Der Weltuntergang findet nicht statt. Jedenfalls nicht sofort. Am Freitag hat der Bundestag das Merz-Migrations-Gesetz mit knapper Mehrheit abgelehnt. Wäre es angenommen worden, auch mithilfe von Stimmen der AfD, dann wäre spätestens am kommenden Montag die Sonne nicht mehr aufgegangen.
So surreal das klingt, so real empfinden das formal erwachsene Menschen.
Als vor ein paar Tagen ein CDU/CSU-Entschließungsantrag zur Migration auch von der AfD unterstützt wurde und eine Mehrheit fand, hatten tatsächlich nicht wenige volljährige Parlamentarier einen kleinen Nervenzusammenbruch. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) schrieb:
„Bei den Grünen fließen am Mittwochabend hinter verschlossenen Türen leise Tränen. Einige Abgeordnete sind bestürzt, andere entsetzt, die meisten vor allem: fassungslos.“
Dann zitiert die SZ den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich:
„‚Es ist an einem Tag passiert, an dem wir im Deutschen Bundestag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert haben‘, sagt Mützenich mit brüchiger Stimme, er wirkt angefasst. (…) Man merkt: Was am Mittwoch passiert ist, macht etwas mit ihm.“
Was war passiert? Bei nüchterner Betrachtung hatte ein völlig folgenloser Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion nicht nur, aber auch durch die Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen. Das klingt nicht gerade danach, als hätten die Römer jetzt doch das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix erobert.
Sicher: Bei einigen ist die empörte Betroffenheit – wahlweise die betroffene Empörung – nützliches Polit-Theater. Olaf Scholz, notorisch kalt bis ins Herz, sieht für seine schwächelnden Sozialdemokraten das Mobilisierungspotenzial der ganzen Geschichte. Robert Habeck, persönlich durchaus ähnlich strukturiert, sieht dasselbe für seine ebenfalls darbenden Grünen.
Die Frage bleibt: Warum kann das überhaupt irgendwen mobilisieren?
Wer in der vergangenen Woche in Berlin die Demonstration „Gegen rechts“ besucht hat, der muss einräumen, dass dort viele Überzeugte unterwegs waren. Viele, sehr viele dort glauben wirklich, dass Björn Höcke sich bereit macht, in Kürze zum neuen germanischen Imperator ausgerufen zu werden. Viele, sehr viele dort glauben wirklich, dass der Bundestag kurz davorsteht, sich nach Verabschiedung eines Ermächtigungsgesetzes mit den Stimmen von Union und AfD aufzulösen.
Viele, sehr viele dort sind Gläubige mit dem heiligen Blick.
Progressive im Panikmodus
Auch die grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge glaubt wirklich daran, dass die Union „mit den Nazis“ gestimmt hat. Berufspolitiker sind bekanntlich – sagen wir mal – nicht immer ehrlich. Aber ein Blick in Dröges Augen reicht, um zu sehen: Diesen Satz meint sie ernst.
Beim schon erwähnten Protest in Berlin waren viele Schilder zu lesen, auf denen „Nazis raus“ stand. Mit den „Nazis“ war bisher die AfD gemeint. Inzwischen gehört für die Demonstranten erkennbar auch die Union dazu. Die kalten Strategen des Berliner Politbetriebs schüren diesen Nazi-Wahn in der linken Blase. Deren Mitglieder (oder soll man besser sagen: Insassen?) berauschen sich geradezu daran, gegen „Nazis“ zu sein. Selbst die eigene Angst vor dem Faschismus jagt ihnen einen irgendwie wohligen Schauer über den Rücken.
Leider verstehen die zeitgenössischen deutschen Linken weder etwas von Geschichte noch von Inflation.
Weil sie nichts von Geschichte verstehen, können sie völlig unbekümmert eine historische Monstrosität wie den Nationalsozialismus bagatellisieren. Die AfD oder gar die Union mit „Nazis“ gleichzusetzen, ist eine doch reichlich abstoßende Verharmlosung des Dritten Reiches und der dort verübten Gräueltaten.
Weil sie nichts von Inflation verstehen, erklären sie inzwischen nahezu alle Andersdenkenden kurzerhand zu „Nazis“. Doch genau wie jede Sache nutzt sich auch jede Idee durch übermäßige Verwendung ab. Wenn alles Nazi ist, ist nichts mehr Nazi. Merz habe „das Tor zur Hölle“ geöffnet, als die AfD seinem Antrag zustimmte: Auch das sagte SPD-Fraktionschef Mützenich. Was macht der Mann, wenn Marine Le Pen in Paris Präsidentin wird? Oder Herbert Kickl in Wien Kanzler?
