Angela Merkel hat der Neue Osnabrücker Zeitung ein Interview gegeben. Was sollte die Polit-Pensionärin auch sonst tun? Die Autohagiographie ist geschrieben, kräftig Geld wurde verdient, wohl bevor noch ein farbloser Satz sich an den anderen reihte und die deutsche Syntax zum Experimentierfeld für Semantik-Ausdünnung wurde. Da alle Sätze den gleichen Inhalt haben, hätte im Grund ein einziger zweigliedriger Satz genügt: Ich bin die Allerbeste und ich habe alles richtig gemacht.
Lustig ist, dass Angela Merkel immer noch um ihren Platz in der Geschichte ringt, wo die Geschichte sie doch längst abgeschrieben hat. Die Fußnote auf den schlechten Seiten Deutschlands hat sie sich redlich verdient. Dass sie in die Geschichte eingehen wird, verdankt sie einzig und allein der Tatsache, dass sie vier Sargnägel für Deutschland, wie ich in meiner kritischen Biographie belegt darstelle, eingeschlagen hat, und zwar erstens die sogenannte Energiewende, die in die Habeck-Deindustrialisierung führt.
Die Idee der Erstürmung der Heizungskeller der Bürger stammt von Merkel, deren Vorstellung vom Durchregieren in der Pandemie-Zeit ihren reinsten Ausdruck fand, in der sie das Schüren von Ängsten, Angstkommunikation als Mittel der Politik profilierte, um Folgebereitschaft der Untertanen herzustellen. „Diskussionsorgien“ widerten sie an und demokratische Wahlen hielt sie für „unverzeihlich“, die zudem dringend rückgängig gemacht werden mussten, wenn sie den Machterhalt der postdemokratischen, dysfunktionalen Eliten gefährdeten. Nicht sie diente der Demokratie, sondern, wie es Konsens unter den dysfunktionalen Eliten ist, die Demokratie hatte ihr zu dienen. Merkel war und ist der Fall Grün für die Demokratie, eine Postdemokratin reinsten Wassers, der genau das in ihrer viel zu langen Kanzlerschaft gelang, die Demokratie in der Postdemokratie aufzulösen.
Auch der Verarmungs- und De-Industrialisierungstreiber Emissionshandel, die Atemsteuer, wurde von ihr vorangetrieben: „Wir alle sehen ja, dass sich heute schon unsere Lebensbedingungen verändern.“ Oh, ja das tun sie – und Merkel hat sich dafür, für den Niedergang des Landes, bleibende Verdienste erworben. Sie benötigte keinen Krieg, um das Land zu ruinieren. „Ich halte den Emissionshandel für den besten Weg“, verkündet sie ihr Dogma, und wie sehr es Dogma ist, dokumentiert sie mit der grünsozialistischen Begründung, die auch O-Ton Mariana Mazzucato oder Robert Habeck sein könnte, denn der Emissionshandel ist der beste Weg, „weil sich damit die Kreativität der Leute, der Erfinder, der Entwickler am besten entfalten kann.“ Bei Robert Habeck klingt Mazzucatos und Merkels Mission so: Die öffentliche Hand, der Staat gibt vor, wo auch Bürger und Unternehmen zu investieren haben, beispielsweise durch den Emissionshandel. Die freie Marktwirtschaft sei wichtig, aber nur wenn der Staat dafür sorgt, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer“. Oder wie Merkel sagt: „die Kreativität der Leute, der Erfinder, der Entwickler.“
Der zweite Sargnagel, den Merkel für Deutschland eingeschlagen hat, ist die Euro-Rettung, die schließlich zur Krönung der EU-Oligarchen als demokratisch nicht legitimierte unumschränkte Herrscher Europas, zum Hof von Neu-Versailles in Brüssel, aber auch in Berlin-Mitte führte. Es war Merkels Hütchenspielertrick, den ihre Nachfolger in allen „demokratischen Parteien“ noch heute nutzen, am liebsten die Partei, die in ihrem Desinteresse an den deutschen Bürgern, am Wohlstand, an der Zukunft unserer Kinder Merkel am nächsten steht, die Grünen, alles „europäisch“ lösen zu wollen. Der Trick besteht darin, dass alles, was man gegen den Willen der Bevölkerung umsetzen will, plötzlich als Überführung europäischer Vorgaben, die man zuvor in Brüssel initiiert hat, ausgibt, und alles was man nicht möchte, als im Widerspruch zum „Europarecht“ hinstellt. Überprüfen können es ohnehin nur sehr wenige, und viel von den wenigen wollen es auch nicht.
