Tichys Einblick
Was die INSA-Umfragedaten noch verraten:

Rasender Stillstand vor der Rallye in den Abgrund

Eine der dümmsten Sätze von Merz lautete, dass die Grünen und Roten nach der Pfeife der Union tanzen müssten. SPD und Grüne müssen gar nichts. Eine gescheiterte schwarz-grün-rote Koalition wäre einzig und allein für die Union ein Problem – wenn sie nicht sogar das Ende der CDU bedeuten könnte.

picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Bei den Wahlumfragen herrscht Stillstand, der rasende Niedergang Deutschlands wird nach den Wahlen allerdings noch beschleunigt werden. Die Ergebnisse der Sonntagsumfragen bleiben erstaunlich stabil, liegen geradezu wie Blei, der Wahl-O-Mat läuft indes heiß, die Bürger sind so verunsichert wie nie zuvor. Als Alternative, als Opposition zur Fortsetzung rotgrüner Politik existiert nur die AfD.

Die FDP zerfällt in Restliberale, Philogrüne und Opportunisten. Sahra Wagenknechts BSW hat wie erwartet die Regierungsbildungen eingeholt und die hübsche Projektionsfläche zerstört. Nachdem die Grünen den Lagerwahlkampf ausgerufen haben, stratzen die Helden der Union schnell ins rotgrüne Lager zurück, um dort die Grünen in puncto Illiberalität noch zu überholen. Konvertiteneifer würde man es nennen, wenn bei der Union noch Restmengen von politischen Überzeugungen vermutet werden dürften. Friedrich Merz klingt von Tag zu Tag mehr wie Robert Habecks inoffizieller Pressesprecher. Vielleicht ist er das auch inzwischen.

Zugewinne und Verluste spielen sich, wenn es sie überhaupt gibt, im unerheblichen Ein-Prozent-Bereich ab, der tief in der Fehlertoleranz liegt. Die WELT macht sich derweil mit der Überschrift lächerlich: „Werte für die Union wachsen – für Grüne und Linke auch.“ Die Zahlen geben ein anderes Bild ab. Laut aktueller INSA-Umfrage hat die Union wieder die 30-Prozent-Marke (+1) erreicht, nachdem sie zuvor den harten „Absturz“ auf 29 Prozent erlitten hatte. Aber sie wachsen ja wieder, laut WELT. Die AfD liegt weiter bei 21 Prozent, die SPD bei 15 Prozent (-1), die Grünen wieder bei 13 Prozent (dementsprechend +1). Insgesamt halten sich SPD und Grüne, wie gehabt und unverändert, zusammen im 28-Prozent-Türmchen auf. Die Linke liegt bei 6 Prozent (+1), was, um zu scherzen, an der Radikalisierung der „Omas gegen Rechts“ liegen dürfte.

Im Ernst, Grüne und BSW verlieren etwas an die Linke als Radikalisierungseffekt der Regierungsaufmärsche. Das BSW knabbert an der 5-Prozent-Hürde (- 1), und für die FDP, die sich nicht recht entscheiden kann, in welche Richtung sie mobilisieren soll, bleibt es bei 4 Prozent. Christian Lindner mag hoffen, dass die allgemeine Ratlosigkeit und Merzens grüne Präfrühlingsgefühle der FDP noch ein paar ratlose Wähler der Union zutreiben würden. Die FDP als anständige Variante, um nicht AfD wählen zu müssen, hat zwar schon einmal geklappt, doch weiß die FDP, diesen Effekt selbst zu stören, indem sie rechtzeitig immer wieder so vertrauenerweckende Politiker wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Konstantin Kuhle und Johannes Vogel in die Öffentlichkeit schickt.

Für die Wahlkampfstrategie sind andere Fragen als die Sonntagsfrage für die Parteien interessanter, die in der Öffentlichkeit in der Regel nicht bekannt sind. Wichtig für die Parteien ist es zu erfahren, wie viele Wähler sich grundsätzlich gar nicht und wie viele Wähler sich grundsätzlich vorstellen können, eine bestimmte Partei zu wählen. Daraus ergibt sich das Potential, das eine Partei hat. Im Folgenden wird auf die Daten von INSA zurückgegriffen. 58 Prozent der Wähler können sich grundsätzlich überhaupt nicht vorstellen, die AfD zu wählen, 22 Prozent würden sie wählen, 7 Prozent könnten es sich vorstellen, sodass die AfD ein Potential von 29 Prozent hat. Für den Wahlkampf der AfD besitzen die 58 Prozent keine Relevanz, interessant sind die 7 Prozent.

