Es war wohl nur ein Zufall, dass die jüngsten, abenteuerlichen Pläne, die marode Rentenversicherung vor der Pleite zu bewahren, an eben dem Tag publik wurden, an dem Patricia Schlesinger, die geschäftstüchtige Ex-Intendantin des RBB, vor Gericht eine monatliche Rente von gut 18.000 Euro erstritten hatte. (Erstmal nur einmalig, so heißt es, aber der juristische Streit geht weiter.) Monatlich, wie gesagt, nicht etwa jährlich, was bedeutet, dass diese Frau, die in dem überaus mutmaßlichen Verdacht steht, sich aus öffentlichen Kassen systematisch bereichert zu haben, das Zwölf- bis Fünfzehnfache dessen erbeutet hat, was einem von den Mühseligen und Beladenen zusteht, für die Frau Schlesingers fettes Herz schlägt.
Das schlägt bekanntlich links, genauso links wie das der anderen Intendanten. Dafür müssen sie belohnt werden, werden sie ja auch, und wie! Rückstellungen in Millionenhöhe, finanziert aus den Zwangsbeiträgen der sogenannten kleinen Leute, sorgen dafür, dass die Schlesingers ihre exorbitanten Altersruhegelder pünktlich und in voller Höhe ausbezahlt bekommen.
Frau Schlesinger segelt im Gefolge der fälschlich sogenannten Babyboomer – fälschlich deshalb, weil es so klingt, als ob diese Leute besonders viele Kinder in die Welt gesetzt hätten. Das stimmt natürlich nicht, das Gegenteil trifft zu. Die Babyboomer entstammen den geburtenstarken Jahrgängen der Nachkriegszeit, haben dann aber, als sie selbst ins passende Alter gekommen waren, auf Kinder gern verzichtet. Die Pille hatte es möglich, die Rentenversicherung im Umlageverfahren lohnend gemacht.
Dass die Geburtenrate in den zehn Jahren von 1965 bis 1975 auf die Hälfte ihres bis dahin üblichen Durchschnittswertes zurückfiel, war ihr Werk. Keine andere Gruppe pocht so schamlos wie sie auf Versicherungsleistungen, zu denen sie so wenig beigetragen haben wie sie. Die Babyboomer hatten gemerkt, dass man im Sozialstaat deutscher Bauart nehmen kann, ohne gegeben zu haben. Sich von Kindern versorgen zu lassen, auf die man selbst verzichtet hatte, gilt als clever.
Wie alle Sonderangebote läuft aber auch dieses einmal aus. Das erleben wir jetzt. Mit der zu Unrecht groß genannten Rentenreform hatten ein paar kurzsichtige Sozialpolitiker das staatlich betriebene Zwangsversicherungssystem auf Umlage umgerüstet; seither werden keine Rücklagen mehr gebildet, vielmehr gibt die Versicherung schon heute mit vollen Händen das wieder aus, was sie erst gestern eingenommen hat, manchmal auch einiges mehr, das sind dann Schulden, die neuerdings allerdings Sondervermögen heißen.
Die Spielräume, jubelte ein versicherungsmathematisch offenbar unbedarfter CDU-Politiker, „sind unbegrenzt!“ Die Rentenexperten von der SPD fanden das auch und freuten sich über die Aussicht, das viele Geld, was sie für die Kinder nun ja nicht mehr brauchten, den Alten in die Taschen stopfen zu können – ein intergenerativer Versicherungsbetrug, der immer wieder neu ausgelegt, verkleidet und gestreckt worden ist, nun aber doch endlich auffliegt.
Als Norbert Blüm, der kleine Mann der großen Worte, vor Jahr und Tag aufs Leiterchen gestiegen war, um von der Litfaßsäule herab dem Volk zu verkünden, Eins sei sicher, die Rente, da antwortete ein großes Versicherungsunternehmen mit dem Slogan: „… und die Erde ist eine Scheibe“. Blüm gab sich empört: Da sehe man ja, wie die Kaufleute das Vertrauen in den Staat untergrüben, sein Rentenversprechen habe doch nur für die laufende Legislaturperiode gegolten, vier Jahre also und nicht mehr. Vier Jahre, das ist der Zeitraum, über den Sozialpolitiker nicht hinausschauen – von hinaus-denken spricht man da lieber nicht.
Auf diese Weise hatten sie schon den alten Adenauer vertröstet, der wissen wollte, was denn passiere, wenn es mit der Rente im dem Umlageverfahren schief ginge: „Dann sind Sie nicht mehr Bundeskanzler“, hatten sie geantwortet. Nach uns die Sintflut!, heißt das gar nicht einmal geheime Motto aller dieser Berufspolitiker. Sie können sich das leisten, weil sie über gesetzlich geregelte Altersruhegeldzusagen verfügen, zu denen sie, anders als wir, das gemeine Volk, keine eigenen Beiträge zahlen müssen.
Jeder Sportverein weiß, dass Jugend Zukunft bedeutet, und kümmert sich deshalb um Nachwuchs. Nur der mit Abstand größte Verein des Landes, die Rentenversicherungsindustrie, glaubt, auf Kinder verzichten zu können. Und nicht nur das, sie wirbt sogar fürs Gegenteil, für Kinderlosigkeit, indem sie die Binsenweisheit, dass ihre Existenz auf zwei Säulen ruht, den Beitragszahlungen der aktiven und dem Beitragsversprechen der nächsten Generation, beharrlich ignoriert.
