Im gegenwärtigen politischen Diskurs schwirren eine Reihe von Begriffen durch den Raum, die geeignet sind, Furcht einzuflößen und bei den Bürgern heftige Emotionen auszulösen: (gesicherter) Rechtsextremismus, Rassismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Chauvinismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamophobie, Sexismus, Autoritarismus, Verschwörungsmentalität … Sämtliche Begriffe rufen negative Assoziationen hervor, deuten fürs Gemeinwesen schädliche Einstellungen und Haltungen an – wüsste man doch nur immer, was genau damit gemeint ist.
Die Begriffe prägen die politische Diskussion, etwa im Zusammenhang mit dem diskutierten Verbot der AfD, sich verbreitenden Meldestellen gegen „Hass & Hetze“, Netzwerken von „Demokratie leben!“. Vor allem sind sie für Teile der bundesdeutschen, oft steuerfinanzierten Umfrageforschung und Wissenschaft zu einem ergiebigen Dauer-Forschungsthema geworden.
Im Ergebnis findet sich der gleiche oder zumindest sehr ähnliche Ansatz zur Einstellungsmessung unter anderem in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert Stiftung/FES (seit 2006; von Andreas Zick u. a., zuvor Oliver Decker und Elmar Brähler), den Autoritarismus-Studien der Universität Leipzig von Oliver Decker und Elmar Brähler (seit 2002), der aktuellen Polizeistudie von Bundesinnenministerium und Deutscher Hochschule der Polizei, deren Abschlussbericht im September veröffentlicht wurde, und zahlreichen regionalen Untersuchungen zur politischen Kultur wie dem Berlin-Monitor. Ebenso fahndet der Rassismusmonitor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung nach „Diskriminierung und Rassismus“ im Land.
Auch Verfassungsschutzberichte arbeiten mit einem Sammelsurium negativ aufgeladener Schlagwörter:
„Im Rechtsextremismus wird der Wert eines Menschen an seiner Ethnie, Nationalität, geografischen Herkunft oder auch an seiner vermeintlichen ‚Rasse‘ gemessen. In einer auf Basis dieses Verständnisses konstruierten ethnisch-rassischen ‚Volksgemeinschaft‘ sind zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie die Menschenwürde, das Rechtsstaats- oder das Demokratieprinzip verletzt und außer Kraft gesetzt. Die rechtsextremistische Agitation ist insbesondere geprägt von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie Demokratie-, Fremden-, Migrations- und Muslimfeindlichkeit … Rechtsextremistisch motivierte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und eine in den letzten Jahren verstärkt im Internet stattfindende Radikalisierung bilden die Basis für rechtsextremistischen Terrorismus …“ (Verfassungsschutzbericht 2023).
Was ist Menschenfeindlichkeit? Und was hat sie mit Rechtsextremismus zu tun?
Ob der Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, als er vor über 20 Jahren das „Syndrom“ Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit/GMF prägte, wohl ahnte, dass es um die Welt gehen würde? Die Grundidee des GMF-„Syndroms“ – eine Konstellation von Einstellungen gegenüber vor allem migrantischen und Minderheiten-Gruppen – ist, dass pauschale „Abwertungen“ unterschiedlicher Minderheitengruppen in Zusammenhang stehen und ein bestimmter Bevölkerungskreis eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ pflegt. Dies gelte zumal in Krisen- und Konfliktzeiten. Ursprünglich aus wenigen als problematisch eingeordneten Einstellungen bestehend (u. a. Sexismus, Antisemitismus, Homophobie), wurde das Konzept der GMF im Laufe der Zeit immer mehr erweitert, zum Beispiel um die Befürwortung von sogenannten Etabliertenvorrechten für Alteingesessene, Transfeindlichkeit, Islamophobie, Rassismus gegen schwarze Menschen.
In der Regel wird die GMF automatisch mit Rechtsextremismus in Verbindung gesetzt, so beim Projekt „Topografie 2023: Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Thüringen“ und ebenso, wie gesagt, in Verfassungsschutzberichten. Das vom Verfassungsschutz als typisch rechtsextremistisch deklarierte Ideal einer „ethnisch-rassischen ‚Volksgemeinschaft‘“ als zentrales Phänomen findet bei der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sein Pendant in der „Ideologie der Ungleichwertigkeit“. Die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe bzw. „projektive Aufladung von ‚Anderen‘ – seien dies Juden, Migranten, Muslime, Sinti und Roma oder Frauen und queere Menschen –“, postuliert die Autoritarismus-Studie, „legitimiert die Aggressionen“.
