Endlich hat er es geschafft, sein Lebenziel ist nach einem langen Marsch durch die politische Wüste erreicht. Friedrich Merz wird trotz eines eher enttäuschenden Ergebnisses für seine Partei bei der Wahl Kanzler, wenn ihm die SPD nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht. Auszuschließen ist das nicht; die SPD wurde bei der Wahl tief gedemütigt.
Die eigene Antifakampagne fiel ihr auf die Füße, weil sie vor allem die Linkspartei stärkte und selbst die ihr lange treu ergebenen muslimischen Wähler, von denen sie doch so viele in den letzten Jahren noch rasch eingebürgert hatte, auch um diese Klientel der Partei zu stärken, sind ihr zu großen Teilen von der Fahne gegangen, wenn man demoskopischen Erhebungen glauben kann, und haben die Linkspartei oder die Bewegung Sahra Wagenknechts gewählt, weil diese beiden Gruppierungen anders als die SPD stark israelkritisch auftreten. Das erinnert an die Probleme, die Labour mittlerweile in Großbritannien mit dem früher zuverlässigen „Muslim Block Vote“ hat.
Aber nehmen wir an, Merz gelingt es, durch massive Zugeständnisse an die SPD namentlich auf dem Gebiet der Steuer- und Sozialpolitik, und in vielleicht etwas geringerem Maße auch der Migrationspolitik, eine Koalition zusammenzuzimmern, die ihn an die Spitze der Regierung trägt. Er würde relativ rasch entdecken, dass seine Chancen, eigene politische Ziele, auf die er im Wahlkampf immerhin, wenn auch nicht immer gradlinig, hingewiesen hat, durchzusetzen, sehr begrenzt sind. Zum einen ist da, wie schon betont, die SPD, die jedes Interesse daran hat, Merz auszubremsen. Wenn man schon selbst als Volkspartei gescheitert ist, dann soll es der CDU natürlich nicht besser gehen. Aber es gibt zum anderen auch sachliche Probleme, die zum Teil von der CDU selbst in der Vergangenheit mit geschaffen wurden.
Wenn die Schuldenbremse nicht noch vom alten Bundestag ausgehebelt wird, wird Merz zur Geisel der Linkspartei
Da ist vor allem die Schuldenbremse. Dass die Regierung Scholz vor dem regulären Ende der Legislaturperiode zu Fall kam, ist wesentlich auch darauf zurückzuführen, dass die CDU mit ihrer Verfassungsklage gegen die Verletzung der Schuldenbremse Ende 2023 in Karlsruhe durchkam. Das war der Anfang vom Ende der Ampel. Ohne diesen juristischen Unfall wären die Spannungen zwischen Grünen und FDP geringer gewesen, weil man mehr Geld hätte verteilen können; damit kann man fast jeden politischen Graben zuschütten.
Von daher war das Beharren auf der Schuldenbremse vor den Wahlen ein gutes Mittel für die CDU, die Regierung in die Enge zu treiben. Jetzt allerdings fällt Merz und den Seinen plötzlich doch auf, dass ohne drastische Steuererhöhungen, die vor allem die eigene bürgerliche Klientel träfen, das Geld knapp werden könnte, schon deshalb, weil eine weitere Erhöhung des Verteidigungsetats mehr oder weniger alternativlos geworden ist, nachdem Trump allem Anschein nach eine Art Bündnis mit Russland anstrebt. Dieses richtet sich zwar im Moment primär gegen die Interessen der Ukraine, kann sich aber bereits morgen auch gegen die Europäer insgesamt richten. Sicher, bei Trump ist vieles wilde Rhetorik und je nach dem, was ihm beim Golfen einfällt oder mit wem er zuletzt gesprochen hat, kann sein Kurs schon in einem Monat wieder ein anderer sein.
Da man es freilich verabsäumt hat, die in der Währungsunion mit ihrer bedingungslosen Bail-out-Garantie für alle Defizitländer absurde Schuldenbremse rechtzeitig aufzuheben oder zu modifizieren, wäre man im neuen Bundestag auf die Stimmen der Linkspartei oder der AfD angewiesen, es sei denn, man ließe noch den alten Bundestag die Verfassung mit 2/3 Mehrheit ändern, was zwar legal wäre, aber wie eine ziemlich üble Trickserei aussähe. Kommt es nicht zu einer solchen Notoperation – die die Union freilich doch zu erwägen scheint –, dann wird die Lage schwierig. Auf die Stimmen der AfD kann und will Merz nicht zurückgreifen, das nicht zu tun, hat er wochenlang heilige Eide geschworen, obwohl ziemlich klar ist, dass die CDU mindestens auf der Ebene der Länder an einer anfangs vielleicht nur punktuellen informellen Zusammenarbeit mit der AfD auf die Dauer nicht ganz vorbeikommen wird. Sonst bleibt sie auf ewig in der babylonischen Gefangenschaft der linken Parteien.
