Tichys Einblick
Verfassungsschutz legt Jahresbericht vor

Im Schnitt: Jede Woche eine islamistische Terrortat

Der Verfassungsschutz hat seinen aktuellen Bericht vorgelegt. Demnach ist die Zahl extremistischer Straftaten um ein Drittel auf 85.000 Fälle gestiegen. Die Zahlen sind zu hinterfragen. Die Antworten offenbaren indes eine spannende Geschichte.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern

Zu Statistiken hat Winston Churchill ein für allemal alles Notwendige gesagt: Der britische Kriegspremier vertraute demnach nur den Statistiken, die er selbst gefälscht hat. Wenn also eine Institution wie der Verfassungsschutz eine Statistik vorlegt, ist entsprechende Vorsicht geboten. Eine Institution, von deren Präsident Thomas Haldenwang öffentlich eingeräumt hat, dass sie sich zuständig für die Aufgabe sehe, die Umfragewerte der AfD zu senken – bevor Haldenwang auch offiziell in die Politik gewechselt und dort dann kläglich gescheitert ist.

Wenn also der Verfassungsschutz veröffentlicht, dass die Zahl der Rechtsextremen von 20.000 auf 50.000 Menschen gestiegen sei, dann gibt es zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Die eine bietet sich an, wenn man als Medium selbst die Gefahren von rechts auf der Agenda hat. Dann kann man als Journalist Hand in Hand mit dem Inlands-Geheimdienst den Schwengel in die Hand nehmen und die Hysterieglocke läuten. Wenn man versucht, einen kühleren und klügeren Kopf zu bewahren, kann man Fragen stellen: Wie definiert der Geheimdienst rechtsextrem? Oder hat sich diese Definition verändert? Nur stellen die Journalisten der Bundespressekonferenz diese Fragen nicht, und der Verfassungsschutz gibt auch keine Antworten. Sie wollen beide den Schwengel der Hysterieglocke nicht lockerlassen. Davon hängen Planstellen und Karriere-Aussichten ab.

CSU-Bundesinnenminister Dobrindt:
Wachsende Gewaltbereitschaft unter jugendlichen Extremisten
Ein möglicher Umgang mit dieser Situation wäre es, sich solche Statistiken genau anzuschauen. Für einen Mann wie Churchill, der an der Spitze eines Empires steht, eine durchaus sinnvolle Option. Doch Journalisten müssen tiefer in die Täler hinein als Regierungschefs. Und im Fall des Verfassungsschutzberichts lohnt sich das auch. Zwar sind die Zahlen vorsichtig zu genießen, an deren Aufpumpen der Statistik-Ersteller ein Interesse hat. Doch umso beeindruckender sind die Zahlen, an deren Kleinhalten der gleiche Ersteller ebenfalls ein Interesse hat.

Und eine Zahl hat es in sich: Demnach verzeichnet der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr 60 Straftaten aus dem Bereich islamistischer Radikalismus. Diese gelten entweder als “Vorbereitung und Unterstützung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder als Mitgliedschaft in beziehungsweise Unterstützung einer ausländischen Terror-Vereinigung“.

60 Straftaten. Terror. Von ausländischen Kräften inszeniert. Jede Woche mindestens einmal. Keine Vorgänge mit unklarem Hintergrund, die jemand der Kategorie zuordnet, an deren hohen Fallzahlen der Vorgesetzte ein Interesse hat. Keine Personen, die unter selbst aufgestellte Definitionen fallen. Stattdessen: Konkrete, gesicherte Straftaten. Von ausländischen Staaten unterstützte Taten. Gut, dass Journalisten und Verfassungsschützer so laut die rechtsextreme Hysterieglocke läuten – sonst müsste die Lautstärke dieser Gefahr der Regierung und ihrem Volk heftig in und zwischen den Ohren schmerzen.

Seit Haldenwangs verpatztem Abgang in die Politik führen zwei Vizepräsidenten den Verfassungsschutz. Einer davon ist Sinan Selen. Er war willfähriger Erfüllungsgehilfe, als Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit einem “Geheim-Gutachten” des Inlands-Geheimdienstes der AfD die Verfassungstreue absprach. Selen sitzt nun neben dem neuen Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), während der seiner Vorgängerin eine schwere politische Ohrfeige verpasst: Das Gutachten sei keine Grundlage für ein Verbotsverfahren, dafür sei die Untersuchung nicht komplex genug gewesen. Diese Ohrfeige muss auch auf Selens Wange geschallert haben.

Nun muss Selen den Bereich Radikalisierung im Netz der Bundespressekonferenz vortragen. Und so sehr er gerne der gewesen sein mag, der Faeser die Munition für ein AfD-Verbot liefert; so wenig kommt er nun daran vorbei, zuzugeben, dass der islamistische Terror und die islamistische Demokratie-Ablehnung im Cyperspace durchaus ein Problem sind. Die nächste Ohrfeige für einen Mann, der ein Gutachten verantwortet, das den Hinweis von AfD-Politikern auf islamistische Terrorgefahr als Hinweis für fehlende Verfassungstreue interpretiert.

AfD-Verbotsverfahren: Gutachten reicht nicht
Alexander Dobrindt verpasst Nancy Faeser eine schwere politische Ohrfeige
Der Terror-Gruppe “Islamischer Staat” sei es gelungen, sagt Selen in der Pressekonferenz, den Nahostkonflikt in ihrem Sinne zu interpretieren und somit Anhänger in Deutschland zu rekrutieren. Dass der Staatsfunk ebenfalls wie besessen eine Anti-Israel-Agenda verfolgt, dürfte den Terroristen dabei eher geholfen als geschadet haben. Etwa wenn die ARD das Fangirl Greta Thunberg auf seiner Gaza-Promotour hofiert.

Die Zahl der islamistischen und antisemitischen Straftaten ist laut Verfassungsschutz von 2023 auf 2024 gestiegen. Um 33,3 Prozent. Auf 656 Fälle. Zwölf Fälle darunter waren Gewalttaten. Das Gefahrenpotenzial aus der islamistischen Terrorszene sei hoch. Das sagt Selen nicht. Der Verfassungsschutz steckt es vorab der Bild. So ist die Botschaft in der Welt, man muss sich kein Weglassen vorwerfen lassen, und sie bleibt so leise, dass die rechte Hysterieglocke sie weiter bequem übertönen kann.

Dobrindt sitzt neben Selen. Der Innenminister ist Politiker. Auch offiziell. Er weiß Umstände für sich zu nutzen. Selens Ausführungen bindet Dobrindt mit der Ankündigung ab, die Cyber-Fähigkeiten seines Geheimdienstes aufrüsten zu wollen. Mehr Geld, bessere Ausrüstung, mehr Personal. In einer der beiden nächsten Wochen legt Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) seinen Entwurf für den Haushalt des laufenden Jahres vor. Da ist es wichtig, laut genug Bedarf anzumelden. Dafür ist es dann auch mal recht, die Gefahr darzustellen, die vom islamistischen Terror ausgeht. Zumal die allermeisten Journalisten ohnehin gewillt sind, eine andere Hysterie-Glocke zu läuten.

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