Hier sollte man allerdings Gruppenidentitäten nicht einseitig als Quelle von Feindseligkeit sehen. Denn: Jede Gemeinschaft besteht aus unzähligen Eigengruppen, die sich in puncto Merkmalen, Normen, Werten und Zielen von anderen Gruppen abgrenzen. Großgruppen wie „Einwohner/Staatsbürger Deutschlands“ mögen als formale juristische Einheiten funktionieren, nicht unbedingt als Ankerpunkte für soziale und kulturelle Zugehörigkeitsgefühle. Deswegen haben die sogenannten „Anderen“, etwa Migranten und queere Menschen, ja auch eigene Vereine gegründet, im Sinne von Gruppenidentitäten.
Nun leuchtet es prinzipiell ein, dass Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus, sämtlich martialische Wörter, für Staat und Gesellschaft schädlich sind. Die Gretchenfrage ist aber, wie die zentralen Begriffe konkretisiert werden.
Üblicherweise werden befragten Bürgern Statements/Items, die Forscher vorformuliert haben [!], vorgelegt, und je nachdem, wie die Befragten antworten, werden sie als problematische Bürger oder als vorurteilsarme gute Demokraten identifiziert. Damit legen die Wissenschaftler von vornherein selber fest, welche Haltungen rechtsextrem, rassistisch, islamfeindlich, sexistisch usw. sind. Und die Ergebnisse ihrer Studien fließen dann als alarmierende Meldungen unmittelbar in den öffentlichen politischen Diskurs ein und produzieren in den Medien Überschriften wie „Polizeistudie MEGAVO. Jeder Dritte berichtet über rassistische Äußerungen“ oder „Studie zu Autoritarismus. Rechtsextremismus als ‚bundesweit geteiltes Ressentiment‘“. Jedoch bleibt das Zustandekommen der Studienbefunde meist eher im Dunkeln.
Forscher-Community demonstriert Einigkeit
Wenn ein wissenschaftlicher Ansatz von Forscherkollegen nur oft genug angewendet wurde, logisch, greift jede Studie gern auf ihn, seine Kernpunkte und Fragestellungen, zurück. Viele vorformulierte Statements finden sich daher mit gleichem oder ähnlichem Wortlaut in den unterschiedlichsten Publikationen und fungieren als Selbstvergewisserung der Forscher-Community.
Merkwürdigerweise werden dabei linksextreme und islamistische Weltbilder in wissenschaftlichen Umfragen viel weniger thematisiert. Ferner fällt auf, dass die Studien den Kreis der Befragten ungern nach Migrationshintergrund/Herkunfts- und Bezugsländern, auch konkreter Religionszugehörigkeit, differenzieren. Unterm Strich zeigen die für die Studien Verantwortlichen kaum Interesse daran, spezifisch die Meinung von Migranten(gruppen) im Land unter die Lupe zu nehmen. Dementsprechend werden Umfrageteilnehmer nur unpräzise nach „Sozialisationsort“ bzw. „bis zum 14. Lebensjahr überwiegend aufgewachsen in …“ unterschieden (Ostdeutschland, Westdeutschland, nicht in Deutschland).
Einmütig geht die große Forscher-Community auch davon aus, dass die Einstellungen, vor denen man übereinstimmend warnt, kein Phänomen von sozialen Rändern sind, sondern von der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ toleriert werden, wenn nicht gar in ihr entstehen. Es finde, meint Andreas Zick, eine „demokratiegefährdende Radikalisierung in der Mitte“ statt.
Es geht überwiegend um legale Meinungen
Hier soll nun nicht behauptet werden, dass die einschlägigen Untersuchungen keinerlei interessante Ergebnisse zu Tage fördern. Die inhaltlichen und methodischen Standards der Einstellungsmessung produzieren aber zu einem Gutteil diskussionsbedürftige Ergebnisse. Damit werden dann auch die Gesamt-Aussagen in eine bestimmte Richtung gelenkt, fördern entsprechende politische „Narrative“.