Erklärt er Frankreich und Österreich dann den Heiligen Krieg?
Es ist nur eine Vermutung: Ich würde wetten, dass es tatsächlich heimliche oder auch nicht ganz so heimliche NS-Sympathisanten in der AfD gibt. Aber es gibt auch eingefleischte Kommunisten bei den Grünen (wie Jürgen Trittin) und bei der Linken (wie Sahra Wagenknecht). Trotzdem glaubt vernünftigerweise niemand, dass in Deutschland morgen stalinistische Arbeitslager errichtet werden, wenn die regieren. Oder wenn man mit ihnen zusammen abstimmt.
Wenn die deutschen Helden des Antifaschismus auch nur einen Restbestand an Geschichtsbewusstsein hätten, dann würden sie merken, dass das staatliche Meldestellenwesen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ viel näher an einem faschistischen Regime liegt als irgendein Programmpunkt der AfD. Und sie würden merken, wie erschütternd nahe der NS-Ideologie sie selbst sind.
Antisemiten sind die wahren Nazis
Denn wenn man nur ein Wort verwenden dürfte, um den ideologischen Kern des Nationalsozialismus zu beschreiben – welches wäre das? Einer von hundert Befragten würde vielleicht „Autobahn“ sagen, das wäre dann der echte Neonazi. Aber die 99 anderen würden sehr sicher sagen: Judenhass.
Und sie hätten recht, denn das ist der Wesenskern des Nationalsozialismus.
Doch dieselben Leute, die da in Berlin „gegen rechts“ demonstrieren und dabei so ergriffen sind von sich selbst: Dieselben Leute gehen ein paar Tage später auf irgendwelche Solidaritätskundgebungen für die Hamas, tragen dabei stolz Arafat-Halstücher und wollen ein Palästina „from the river to the sea“ – vom Fluss bis zur See, was bedeutet, dass man Israel von der Landkarte tilgen will.
Diese antiisraelischen Aufmärsche sind locker die schlimmsten judenfeindlichen Handlungen auf deutschem Boden seit den palästinensischen Terror-Morden an israelischen Sportlern bei den Olympischen Spielen 1972. Dieselben Leute, die da so inbrünstig vor „den Nazis“ warnen, tun etwas, wofür sie von den echten Nazis vor 90 Jahren Applaus und Orden bekommen hätten.
Und sie merken es nicht.
Sie merken auch nicht, dass man unser Grundgesetz nicht dadurch verteidigt, dass man es ignoriert. Man könne an unseren Grenzen keine Migranten zurückweisen, weil das gegen EU-Recht verstoße: So hat früher Angela Merkel argumentiert, und so argumentieren heute Olaf Scholz und Robert Habeck. Damit sagen sie: Das EU-Recht ist wichtiger als unser Grundgesetz.
Falsch, sagt Hans-Jürgen Papier. Der Mann war immerhin mal Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Für Deutschland steht das Grundgesetz über allem. Jenes Grundgesetz, das unsere vereinigten Antifaschisten unbedingt verteidigen wollen – nur dann nicht, wenn es bedeuten würde, weniger Migranten ins Land zu lassen.
Das doppelte Deutschland
„Der Riss in der Gesellschaft wird tiefer. Die Menschen leben in komplett unterschiedlichen Wirklichkeiten.“
Das ist die kurze Zusammenfassung einer tiefenpsychologischen Befragung des Kölner Instituts Rheingold kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Der Befund passt, denn mittlerweile gibt es zwei Deutschlands.
Das erste Deutschland ist jenes der Menschen, die selbst so leben wollen, wie sie es sich vorstellen. Das zweite Deutschland ist jenes der Menschen, die wollen, dass alle anderen so leben müssen, wie sie es sich vorstellen.
Eigentlich überall erleben wir gerade, wie Wahn auf Wirklichkeit trifft: auf den Straßen, in der Kriminalstatistik, in den Geldbörsen der Bürger, in den Betrieben und sogar im Deutschen Bundestag. Die Frage ist, wer gewinnt – der Wahn oder die Wirklichkeit.
Eine erste Antwort gibt es am 23. Februar.
Am 23. Februar ist die Urnenwahl zum Bundestag. Liegen Sie mit Ihrer Prognose besser als die Demoskopen? Machen Sie mit bei der TE-Wahlwette!