Das Deutsche Schauspielhaus machte die Bretter, die früher einmal die Welt bedeuteten, zur Plapperbühne, von der Gesinnung gepredigt wurde. Statt Geschichten zu erzählen, Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit zu verhandeln, predigen selbstgefällige Plappatoren ihre politischen Anschauungen im hohen Diskant ihrer Apotheose – Gestalten wie Carolin Emcke in der Schaubühne und Angela Merkel im Deutschen Theater in Berlin oder im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Das Theater beginnt, sich selbst in Frage zu stellen.
In puncto Selbstgefälligkeit kann es Merkel locker mit ihren Fans wie Emcke aufnehmen: „Schauen Sie, ich bin Bürgerin, ich bin Bundeskanzlerin a.D., ich hatte Anfragen, und habe es nicht für richtig gefunden, in einer solchen entscheidenden Situation einfach zu schweigen. Sondern fand es so bedeutsam, dass ich deshalb meine Meinung zu dem Vorgang gesagt habe.“ Frau Merkel fand es also „bedeutsam“, dass sie spricht. Wer noch aus ihrem Fanclub? Und so konnte man im Deutschen Schauspielhaus ein spätbyzantinisches Genrebild bewundern: die Große Kanzlerin und ihr zu Füßen zwei Redakteure der ZEIT.
Merkel gab sich von der Sorge getrieben, dass die „demokratischen Parteien“ jetzt wieder zu einem Zustand zurückfänden, „in dem später auch wieder Kompromisse möglich“ seien. Kompromiss ist für Merkel die Sammelbezeichnung für die Erfüllung der Wünsche der Grünen. Unter „demokratischen Parteien“ darf man inzwischen das Brandmauerkombinat, die Bewohner von Neu-Versailles verstehen, eine dysfunktionale Elite, deren Hauptziel darin besteht, ihre Posten und Pöstchen zu behalten – und die aus purer Abgehobenheit am Steuer eines Autos sitzen, Vollgas geben, und dabei in dem Katalog „Schöner Grünsein“ blättern, anstatt auf die Straße zu achten.
Merkel wirft Merz tatsächlich demokratisches Verhalten vor, dass er eine parlamentarische Debatte angestrebt hatte, denn durch die Abstimmung im Bundestag sei „eine gewisse Polarisierung eingetreten …, eine Aufgewühltheit“. Für die postdemokratische Politikerin Merkel ist Demokratie nur noch ein Zustand ohne Polarisierung, Parteien haben sich in der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands – Kurzform: „demokratische Parteien“ oder „demokratische Mitte“ – weitgehend unter rotgrüner Ideologie zu versammeln. So wird aber die Demokratie zur Oligarchie.
Von den vier Sargnägeln, die Deutschlands Sargtischlerin eingeschlagen hat, nenne ich in der Biographie als Sargnagel Nummer 4 die Spaltung der Gesellschaft. Es ist schon ein schauriger Witz, eine Infamie oder einfach nur Weltfremdheit, wenn Merkel nicht sieht, dass die „Polarisierung“, die „Aufgewühltheit“ Ergebnis ihrer Regierungspolitik, der Entpolitisierung und des Dogmas der Alternativlosigkeit ist. Doch diese Sicht ist für jemanden folgerichtig, der mit der Politik der Alternativlosigkeit das Fundament für die Brandmauer gelegt, der demokratische Wahlen rückgängig und den demokratischen Diskurs als Diskussionsorgien verächtlich gemacht und zu verhindern gesucht hat.
Wieder verteidigt sie ihre vier Sargnägel für Deutschland: die Euro-Rettung, die Energiewende, die Migrationspolitik und ihre Pandemie-Diktatur. Sie stellt die Ereignisse in Ungarn falsch dar, denn nicht die „humanitäre Notlage“ war das Problem, sondern Merkels Flucht vor der Verantwortung, ihr grob fahrlässiges Handeln, als sie sich als Flüchtlings-, als Willkommenskulturkanzlerin von willigen Medien feiern ließ.
Den Angehörigen der Opfer von Mannheim, Bad Oeynhausen, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg dürfte es wie Hohn in den Ohren klingen, wenn Merkel selbstgerecht durch die deutsche Syntax stolpert: „Wären wir damals in dem festen gemeinsamen Glauben an die Sache herangegangen, wir schaffen das, hätte das Ergebnis anders aussehen können.“ Was meint die Frau? Noch mehr Anschläge, noch mehr Tote? Mit den Opfern ihrer Politik kannte sie kein Mitleid, Kollateralschäden der Politik einer Frau, für die Inhalt ihrer Politik ein Wort mit drei Buchstaben ist: ich. Hierin ist sie Fleisch vom Fleisch der Grünen, wirkt wie die Patin von Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Am 19. Dezember 2016 tötete der islamistische Terrorist Anis Amri auf dem Breitscheidplatz 13 Menschen, 54 verletzte er teils schwer. Nachdem er den polnischen Fahrer des Sattelschleppers ermordet hatte, fuhr er das Fahrzeug in die Besuchermenge des Berliner Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche. Seitdem existieren in deutschen Innenstädten die hässlichen Merkel-Poller. Fühlte Merkel Mitleid mit den deutschen Opfern?
