Regierung und sollten an dieser Stelle nicht zu viel erwarten.

Auch der öffentliche Dienst soll seinen Beitrag leisten. Ein Drittel der durch Verrentung offenen Beamtenstellen, also etwa 3000, sollen nicht wieder besetzt werden.

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Allein dieses Maßnahmenpaket dürfte genügen, die Opposition von links wie rechts auf die Barrikaden zu bringen. Sie dürfte den Moment der Krise nutzen, um die Regierung öffentlich massiv unter Druck zu setzen. Denn auch im Gesundheitswesen sollen fünf Milliarden Euro eingespart werden. Weitere zehn Milliarden Euro soll eine Sondersteuer für Wohlhabende und Großunternehmen einbringen. Die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom steigt ab August von 5,5 auf 20 Prozent. Flugtickets werden ebenfalls höher besteuert.

Um sein Maßnahmenpaket auf den Weg zu bringen, versucht Bayrou, das zersplitterte Parlament, das in der Vergangenheit jede Reformbemühung paralysierte, mithilfe des Verfassungsartikels 49.3 zu umgehen. Und genau hier entzündete sich unmittelbar der politische Streit, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Blockade der Reform führen wird.

Routinemäßige Fundamentalopposition

Frankreichs Opposition reagierte auf Premierminister Bayrous Sparprogramm, wie zu erwarten, mit scharfer Ablehnung. Die linke La France Insoumise brandmarkte die Maßnahmen als Angriff auf die soziale Sicherheit und verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Einfrieren der Renten und Sozialleistungen. Jean-Luc Mélenchon nannte es „eine Abrechnung mit den Schwächsten“, die soziale Spannungen schüre. Das rechtsnationale Rassemblement National unter Marine Le Pen kritisierte die Steuererhöhungen, etwa auf Gas, Strom und Flugtickets, als Belastung für die Mittelschicht, während Großkonzerne „zu milde“ behandelt würden.

Beide Lager vereint die Empörung über Bayrous Einsatz von Artikel 49.3 – ein „demokratischer Affront“, so Le Pen.

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Die Mitte-rechts-Republikaner zeigten sich gespalten: Einige begrüßten die fiskalische Disziplin, andere warnten vor wirtschaftlicher Stagnation. Proteste wurden angekündigt, während Misstrauensvoten gegen Bayrou, die zuvor scheiterten, erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden könnten. Die Opposition wird den Protest also auf die Straße tragen, soviel ist sicher. Frankreich steuert auf turbulente Wochen zu.

Es ist parteipolitischer Opportunismus, der die Paralyse des Landes auf groteske Weise verfestigt. Jede der Oppositionsparteien wittert in einer Haushaltskrise die Chance auf Neuwahlen und potenziellen Machtzuwachs. In diesem Modus kann das Land die lähmende Polarisierung nicht überwinden und zu einer rationalen Lösung der Haushaltskrise finden.

Nebel lichten sich

Klar ist, alle Seiten und soziale Gruppierungen müssten zur Lösung dieser Krise beitragen und zu schmerzhaften Zugeständnissen bereit sein. Es kann angesichts der Dramatik der Schuldenlage des Landes keine Privilegierungen mehr geben. Auf lange Sicht muss der gigantische Staatsapparat zurückgebaut werden – das kennen wir aus Deutschland.

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Da sich letzten Endes jedoch, neben dem politischen Patt und dem Parteienopportunismus, die soziale Krise des Landes wiederkehrend in Straßenkämpfen manifestieren wird, ist nicht damit zu rechnen, dass Frankreich ohne materiellen Druck vom Kapitalmarkt auf einen Austeritätspfad einschwenken wird. Das drohende soziale Schmerzniveau übersteigt die politischen Konsenspotenziale bei weitem.

Es ist daher durchaus möglich, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten eine Antwort auf die Frage erhalten werden, wo genau die nächste Staatsschuldenkrise in Europa ihren Ausgang nehmen wird. Und die Wetten stehen nicht schlecht, dass diesmal Paris den ersten Funkenschlag für einen fiskalpolitischen Flächenbrand liefern könnte.

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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BK
27 Tage her

Was die Finanzen betrifft, braucht es heute eine auf KI beruhende Budgetierung. Dass Politiker darüber entscheiden, die vorher vielleicht im Range eines Anwaltsgehilfen oder Start-up Praktikanten beschäftigt waren, reicht als Qualitätsmerkmal leider nicht aus. Schließlich wird kontinuierlich übersehen, dass Schulden keine Guthaben oder Sondervermögen sind. Mit dem Euro hat sich Deutschland ein weiteres Problem aufgebürdet. Demnächst dürfen wir dann auch noch Bulgarien am Tisch begrüßen. Darum ist auch Eile bei der CBDC geboten, denn wenn die Krise beginnt, werden auch wieder ein paar Banken wanken. Haben Sie Geld bei einer französischen Bank, falls ja, dann ziehen Sie es ab.

