Die Auflösung der Institutionen: Die Bundesbank ist gefallen

Seit 2012 gab die Deutsche Bundesbank ihre Eigenständigkeit und Unparteilichkeit auf. Unter ihrem jetzigen Präsidenten Joachim Nagel ist sie als Anker der Stabilität endgültig gefallen. Der nächsten Bundesregierung rät er, die Schuldenbremse zu reformieren. Damit macht Nagel Wahlkampf für SPD und Grüne.

picture alliance/dpa | Marcus Brandt
Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, 04.11.2024

Joachim Nagel, von dem man nicht so recht weiß, ob sein Herz stärker für eine politisch unabhängige Bundesbank oder für seine Partei, die SPD, schlägt, hat sich nun in den Wahlkampf für Grüne und SPD eingeschaltet. Am Rande des Weltwirtschaftsforums im Januar 2025 in Davos sagte Nagel dem SPIEGEL: „Die nächste Bundesregierung, wer immer sie bilden wird, sollte die Schuldenbremse reformieren. Das wäre unser Rat.“ Der Ökonom Lars Feld, der früher dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehörte, also einer der fünf sogenannten „Wirtschaftsweisen“ war, kritisierte Nagel scharf mit den Worten: „Das gab es noch nie seit Gründung der Bundesbank“, und fügte hinzu: „Nagel ergreift damit Partei für SPD und Grüne. Das schadet der Unabhängigkeit dieser Institution.“

Zum einen hat Feld recht, zum anderen beruht seine Kritik auf einer Fiktion, denn die „Unabhängigkeit“ der Bundesbank existiert nicht, sie ist längst schon eine politisch abhängige Institution geworden. Es war Angela Merkel, die der Bundesbank das Rückgrat gebrochen hatte, als sie mit der Euro-Rettung den ersten Sargnagel für Deutschland eingeschlagen hatte, wie ich es in mehreren Aufsätzen und in der kritischen Merkel-Biographie präzise beschrieben habe.

Rückblende: Im Zuge der sogenannten Euro-Rettung hatte Draghi seine berüchtigte Londoner Rede am 26. Juli 2012 gehalten, in der er sagte: „Aber ich möchte Ihnen noch eine andere Botschaft übermitteln. Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.“ Der damalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann stellte sich mit guten deutschen Gründen gegen den Draghi-Plan. Denn Mario Draghi ging es weniger um die Rettung des Euros, als vielmehr um die Rettung des hochverschuldeten Italiens, um die Umgestaltung der Europäischen Union in eine Schulden-Union, um die Vergemeinschaftung der Schulden, indem er praktisch die No-bail-out-Regel, die Deutschlands Grundlage für die Zustimmung zur Abschaffung der D-Mark und der Einführung des Euros bildete, in eine Bail-out-Regel umkehrte.

Deutschland wurde heftig betrogen durch Mario Draghi, aber vor allem durch Angela Merkel, die am 16. September 2012 den Draghi-Plan gegen die Bundesbank unterstützte: „Die deutsche Regierung hat klargestellt, dass Sorgen um die Währungsstabilität die jüngsten Entscheidungen der EZB rechtfertigen.“ Und nicht nur das, sie ließ die Bundesbank im Stich, brach der Bundesbank das Rückgrat, schleifte ihre Unabhängigkeit und verriet deutsche Interessen, wenn sie klar und deutlich formulierte: „Wenn die EZB zu dem Schluss kommt, dass die Geldversorgung schwierig ist … muss die Zentralbank geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Währungsstabilität sicherzustellen.“ Und jetzt kommt es: „Dafür legen wir keine Grenzen fest.“ Deutschland haftet nicht nur für die Schuld anderer Länder im Euro, sondern ohne Limit. Damit war das Ende der Bundesbank als unabhängige Institution besiegelt. Dass der SPD-Genosse Nagel nun für das Ende der Schuldenbremse mit Scheinargumenten von erstaunlicher Trivialität mitten im Wahlkampf agitiert, kann da kaum noch erstaunen.

