Demokratie verliert Substanz

Das neue Wahlrecht ist eine Hinterlassenschaft der Ampelkoalition mit dem Ziel, den politischen Gegner zu treffen. Das Ergebnis liegt nun vor. 23 in ihren Wahlkreisen direkt gewählte Abgeordnete dürfen nicht in den Bundestag einziehen. Zufall, dass davon 18 der Union und 4 der AfD angehören?

Als „Fest der Demokratie“ hat ein gewisser Scholz Wahlen bezeichnet. Gut, der Mann lebt in seiner eigenen Realität. Obgleich noch immer Kanzler, unterliegt er sozusagen bereits der damnatio memoriae (dem medialen Vergessen): ein absurdes Kunststück in einer an Absurditäten so reichen Republik. Vielleicht der letzte Reichtum dieses Landes. Absurd ist sogar das Wahlrecht.

I.

Unabhängig vom Ergebnis hat die Demokratie Schaden genommen. Das neue Wahlrecht ist eine Hinterlassenschaft der Ampelkoalition mit dem Ziel, den politischen Gegner zu treffen. Das Ergebnis liegt nun vor. 23 in ihren Wahlkreisen direkt gewählte Abgeordnete dürfen nicht in den Bundestag einziehen. Zufall, dass davon 18 der Union und 4 der AfD angehören? Ihre Wahlkreise sind verwaist. Ihre Wähler Wähler zweiter Klasse. Vier Wahlkreise sind gar nicht mehr, auch nicht mehr durch Listenabgeordnete vertreten. Es bleibt ein Missstand, auch wenn das Bundesverfassungsgericht diesem Anschlag auf die demokratischen Grundrechte zugestimmt hat.

II.

Schadenfreude ist die schönste Freude. Das neue Wahlrecht hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die FDP, die dem Gesetz zustimmte, aus dem Parlament verschwunden ist. Eines der dümmsten Eigentore in der Geschichte des Parlamentarismus. Bisher hatten die Liberalen davon profitiert, dass Wähler mit ihrer erste Stimme Union wählten – in der Gewissheit, dass es der Kandidat direkt in den Bundestag schaffen würde, und deshalb die Zweitstimme an die FDP „verleihen“ konnten. Jetzt aber zählt nur noch die Zweitstimme, nichts wird mehr „verliehen“.

III.

Die neue Regel hat solche Nun-doch-nicht-Abgeordneten getroffen, die besonders hart und erfolgreich gekämpft haben. Etwa im Wahlkreis Flensburg-Schleswig, wo sich Petra Nicolaisen von der CDU mit 26,5 Prozent gegen den radikalökologischen Kanzlerkandidaten der Grünen Robert Habeck (22,6 Prozent) durchgesetzt hat. Als besondere Anerkennung dafür muss sie zuhause bleiben. Genauso wie in Augsburg, wo der CSU-MdB Volker Ullrich die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth klar distanzierte und dennoch nicht wieder in den Bundestag einziehen kann. „Das neue Wahlrecht ist unfair und undemokratisch. Verloren haben vor allem meine Wähler und das Vertrauen in die Demokratie.“ Da hat er zweifellos recht.

IV.

Die neue Regel hat die Macht der Parteiapparate gestärkt. Denn nun sind immer die Abgeordneten in der Mehrheit, die ihr Mandat ausschließlich der Platzierung auf den Listen ihrer Parteien verdanken – also den Funktionärskadern. Sie sind existentiell abhängig von ihren Parteien, und deshalb auch von den Fraktionsführungen politisch leichter lenkbar. Ihre Beliebtheit bei den Wählern zählt gar nicht, weil sie ja durchaus auch zu mehr Unabhängigkeit in Berlin führen kann, Stichwort: Fraktionsdisziplin. Zur Erinnerung: Bisher war es so, überstieg die Zahl der Wahlkreissieger einer Partei die Zahl der den Zweitstimmen entsprechenden Mandate, wurden diese „Überhangmandate“ durch Ausgleichsmandate kompensiert. Deshalb wurde das Parlament größer.

V.

Es hätte auch andere Wege zu dessen Verkleinerung gegeben. Etwa so: Alle in den Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten füllen genau die Hälfte des Bundestags. Ohne Ausgleichsmandate. Die andere Hälfte könnte entsprechend der Zweitstimmen vergeben werden. Die Erststimme wäre dann wirklich die Erst-, nämlich die wichtigere Stimme. Die Zweitstimme käme ergänzend hinzu. Die Herrschaft der Parteiapparate würde relativiert. Das wäre allerdings eine Reform mit einer Tendenz zum Mehrheitswahlrecht, das in vielen alten Demokratien wie Großbritannien und Frankreich gilt und Regierungsbildungen enorm erleichtert. Aber wer will das in Deutschland?

