Tichys Einblick
Öffentliche Debatte statt Hinterzimmer

Ein guter Tag für die Demokratie

Wer das Verfassungsgericht heimlich zum ideologischen Durchgriffsorgan umbauen will, hasst offene Debatten und fürchtet das Licht der Öffentlichkeit. Die wütenden Ausbrüche von Grünen wie SPD zeigen: Nicht die Debatte schadet der Demokratie, sondern ihre autoritären Tricks.

IMAGO

Weil rote und grüne Politiker und ihre Medien-Freunde von billiger zu billigster Verschwörungstheorie taumeln und dabei nur aller Welt demonstrieren, dass in den sich selbst demokratisch nennenden Parteien eine erstaunliche Unkenntnis der Demokratie vorherrscht, weil sie glauben, dass Demokratie nur ein Synonym für ihre Machtausübung ist, empfiehlt sich eine Besinnung auf die Grundlagen unserer Demokratie.

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Die Grünen werden es nicht wissen, in der SPD wird man sich lieber nicht daran erinnern und in der Union hält man es ohnehin für überflüssige Theorie, aber der Name Republik leitet sich von res publica her, zu deutsch: öffentliche Angelegenheit oder öffentliche Sache. Der zwar einfache, aber vor allem fundamentalte Grundgedanke, den sogar Grüne verstehen könnten, wenn es ihnen nicht einzig und allein im Tunnel der Ideologie um ihre Beglückungsideen innerhalb planetarer Grenzen ginge, lautet:

Über öffentliche Angelegenheiten ist öffentlich zu diskutieren.

Wer das nicht begriffen hat, hat nichts begriffen. Wer sich hinstellt und wie die Grünen und die SPD behauptet, dass eine öffentliche Debatte über die Kandidaten für das höchste Richteramt der Republik dem Ansehen des Verfassungsgerichts schadet, sollte sich nur in dem Sinne Demokrat nennen wie in der DDR. In welcher offiziell das Adjektiv demokratisch neben sozialistisch, die übrigens synonym benutzt wurden, am häufigsten Verwendung fand, so wie für die Grünen demokratisch als synonym für grün und für die Sozialdemokraten als synonym für sozialdemokratisch benutzt wird.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, darüber zu wachen, dass sich der Staat vor allem den Bürgern gegenüber an das Grundgesetz hält. Das Grundgesetz ist das Abwehrrecht der Bürger gegen den aus seiner Natur stets übergriffigen Staat.

Das Bundesverfassungsgericht hat darauf zu achten, dass der Staat gegenüber den Bürgern nicht seine Befugnisse überschreitet, der Bürger kann die Einhaltung seiner Grundrechte an diesem Gericht einklagen. Wenn aber dieses Gericht mit Richtern besetzt wird, deren Rechtsauffassung hingegen darin besteht, dass der Staat missliebigen oder kritischen Bürgern einfach die Grundrechte entziehen kann, um politische, im Grunde parteipolitische Projekte wie die Durchsetzung der Klima-Ideologie zu erzwingen, dann hat man, wie es in der deutschen Sprache so schön heißt, den Bock zum Gärtner gemacht.

Die Akzeptanz der Bürger kann das Verfassungsgericht nicht verfügen, es kann sie nur erringen durch ein untadeliges, weltanschaulich neutrales und parteipolitisch abstinentes Wirken. Wenn man aber die Interviews und Texte der beiden Kandidatinnen der SPD analysiert, wobei ihr defizitäres Grundrechtsverständnis deutlich wird, erheben sich doch sehr berechtigte Zweifel, ob die Grundpositionen der beiden Rechtsprofessorinnen mit ihrer Aufgabe vereinbar ist.

Doch weder die Grünen, noch die SPD als wohl eher staatsbonapartistisch orientierte Parteien interessierten sich dafür, mehr noch, die juristische Grundpositionen ihrer Kandidaten entsprechen den Vorstellungen der Grünen und der SPD vom starken Staat und vom schwachen Bürger. Deshalb denunzieren SPD und Grüne jetzt jede kritische Anfrage in der Sache als „rechte Hetze“ und konstruieren wie nach dem Konsum von 5 Joints die unterschiedlichen Kritiker zur „vereinigten Rechte“. Mark Schieritz, Wirtschaftskorrespondent der ZEIT raunt: „Hier wird gerade eine Koalition mit der AfD vorbereitet.“

Britta Haßelmann trug ihre Unkenntnis des Grundgesetzes in dem Post vor: „Der Bundestag ist in der Pflicht, für die Besetzung Gerichts eine klare 2/3 Mehrheit ohne die AfD zu gewährleisten. Union, SPD, Grüne & Linke sind gefordert, demokratische Mehrheiten abzusichern.“

Erstens sind alle im Bundestag vertretenen Parteien demokratisch, weil sie demokratisch gewählt worden. Und zweitens kennt das Grundgesetz keine Abgeordneten 1. und 2. Klasse. Es ist also die Aufgabe im Bundestag eine 2/3 Mehrheit zu Stande zu bringen, denn der künftige Verfassungsrichter soll es ja nicht von Haßelmanns Gnaden sein, sondern eine Mehrheit des Parlaments von seiner Überparteilichkeit und Eignung überzeugen, weil daraus seine Autorität herrührt.

Selbst die grünaktivistische Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold musste zugeben: „Keine Institution kann auf Dauer gegen eine Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung agieren. Auch das Bundesverfassungsgericht etwa ist darauf angewiesen, dass die anderen Institutionen seine Entscheidungen umsetzen. Es fällt seine Urteile unabhängig, aber wenn die Umsetzung auf massiven Widerstand stößt, ist das auf Dauer nicht durchhaltbar.“

Wenn also eine 11 % oder 13 % Partei ihre Kandidaten durchsetzen, um gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung zu urteilen, dann sind sie es, die das Bundesverfassungsgericht beschädigen, zumal sie damit auch eine Art judikativen Putsch gegen das Grundgesetz lancieren.