Hierzu zwei Vorbemerkungen: Erstens betrifft ein Großteil der Statements, die als Prüfstein für negative Einstellungen eingesetzt werden, keine ungesetzlichen Haltungen. Es handelt sich vielmehr um Meinungen, die das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 28.11.2011 – 1 BVR 917/09 -) wohl tolerieren würde, selbst wenn sie „unwahr“, „grundlos“, „emotional“, „wertlos“, „überzogen“ scheinen, es sei denn, allgemeine Gesetze und Strafnormen werden verletzt. Zweitens ist die Ebene der kognitiven Einstellungen und Emotionen, sozusagen das Innenleben der Menschen, zu trennen von der Ebene der Verbalisierungen und erst recht der Ebene der Taten. Wer die Ansicht vertritt, „Transsexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen“ – was als „Transfeindlichkeit“ gilt –, muss weder Transpersonen mit Worten beleidigen noch sie aggressiv behandeln, also in irgendeiner Weise eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen.
Die einzelnen Problempunkte der einschlägigen Untersuchungen sind im Folgenden mit beispielhaften Testfragen vor allem aus der Mitte-Studie (2022/23), der Autoritarismus-Studie (2024) und der großen Polizeistudie (2024) erläutert.
Methode: Schwierigkeit der Befragten, die passende Antwortkategorie zu finden
Es ist beliebt, bei der Abfrage von Einstellungen mit sehr allgemeinen, extremen Formulierungen/Items zu arbeiten, zu denen sich Umfrageteilnehmer mit den fünf Antwortkategorien „lehne völlig ab“, „lehne überwiegend ab“, „teils/teils“, „stimme überwiegend zu“, „stimme voll und ganz zu“ äußern sollen. Manchmal werden auch vierstufige Skalen ohne neutrale Mittelposition vorgegeben. Ein beispielhaftes Item lautet: „Die Ausländer [!?] kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“. Für den, der zustimmt, schnappt die Falle zu: erwischt, ein Fremdenfeind! Tatsächlich ist es jedoch oft schwer, sich exakt zu positionieren, vor allem wegen der inhaltlichen Verschwommenheit vieler Sätze, die der Befragte auf sich beziehen soll. Wie genau soll eine Person reagieren, die vermutet, dass ein quantitativ relevanter Teil der Zuwanderer, aber nicht „die“ Ausländer (/Migranten) insgesamt, von Sozialleistungen angezogen wird? Lehne überwiegend ab, stimme überwiegend zu?
Eine Reihe von Testfragen erreicht hohe „teils/teils“-Anteile, nicht selten 30 bis 60 Prozent, von Antwortverweigerern mal abgesehen, die „weiß nicht“, „keine Angabe“ sagen. Dies ist für Forscher verständlicherweise frustrierend. Man hofft ja auf Ablehnung oder Zustimmung. Deswegen wird in der Community auch immer wieder sinniert, ob sich Befragte vor klaren Antworten drücken, um keine unerwünschten Haltungen offenbaren zu müssen. In der mittleren Kategorie „schwingt“ eine „versteckte Zustimmung“ [gemeint: zu fragwürdigen Meinungen] „mit“, die „jedoch nicht als solche interpretiert werden kann“, heißt es bedauernd in der FES-Mitte-Studie 2016 „Gespaltene Mitte. Feindselige Zustände“. Ganz in diesem Geiste wird in einzelnen Studien dann, recht forsch, die Mittelkategorie als „latente Zustimmung“ vereinnahmt.
Allerdings: Fehlende Zustimmung bzw. Ablehnung dürfte auch oft die Irritation über den Sinn des vorgegebenen Statements ausdrücken, ggf. das Gefühl, zu wenig Ahnung vom Thema zu haben. Dafür könnte auch sprechen, dass bei den beiden Online-Befragungen der Polizei in der großen Polizeistudie nur Rücklaufquoten von 16 bzw. 14 Prozent erreicht wurden.