23 Prozent der Wähler könnten sich grundsätzlich nicht vorstellen, die Union zu wählen. 30 Prozent würden die Union wählen, 17 Prozent wären gewinnbar. Die SPD liegt ca. bei 15,5 Prozent, 21 Prozent könnten noch überzeugt werden, die SPD zu wählen. Bei den Grünen sind 13 Prozent der Wähler grundsätzlich entschlossen, die Partei zu wählen, potentiell wären es maximal noch 15 Prozent. Die FDP liegt bei 4 Prozent, das Potential bei 16 Prozent, das Potential vom BSW bei ca. 14 Prozent, der Linken bei 10 Prozent. Klar ist, dass die Parteien ihre Potentiale nicht ausschöpfen können, weil sie mit der Werbung einer Wählergruppe eine andere Wählergruppe verprellen würden – und sie müssen auf ihre Stammwähler achten, die sie natürlich auch nicht enttäuschen dürfen.

Schauen wir uns das in Prozentpunkten einmal an. Niemanden wird es überraschen, dass für die Union das größte Potential bei den Wählern der AfD liegt, bei 5 Prozent, gefolgt von der SPD mit 4 Prozent und den Grünen mit 3 Prozent. Interessant wäre es für die Union also, AfD- und SPD-Wähler von sich zu überzeugen. Gleichzeitig könnten sich aber auch 5 Prozent der Wähler der Union vorstellen, die AfD zu wählen. Für die Union ist es wichtig, keine Wähler an die AfD zu verlieren, und möglich, noch Wähler von der AfD zu bekommen. In dieser Frage, zumal nach Magdeburg und Aschaffenburg, kommt der Frage der Migration eine überragende Bedeutung zu. Im Bereich der Migration könnte es der Union durch einen konsequenten Kurs der Reduktion der Migration, kurz gesagt, die Einwanderung zu begrenzen und Ausweisungen vorzunehmen, gelingen, auch Wähler von der SPD zu überzeugen.

Und der 29.1. und der 31.1., als die Union ohne Rücksicht auf Merzens berüchtigte „Zufallsmehrheiten“ ein Gesetz und einen Entschließungsantrag zur Abstimmung in den Bundestag einbrachten, hatte zwar nicht dazu geführt, dass die Union Wähler der AfD oder der SPD von sich in ansehnlicher Zahl überzeugten, doch es gelang ihr, keine Wähler an die AfD abzugeben, mehr noch, potentielle Wähler zurückzuhalten, zur AfD zu gehen. Ohne den 29.1. und den 31.1. wäre die Union vermutlich auf 26 bis 27 Prozent gefallen. Sie hat die Hoffnung genährt, dass sich die Union für sie doch wieder in die richtige Richtung bewegt. Noch sind einige potentielle Wähler der Union mit kleinen Gesten zufrieden. AfD zu wählen, stellt auch für potentielle Wähler der Union, die mit der Politik der Union unzufrieden sind, immer noch einen zu großen Schritt dar.

Vor diesem Hintergrund ist es zunächst vollkommen unverständlich, dass Merz seit dem 31.1. mit Macht ins rotgrüne Lager drängt und dadurch den Erfolg seines rein taktischen Schwenks in der Migrationsfrage wieder zerstört. Indem die Union dem TEHG-Europarechtsanpassungsgesetz zustimmte, Merz sich zum Ausbau der Windenergie bekannte, sich für die Auflösung, was er wie die Roten und die Grünen euphemistisch Reform nennt, der Schuldenbremse ausspricht, in der Ukraine-Frage Baerbocks, Habecks und Hofreiters Position „Alles für die Ukraine“ teilt und er nun sich in die rotgrüne Einheitsfront gegen die USA einreiht, sogar in seiner letzten Mail fahrlässig mit der Auflösung des transatlantischen Bündnisses spielt, gewinnt die Union nicht einen Wähler von der SPD, schon gar keinen von der AfD, sondern läuft Gefahr, eigene Wähler zu verlieren.