Ahnungslos
27 Tage her

Wir stehen vor einer zwiespältigen Situation. Einerseits haben die jetzigen Fiat-Geld-Systeme vieler westlicher Länder tatsächlich ihren Zyklus durchlaufen und die Schulden machen sie immer fragiler und untragbarer, andererseits reiben sich die Globalisten die Hände. Es müßten einschneidende Reformen her, um einen Kollaps zu verhindern aber ich werde das Gefühl nicht los, daß die Globalisten genau das vermeiden wollen. Eine so erzeugte Notsituation wird dann genutzt, um die Transformation durchzusetzen und die Bürger völlig zu enteignen. Mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlagen! Die Umweltbewegten jubeln, weil das einfache Volk nun endlich nicht mehr in den Urlaub fliegen kann, Fleisch essen kann… Mehr

Kuno.2
27 Tage her

Auch Frankreich hat in Milliardenhöhe Kriegsmaterial an die Ukraine geliefert. Und das soll jetzt wieder „eingespart“ werden?

Haba Orwell
27 Tage her

> Ausgabenkürzungen in den Sozialbudgets führten in der Regel zum sicheren politischen Tod der Initiatoren. In einem Land, das seine Sozialversicherungen zum allverantwortlichen Staat im Staate erhoben hat, ist dies politischer Suizid.

Warum noch mal sollten soziale Kürzungen leicht sein, damit man die Kohle den Banderas und US-Oligarchen schicken kann?

Konradin
27 Tage her

Hinzu kommt, dass Frankreich in diesem Jahr 2025 erstmal seit 1944 ein Geburtendefizit erwartet wird. Das was Deutschland seit 1972 bedrückt und dessen Folgen wir nun immer drastischer in allen Facetten spüren konnte jenseits des Rheins auch aufgrund hoher afro-arabischer Einwanderung mit entsprechenden hohen Geburtenraten bis heute lange hinausgezögert werden. Die Folgen dieses Bevölkerungsaustauschs im ehemaligen Reich der Franken sieht man – wenn darüber aus bekannten Gründen auch selten bis gar nicht in den Alt- und Staatsmedien Deutschlands berichtet wird – in Paris, Marseille. Lille, etc. in zunehmender und unterhaltsamer Regelmäßigkeit. Frankreichs demografische Dividende der letzten 50 Jahre, auf die… Mehr

Last edited 27 Tage her by Konradin
Punti
28 Tage her

Und wenn der Autor noch nachvollziehbar erklärte, wie Austeritätspolitik zu Wachstum führt, dann könnte man zumindest darüber nachdenken, den Beitrag ernst zu nehmen.

Holger Wegner
28 Tage her

Bei uns macht man es so, dass man den Haushalt kürzt, weil man ja ordentlich einsparen werde (z.B. Bürgergeld), die Einsparung aber gar nicht versucht, sondern hinterher per Nachtragshaushalt überzieht, konnte man ja vorher nicht wissen

H. Hoffmeister
28 Tage her

Alle wohlstandsverwahrlosten, oft grünwoke zugrunderegierten Volkswirtschaften (USA, praktisch alle EU-Länder, Japan) sind nicht mehr reformierbar, weil der überwiegende Teil der Bevölkerung zu Transferempfängern mutiert ist (direkt als Teilnehmer im Wohlfahrtssystem, öffentlich Bediensteter oder Abhängiger von Subventionsbazookas). Die Unterbrechung dieses gewaltigen cash flow würde millionen direkt oder indirekt staatsalimentierte Wutbürger erzeugen. Also geht das Drucken weiter, bis der crash da ist.

Autour
28 Tage her

In Frankreich einem von den Bürgern her vollkommen kommunistischem Land gibt es 3 goldene Regeln!
Die erste lautet: ES IST SO!
Die zweite lautet: ES WAR SCHON IMMER SO!
Und die dritte: ES WIRD AUCH IMMER SO BLEIBEN!
Nach dieser Devise lebt der Franzose vor sich hin und lässt den Kohlfresser für sich zahlen….
Frankreich hat noch nicht EINE Reform zu Stande gebracht, die den Bürgern auch nur irgendetwas hätte abverlangt! Frankreich ist mit dieser Bevölkerung UNREFORMIERBAR!

Mikmi
27 Tage her
Antworten an  Autour

Da muss ich ihnen leider Recht geben, so sind die Franzosen, auch wenn das einige nicht hören wollen.

Autour
27 Tage her
Antworten an  Autour

Tja vielleicht sollten doch mal einige der Negativbewerter mal ein, zwei Jahre in diesem komunistischen Land leben…. dann würden sie verstehen, was da überhaupt los ist! In Frankreich gibt es KEINE Unternehmer! Wer Mehr als 5 Angestellte hat ist ein … Kapitalist der mit allen Mitteln bekämpft werden muss… Gut der Autropreneur wird gefeiert… das sind dann „Selbstständige“ die nicht mehr auf der Tasche des Staates leben… und gerade genug zum überleben verdienen… Und so geht es weiter und weiter … ach ja und gegen die Gewerkschaften geht sowieso rein gar nichts! Aber das erklärt auch immer die positiven Kommentare… Mehr

Raul Gutmann
28 Tage her

Großartige Analyse sog. westlicher Demokratien. Chapeau!