Nagel wurde 2022 unter der Ampel-Regierung an die Spitze der Bundesbank berufen, das dürfte er seinen Genossen nicht vergessen habe, wenn er nun mit rotgrünen Thesen argumentiert. Schon im Jahr 2022 meinte der SPD-Mann ganz im Sinne der schuldenverliebten Ampel, dass, wenn sich die Schuldenstandsquote Deutschlands der im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Grenze von 60 Prozent nähere, über eine „Reform“ der Schuldenbremse nachgedacht werden sollte, „um mehr Spielraum für strukturelle Investitionen zu bekommen“. Nagel vergaß zu erwähnen, dass die gewaltigen, schuldenbasierten Sondervermögen nicht in der Rechnung der Schuldenstandsquote auftauchten, wie auch nicht der Anteil Deutschlands, der den Hauptanteil ausmacht, an zu einem Großteil schuldenfinanzierten Programmen der EU-Aristobürokraten in Brüssel wie NextGenerationEurope. Nagels Investitionen versickern im Sand von Heide beispielsweise, und zwar 620 Millionen Euro, bauen Fahrradwege in Peru, finanzieren mittelbar Taliban und Hamas und das islamistische Regime in Syrien. Schöne neue Zukunft, brave new world.

Nagel hat recht, wenn er einschätzt, dass wir „nicht die Augen davor schließen“ sollten, „dass wir für die Aufgaben der Zukunft mehr Geld benötigen“. Denn eine Wirtschaft, die nicht mehr auf dem Prinzip der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs, sondern auf dem Prinzip der Strafzölle, wie sie die EU und Deutschland ohnehin planen, und der Subventionen beruht, wird eines im steigenden Maße benötigen: Subventionen und immer wieder Subventionen, weil diese Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist. Die geplante Einführung von Strafzöllen im Rahmen von ETS-2 der EU wurde bereits Ende 2022 beschlossen, und hat folglich nichts mit Donald Trump zu tun. Das ganze Geschrei über Trumps Einfuhrzölle ist doch auch deshalb so laut, weil die EU und Deutschlands Ampel mit Zustimmung der Union selbst Einfuhrzölle beschlossen haben oder ihre Einführung planen, zum Beispiel auf chinesische E-Autos, auf Stahl und Zement, der nicht „grün“ produziert wird.

Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn der SPD-Bundesbankpräsident die Schuldenbremse aufheben will, was offiziell „reformieren“ genannt wird, aber nur gleißnerisch ist, weil es auf das Gleiche hinausläuft, um „mehr Spielraum für strukturelle Investitionen zu bekommen“. Ein Blick auf die Habeck-Rezession, auf die Insolvenzen, auf die Abwanderung der Industrie, auf die Teuerungstsunamis in Deutschland, die erst der Anfang sind, dementieren die Richtigkeit von Nagels Überlegungen. Angesichts schlechter Konjunkturprognosen hält es Nagel für einen „sehr klugen Ansatz“, mehr finanziellen Spielraum für Bereiche wie Verteidigung oder Infrastruktur zu schaffen. Das läuft aber auf die Schaffung von Sonderschulden hinaus.

Der schaurige Witz von Nagels Vorschlägen besteht darin, dass über Schulden ein wirtschaftspolitischer Irrweg finanziert wird, der zur Deindustrialisierung führt, und die Aufnahme von immer neuen Schulden erzwingt.

Was Merkel und ihre grünen und roten Freunde und die Union ins Werk gesetzt haben, führt letztendlich zur Selbstdelegitimierung der Institutionen. Die Bundesbank gab seit 2012 ihre Eigenständigkeit und Unparteilichkeit auf. Sie ist wie etwa die französische Zentralbank zum politischen Akteur geworden. Wirft man einen Blick auf Frankreichs Staatsfinanzenkrise, erkennt man, wohin Nagels Ansatz führt. Unter dem ehemaligen Präsidenten und aktuellen CDU-Wahlkämpfer Thomas Haldenwang wurde begonnen, den Verfassungsschutz in eine politische Polizei umzubauen.

