Tichys Einblick
Deutschland vor Wiederkehr der Nazis?

Grüne und SPD fürchten um Demokratie: Wahn, Hysterie oder Kalkül?

Die Union bringt eine Entschließung gegen illegale Migration ein – mit Stimmen der AfD. Linke und Grüne reagieren mit Empörung, missbrauchen die Geschichte zum Zweck des Machterhalts. Auch Merkel ist gegen Merz dabei. Dabei gibt es gute Gründe für Gelassenheit und Augenmaß

picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Für SPD und Grüne bedeutet der Vorstoß von CDU-Chef Friedrich Merz für Maßnahmen gegen illegale Migration letztendlich einen Angriff auf die Demokratie. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Politiker der rot-grünen Koalition suggerieren in dramatischen, teilweise hochemotionalen Reden, dass dieser „Tabubruch“ (so Scholz), bei dem CDU/CSU mit Hilfe der AfD eine Entschließung im Bundestag durchbrachten, im Grunde die Türen für eine „rechte“ Machtübernahme geöffnet hätten. Merz konnte noch so sehr versichern, dass die „Brandmauer nach rechts“ nach wie vor gelte.

Linke und Grüne beschworen die Gefahr von „österreichischen Verhältnissen“, wo die national-liberale FPÖ, Sieger der letzten Wahl in Österreich und von ihren Gegnern als „rechtspopulistisch“ beschrieben, dabei ist, mit der konservativen ÖVP eine Regierung zu bilden. Zuvor waren alle Bemühungen der ÖVP, mit Grünen und Sozialdemokraten ein Bündnis zu bilden, kläglich gescheitert.

Verzweifelte Suche nach „Mehrheiten der Mitte“

Nicht ganz anders begründet Merz seinen Schritt – denn eine Kooperation mit SPD und Grünen für eine Verschärfung der Grenzkontrollen und anderen Maßnahmen gegen die illegale Migration sei derzeit nicht möglich. Der CDU-Chef hatte beteuert: „Ich suche keine anderen Mehrheiten als in der Mitte“, die aber hat er nicht finden können.

Also werde die Union Entschließungen und Gesetze im Bundestag einbringen. Diese können, ungeachtet aller früheren Beteuerungen, nie und in keiner Weise mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen, letztendlich nur deshalb erfolgreich sein, weil eben die verfemte AfD zustimmt.

Während AfD-Chefin Alice Weidel von einer bedeutsamen Entwicklung und dem „Bröckeln der Brandmauer“ spricht, versucht Merz mit heftigen Anwürfen an die AfD zu belegen, dass er diese Partei für abscheulich, widerlich und nicht satisfaktionsfähig hält – aber ihre Unterstützung seiner Vorhaben notgedrungen hinnimmt.

Lösungen für Deutschland

Fakt ist, dass sich politisch tatsächlich eine neue Option aufzutun scheint, Das empört zwar Linke und Grüne im Land zutiefst, allerdings könnte der neue Weh dem an allen Gliedern erkrankten Deutschland möglicherweise Linderung oder gar teilweise etwas Heilung bescheren. So argumentiert auch Friedrich Merz: vor die Wahl gestellt, entweder ein extrem wichtiges Problem Deutschlands anzugehen und dabei im schlimmsten Fall und „bedauerlicherweise“ auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein oder aber tatenlos katastrophalen Entwicklungen weiter tatenlos zuzuschauen, habe er sich eindeutig für die Interessen seines Landes und der Menschen entschieden.

Die Empörung auf der linken Seite des Parlaments ist nur allzu verständlich: zum einen wird deutlich, dass die jahrlangen Warnungen und Vorstöße der verhassten AfD in Sachen Migrationspolitik sehr wohl berechtigt waren; zum anderen werden sich Politiker aller Parteien in den Bundesländern und in den Kommunen bestärkt fühlen, in den jeweiligen Volksvertretungen bei heiklen Sachfragen notfalls auch mit der AfD abzustimmen oder auch zu verbünden, um wichtige Projekte und Entscheidungen voranzubringen.

Auch Bundeskanzler Scholz betonte die Bedeutung der Abstimmung im Bundestag und meinte vermutlich zu Recht, sie werde einmal als „historisch beschrieben werden“. Er brauche Zeit „das alles zu verarbeiten“, sagte er etwas melodramatisch. Der Sozialdemokrat sieht Deutschland am Abgrund – viele Bürger werden allerdings auch aufatmen.

Emotionen und Pathos im Kampf gegen Rechts

Natürlich zeigte sich auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck in der Parlamentsdebatte staatsmännisch ernst und tief aufgewühlt. Die Emotionalisierung der Auseinandersetzung scheint eines der wesentlichen Mittel zu sein, Positionen der Konservativen zu bekämpfen.

Viele Politiker suchten krampfhaft einen Brückenschlag zwischen dem Internationalen Holocaust-Tag (Montag) und der aktuellen Debatte. Wer immer sich dazu verführen ließ, solche Vergleiche gehen nur mit einer krassen Verharmlosung des menschenverachtenden, mörderischen Nationalsozialismus einher.

Merz, der zumindest in seiner Fraktion und laut Umfragen bei der Mehrheit der Wähler Unterstützung für seine Migrationsvorschläge findet, stößt in der Blase Berlin nicht nur bei Linken und Grünen auf erbitterten Widerstand, sondern auch in seiner eigenen Partei. Dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) seinen Parteichef mit sichtlichem Widerwillen und nur unter Bedingungen folgen möchte, kam nicht sonderlich überraschend.

