Tichys Einblick
Posse aus Berlin

Wenn kranke Beamte ein Parlament lahmlegen

Stell’ dir vor, es ist Demokratie, und keiner geht hin: In der Bundeshauptstadt kann ein Bezirksparlament nicht tagen, weil zu viele Mitarbeiter im Parlamentsbüro krank sind. Die Bezirksregierung schickt keine Beamten als Aushilfe. Ein Lehrstück über Bürgerverachtung.

picture alliance / PIC ONE | Ben Kriemann

Schon wieder die Irren in Berlin, werden Sie vielleicht denken, lieber Leser, und Sie haben ja auch Recht. Doch wir alle kommen nicht um die Tatsache herum, dass in der Bundeshauptstadt vieles schon früh besichtigt werden kann, was irgendwann später dann in der ganzen Republik ganz normal wird.

Berlin war früh pleite, in Berlin waren früh die Grünen eine vor allem kulturell dominierende Kraft, in Berlin gab es früh ein Bündnis von SPD und der ehemaligen SED, Berlin hatte früh einen offen schwulen Regierungschef. In jüngerer Zeit hat Berlin früh nachgewiesen, dass unser Staat keine großen Bauprojekte mehr bewältigen kann (Flughafen) und sogar mit der Durchführung von ganz normalen Wahlen überfordert ist.

Und jetzt zeigt Berlin, wie kranke Beamte ein Parlament lahmlegen.

Das kommt so: Die Stadt hat zwölf Verwaltungsbezirke. Die haben jeweils um die 300.000 Einwohner, sind also selbst jeweils eine ordentliche Großstadt für sich. Deshalb haben sie auch eigene Regionalparlamente. Die heißen in der Hauptstadt „Bezirksverordnetenversammlung“, kurz BVV.

Im gutbürgerlichen und wohlhabenden Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist nun die für Donnerstag anberaumte Sitzung der BVV abgesagt worden. Der Grund: Alle drei Mitarbeiter im BVV-Büro, also in der Geschäftsstelle des Parlaments, haben sich krankgemeldet. Das passiert nun schon zum zweiten Mal innerhalb von nur zehn Monaten. Im März 2024 musste eine BVV-Sitzung aus exakt demselben Grund ausfallen. Das BVV-Büro ist für die Vorbereitung der Tagesordnung, für die Protokollführung, für Auszählungen bei Abstimmungen und für die Nachbereitung von Beschlüssen zuständig.

Auf der Tagesordnung standen diesmal durchaus drängende Probleme. Unter anderem wollten die Lokalpolitiker darüber beraten, wie trotz der Sparzwänge die Sozialstation einer Grundschule gerettet werden könnte. Auch über die Abwendung eines befürchteten Verkehrschaos wegen Bauarbeiten an einem vielbefahrenen Autobahndreieck wollte man sprechen.

Der Berliner würde sagen: Fällt jetzt aus wegen is’ nich’.

In der Hauptstadt hängt die Demokratie also vom Krankenstand in der Verwaltung ab. Das ist, um unseren Satz vom Anfang aufzugreifen, in der Tat irre. Aber es ist noch nicht einmal die finale Pointe.

Denn jeder Berliner Stadtbezirk hat nicht nur ein eigenes Regionalparlament, sondern auch eine eigene Regionalregierung. Deren Mitglieder heißen Bezirksstadträte, der Chef ist der Bezirksbürgermeister. Die haben natürlich in ihrer Bezirksverwaltung – dem sogenannten Bezirksamt – auch Mitarbeiter. Und zwar viele.

Doch die grüne Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch, qua Amt oberste Personalchefin der Bezirksverwaltung, will der BVV ausdrücklich nicht helfen. Sie lehnt es ab, auch nur zeitweise ein paar Mitarbeiter als Aushilfen zu schicken, damit das Regionalparlament tagen kann.

Berlin, wir haben es angemerkt, ist bei allen negativen Entwicklungen immer ein bisschen früher dran als der Rest des Landes. Es ist also eher wahrscheinlich, dass irgendwann auch Sitzungen des Bundestages ausfallen, weil in der Bundestagsverwaltung zu viele Beamte Grippe oder Rücken haben.

So sieht es inzwischen aus: das Land, in dem wir gut und gerne leben.

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