Meinungen müssen bekanntlich nicht zwangsläufig objektive Fakten widerspiegeln, können das meist gar nicht. Vielmehr dürften einige Umfrageteilnehmer gesellschaftliche und politische Zustände auch spontan aus dem Bauch heraus beurteilen. Inwieweit die in der Mitte-Studie für Menschenfeindlichkeit stehenden Aussagen „Sinti und Roma neigen zu Kriminalität“, „Langzeitarbeitslose machen sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben“, „Empfänger von Sozialhilfe und Bürgergeld neigen zu Faulheit“ „wahr“ sind, ist eine Frage an das BKA, Arbeitsämter, Sozialwissenschaftler. Der Normalbürger weiß oft nicht genau (der Forscher doch wohl auch nicht?), auf wie viel Prozent der gemeinten Bevölkerungsgruppe ein Merkmal zutrifft, und konstruiert sein Weltbild dann eben aus Vermutungen, Eindrücken, Pauschalisierungen. Weltbilder sind als sozial und durch Medien vermittelte Überzeugungssysteme, die Facetten der Wirklichkeit grob abschätzen, naturgemäß hochabstrakt. Gäbe es ein Syndrom Menschenfreund[!]lichkeit, würde es darin heißen „Empfänger von Sozialleistungen suchen ganz überwiegend einen Job und leben ungern vom Staat“. Das wäre dann sozusagen der schöne Gegen-Entwurf zur GMF – allerdings ebenfalls pauschalisierend.
Verwendung abstrakter Begriffe: Was ist ein „Verschwörungsglauben“?
Je undeutlicher verwendete Begriffe sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die verantwortlichen Forscher und die Befragten untereinander sie verschieden interpretieren. Der oft abgefragte „Verschwörungsglauben“ der Bevölkerung, als „Verleugnung der Realität“ eingeschätzt, wird erhoben mit Statements wie „Die verschiedenen in den Medien zirkulieren Verschwörungstheorien [?] halte ich für ausgemachten Unsinn“ (dies muss der Befragte verneinen), „Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“, „Die Medien und die Politik stecken unter einer Decke“.
Hier werden die Befragten wegen ihnen zugeschriebenen irrationalen Bedrohungsgefühlen „zulasten der Demokratie“ kritisiert. Es bleibt jedoch offen, ob die Bürger vielleicht nur zum Ausdruck bringen möchten, dass das Zustandekommen von politischen Entwicklungen auch auf internationaler Ebene für sie oft undurchsichtig ist, sie gleichzeitig einen diskreten Einfluss „der Politik“ auf Massenmedien vermuten – was nicht unbedingt ein irrationales Weltbild signalisieren muss. Interpretationsfähig sind genauso die Sätze „Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen“ und „In Deutschland kann man nicht mehr frei seine Meinung äußern, ohne Ärger zu bekommen“. Diese Ansichten werden als „völkisch-autoritär-rebellische Einstellungen“ beanstandet.
Interpretationsbedürftige Aussagen
Abstrakte Begrifflichkeiten sind der Stoff, aus dem uneindeutige, interpretationsbedürftige Testfragen entstehen, die bei Befragten wahrscheinlich höchst unterschiedliche Assoziationen auslösen. Als Rechtsextremismus/Chauvinismus firmieren zum Beispiel die Forderungen „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“, und „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“. Nationalgefühl ist allerdings etwas anderes als Nationalismus. Immerhin kämpft die SPD auf Wahlplakaten derzeit „für dich und Deutschland“.
Als „Abwertung von Asylsuchenden“ interpretieren viele Umfragen die Aussagen „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ (dies muss der Befragte verneinen), „Die meisten Asylbewerber kommen nur hierher, um das Sozialsystem auszunutzen“, „Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt“. Hier werden Vermutungen über die Motivation von Zuwanderern und die Ablehnung einer „nicht großzügigen“ [?] staatlichen Behandlung mit Feindseligkeit gleichgesetzt.
Das Statement „Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mit schuldig“ ist als Lackmustest für Antisemitismus sicherlich geeignet. „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“ ist demgegenüber zumal in der aktuellen politischen Lage ein wachsweiches Kriterium. Das in der Forschung seit Langem herangezogene Statement „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ macht genau das, was man eigentlich für falsch erklären will: Es vermengt die Ablehnung der konkreten Politik einer Regierung mit der allgemeinen Haltung zu Juden in aller Welt.
Auch die viel zitierte „Muslimfeindlichkeit“ wird in Studien überstrapaziert. Während die Bejahung der Ansicht „Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt“ völlig zu Recht als Pauschalisierung einzuordnen ist, skizziert die Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ vor allem „harmloses“ Unbehagen gegenüber einer durch Migration geprägten Gesellschaft. Hier werden auf einen selbst bezogene Gefühle als menschenfeindlich kriminalisiert.