Im neuen Bundestag bliebe bei der angestrebten Aufhebung oder Aufweichung der Schuldenbremse dann freilich nur ein Deal mit der Nachfolgepartei der SED, die jetzt ehrlicherweise zu ihren ideologischen Ursprüngen, also zum Marxismus-Leninismus zurückgekehrt ist. Wenn die Linkspartei, die ja an sich jede Aufrüstung ablehnt, sich darauf überhaupt einlässt, wird sie erhebliche Gegenleistungen verlangen, etwa höhere Renten, ein höheres – natürlich sanktionsfreies – Bürgergeld und sehr viel mehr Geld für linke NGOs zum Beispiel. Merz wird da kaum Nein sagen können, zumal solche Forderungen ja auch den Wünschen der SPD entsprechen, aber er würde sich damit natürlich sein eigenes politisches Grab schaufeln.
Überhaupt sollte Deutschland, wenn es klug wäre, aber das sind seine Politiker ja nicht, bei der Stärkung der europäischen Verteidigung eher auf bilaterale Zusammenarbeit mit wichtigen Nachbarn wie Frankreich oder Polen oder auch den skandinavischen Ländern setzen und nicht auf die EU, wo man noch nie gut mit Geld umgehen konnte, und wo auch die deutsche Stimme sehr wenig Gewicht hat, und am Ende andere die Entscheidungen zu unseren Ungunsten treffen werden. Aber diese Klugheit wird der neuen Regierung wohl eher fehlen.
Die Welt der Transatlantiker in der Union kollabiert
Die CDU muss sich aber jenseits aller Probleme im Zusammenhang mit der Verteidigungsfähigkeit und dem Haushalt noch einer ganz anderen Herausforderung stellen: der massiven Schwächung der transatlantischen Partnerschaft zwischen den USA und den Europäern, denn um nichts weniger handelt es sich. Auch jenseits des recht erratischen Verhaltens von Trump werden die Europäer und das gilt für das wirtschaftlich immer schwächer werdende Deutschland, das noch nicht einmal Atombomben hat, natürlich noch mal sehr viel stärker als für Frankreich oder England, in Washington einfach nicht mehr ernst genommen.
Sie werden, und das steht jenseits aller Wutausbrüche, Brüskierungen und Schimpfkanonaden auch hinter der Politik von Trump, als politische Akteure wahrgenommen, die einer vergangenen, musealen Welt angehören und gar nicht mehr in der Lage sind, realpolitisch zu handeln oder in den Kategorien der Machtpolitik auch nur zu denken; die Deutschen natürlich noch weniger als andere Nationen. Dazu kommt die geringe wirtschaftliche Dynamik der meisten europäischen Volkswirtschaften und die zunehmende innere politische Lähmung vieler Länder, zu denen eben mittlerweile der Tendenz nach auch Deutschland gehört.
Die SPD hingegen spielte immer ein wenig mit dem Gedanken der Neutralität zwischen Ost und West; unwiderruflich an Amerika binden wollte man sich eigentlich nicht. Es wird ihr daher trotz ihrer Abneigung gegen höhere Militärausgaben in gewisser Weise leichter fallen, sich auf die neue Lage einzustellen. Die USA sind jetzt, wie es scheint, allenfalls noch ein eher unerfreulicher und unberechenbarer Partner, mit dem man gegen Bares und mit großen politischen Gegenleistungen sicherheitspolitische Geschäfte auf Zeit machen kann, mehr wohl nicht. Damit wird die SPD zumindest emotional leben können. Für die CDU hingegen bricht im Grunde genommen eine Welt zusammen.
Wie sie damit umgehen soll, ist völlig unklar. Mag sein, dass man sich nun stärker an Frankreich anlehnt, aber militärisch kann Frankreich die USA nicht adäquat ersetzen und hat auch zum Teil ganz andere politische Interessen als Deutschland. Das mochte auch für die USA gegolten haben, aber sie waren natürlich anders als Frankreich nie ein direkter Rivale, weil sie in einer ganz anderen Liga als die Bundesrepublik spielten und spielen, während es zwischen Deutschland und Frankreich immer auch fundamental und kontrovers um die Ausrichtung der EU geht, nicht zuletzt in Finanz- und Wirtschaftsfragen.
Es ist nicht unproblematisch, dass die CDU heute von einem Mann geführt wird, der noch völlig geprägt ist von einer Zeit, in der die Loyalität gegenüber den USA alles andere an außenpolitischen Überlegungen bei der CDU oft bei Seite drängte. Diese Art von Politik hat ersichtlich keine Zukunft mehr, auch dann nicht, wenn in fünf Jahren Vance oder sogar wieder ein Democrat im Weißen Haus sitzen sollten. Deutschland muss lernen, seine eigenen nationalen Interessen offen zu artikulieren, was es im Grunde genommen auch nach der Wiedervereinigung nie konsequent getan hat. Um das zu tun, müsste sich ein Mann wie Friedrich Merz freilich komplett neu erfinden. Man muss bezweifeln, dass ihm das gelingt. Aber wer könnte ihn in der Union ersetzen, wenn er als Kanzler, was gut geschehen kann, scheitern sollte? Das bleibt völlig unklar.