Friedrich Merz: Einfach, klar und geradeheraus

Friedrich Merz wollte alle jene Lügen strafen, die sagten, er wäre schwach und unentschlossen. Vor lauter Entschlossenheit, diesmal entschlossen zu wirken, überhörte er den tatsächlichen Sinn einer Frage. Selten hat sich jemand in einem Augenblick so umfassend selbstdemontiert.

Imago/ dts Nachrichtenagentur

Manchmal konzentriert sich alles in einem einzigen Augenblick. So wie bei der parlamentarischen Fragestunde nach der Generaldebatte am 11. Juli.

Merz wollte einmal vor großem Publikum im Bundestag entschlossen wirken. Doch seine Eitelkeit, seine offensichtliche Unfähigkeit, Situationen, Stimmungen und Menschen richtig einzuschätzen zu können und sein Wissen, dass er als schwach gilt, als jemand der Gesagtes schon bei der leisesten Kritik sofort in das Gegenteil verkehrt, führten zu einer bemerkenswerten und wahrscheinlich irreversiblen Selbstdemontage. Beatrix von Storch stellte eine Merz einfache, für jeden nachvollziehbare Frage zu seinem Grundverständnis von Menschenwürde und Humanität.

Zunächst antwortete Merz arrogant, indem er von Storch und der AfD grundsätzlich das Recht absprach, über dieses Thema überhaupt sprechen zu dürfen: „Über die Tragweite und die Reichweite von Artikel 1, Satz 1 unseres Grundgesetzes, Frau von Storch, würde ich bei anderer Gelegenheit dann gerade mit Ihnen gerne mal diskutieren“. Aus Merz‘ Mund ist das natürlich blanker Zynismus, da gerade er jede Auseinandersetzung, ja sogar jedes Gespräch mit der AfD verweigert und deren Abgeordnete wie Parias behandelt. In seiner Überheblichkeit überhörte er den Subtext der Frage von Storchs.

“Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist. Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen, wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des § 218 abstimmen wird?“

DER PODCAST AM MORGEN
Sternstunden und Ungeheuerlichkeiten im Parlament - TE-Wecker am 12. Juli 2025
Die eigentliche Frage dahinter ist: Bis wann darf man töten? Und aus dieser Frage folgt zwingend – ebenfalls im Subtext deutlich erkennbar: Ab wann darf man dann töten? Den Abgeordneten der Union war dieser Subtext, bedenkt man deren Reaktion, ganz offensichtlich klar. Es nichts anderes, als das Öffnen des Tors zur Hölle, von dem Roland Tichy im Gespräch mit Holger Douglas spricht.

Merz aber wollte in seiner Eitelkeit Storch mit einer klaren, ebenso einfachen Antwort vorführen und abkanzeln. Und antwortete schlicht mit „Ja“. Was er nicht bedachte: Diese Antwort würde das letzte spärliche konservative Selbstverständnis ad acta legen. Sichtlich selbstzufrieden wandte er sich in Erwartung stürmischen Applauses für seinen rhetorische Meisterleistung seiner Fraktion zu, der allerdings bis auf vereinzeltes verhaltenes Klatschen ausblieb.

Merz ist, auch wenn er Kanzler bleiben sollte, bereits gescheitert. Noch nie hat ein Kanzler so grundlegend versagt wie er. In dieser Angelegenheit schaffte er es sogar gleich zwei Mal. Zuerst, indem er diese Kandidatinnen Brosius-Gersdorf und Kaufhold überhaupt akzeptierte, anstatt dem Koalitionspartner deutlich zu machen, dass diese bei der Union nicht durchgesetzt werden könnten. Schon das zeigt seine Schwäche. Das zweite Versagen war, dass er es für ausgeschlossen hielt, dass selbst die ja nicht durch übertriebenen Mut bekannte CDU/CSU-Fraktion ihm bei dieser Selbstmord-Aktion nicht folgen würde.

Bemerkenswert ist jedoch, dass offensichtlich vielen Abgeordneten erst durch Anrufe und Mails ihrer Wähler der Ernst dieser Situation überhaupt klar wurde. Das ist ein deutlicher Erfolg der liberal-konservativen neuen Medien, die mittlerweile anscheinend größer Reichweite, auf jeden Fall aber mehr Glaubwürdigkeit zu besitzen scheinen, als die Staatsmedien. Diese hatten und haben nicht, kaum oder unvollständig über die Vorgänge rund um die Richterwahl berichtet.