VI.

Friedrich Merz hat eine Reform der Wahlrechtsreform auf seine Agenda geschrieben. Er macht die Koalition davon abhängig. Sagt er. Jetzt noch. Und wird, falls es so kommt, einen Preis an anderer Stelle dafür zahlen müssen. Vielleicht wird er die woken NGOs weiterhin mit vielen Millionen bedenken müssen. Die SPD kämpft um die wichtigste Stütze im „Kampf gegen Rechts“. Linke Parteienherrschaft und Zivilgesellschaft haben somit durchaus etwas miteinander zu tun. Sie schreiten Seit an Seit im Kulturkampf gegen die demokratische Normalität.


Unterstützung
oder

Kommentare ( 55 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

55 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
giesemann
8 Tage her

Ob das BVerfg wohl die Aushebelung der Spaßbremse „Grundgesetz“ durchgehen lässt? Ein guter Test für Montesquieu. Man darf gespannt sein. Geht das durch, dann können wir gleich den Russen hier schalten und walten lassen – der hat nämlich auch eine tolle Verfassung – die nicht einklagbar ist, horribile dictu. In diesem Falle wären die geplanten Schulden wg Verteidigung gegen die Russerey eh obsolet. Und wir hätten wieder Öl&Gas. Ist insgesamt viel billiger. Und wir hätten die Chance, den Russen mit unseren „Werten“ zu infizieren, vulgo zu versauen, allez.

Michael Palusch
18 Tage her

Für alle, die sich hier so sehr an die Erststimme klammern und dieser eine Art „höhere Wertigkeit“ zusprechen:
5 der 299 Direktmandate wurde mit weniger als 1/4 der Erststimmen gewonnen,
111 mit weniger als 1/3,
219 mit weniger als 2/5
aber nur ein einziges, in Zahlen 1, mit knapp über 50%, genau mit 50,5% (Bad Kissingen).
Ach so, der schlechteste „Sieger“ gewann sein Mandat mit nur 21,8% der Erststimmen (Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II).

Last edited 18 Tage her by Michael Palusch
hansgunther
18 Tage her

Wir haben ganz andere Sorgen, da oben, wo sehr viel Wind weht sogar von 2 Seiten gleichzeitig, werden die Hirne der CDU geradezu mit Sauerstoff überflutet, dagegen ist die Demokratie völlig nachrangig. 01.03.2025 • 60 Schleswig-Holstein CDU fordert Reform: Sexuelle Identität soll ins Grundgesetz aufgenommen werdenDie CDU in Schleswig-Holstein fordert eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes. Die Partei von Ministerpräsident Daniel Günther möchte Artikel 3 um die „sexuelle Identität“ erweitern lassen und hat dafür gemeinsam mit den Grünen einen Antrag in den Landtag eingebracht. Von Redaktion https://apollo-news.net/wp-content/uploads/2025/03/imago804131138.jpg Die Partei von Ministerpräsident Daniel Günther fordert jetzt eine Bundesratsinitiative. Die CDU in… Mehr

Last edited 18 Tage her by hansgunther
Werner Brunner
18 Tage her

Sehr geehrter Herr Herles !
Damit eine Demokratie an Substanz verlieren kann ,
müsste sie doch vorher existiert haben , oder ?
War sie aber nicht !
Never ever !
Niemand hat den Menschen eines Landes mehr misstraut ,
als die Leute auf Herrenchiemsee .
Vielleicht auch zurecht .

Axel Fachtan
18 Tage her

Der Bundestag muss noch kleiner werden.
Die Parteien liefern für teuer Geld keine Leistung mehr,
sondern nur noch ideologisches Gewäsch.
Ein Bundestag sollte nie wieder mehr als 500 Abgeordnete haben.
Die Direktwahlkreise sollten gestärkt werden und die Listen nur sekundär zum Zuge kommen.
Die USA haben mehr als viermal soviele Einwohner wie Deutschland.
Denen reichen 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus.

rainer erich
18 Tage her

Immer wieder erfrischend ist die Verwendung des Begriffes „Demokratie“, mit der etwas simuliert wird, was de facto nie in einer Form vorhanden war, welche die Bezeichnung verdient haette. Hier kann nichts an Substanz verlieren, weil es dieses nie gegeben hat. Aber natuerlich sind Mythen, die man gerne glaubt, sehr hartnäckig. Zumal die Erkenntnis wie meistens bitter waere. Dann tun wir lieber so als ob. Eines der prägenden Merkmale dieser Gesellschaft. Nun ist die Aversion gegen eine Demokratie keinesweg nur eine Sache der Befreier gewesen, das auch, sondern auch Parteifunktionaere und „Intellektuelle“, die Elite, fremdelt damit massiv. Egal von welcher Seite.… Mehr