Immer öfter weisen Urteile des Bundesverfassungsgerichts eine politische Tendenz auf, und die ist eindeutig postdemokratisch oder grün, wenn man an das Klimaschutzurteil, das Urteil zur Finanzierung des öffentlich zwangsfinanzierten, grünen Rundfunks denkt oder an das Urteil über die Auslieferung von Maja T. an Ungarn, die das Gericht als unzulässig erklärte, weil die Haftbedingungen in Ungarn nicht den Menschenrechtsnormen der EU entsprächen. Wahrscheinlich meinte das Gericht aber nur, dass die Haftbedingungen in Ungarn für deutsche Linksextremisten nicht angemessen seien, denn diesen stünden, wenn der bedauerliche Fall eintritt, dass sie doch einmal in Haft müssen, doch bessere Bedingungen zu, schließlich irrten sie nicht im Ziel, sondern nur in der Wahl der Mittel.

Unter ihrem Präsidenten Joachim Nagel ist jedenfalls die Bundesbank als Anker der Stabilität gefallen.


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Kommentare ( 69 )

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Dieter
1 Monat her

wenn man sich die alten Programme der Grünen anschaut, erkennt man wohin der Zug fährt: die Bundesrepublik Deutschland soll als souveräner Staat aufgelößt werden und als (nur noch einer von vielen ) Bundesstaat in die EU aufgehen. Ebenso sind neben dem Begriff „Gang durch die Institutionen“ auch andere bereits erreichte Ziele klar benannt: Energiepreise massiv erhöhen („wir“ wollen kein russisches Gas/Rohstoffe, bitte stellt unsere Belieferung ab..) Umverteilung von Eigentum (durch die massive Ausweitung der Geldmengen M1-M3 in den letzten 10 Jahren- entkoppelt von der Wirtschaftsleistung – der EZB aktiv geförderte Inflation im 2 stelligen Bereich) zusammen mit der SPD massive… Mehr

HansKarl70
1 Monat her

Die Mehrheit der Deutschen würde wohl jeden Haufen Unrat als Währung akzeptieren wenn ihr nur jemand der angeblich was davon versteht, glaubhaft einreden würde, das dieses eine gute Problemlösung sei.

Petra Horn
1 Monat her

Ich habe gar nicht gemerkt, daß es die Bundesbank noch gibt.
Schon Sarrazin merkte damals an, daß er gar nichts zu tun und viel Zeit gehabt habe, sein Buch zu schreiben.

irrlichternderOlaf
1 Monat her

Gemessen an der Entwicklung des Bitcoin ist der Euro eigentlich wertlos.
Nagel, ein DEI-Woker, vertritt somit eine belanglose Behörde. Niemanden interessiert noch, was er meint.

Manfred_Hbg
1 Monat her

Mhh, ich weiß grad nicht wie ich mein Gedanke richtig ausdrücken und rüberbringen kann. Doch ich versuche es mal so:
Gibt es eigentlich für uns Deutschen innerhalb der EU noch irgendetwas das sozusagen auf „Deutsche Eigenständigkeit“ und/oder auf „Deutsche Souveränität“ beruht? ?

Denn mit Blick auf das grünwoke Herrschaftsgebilde EU-Brüssel habe ich immer mehr das Gefühl das mein Heimatland Deutschland nur noch mit immwr weniger werdenden eigenen Recht auf der Landkarte besteht.

Eddy08
1 Monat her
Antworten an  Manfred_Hbg

klar gibt es das noch, wir haben eigenständig die höchsten Energiepreise, haben eigenständig die AKWs abgeschafft, ruinieren eigenständig unsere Wirtschaft und Kultur, eigenständig haben wir auf russisches Öl und Gas verzichtet, haben uns eigenständig den grünen und der Antifa preisgegeben, eigenständig zerlegt Superursel, bekanntlich eigenständig von Deutschland und Frankreich in dieses Amt gehoben, Europa und Ursula ist ja bekanntlich Deutsch und diesem Land ja so verbunden wie uns Corona und der Selenskyfanatismus der Dame zeigt.