Ebenso überraschend ist Widerstand aus dem deutschen Episkopat, der sich gewöhnlich nicht mit Kritik gegenüber linker Politik hervortut, dafür aber die Brandmauerrhetorik gern mitbedient. Die Stellungnahmen der Bischöfe, die sich zu Wort meldeten, sind inhaltlich von der Kritik aus den Reihen der AfD eigentlich nicht zu unterscheiden. Und das ist etwas, dass die opportunistischen Bischöfe bisher gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser.

Merz hat sich durch diese Unbedachtheit wahrscheinlich so geschwächt und demontiert, dass er sich davon nicht mehr erholen wird.

Brosius-Gersdorf, das trojanische Pferd des linken Kulturkampfs

Die von Merz gedeckte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf steht für einen kollektivistischen Justiz- und Gesellschaftsumbau. Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie würden unrettbar zerstört werden. Sie hält das Ehegattensplitting für verfassungswidrig. Die kostenlose Mitversicherung von Ehegatten? Weg damit. Kruzifixe im Klassenzimmer? Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Kopftücher im Staatsdienst? Selbstverständlich erlaubt. Mit Brosius-Gersdorf würde ein tief kulturrevolutionärer Geist ins Bundesverfassungsgericht einziehen. Und Merz wollte und will dem wahrscheinlich noch immer die Tür öffnen.

Dass Friedrich Merz überhaupt Kandidatinnen der SPD abnickt, die selbst in den Reihen der Sozialdemokratie als Vertreterinnen der extremen Linken gelten, zeigt, dass dieser Kanzler keine Autorität hat. Merz wollte den Kulturkampf vermeiden. Tatsächlich hat ihn erst voll entfacht. Er wollte die AfD stellen und wurde von ihr vorgeführt.

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Kommentare ( 145 )

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Sabine M
1 Monat her

Ich sage nur eines: laut Grundgesetz sind die Abgeordneten des Bundestags nur an ihr Gewissen gebunden. Möge jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Ich kann nur feststellen, daß sie meisten Menschen in Deutschland kein Gewissen mehr haben, sich aber in der gesamten Welt als die übermoralischste Instanz darstellen, der alle zu folgen haben. Wie vermessen und arrogant. Genauso wie vor einigen Jahrzehnten, der Faschismus ist wieder auferstanden.

Peter Steinbacher
1 Monat her

„Merz hat sich durch diese Unbedachtheit wahrscheinlich so geschwächt und demontiert, dass er sich davon nicht mehr erholen wird.“ Doch, würde er, denn es gibt eine Menge willfähriger Büchsenspanner im Parteiapparat der Xdemokraten (aka „CDU“), die alles dafür Notwendige arrangieren werden. Trotzdem schreibe ich „würde“ – denn Murks äh Merz hat einen (immer noch) sehr mächtigen Feind in seiner Parteifreundin Merkel. Deren – Hass, muss ich sagen, gegen jeden, der ihr heiligmäßiges politisches Erbe einer Revision zu unterziehen sich anheischig macht, und sei es noch so zaghaft und bloß verbal, sprengt nach meinem Eindruck jede bürgerlich-bräsige Vorstellungskraft, und ist ihrer… Mehr

Dieter Rose
20 Tage her
Antworten an  Peter Steinbacher

Was heißt „unbedacht“ – eine klare Stellungnahme war das. Politikern muss klar sein, dass das, was sie sagen auch als klare Aussage zu betrachten ist (Punktum).

Birgit
1 Monat her

Betr: ‚JA‘ zur Gewissensfrage Autor T. Punzmann: „Merz hat sich durch diese Unbedachtheit wahrscheinlich so geschwächt und demontiert, dass er sich davon nicht mehr erholen wird.“ — Das Wort ‚Unbedachtheit‘ möchte ich hier durch ‚Spontanität‘ ersetzen. Grund: Unser angeblich „christlicher“ Oberhäuptling wurde von einer Frage überrascht, auf die er ganz wacker und ohne vorherige Beratung antworten musste. Und diese Antwort fiel – eben spontan – so gar nicht C!!DU-mäßig aus. Was die erstaunt bis z. T. entsetzten Gesichter seiner offensichtlich doch noch ethisch fühlenden Fraktions-Kumpels entsprechend wenig goutiert haben, hm. ► Damit hat sich ein narrzistisch-egomaner Macht-Money-Mainset-Macher geoutet – ungewollt.… Mehr

