Tichys Einblick
Zur Bundestagswahl

Dann wählt mal schön, wie man es von euch erwartet

Ein abstruser Wahlkampf geht zu Ende – ein einziger Kampf gegen Rechts, den auch die früher rechte CDU mitkämpft und sich selbst aufgibt oder applaudierend in den eigenen Sonnenuntergang geht. Nur die USA bringen wieder alles durcheinander und wollen sogar Frieden schaffen. Wie gemein!

Symbolbild

picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl, der „Willy-Wahl“ am 19. November 1972 lag die Wahlbeteiligung bei 91 Prozent. Ob wir das wieder schaffen? Diese Zahl zeigt, wie innerlich zerstritten und polarisiert das Land wegen der Gesellschaftspolitik Willy Brandts, der Person und der Ostpolitik, war. Die SPD erzielte 45,9 Prozent der Stimmen, was ungefähr so viel ist wie vermutlich Union und SPD am Sonntag zusammen zustande bringen werden, wenn es gut für die beiden ausgeht; es könnte auch weniger sein. 1972 war übrigens das erste Mal, dass 18-Jährige wählen durften.

Früher demonstrierte man noch gegen die Regierung

Rückblickend war es eine Idylle, auch wenn die Straßen und Plätze damals mit Demonstrationszügen gegen Brandts Ostpolitik voll waren. Damals demonstrierte man gegen die Regierung, nicht mit Hilfe von staatsnahen Organisationen für die Regierung.

Heute geht es inhaltlich um mehr: Um die Bewältigung der Migrationskrise; darüber wurde ein paar Tage im Bundestag gestritten und dann hat Friedrich Merz klammheimlich seinen 5-Punkte-Plan wieder eingedampft.

Die Energiepolitik wurde ausgespart, wobei klar ist: Zu hohe Preise und zunehmend nur noch gelegentliche Verfügbarkeit des wichtigsten „In-Put-Faktors Energie“ (auch ein Wahlkampfthema 1972) sind die Ursache der Deindustrialisierung, die nach dem entwirtschafteten Ruhrgebiet jetzt auch die Mittelstandszentren in Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg ausradiert.

Der „blaue Himmel über der Ruhr“ war ein Willy-Thema, heute sieht man das Blau vor lauter Windrädern nicht mehr und es wird durch bläulich schimmernde Solar-Meere ersetzt. Umwelt spielt keine Rolle mehr, sie ist nur noch Input-Faktor für die grüne Transformation. Die Behauptung blieb Außenministerin Annalena Baerbock vorbehalten, dass man ja jetzt mit Wasserstoff die Schwerindustrie zur alten Weltgeltung führe könne. Aha. Grüner Pustekuchen statt Substanz, nur das Kleid war neu in damenhafter Eleganz: ein Fortschritt zur Birkenstock-Herkunft.

Die Krankenkassen sind pleite; Wartezeiten vor Facharztbesuchen an der Tagesordnung, lebenswichtige Medikamente ständig ausverkauft, die Beitragssätze auf Rekordniveau. Die EU verwandelte sich von einem Friedensprojekt in eine Strangulierungsgarotte für Bürger und Wirtschaft, und das immer mit der Mehrheit der Staatschefs und eines Parlaments, in dem die Unklugheit über jedes Argument triumphiert. Haben Sie davon was gehört im Wahlkampf?

Es würde zu lange dauern, die Probleme aufzuzählen, die im Wahlkampf NICHT diskutiert, sondern kurvenreich umfahren wurden. SPD, Grüne und CDU konzentrierten sich darauf, die AfD als die Partei des Höllenfürsten zu brandmarken. Die Argumente waren dümmlich dünn; gerade so, als ob Björn Höcke, der noch nicht mal in Thüringen über die Versetzung von Fahrradampeln entscheiden darf, morgen Kanzler werden würde.

Der Wahlkampf erinnerte an ein abgekartetes Spiel. Ältere, so die Grundüberlegung, wählen, was sie immer gewählt haben, genauso, wie sie ihrer Bier- und Duschgel-Marke treu bleiben. Gemeinsam würde es schon reichen für Schwarzgrün, notfalls mit Rot, wobei die SPD vielleicht gar nicht mehr regieren will, nachdem der Scholzzug so schrecklich verdampft ist; die Grünen würden schon genug Wähler für ihr Glaubensbekenntnis vom  Klimaschutz finden; Sekten sind nicht groß, aber glaubensstark. Den Rentnern verspricht man Renten wie Freibier, und schon schlagen sie ihr Kreuz bei den Rentenversprechern. Nur die Jungwähler bringen die alte LINKE nach vorne und die AfD; aber sie sind in der Minderzahl. Die alten Parteien gewinnen allein wegen der erwarteten Unbeweglichkeit der Alten und ihrer Gebührerzahlentreue. Das ist jedenfalls der Plan von Friedrich Merz bis Robert Habeck: ein Wahlsieg der Unbeweglichkeit. So einfach ist Wahlkampf. Aber dann wurde er doch ein bisschen hitzig.

