Seit über zwei Wochen tobt bereits die Debatte, ob die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf für das Amt einer Verfassungsrichterin geeignet ist. An der in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Diskussion erstaunte, dass die Kandidatin, über die die Öffentlichkeit debattierte, die Debatte schwänzte, wohl in der Hoffnung, dass eine Fraktion, deren Gewohnheit es ist, vor der Linksfront der Linken, der Grünen, der SPD und einiger einschlägiger Medien letztlich zu kuschen, auch diesmal ihrer Gewohnheit nachgeben würde.
Doch diesmal kam es anders, die Wahl der Verfassungsrichter wurde verschoben – Ausgang offen. Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzender der Union, die die Wahl von Brosius-Gersdorf durchwinken wollten, scheiterten an ihrer Fraktion, in der sich nach wie vor nicht genügend Abgeordnete finden, die Ungeeignete im Augen-zu-und-durch-Verfahren zu wählen – und die SPD, für die es nur noch um den Machtkampf geht, hat sich in eine Situation hineingesteigert, aus der sie ohne Gesichtsverlust nicht mehr zurück kann. Im Schach nennt man das Patt.
Über öffentliche Angelegenheiten ist öffentlich zu verhandeln. Nach allem, was bisher geschehen ist, hätte sie klar und deutlich in etwa so beginnen müssen: Da Unklarheiten über meine Auffassung zu folgenden Themen bestehen, möchte ich meine Positionen zur Impfpflicht, zur Einschränkung der Grundrechte, zum Verbot von Parteien und Vereinen, zum Paritätsmodell, zum Schwangerschaftsabbruch und zur Frage des Zusammenhangs zwischen Lebensschutz und Menschenwürde sowie zum Kopftuchverbot deutlich machen. Statt offensiv ihre Position zu vertreten, kritisiert sie jedoch ihre Kritiker und den Fakt, dass es überhaupt Kritiken geben konnte. Mehr noch, sie kann Kritik nur unter der Konstruktion von Verschwörungstheorien sehen, allein das bestätigt schon, wie ungeeignet sie für das Amt ist, für das sie nach dem Willen von SPD und Grünen gewählt werden sollte.
Brosius-Gersdorf schreibt hingegen: „Die Berichterstattung über meine Person und meine inhaltlichen Positionen im Zusammenhang mit der Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts war in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent. Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern.“ Inwiefern eine so öffentlich geführte Diskussion „intransparent“ gewesen sein soll, erschließt sich keinem, der diese Diskussion verfolgt hat. Das kann nur jemand behaupten, der in gleißender Mittagssonne stehend behauptet, sich in finsterer Nacht zu befinden. Wenn Brosius-Gersdorf meint, dass die Berichterstattung nicht „zutreffend“ war, hätte sie jetzt die Gelegenheit gehabt, für Vollständigkeit und Richtigstellung zu sorgen. Doch sie unterlässt es, schweigt über den Kernvorwurf.
Die Diskussion über ihre Eignung begann mit dem Post der Bundestagabgeordneten Saskia Ludwig, die Brosius-Gersdorf nicht wählen wollte, weil die autoritären und obrigkeitsstaatlichen Positionen beispielsweise in Fragen der Impfpflicht von Brosius-Gersdorf im Widerspruch zum Grundgesetz stünden, deren Geltung als Abwehrrecht der Bürger gegen den übergriffigen Staat sie zu schützen hätte.
Doch über dieses Thema schweigt Brosius-Gersdorf. Sie schweigt auch über ihre dem Geist des Grundgesetzes widersprechenden Äußerungen und Vorstellungen zu Grundrechtseinschränkungen und zum Grundrechteentzug für Bürger und zum Verbot von Parteien und Vereinen. Das aber sind die Kernfragen, die Fragen der Rechte der Bürger gegenüber dem Staat – und über all das schweigt Brosius-Gersdorf.
Über ihre Phantasien zu Eingriffen in das Wahlrecht, Stichwort „Paritätsmodelle für die Wahl des Deutschen Bundestags“ ringt sie sich ein paar Sätze ab, um schließlich rasch den Notausgang mit dem Satz zu nehmen: „Diese Frage ist in der Rechtswissenschaft umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt.“ Verwirrend und auch teils im Selbstwiderspruch schreibt sie über den Schwangerschaftsabbruch und versucht ihre Vorstellung, Lebensschutz und Menschenwürde zu trennen, mit Verfassungsdogmatik und Rechtsdogmatik zu begründen. Aber mit Rechtsdogmatik, das lehrt die Rechtsgeschichte, kann man jedes Gesetz begründen.
Bleibt festzuhalten: In ihrem Statement tut Frauke Brosius-Gersdorf sich selbst und der SPD keinen Gefallen, der Öffentlichkeit aber schon, denn die Rechtsprofessorin dokumentiert, dass sie weder die Kommunikationssituation versteht noch in der Lage ist, ihre Positionen klar und stringent in der Öffentlichkeit darzustellen, dass bei aller Rechtsdogmatik, die Voraussetzung ist, der Blick ins Leben, der eine Voraussetzung für das Richteramt, für das höchste im Staat allzumal ist, der Professorin abzugehen scheint.
Die SPD täte gut daran, den Vorschlag zurückzuziehen. Doch offenkundig findet sich niemand in der Fraktion, der des verstehenden Lesens kundig ist. Dort ist man gewillt, sich weiter zu verrennen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede sagte, dass sie froh sei, „dass sich Frau Brosius-Gersdorf nun selbst zu Wort gemeldet hat, um die Gerüchte auszuräumen. Ein Grund mehr für die Unionsfraktion, jetzt das Gespräch mit ihr zu suchen.“ Denn: „Frau Professor Brosius-Gersdorf bestätigt mit ihrer Erklärung genau das, was wir seit Tagen sagen: Die ihr vorgeworfenen Äußerungen waren falsch, verkürzt dargestellt oder unzutreffend.“
Genau das waren sie nicht, zu den fundamentalen Vorwänden äußerte sich Brosius-Gersdorf erst gar nicht. Für die SPD allerdings wäre es besser gewesen, ihre Kandidatin hätte ein weißes Blatt publiziert, dann hätte sie wenigstens nichts gesagt, anstatt die Kritik zu bestätigen.