Vor Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht den halbherzigen Versuch unternommen, die schlimmsten Auswüchse dieses gesetzlich geregelten Unrechts zu beschneiden. In seinem sogenannten Trümmerfrauenurteil hatte es den Gesetzgeber dazu aufgefordert, das gesamte, längst asozial funktionierende Versicherungswesen kinderfreundlicher, und das heißt eben auch: familienfreundlicher zu gestalten. Ein Auftrag, dem die Regierung bis heute nicht nachgekommen ist. Dort haben, wie fast überall, die Kinderarmen oder Kinderlosen das Heft in der Hand. Wenn es Frau Brosius-Gersdorf auf ihrem SPD-Ticket nach Karlsruhe schaffen sollte, wird sich daran auch nicht viel ändern.
Sozialpolitische Irrtümer korrigieren sich eben nicht von selbst, sie fressen sich ein. Die verhängnisvollen Konsequenzen einer durchweg kinderfeindlichen Sozialpolitik liegen für alle sichtbar auf der Hand. Sie zwingen die Rentenversicherung, von einer Notlüge in die nächste zu flüchten, machen eine grundsätzliche Korrektur ihres Geburtsfehlers, der Missachtung von Kindern, aber nahezu unmöglich, weil die Alten in Deutschland längst in der Mehrheit sind. Und Kinder leider kein Wahlrecht haben – ein tödlicher Nachteil in einer auf Mehrheiten angewiesenen Regierungsform.
Die führenden Ämter sind in der Hand von Kinderlosen, und das merkt man. Frau Merkel besaß sogar die Frechheit, die milliardenschweren Rentenansprüche der älteren Generation dem Volksvermögen zuzurechnen – was ja in Tat und Wahrheit auf eine moderne Form von Sklaverei hinausläuft. Wer das System der intergenerativen Umverteilung kapiert hat, richtet es so ein, dass er im Alter von Kindern leben kann, für die er selbst nichts getan hat. So etwas wird in Deutschland als gerecht betrachtet, sozial gerecht.
Natürlich kann man die Sklaven, sollten sie im Inland knapp werden, auch importieren; wie es zurzeit ja geschieht, und nirgends eifriger als in Deutschland. Die Statistik mag Millionen von Arbeitslosen ausweisen, die Suche nach Fachkräften aus aller Welt geht weiter, auch wenn die Kräfte nicht vom Fach sind, auch keine Anstalt machen, das zu werden. Warum sollten sie auch? Warum mit ihren Zwangsbeiträgen die Rentenlücke schließen, die von den kinderlosen Deutschen aufgerissen worden ist? Dazu haben sie keine Lust, das müssen sie auch nicht, weil sie gelernt haben, dass man in Deutschland auch ohne Gegenleistung Anspruch auf alles Mögliche hat, auf Bürgergeld, Krankenversicherung, bezahlten Urlaub und andere schöne Sachen; sollten noch Wünsche offen bleiben, bekommt man die Bezahlkarte in die Hand gedrückt und geht shoppen.
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, hieß es früher einmal, sogar mit Billigung der Kirchen; das ist nun vorbei. Man solle geben, auch dem Faulpelz, auch dem Messerstecher, auch dem Sozialschnorrer, der Kindergeld für Kinder einstreicht, die es gar nicht gibt. Bis hin zur Selbstaufgabe, hat uns die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland eingeschärft. Der Mensch soll nicht mehr arbeiten, er soll konsumieren, das ist die erste und die letzte Christenpflicht. Sollte der Schnorrer nicht zufrieden sein, sich gedrängt oder ausgegrenzt, nicht anerkannt oder nicht wertgeschätzt, vielleicht sogar diskriminiert fühlen, stehen Unrechtsanwälte, bezahlte Richter oder Flüchtlingsorganisationen bereit, um Abhilfe zu schaffen. „Dumm wie ein Deutscher“ ist ein geflügeltes Wort in Flüchtlingskreisen.
Wie es dann weitergeht? Das zu erraten, ist gar nicht so schwer. Eine bedauernswerte Frau, kinderlos oder, wie sie das selber sagt: kinderfrei, hat in der „Neuen Gesellschaft“, dem theoretischen Organ der SPD, die Richtung abgesteckt. Die Politik, schrieb sie, solle endlich die Solidarität von ihren biologischen Wurzeln – sie sprach von Fesseln – befreien, die Kinder ihren Eltern also wegnehmen, sie sozialisieren. Das Eigene, die eigenen Kinder, die eigenen Geschwister, die eigenen Eltern, all das sei nicht mehr zeitgemäß.
Aldous Huxley war da ehrlicher, als er seinen Zukunftsroman über die schöne neue Welt von morgen unter die Devise stellte: Jeder ist seines Nächsten Eigentum! Noch ehrlicher war Robert Ley, der Unterführer der Nationalsozialistischen Arbeitsfront, der namens seines Oberführers versprochen hatte: Wir ergreifen das Kind schon in der Wiege und lassen es erst im Sarg wieder los. Man muss nur genau genug zuhören, dann fallen die Unterschiede zwischen den Nationalen und den Internationalen Sozialisten in sich zusammen.