Trump als Friedensengel? Die Ironie der Geschichte

Ausgerechnet US-Präsident Donald Trump schwebte als Friedensengel ein und stellt in Aussicht, was europäische Politiker vermieden haben: eine Friedenslösung für die Ukraine. Unzweifelhaft halsbrecherisch, Frieden gegen Seltene Erden. Aber möglicherweise geben viele Ukrainer diese Erden lieber her, als darunter zu vermodern. Wie wurden doch Gerhard Schröder beschimpft und Viktor Orbán, die beide Gespräche mit dem Moskauer Höllenfürsten suchten: Vergeblich, aber sollte nicht Frieden jede Bemühung wert sein? Nicht in Deutschland, wo die superschlaue Annalena Baerbock schon sechs Wochen nach Kriegsbeginn als Kriegsziel ausgegeben hat, man müsse den Russen die Beine weghauen, damit sie nicht mehr auf dieselben kommen in den nächsten Jahrzehnten. Erstaunlich. Umfragen von INSA zeigen, wo Trump Unterstützer findet:

„Befragte, die sich selbst links der Mitte verorten (35 Prozent finden Trumps Bemühungen gut, 51 Prozent finden sie schlecht), sind die einzige Gruppe, die Trumps Ukraine-Kurs mehrheitlich ablehnen. Befragte, die sich selbst in der Mitte verorten (43 Prozent zu 39 Prozent), und Befragte, die sich selbst rechts der Mitte verorten (59 Prozent zu 27 Prozent), finden die Friedensbemühungen des amerikanischen Präsidenten und seiner Regierung mehrheitlich gut. Am geringsten ist die Zustimmung zu Trumps Ukraine-Politik bei Wählern der Grünen (14 Prozent gut zu 74 Prozent schlecht), am höchsten ist die Zustimmung bei Wählern der AfD (77 Prozent gut zu 11 Prozent schlecht).

Da schau her. Die SPD war historisch immer des Pazifismus’ verdächtig, die Grünen wollten Frieden wagen und ständig Schwerter zu Pflugscharen schmieden. Heute plädieren sie für einen Siegfrieden, koste es, was es wolle, um den Russen „die Beine wegzuhauen“. So einen Satz hätte nie ein führender Politiker vor Baerbock gewagt, gleich welcher Partei. Krieg ist das neue Grün. Ob Baerbock da Tarnfarben falsch interpretiert hat? Auszuschließen ist das nicht.

Und dann noch ein Hammerschlag nach dem anderen von J.D. Vance.

 „Freundschaft basiert auf gemeinsamen Werten. Man hat keine gemeinsamen Werte, wenn man Wahlen annulliert, weil einem das Ergebnis nicht gefällt – und das ist in Rumänien passiert.“ Unmittelbar vor den Wahlen warnt J.D. Vance erneut vor Wahlmanipulation auch in Deutschland.

Nun ist es ja nicht so, dass man nicht davor gewarnt hätte. Die aufgeheizte Stimmung auf der Straße, der ständige Kampf gegen Rechts auf imaginierter Basis – das verlockt die Gläubigen dazu, ihren Teil im Kampf gegen das Böse beizutragen.

Wer es wagt, Robert Habeck als „Versager“ zu bezeichnen, kann wirtschaftlich und sozial vernichtet werden, wie der Anwalt Markus Roscher erfuhrt: Neben einer Geldstrafe soll ihm die Anwaltslizenz entzogen werden. Meinungsfreiheit ist die unbegrenzte Freiheit zu sagen, was auch die Regierung sagt und ZDF und ARD von morgens bis abends predigen. Jenseits davon ist alles Hass und Hetze, alles unbestimmte Begriffe, die sich im Grundgesetz nicht finden, aber von findigen Beamten als grundgesetzwidrig definiert werden.

Passend, dass auch Friedrich Merz und Markus Söder diese Argumentation übernehmen und Meldestellen in Bayern und Nordrhein-Westfalen besonders dicht gesät sind, wo jeder verpfiffen werden kann, der seine Angst ausdrückt vor neuen Autos, die außer Kontrolle geraten. Hübsch, dass der CSD-Umzug in Düsseldorf aus Angst vor „außer Kontrolle geratenen Autos“ abgesagt werden musste. Deutschland ist, wenn die Lüge zum Prinzip wird: Es gibt nur zwei Geschlechter, Messer und Autos machen sich selbständig, und selbst das früher ehrwürdige ifo-institut für Wirtschaftsforschung weist nach, dass ausländische Gewalttäter keine ausländischen Gewalttäter sind, wenn man ihnen das „ausländisch“ wegnimmt.

Wer sich dieser Norm entzieht, wie die Autoren von Tichys Einblick, lebt gefährlich. Das Aussprechen der Wahrheit kann jederzeit bestraft werden; vielleicht schon am Montag nach der Wahl, wenn die wieder schwarzbekleideten Sturmtruppen der Regierung durch die Straßen ziehen. Übertrieben? Hoffentlich. Vielleicht bleibt uns das Schlimmste erspart, ist es mal wieder nur journalistische Übertreibung, die natürlich als Fake-News jederzeit bestraft, verfolgt und abgestellt werden kann.

In der Hochphase des Wahlkampfs wird der Selbstbetrug zum Prinzip. Die Augen fest geschlossen, die Ohren verstopft, die Lippen zusammengepresst.

Der Michel geht zur Wahlurne. Oder nicht?


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