Egozentrik
18 Tage her

Schon das gesamte Bundeswahlgesetz ist ein VERSTOSS gegen das Grundgesetz, Artikel 38, und dürfte keinen Bestand haben. Zitat aus dem Grundgesetz, Hervorhebungen durch Großschreibung von mr: „Art 38 (1) Die ABGEORDNETEN des Deutschen Bundestages werden in ALLGEMEINER, UNMITTELBARER, FREIER, GLEICHER und GEHEIMER Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des GANZEN Volkes, an AUFTRÄGE und WEISUNGEN nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Zunächst handelt der Artikel von der Wahl ausschließlich von ABGEORDNETEN, es dürfen also keine (anonymen Gruppierungen wie z. B. Parteien oder ähnliches gewählt werden, eben nur Menschen – ABGEORDNETE. (Überhaupt kommen keine Parteien im Grundgesetz vor, da es von… Mehr

Last edited 18 Tage her by Egozentrik
ratatoesk
17 Tage her
Antworten an  Egozentrik

Sehr gut ausgearbeitet ! Normal steht vereinfacht gesagt,das Grundgesetz über Bundesgesetzen , außer , richtig , außer sie sind wie in Artikel 38 Abs. (3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz“. dazu ermächtigt. Das Bundesgesetz ist in dem Fall das Bundeswahlgesetz und dort steht genau das was im Grundgesetz steht,aber in Abs (2) Für die Wahl zum Deutschen Bundestag gelten die Grundsätze der Verhältniswahl. Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl nach Kreiswahlvorschlägen und eine Zweitstimme für die Wahl nach Landeswahlvorschlägen, auf denen die zur Wahl zugelassenen Parteien ihre Bewerber benennen (Landeslisten).“ Hier wird wiederum richtig von Bewerbern… Mehr

Last edited 17 Tage her by ratatoesk
Ordoliberal
18 Tage her

Demokratie gibt es doch gar nicht. Was es gibt, sind Republiken, in denen die besitzende Klasse sich die Macht teilt: Adelsrepubliken, Kaufmannsrepubliken, fast immer um eine wohlhabende Stadt herum organisiert. Was wir heutzutage in Deutschland Republik nennen, ist aus einer konstitutionellen Monarchie mit schwachem Parlament entstanden. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Adel entmachtet und durch den hauptberuflichen Parteifunktionär ersetzt. Der erste in einer langen Reihe davon war Friedrich Ebert. Der schrecklichste war Adolf Hitler. Merkel, Scholz, Faeser, Habeck, Merz.. – man urteile selbst, wo wir jetzt angekommen sind. Der Parteifunktionär beginnt seine Karriere nicht als Besitzender, sondern beendet sie… Mehr

Evero
18 Tage her

Die Union betreibt die Selbstverzwergung des konservativen Spektrums…um den heiligen Baal EU vor den Reformern zu schützen. Es wird sie vernichten.

Noch ein Wort zu den Verfassungsrichtern, die diese Wahlrechtsreform durchgewunken haben: der Bürger merkt, dass der Geist des Zentralismus und der lange Arm der Parteiapparate aus dieser Entscheidung atmet. Die Demokratie wurde durch die Verfassungsorgane geschwächt. Der Mehrheitswille des Bürgers und die demokratiefreundliche Direktwahl werden konterkariert durch vorab festgelegte Listen von Apparatschiks.

ratatoesk
18 Tage her

>>Das wäre allerdings eine Reform mit einer Tendenz zum Mehrheitswahlrecht, das in vielen alten Demokratien wie Großbritannien und Frankreich gilt und Regierungsbildungen enorm erleichtert. Aber wer will das in Deutschland?<< Warum gibt es eigentlich in der Bundesrepublik kein einheitliches Wahlrecht , wie in Frankreich oder Großbritanien,sondern eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältnisswahlrecht!? Vieleicht gibt die Frage,warum es in der Bundesrepublik kein einheitliches Schulsystem wie in Großbritanien oder Frankreich gibt eine Antwort darauf. E.Bahr hier ab Min. 9.21 https://www.youtube.com/watch?v=grh80l-5i5Y Demokratie bedeutet „Herrschaft des Staatsvolkes“ aber leben wir auch in einer? Auf dem Papier schon ,nur ist sie keine wirkliche. Hier wird geschrieben… Mehr