Wie die Grünen, wie die Roten führt auch Merz neuerdings das Wort Europa im Mund. Nur, Europa ist ein Tarnwort, eine Täuschung, denn wenn Habeck, Scholz, Pistorius, Baerbock usw. Europa sagen, sagen sie Deutschland. Baerbock stellt sich tatsächlich hin und verkündet, dass die Antwort auf „America first“ „Europe united“ sei. Das ist lächerlich. Den Kurs der dysfunktionalen Eliten Deutschlands in der Politik gegenüber Präsident Donald Trump in der Migrations-, in der Energie- und in der Wirtschafts- und Klimapolitik tragen weder Schweden, noch Dänemark, noch die Niederlande, noch Frankreich, noch Italien, noch Ungarn, noch die Slowakei, noch Tschechien, noch Polen mit. Letztlich auch nicht Finnland, Norwegen und Österreich.

Merz befindet sich nicht auf einem europäischen Weg, sondern auf einem deutschen Sonderweg, der übrigens ein Holzweg ist. Seine Wirtschaftspolitik entpuppt sich als Politikwirtschaft. Was Merz dazu treibt, ist dennoch klar, zumal er es selbst verraten hat. Der Kanzlerkandidat der Union sieht sich bereits als Gewinner der Wahl, selbst wenn er verliert, selbst 25 Prozent dürften ihm genügen, wenn Grüne bei 13 Prozent und die SPD bei 15 Prozent lägen.

Im Bundestag sagte er zu den Grünen und zur SPD gewandt, dass es nicht nur den 23.2. gäbe, sondern auch den 24.2., das heißt den Tag, an dem Koalitionsgespräche und die Regierungsbildung begännen. Da aber Merz sich festgelegt hat, nicht mit der AfD zu kooperieren, mit der einzigen Partei, mit der er das Wahlprogramm der Union verwirklichen, und deshalb nur mit den Grünen und den Roten koalieren kann, hat er sich komplett erpressbar gemacht, lässt er sich von Grünen und SPD am Gängelband durch die politische Manege führen. Eine der dümmsten Sätze von Merz lautete, dass die Grünen und Roten nach der Pfeife der Union, weil sie doch die stärkste Fraktion bilden wird, tanzen müssten. Hat Merz die letzten drei Jahre Politik in Deutschland verschlafen? Es waren die Grünen, die die Ampel dominiert haben. SPD und Grüne müssen gar nichts. Sie können Merz abtropfen lassen, wenn sie wollen, sie können jederzeit, wenn es für sie günstig ist, die Koalition verlassen und Friedrich Merz und die Union mit maximalem Schaden wie einen begossenen Pudel zurücklassen.

Eine gescheiterte schwarz-grün-rote Koalition wäre weder für die Grünen noch für die SPD ein Problem, sondern einzig und allein für die Union, wenn sie nicht sogar das Ende der CDU bedeuten würde. Dass Merz jetzt das alte Merkel-Rezept, die eigenen Wähler als Geisel zu nehmen, in dem vermeintlichen Irrglauben, dass die dann nicht anders können, wieder hervorkramt, verkennt die Lage. Friedrich Merz scheint nicht zu wissen, dass die Regierung, die er bilden will, dass seine Kanzlerschaft zum Erfolg verdammt ist, denn Deutschland hat keine Reserven mehr, die Nerven liegen blank. Kein Wähler der Union wird das Scheitern der Union als Regierungspartei weder akzeptieren noch tolerieren: mene, mene tekel upharsin, steht mit Flammenschrift an der Brandmauer geschrieben.

Die politischen Spielchen von Deutschlands dysfunktionalen Eliten sind aus der Zeit gefallen, sie haben die Verbindung zur Entwicklung verloren, vor deren Zumutungen sie sich verbarrikadieren. Sie selbst sind ein Museum. Nur noch ihre Brandmauer schützt Deutschlands Anachronismus. Es ist bereits mehr ins Rutschen geraten, als die Zahlen bisher abbilden.


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