Zu unterscheiden wäre ohnehin immer, ob in Studien die persönliche Haltung des Befragten zu einer Gruppe oder seine Wahrnehmung von gesellschaftlichen Zuständen abgefragt wird, unabhängig von seiner eigenen Toleranz. Die für die Polizeistudie neu entwickelte Abfrage, ob, „wer anders als die Mehrheit der Bevölkerung aussieht, … in Deutschland … benachteiligt (wird)“, sagt primär etwas über den Eindruck, den der Befragte von Mitbürgern und gesellschaftlichen Institutionen hat, aus – jedoch nichts über seine eigene „Abwertung“ von „Black and People of Colour“.
Geschlechterfragen sind ein weiteres zentrales Stichwort. In der Leipziger Autoritarismus-Studie wird der „Antifeminismus“ mit Testfragen erhoben wie „Frauen machen sich in der Politik häufig lächerlich“ und „Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen, müssen sich nicht wundern, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“. Als Sexismus verbuchen es die Autoren, wenn das Statement „Eine Frau, die sich mehr [!] auf ihren Beruf als auf Haushalt und Kinder konzentriert, sollte kein schlechtes Gewissen haben“ verneint wird. Dass sich aber in konservativen weltanschaulichen Positionen zu Geschlechterrollen – in Zeiten, in denen das Bundeskriminalamt viele brutale Straftaten gegenüber Frauen zählt – pure Frauenfeindlichkeit äußert, ist zu bezweifeln.
Besonders interessant ist die Erhebung des „Autoritarismus“ der Bevölkerung. Dieser wird von den Leipziger Forschern traditionell unterteilt in Konventionalismus (u. a. Bejahung des Statements „Traditionen sollten unbedingt gepflegt und aufrechterhalten werden“), Unterwürfigkeit (u. a. „Menschen sollten wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen überlassen“), und Aggression (u. a. „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind.“). Bei den vorgegebenen Statements ist allerdings entscheidend, was der Einzelne überhaupt mit ihnen assoziiert. Überlassen wir nicht alle zwangsweise „wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen“? Zumal dann, wenn sie demokratisch gewählt worden sind?
Die Autoritarismus-Studie arbeitet mit besonders grimmigen, martialischen Schlüsselwörtern. Hintergrund ist, dass die Autoren ihre Arbeit in einen sehr komplexen theoretischen Überbau aus sozial-psychologischen/psychotherapeutischen und philosophisch-soziologischen Bezügen einbetten, in Anlehnung an Sigmund Freud, Erich Fromm, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno (Kritische Theorie mit ihrem Autoritarismus-Konzept und der Erklärung des Faschismus). So laufen die Autoritarismus-Dimensionen unter der Überschrift „Sadomasochismus“.
Die Einstellungsmuster Verschwörungsmentalität und Aberglaube werden als „Fetischismus“ zusammengefasst. Aberglaube wird dabei festgemacht am Vertrauen in Glücksbringer, Wahrsager, Wunderheiler und Horoskope. Als Verschwörungserzählung gilt etwa „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“. Ferner fahnden die Leipziger nach psychischer „Ambiguitäts-Intoleranz“, sprich der „Unfähigkeit, Mehrdeutigkeiten, Unsicherheiten und Widersprüche aushalten zu können“. Hier könnte man sich glatt fragen, ob viele Politiker und Wissenschaftler selber Bürger nicht bevorzugt nach Gut und Böse trennen, also ein bisschen ambiguitäts-intolerant sind?
Konzepte von der idealen Demokratie
Die Erhebungen rund um die GMF und andere nicht wünschenswerte Haltungen sind in den Studien in der Regel verknüpft mit Demokratie-Konzepten. So wird etwa abgefragt, ob man meint, „unsere Gesellschaft sollte auf die Bedürfnisse von Minderheiten mehr Rücksicht nehmen“, ob man „staatlichen Institutionen wie Behörden, Gerichten und Universitäten in Deutschland vertraut“, ob sich „Politiker mehr Rechte heraus(nehmen) als normale Bürger“, ob „die demokratischen Parteien alles zerreden und die Probleme nicht lösen“. Die beiden letzten Fragen nennt die Mitte-Studie „populistisch“.