In ihrer floskelhaften Reaktion kam Angela Merkel nicht umhin, zu befürchten, dass ein „Flüchtling“ der Täter war, denn: „Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind.“ Es hat den Anschein, dass darin Merkels tiefste Sorge bestand, denn die Angehörigen der Opfer, die mühsam um Entschädigung kämpfen mussten, wurden von ihr erst ein Jahr später nach einem offenen Brief im Kanzleramt empfangen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bundeskanzlerin den Opfern verübelte, dass sie die falschen Opfer waren, Opfer einer falschen Politik, die mit medialer Kraft, mit der Kraft von NGOs, die vom Staat mindestens teilfinanziert wurden, jegliche Kritik zu delegitimieren suchte.
Fragt man nach Merkels Verhältnis zu Deutschland ist eine Antwort erhellend, die Merkel als junge Bundesministerin der Fotografin Herlinde Koelbl gab: „Politik hat ja auch etwas mit Dienstleistung zu tun, mit der schweren Aufgabe, ein Staatswesen in Ordnung zu halten. Sie wissen ja, wo ich herkomme. Mir dürfen Sie ruhig glauben, dass es mir vor allem darum geht, aus dieser manchmal verkommenen und verkorksten Gesellschaft im Osten irgendetwas zu machen.“
Zu Merkels Politik-Verständnis, die sich erst bei der Opposition blicken ließ, als es nicht mehr um die Revolution, sondern um Posten, nicht mehr ums Risiko, sondern um die eigene Karriere ging, die sie machte, weil sie weiblich, ostdeutsch und jung war, also aus der „manchmal verkommenen und verkorksten Gesellschaft im Osten“ kam, doch das wiedervereinigte Deutschland nie zu Fuß, sondern immer in der Dienstkarosse bereiste, die am Osten den Hang zur Wahrheit, das Widerständige, den Stolz auf eine Revolution, vor der sich Merkel gedrückt hatte, verabscheute, findet sich in meiner Merkel-Biographie folgende Episode:
„Gerade ins Amt als Familienministerin gekommen, gab Angela Merkel 1991 Günter Gaus ein aufschlussreiches Interview, in dem sie ihre Abneigung, ihr ‚tiefes Misstrauen zu basisdemokratischen Gruppierungen‘ ausdrückte, bei denen sie sich nicht wohlfühlte, weil sie glaubt, ‚dass man in der politischen Arbeit auch zum Machbaren kommen muss und nicht zu lange sich im eigenen Diskutieren verlieben sollte‘. In dem von ihrer Seite außerordentlich kontrolliert geführten Interview entfährt ihr dann doch als verunglückter Scherz ein Geständnis aus der Tiefe ihrer Psyche, das seine Dimension erst im Nachhinein enthüllt: ‚Vielleicht habe ich da ein autoritäres Verhalten in mir.‘
Gaus, erfahren in Interviews, fragt genau dort nach: ‚Sie haben möglicherweise ein autoritäres Bedürfnis, ein Bedürfnis, autoritär zu sein …‘ Merkel begreift sofort den Fehler, der ihr unterlaufen ist, und relativiert: ‚Nach einer gewissen Strukturiertheit der Arbeit, die aber dann was mit Autorität zu tun hat.‘“
Festzuhalten bleibt aber, dass „Strukturiertheit“ für Merkel nur das freundliche Synonym für Autoritarismus in einer allerdings nicht ideologischen, sondern technokratischen, solipsistischen Welt ist … Politiker als Dienstleister? Wirklich für den Bürger? Wäre es so, bliebe Merkels Handeln ab Herbst 2015 unerklärlich. Doch Merkel wurde nicht von Zweifeln geplagt und von Skrupeln gepeinigt. Dieses Fehlen von Empathie in Merkels solipsistischem Zirkel ihrer Persönlichkeit belegt ihre flapsige Äußerung vor der Bundestagsfraktion der Union am 22. September 2015, als sie auf die Massenmigration, die sie unvorsichtigerweise wie der berühmte Skifahrer in Schäubles Gleichnis ausgelöst hatte, angesprochen wird: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Und „sie“ sind nicht nur da. Sind Merkel auch die Opfer ihrer Politik „egal“?
Auf der Bühne in Hamburg vermisst Merkel den Kadavergehorsam, denn: „Es ist nicht richtig gewesen, dass wir so viel gestritten haben“, nicht richtig, dass nicht alle widerspruchslos der Großen Kanzlerin gefolgt sind. Die AfD ist aus ihrer Sicht nicht aus dem Widerstand gegen die staatswohlgefährdende Migrationspolitik Merkels groß geworden, sondern auch „durch den großen Streit zwischen CDU und CSU“.
Auf der Bühne geriert sich Merkel als CDU-Politikerin, doch die CDU hat sie nicht geliebt, die hat sie zerstört, geliebt hat sie die Grünen. Statt zum Parteitag der CDU im Jahr 2024 zu gehen, hielt sie lieber eine Lobeshymne zur Verabschiedung von Jürgen Trittin als Bundestagsabgeordneter. Die Symbolik ist platt und nicht zu übersehen. Die CDU muss die Merkel-Zeit aufarbeiten. Solange die CDU Merkel nicht ausschließt, ist sie nicht wählbar, denn Merkel ist die Hintertür, durch die die Grünen kommen, denn es müssen ja „später auch wieder Kompromisse möglich“ sein.