Tichys Einblick
Der Machtinstinkt entscheidet

Markus Söder: Das Damokles-Schwert über Friedrich Merz

Nicht SPD, Grüne und AfD werden für Friedrich Merz zum größten Risiko. Ihm fehlt das, was Markus Söder im Übermaß hat: Instinkt. Während Söder sich opportunistisch anpasst und handelt, bleibt Merz blass. Nach der Wahl könnte sich das Machtgefüge drastisch verschieben.

IMAGO / Mike Schmidt

Unabhängig davon, was man von Markus Söder halten mag: Bayerns Ministerpräsident ist im Vergleich mit Friedrich Merz der fähigere Politiker. Ein Politiker kann der kompetenteste und rechtschaffenste Mensch der Welt sein – wenn er nicht den nötigen Instinkt hat, ist er nichts wert, weil er keine seiner Ideen umsetzen kann. Machiavelli hat das folgendermaßen ausgedrückt: Der Fürst muss ein Löwe sein, um seine Feinde zu schrecken; und er muss ein Fuchs sein, um den Fallen auszuweichen, die man ihm legt. Er muss Mut haben, um seine Vorhaben gnadenlos zu verfolgen – und er muss die nötige Intelligenz besitzen, um zu wissen, wann er Löwe und wann er Fuchs ist.

Der beschworene Machtinstinkt ist deswegen ein Mosaikwerk. Es geht nicht nur um Druck, um Erpressung, um Ausmusterung – sondern auch darum, anschmiegsam und opportunistisch zu sein, Allianzen zu schmieden, wenn sie nützen, und einen Pakt aufzulösen, wenn er schadet. Wenn man dies alles zusammennimmt: Auf wen treffen diese Qualifikationen eher zu? Auf Merz oder Söder? Und was folgt daraus?

Merz hatte einen der dankbarsten Wahlkämpfe der CDU-Geschichte. Die Ampel geht womöglich als unpopulärste Bundesregierung der jüngeren deutschen Geschichte ein. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Der Anführer der Grünen ist dafür verantwortlich. Der amtierende Bundeskanzler ist unpopulär. Das Land gilt wieder als der kranke Mann Europas. Und am wichtigsten: Die CDU ist in einer historischen Ausnahmesituation nicht in der Verantwortung.

Beste Voraussetzungen für einen fulminanten Wahlsieg? Die Union hat sie verschenkt. Merz hat nicht gepunktet; er hat vielmehr einige Situationen schlimmer gemacht, als sie waren. Die Union hätte seit November die einmalige Chance nutzen können, Gesetze durch den Bundestag zu bringen – nicht nur mit der AfD, sondern auch mit der FDP, die damit wenigstens teilweise den Unmut hätte lindern können, indem sie die Ampelphase bereut und die liberale Seele streichelt. Die Liberalen als strategischer Verbündeter der Union scheiden mit großer Wahrscheinlichkeit in der nächsten Legislaturperiode aus.

Auch hier gilt: Man muss die FDP nicht wählen, um die Arithmetik der Macht zu verstehen. Als CDU-Vorsitzender sollte man das umso mehr, wenn man Allianzen abseits von Links schmieden will. Nicht zu Unrecht sagt ein großer Teil potenzieller Wähler: Vielleicht will er das auch gar nicht. Bei Merz weiß man, dass die Brandmauer nicht einmal unter besten Voraussetzungen bricht. Bei Söder ist dagegen nie etwas ganz ausgeschlossen. Söder hat ein Gespür für die Stimmung im Land. Merz simuliert es nur.

Söder war der Erste, der harte Covid-Maßnahmen forderte; und er war der Erste, der sich für ihre Abschaffung einsetzte; er war der Erste in der CSU, der nach Fukushima den Atomausstieg wollte; und er war der Erste, der zur Kernkraft zurückkehren wollte. Während Merz mehrfach gegen den Auftritt von J. D. Vance wetterte, beließ es Söder bei einem kurzen Rüffel – und erklärte später, Vance sei doch ein netter Kerl, mit dem man sich fabelhaft unterhalten konnte, und außerdem habe es ein paar richtige Punkte in seiner Rede gegeben.

Söder ist das Opportunistennäschen der Nation. Das kann man als heuchlerisch empfinden. Aber Söder handelt. Das ist deutlich mehr als das, was Merz bietet. Und es macht Söder gefährlich, weil aktive Antagonisten eher Unterstützung finden als passive Protagonisten. Und der Merz-Söder-Dualismus wird sich spätestens nach der Bundestagswahl verschärfen. Weil Merz schlicht das Profil eines Kanzlers fehlt. Man mag einwenden: Das gilt für Olaf Scholz auch. Aber das ist auch der Grund, warum die Ampel keine vier Jahre gehalten hat. Und es dürfte der Grund sein, warum eine künftige Merz-Allianz (wie auch immer sie aussehen mag) unter einem ähnlichen Stern stehen wird.

Es gibt zwei Szenarien für den Wahlabend: ein irgendwie gearteter CDU-Sieg, der dazu führt, dass es zu einer Koalition unter der Führung von Friedrich Merz kommt, die aber vermutlich keine 30 Prozent erreicht, dafür aber strategisch wichtige CSU-Stimmen aus Bayern erhält. Merz wird sich mit einem linken Partner arrangieren und dessen Projekte mittragen. Die Wahlparolen stellen sich nach wenigen Monaten als heiße Luft heraus. Bayerns Ministerpräsident wird sich als Gegenmodell aufbauen. Der bereits bestehende Unmut in der CDU wird größer, weil Merz nicht liefert. Beim Bruch der Merz-Koalition bringt sich Söder ins Spiel.

Das andere Szenario: Aufgrund einer linken Dominanz bei den Wahlen und einer erdrückend starken AfD kann die CDU ihren Kanzleranspruch nicht durchsetzen. Ein SPD- oder Grünen-Kanzler kommt mit Stimmen der Linken an die Macht – weil die CDU sich enthält, um nicht mit der AfD eine Front bei der Kanzlerwahl zu bilden. Jedes Gesetz im Parlament wird zur Nagelprobe, ob AfD und CDU/CSU dagegen stimmen. Wie in der Ampel werden die Christdemokraten vieles mittragen, um nicht in den Verdacht zu geraten, „unsere Demokratie“ zu opfern. Da darf man sich auch mal bei der Legalisierung von Abtreibungen nicht anstellen – wer sich für die Beibehaltung von Paragraf 218 ausspricht, arbeitet schließlich mit Faschisten zusammen.

Merkelianer wie Daniel Günther und Hendrik Wüst würden diese Zusammenarbeit mit den Linken bis zur Selbstvernichtung oder Fusion mit der SPD mittragen. Es gibt exakt einen Unionspolitiker, der diesen Knoten lösen könnte – oder zumindest den Schein erweckt, es zu tun. Aber nach Machiavelli geht es bekanntlich auch nicht darum, alle Eigenschaften eines Fürsten zu haben, sondern nur den Eindruck zu erwecken, dass man sie hat.

Söder ist das Damoklesschwert, das über Friedrich Merz hängt. Er ist für ihn gefährlicher als Habeck, die SPD oder Trump. Aber vielleicht wird man sich auch schon in Washington nach einem anderen deutschen Partner umgesehen haben – einem, der freundlich mit J. D. Vance plaudert.

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