Wenn sich Merkel im Interview als Ostdeutsche ausgibt, dann widerspricht das der Wahrnehmung vieler Ostdeutscher, die Merkel nicht als Ostdeutsche erkennen. Wenn sie über Ostdeutschland spricht, klingt das seltsam fremd, dann geschieht das in einem Ton, mit der eine Grundschullehrerin in Vanne Eickel den Schülern der 2. Klasse über die DDR erzählen möchte. In meiner Biographie habe ich Merkels Verachtung für Ostdeutschland belegt. Sie ist die Ostdeutsche, die sich die dysfunktionalen Eliten als Ostdeutsche wünschten. So behauptete der westdeutsche Journalist Ralph Bollmann von der Frankfurter Allgemeinen nach der Bundestagswahl 2017, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel „im Osten auch deshalb so viel Hass auf sich zieht, weil sie ihren Landsleuten den Spiegel vorhält: Seht her, wer sich anstrengt, der schafft es auch.“ Zu fragen ist, was sie denn nun eigentlich „geschafft“ hat?
Wäre all das nicht der Fall, könnte man über das Interview schweigen, und öffentliche Nichtbeachtung wäre wohl die schlimmste Strafe für sie. Wie gern würde sie weiterhin die Musterschülerin sein, die Klassenbeste in der Politik. Merkels Interview, in dem sie ihre desaströse Politik beweihräuchert, gibt den Blick frei auf die Selbstgefälligkeit und die Überheblichkeit der postdemokratischen Politiker. Dass Merkel keine Freundin der Meinungsfreiheit ist und deshalb das Internet zensieren will, dürfte niemanden erstaunen. Nun hat Merkel diese Sicht, was es nicht bedurft hätte, bestätigt, wenn sie im Interview sagt: „Ich sage nur, dass es in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung keinen regulationsfreien Raum geben kann. Deshalb unterstütze ich auch die EU-Verordnungen über die digitalen Dienste und Märkte.“ Der kalte Hohn einer eiskalten Politikerin, die alles, was sie an Empathie aufzubringen vermag, für sich selbst benötigt, ist wohl kaum zu überbieten, wenn sie angesichts der Finanzierung der Grünen Garden (NGOs), der #Wirsindmehrspektakel, der Cancel Culture, der Ausgrenzung von Meinungen, die nicht dem postdemokratischen Kanon der dysfunktionalen Eliten entsprechen, äußert: „Wir müssen eine Diskussionskultur erhalten, in der jeder zu Wort kommen kann und nicht niedergebrüllt wird.“ Wirklich jeder? Wann sind denn unter ihrer Ägide die „Covidioten“, die „Schwurbler“, die „Klimaleugner“, die „Rechten“ zu Wort gekommen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk? Die Maske der Demokratin rutscht vom Gesicht und zerspringt in tausend Stücke, wenn sie mit Bezug auf die Münchener Rede von J.D. Vance äußert: „Wenn es aber – anders als zum Beispiel im Presserecht – in der Welt der sozialen Medien keine Verantwortlichkeit gibt, dann ist Tür und Tor geöffnet für übelste Propaganda und Beleidigungen. Das ist eine Form von Meinungsfreiheit, die ich ablehne.“ Wie wär es, wenn Angela Merkel sich einmal die Beleidigungen anschaut, mit denen ihre Paladine auf Kritiker ihre Maßnahmen reagierten? Frau Merkel wünscht einen Verantwortlichen für die Zensur der öffentlichen Meinung, weil das perfekte Kleidungsstück der Meinungsfreiheit die Zwangsjacke ist. Auch das wird im Interview klar.
Angela Merkel bietet an: „Ich kann die meisten meiner Entscheidungen, auch wenn man sich wieder in den Kontext damals hineinversetzt, gut rechtfertigen und bin bereit, mit jedem darüber zu diskutieren.“ Mit jedem? Bis jetzt tat sie das nur im geschützten Raum der Gleichgesinnten. Die Probe aufs Exempel wäre es wert, ob sie ihr Angebot auch ihren Kritikern gegenüber aufrechterhält.