Last edited 1 Monat her by Birgit
Dieter Rose
20 Tage her
Antworten an  Birgit

Kannten die ihren zukünftigen Chef so wenig? Den Wählern kann man Zustimmung aus dem Bauch heraus ja nicht verübeln…

Astrid
1 Monat her

Wer jetzt nicht aus der CDU austritt macht sich moralisch schuldig, ganz klar. Die angeblich christliche Partei hat hier die Schraube eindeutig überdreht. Herr Merz, der Kanzler zweiter Wahl, ist für das Amt nicht zu gebrauchen und darum muss er schnellsten gehen. DE braucht dringend einen Neustart ohne die SPD, FDP, CDU, CSU, die grüne Partei, die Linken.Mehr gibt es zu diesem Vorfall und dieser Person nicht zu sagen!

Desert Sled
1 Monat her

Nach Merzens Auftritt im Bundestag liegt die CDU jetzt sinnbildlich angeschossen im Todesstreifen an der Brandmauer.
Gratulation an Frau von Storch. Gut gemacht und vielen Dank.

murphy
1 Monat her

Der „Kulturkampf“ den Merz wil,l verschreckt nun doch mehr seiner Parteimitglieder wie gedacht. Schade, dass es diesen Effekt nicht bereits gab, als er Deutschlands weitere Plünderung durch Zwangsschulden & Inflation befahl. Schade das es diesen Effekt nicht gibt, seitdem er Kriegshetze gegen den zuverlässigen Handelspartner Russland betreiben lässt und die Zerstörer von Nordstream 1 und 2 als „unsere Freunde“ bezeichnet. Deshalb gebührt ihm weder Krone noch Hermelinmantel. Merz ist ein kranker Geist.

Ordoliberal
1 Monat her

Je länger der CDU-Wähler Merz‘ Kapriolen beobachtet, desto klarer muss ihm doch werden, dass dieser Mann an einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet: Er kommuniziert nicht mit seiner Fraktion, er kommuniziert nicht mit seiner Partei, er kommuniziert nicht mit seinem Volk, er kommuniziert überhaupt nicht. Er spürt keine Stimmungen. Er kann Menschen nicht lesen. Er hat keine Überzeugungen. Er ist leicht verunsicherbar. Er überschätzt seine Fähigkeiten maßlos. Jede Art von Kritik kränkt ihn bis ins Mark. Er panzert seine labile Persönlichkeit mit Arroganz und Kälte. Er ist feige. Er ist faul. So jemand ist doch kein Anführer. Er ist noch nicht… Mehr

andreashofer
30 Tage her
Antworten an  Ordoliberal

Hart, aber gerecht. Nur: Wie werden wir ihn los? Die Verworfenheit an Lüge mit der Staatsverschuldung ist unübertroffen und diese plumpe Manöver mit der Einwanderung. Das mit der Staatsverschuldung blicken die meisten ganz einfach nicht oder halten die tatsächlich für richtig (!) und dieses Rechts-Blink-Manöver: Ich kenne Akademiker, die ihm das abnehmen.

rolandino
1 Monat her

Merz ist Laschet hoch 3. Was dies bedeutet, kann sich jeder denken.

Simplex
1 Monat her

Verantwortlich für die interne Panne ist der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, politisch gesehen der Fraktionschef.
Die Position von Brosius-Gersdorf ist dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages seit der Anhörung (133. Sitzung,stenogr. Protokoll) zum Gesetzentwurf eines reformierten Schwangerschaftsabbruchs, BT-Drucksache 20/13775, bekannt. Kann auch jeder von bundestag.de, incl. ihrer Stellungnahme im Sitzungsanhang herunterladen. Allerdings waren das die letzten Tage der Ampel,am 10.2.2025.
Ich denke auch, Spahn wollte schnell am Freitag diese Personalie durchwinken, hat aber die Rechnung ohne von Storch gemacht.

Michael Palusch
1 Monat her

„Merz wollte einmal vor großem Publikum im Bundestag entschlossen wirken.“
Was im Videoausschnitt zu sehen ist, sieht mir nicht gerade nach „großem Publikum“ aus.
Offenbar hatten am 11.Juli ca. 50% der Abgeordneten Wichtigeres zu tun, als an der Fragestunde teilzunehmen.
Aber vielleicht „wussten“ sie als fraktionszwangsgestählter, vulgo entmündigter, Parlamentarier auch einfach nur, dass nichts mehr anbrennen sollte.

Last edited 1 Monat her by Michael Palusch