Angela Merkel erfreut Rot-Grün: scharfe Kritik an Merz

Sehr viel mehr Aufsehen erregte die fast schroffe Intervention der seit zwei Jahrzehnten einflussreichsten Politikerin mit links-grünen Überzeugungen, die ehemalige Kanzlerin und frühere CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Sie fiel Merz offenbar mit Lust und nicht ohne Arg nur einen Tag nach der historischen Abstimmung im Bundestag in den Rücken.

Mehrheiten dürfe man nur mit Parteien der Mitte suchen, betonte Merkel in einer Stellungnahme heute. Merz habe diese Position, einen „Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung“, so Merkel, bisher immer eingehalten; sie halte es nun aber für falsch, „sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen“. Merkel beschwor die Gemeinsamkeit der „demokratischen Parteien“.

Merz scheint nun entschlossen zu sein, seinen Weg weiter zu gehen, um die illegale Einwanderung zu stoppen. Es müsse das Richtige gemacht werden, auch wenn die „Falschen“ dafür seien, betonte er trotzig. Grundsätzlich will er unbedingt an der Brandmauer zur AfD festhalten.  Dabei gäbe es verdammt gute Gründe, die bisher geradezu fanatisch beschworene Brandmauer zu hinterfragen.

  1. Die AfD ist keine Nazi-Partei. Die heftigen Angriffe auf die AfD, der Vorwurf, hier arbeiteten letztendlich Neonazis an der Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen, antidemokratischen Unrechtssystems, entbehrt weitgehend einer Grundlage. Weder das AfD-Programm, noch gar die wichtigsten Protagonisten wie Alice Weidel oder Tino Chrupalla wecken ernsthaft Zweifel an ihren demokratischen Grundpositionen.Führende AfD-Leute wie Björn Höcke und viele andere belegen zwar, dass es höchst fragwürdige, befremdlich rechtsradikale Elemente und Sichtweisen in der Partei gibt. Deshalb geht es auch keineswegs um eine Generalabsolution für die AfD als eine Partei der „lupenreinen Demokraten“. Angemessen wäre ein pragmatischer Umgang mit gewählten Vertretern des Volkes, die  klar Stellung beziehen gegen linke und grüne Ideologen – woran Konservative und Liberale gut andocken könnten. Die Parole im Umgang mit der AfD müsste heißen: knallharte Auseinandersetzung und nüchterner Pragmatismus.
  2. Die Demokratie in Deutschland ist nicht in Gefahr. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in Deutschland wieder rechtsradikales Gedankengut ausbreitet, dass Neonazis an Einfluss gewönnen oder anti-demokratische Kräfte bei der Bevölkerung starken Widerhall fänden, scheint weitgehend aus der Luft gegriffen zu sein. Sie wirken eher wie Parolen eines verbissenen, fast wahnhaften und permanenten Wahlkampfs – vermutlich auch ein Bestandteil des großen Kulturkampfs, in dem sich der Westen seit langem befindet. Es gibt Extreme von links, rechts und bei Migranten, die in diesem Land beunruhigende Aktivitäten entfalten. Rechtsradikale haben mit der AfD aber nicht sehr viel mehr zu tun als Linksradikale mit Grünen und der Linken. Gelassenheit statt Hysterie müsste die Parole im politischen Raum heißen.
  3. Die AfD wird in den kommenden Jahren immer stärker werden, wenn die bisherige, ideologiegetriebene Politik offener Grenzen, die Propagierung einer dumpfen „Diversitätspolitik“ und einer irrealen „Multi-Kulti-Gesellschaft“, die Verharmlosung der Gefahren durch neue ethnische und religiöse Minderheiten im Land weiter voran getrieben werden. Wenn die Parteien, insbesondere CDU/CSU, SPD und FDP sich weiter dem nicht nur in Umfragen ersichtlichen Wunsch der großen Mehrheit der Menschen nach einem grundlegenden Wandel verweigern, werden die Extremen beider Seiten immer stärker.
  4. Die Welt fürchtet sich nicht vor einer Machtübernahme in Deutschland. Gäbe es in Deutschland wirklich die Gefahr einer rechtsradikalen Entwicklung, gäbe es angesichts der Geschichte des 20. Jahrhunderts einen Aufschrei und Widerstand in fast allen anderen europäischen Ländern. Nichts davon ist wirklich zu spüren, höchstens das Parlament in Straßburg und die EU-Administration in Brüssel sorgen sich um die Demokratie in Deutschland und anderswo. Ernsthaft ist die Demokratie in den EU-Staaten nicht gefährdet.
  5. Europa ist in Gefahr – aber nicht von rechts. Die größten Gefahren für Demokratie und Wohlergehen in Europa kommen von dem Unwillen politischer und kultureller Eliten, den ideologie-getriebenen Kurs einer „grünen Transformation“ mit verheerenden Folgen für Wirtschaft und Wohlstand, eine absurde Genderpolitik und die Verharmlosung von Migration und Islam in Europa aufzugeben.
Trump und Meloni könnten Mut machen

Der vielfach beschworene „Kampf gegen Rechts“ ist in Deutschland noch erfolgreich, zumindest viele Parteien glauben, mit krassen, hysterischen Warnungen vor den Feinden der Demokratie noch Wahlerfolge erzielen zu können.

In den USA, in den Niederlanden, Argentinien, Österreich oder Italien sind diese Strategie der linken und etablierten Parteien weitgehend gescheitert. Sehr wahrscheinlich zum Wohle der jeweiligen Länder. Deutschland scheint noch lange nicht soweit.

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