Hier kommt es selbstverständlich sehr darauf an, welche konkreten Assoziationen die Sätze beim Einzelnen wachrufen und was die Forscher hören möchten. Kritische Positionen gelten tendenziell als „problematische, nicht leitbildkonforme Haltungen“. Das ist ein Zitat aus der Polizeistudie, deren Autoren die Polizei in einer „rassifizierten Gesellschaft“ wähnen, und es bringt gut zum Ausdruck, dass die Messlatte für Einstellungen auf einem bestimmten Modell von „richtigen“ Vorstellungen der Bürger beruht. Wer wie die Leipziger Studie „die AfD als Profiteur einer ‚Migrationskrise‘, die sie selbst mit herbeigeredet hat“ sieht, legt nahe, dass es de facto eigentlich keine so bedeutende Migrationskrise gibt.
Alltägliche versus alltagsferne akademische Themen
Die in den einschlägigen Bevölkerungsumfragen verwendeten Items sind teilweise alltagsnah, das heißt thematisieren etwas, mit dem sich Befragte persönlich, in Gesprächen mit anderen Menschen sowie durch Medienberichte beschäftigen. Dazu gehören im Zweifel auch harsche Empfindungen wie „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Ausmaß überfremdet“ (Beleg für „Ausländerfeindlichkeit“). Andere vorgegebene Statements betreffen alltagsferne Fragestellungen, über die der ein oder andere wohl auch nach dem dritten Glas Wein nicht nachdächte, würde man nicht als Studien-Teilnehmer mit der Nase auf sie gestoßen. Zur zweiten Gruppe zählen sozialdarwinistische Aussagen wie „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“. Und wer überlegt schon des Öfteren, ob „im nationalen Interesse unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform ist“. Dem stimmen in der Autoritarismus-Studie 2024 auch nur vier Prozent aller Befragten zu.
Bemerkenswert bleibt aber in diesem Zusammenhang der sehr große Rückhalt der „Demokratie als Idee“ in der Bevölkerung. Sie erntet in der Autoritarismus-Studie einen Zustimmungswert von 90 Prozent (in Ostdeutschland sogar 95 Prozent). Demgegenüber sympathisieren nur 42 Prozent der Bürger mit der realen „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“ (Ost 30 Prozent). Die Bundesbürger sind also keine Demokratie-Verächter, hadern aber in hohem Maße mit deren Umsetzung. Woran das liegen könnte, offenbaren andere Studien wie etwa die R+V-Umfrage „Die Ängste der Deutschen“.
Konkretisierung von Schlüsselwörtern in öffentlicher Diskussion unbedingt nötig
Unter dem Strich werden, dies gilt es sich zu vergegenwärtigen, Millionen von Bürgern (in der Polizeistudie qualifizierte Minderheiten der Beamten) als Menschen mit problematischen Einstellungen eingeordnet. So schätzt die Mitte-Studie 2022/23 acht Prozent der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung als „manifest rechtsextrem“ ein, weitere 20 Prozent werden im „Graubereich“ verortet. Die aktuelle Autoritarismus-Studie bescheinigt knapp fünf Prozent der Befragten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“, wobei vor allem die Einstellungsdimensionen manifest-rechtsextremer Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit immerhin 15 bzw. 22 Prozent der Umfrageteilnehmer zugeschrieben werden. Bei fast jedem zweiten Befragten meint man, eine autoritäre Aggression festzustellen, bei fast jedem fünften autoritäre Unterwürfigkeit, jedem vierten wird eine Verschwörungsmentalität nachgesagt.
Das sind Hausnummern, die, wenn sie als wissenschaftlich untermauerte Charakteristika der Bevölkerung Eingang in Politik und Medien finden, durchaus politische Sprengkraft entfalten und etwa den „Kampf gegen rechts“, einen AfD-Verbotsantrag oder die Etablierung von immer mehr Meldestellen legitimieren können. Genau deshalb wäre es wichtig, nicht allzu sorglos mit politischen Wort-Ungetümen wie Rechtsextremismus, Rassismus, Menschenfeindlichkeit umzugehen, bei denen es teilweise, wie gezeigt wurde, darauf ankommt, wie man sie versteht. Besser noch, die moderne Sozialforschung schaffte es, Antworten auf von ihr gestellte Fragen hier und da einfach mal so unkommentiert im Raum stehen zu lassen, ohne sie gleich reflexhaft in schmutzige Schubkästen zu werfen, die auch auf dem (politisch eher links angesiedelten) Weltbild der einschlägigen Forscher-Community aufgebaut sind.