Maja Schneider
1 Monat her
Antworten an  Manfred_Hbg

Der Erhalt einer „Deutschen Eigenständigkeit“ braucht ein ganz anderes Politpersonal, weder das aktuelle noch das vorherige hat bzw. hatte daran Interesse, und die ursprünglich als kritische Begleitung der Regierungsarbeit vorgesehenen „Leitmedien“ sind aufgrund der staatlichen Finanzleistungen an sie zu Claqueuren verkommen. der dominierende grün-links-woke Geist wird uns wohl noch weiter erhalten bleiben, und wir lassen es geschehen oder werden nicht gehört.

Nibelung
1 Monat her

Auch die Bundesbank ist durch Merkel „geschlachtet“ worden, sehr zum Schaden der deutschen Nation und wenn man ihre Schandtaten aufreiht, dann müßte es für einen ordnungsgemäßen Prozeß gegen sie ausreichen um sie für viele Jahre in Gewahrsam zu bringen, denn viele ihrer rechtlosen Entscheidungen sind durch nichts mehr zu begründen, wenn es zum Schaden des Landes beiträgt, der unter ihrer Ägide einen unsäglichen Höhepunkt erreicht hat und nur noch die Nationalsozialisten und die Kommunisten in der Ostzone es toppen konnten, weil auch ihnen das Recht nicht heilig war.

Michael Palusch
1 Monat her

Seit wann ist denn die Bundesbank politisch unabhängig?
Die Bundesbank ist als Oberste Bundesbehörde politisch genau so unabhängig wie das RKI.

Edwin
1 Monat her
Antworten an  Michael Palusch

Zu Zeiten der DM und der Bonner Republik war die DEUTSCHE BUNDESBANK unabhängig. Wer das bis heute nicht verstanden hat, dem sage ich, daß die DEUTSCHE BUNDESBANK der Garant des in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg war. Z. B. hat sie schon mit ihrer restriktiven Geldpolitik nach dem Wahlsieg Brandts die Politik zur Rückkehr auf den Pfad der Tugend gezwungen und war Garant für eine starke DM.

AlpenLady
1 Monat her

…und da schimpft man über die USA/Herr Trump?, und hat doch selber „Dreck am Stecken“.

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Die Bundesbank wurde schon in den 90er-Jahren von Helmut Kohl durch die Einführung des Euro den Franzosen geopfert. Joachim Nagel ist der Rudolf Havenstein der Neuzeit. Der Reichsbankpräsident amtierte von 1908 bis zu seinem Tod 1923 und dachte auch, die Verschuldung durch den verlorenen ersten Weltkrieg sei zu handhaben, Die Hyperinflation zum Ende seiner Amtszeit bzw seines Lebens bewies das Gegenteil. Wir wissen nicht ,ob Joachim Nagel beim Zerfall des Euro noch im Amt sein wird, aber seine Geisteshaltung wird ihn in dieser Behörde wohl überdauern m denn die Zeitzeugen von 1923 und auch von 1948 sind aus der deutschen… Mehr

brummibaer_hh
1 Monat her

Komisch, wenn Bankpräsidenten zum Beispiel der Commerzbank oder auch der Deutschen Bank in anderen Fällen der Regierung Vorwürfe gemacht haben, sie handle falsch, wurde das hier sogar in Artikeln von den Autoren bejubelt. Wenn ein solcher Bankvorstand einen Vorschlag macht, der Tichys Einblick thematisch nicht gefällt, ist er plötzlich parteiisch und linksgrün. Entweder wollt Ihr, dass Fachleute etwas sagen, oder Ihr wollt es nicht. Aber es nur wollen, wenn es in Eurem Sinne ist, ist doch weniger peinlich für den Experten als für Euch.

Karl Renschu
1 Monat her
Antworten an  brummibaer_hh

Quelle? Und vielleicht liegt der Unterschied auch darin, dass die Präsidenten einer Privatbank Präsidenten privater Unternehmen sind und der Präsident der Bundesbank als Präsident eines Staatsunternehmens an dieser Stelle im Wahlkampf Parteipolitik betreibt.

Michael M.
1 Monat her
Antworten an  brummibaer_hh

Privatunternehmen vs. Staatsunternehmen bzw. Staatsinstitution, einfach mal (am Besten vorher) drüber nachdenken und dann (erst) schreiben.

Last edited 1 Monat her by Michael M.