Die öffentliche Debatte über die Eignung der Kandidaten hingegen beschädigt das Bundesverfassungsgericht nicht, sondern Richter, die aufgrund eines Deals von Parteien durchgewunken werden und im Richteramt wissen, wem sie ihren Posten zu verdanken haben.

Nicht die Debatte verringert die Autorität des Bundesverfassungsgerichts, sondern absurde, ideologisch verursachte und teils ideologisch begründete Urteile wie das Klimaschutzurteil oder die Verschleppung des Urteils über Merkels Amtsmissbrauch, das erst – oh Wunder – nach Merkels Amtszeit erging.

Unwürdige Begründung
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Nachdem eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit über die Eignung vor allem einer Kandidatin entstand, die von der Unionsfraktion allenfalls unter großem Druck der Fraktionsspitze gewählt worden wäre, wenn nicht Friedrich Merz in einem eitlen Moment Beatrix von Storch voll frontal in die Falle gelaufen wäre und die Unwählbarkeit der Kandidatin noch einmal verdeutlicht hätte, konnte die Fraktion Frauke Brosius-Gersdorf selbst nach Maßgabe des Koalitionsfriedens nicht mehr wählen. Grüne und SPD schäumten und zeigten, dass ihnen die Debatte völlig egal ist, dass sie von der Union lediglich erwartet, dass sie immer nach ihrer Pfeife tanzt, was sie ja auch gewöhnlich macht.

Heute Mittag wurde dann über die Änderung der Geschäftsordnung im Bundestag abgestimmt. Union, SPD und Grüne beantragten, die Wahl der Verfassungsrichter von der Tagesordnung zu nehmen. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, verstieg sich im Bundestag im Grunde zu der Behauptung, dass es der Demokratie abträglich sei, wenn Debatten stattfänden. Er meinte wahrscheinlich, dass es der Sozialdemokratie abträglich sei, wenn echte Debatten geführt würden. Man fragt sich besorgt, ob Wiese das Bundesverfassungsgericht mit einem Femegericht verwechselt, wenn er Debatten über die Eignung künftiger Richter für schädlich hält.

Für den Sozialdemokraten Wiese ist die öffentliche Diskussion der öffentlichen Angelegenheiten „eine Hetzkampagne gegen eine hochangesehene Staatrechtslehrerin“, die für ihn „über jeden Zweifel erhaben“ ist. Das mag für Wiese und für dessen Urteilsvermögen gelten, doch von sehr unterschiedlicher Seite wurde in der Sache begründete Zweifel angemeldet. Wiese vermochte nicht ein inhaltliches Argument anzuführen, nicht ein Monitum zu widerlegen, doch wenn die deutsche Sozialdemokratie sagt, dass eine Juristin über jeden Zweifel erhaben ist, dann ist sie es auch. Jedes Argument ist für ihn wohl rechte Hetze.

Dabei ist der Grund der Wut und des Hasses der Grünen und der SPD darin zu finden, dass sie ertappt worden sind, das Bundesverfassungsgericht via Personen politisch umzubauen.

Das erinnert an Ulbrichts Diktum: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Aus dieser Perspektive versteht man Wieses Einschätzung, dass heute kein guter Tag für die Demokratie war, denn es sah nicht nur demokratisch aus, es war auch demokratisch – und die SPD hatte nicht mehr alles in der Hand, außer, vorerst den geordneten Rückzug anzutreten. Britta Hasselmann von den Grünen vermochte Wieses Beitrag im Plenum noch zu unterbieten. Mit aufgeregter Gouvernanten-Diktion fand auch sie, dass die Debatte schlecht für die Demokratie und das Parlament sei.

Drei Stellen im Bundesverfassungsgericht
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Die völlig überforderte Vizebundestagspräsidentin von der SPD, Josephine Ortlepp, leitete die Versammlung nicht überparteilich, sondern eher als verschreckter SPD-Parteisoldat. Während sie dem Redner von der AfD zweimal unterbrach und ihn mahnte, zur Geschäftsordnung zu sprechen, obwohl er nichts anderes tat, schritt sie in Haßelmanns Tiraden gegen Jens Spahn nicht ein. Tiraden, die mit der Geschäftsordnung wahrlich nichts zu tun hatten, sondern nur die kleinstbürgerliche Wut einer Frau ausdrückte, der Spahn ungewollt den bonapartistischen Coup vermasselt hatte, peu a peu das Bundesverfassungsgericht zur Zentralen Parteikontrollkommission der Grünen für den staatsdirigistisch zu verwaltenden deutschen Bürger umzubauen.

Haßelmann behauptete allen Ernstes: „Einen solchen Vorgang wie diesen, ein solches Desaster hat es in der Geschichte der Wahlen zum Bundesverfassungsgericht in diesem Hohen Haus noch nicht gegeben.“

Erstaunlich ist allerdings, dass nicht einmal Haßelmanns Kurzeitgedächtnis so recht zu funktionieren scheint. Die Union hatte ursprünglich Robert Seegmüller Ende 2024 für die Nachfolge von Josef Christ nominiert. Seegmüller hält rechtlich Zurückweisungen an den Grenzen für möglich, in der Pandemie engagierte er sich für die Freiheitsrechte und mahnte zur Zurückhaltung bei der Einführung von Masken- und Impfpflichten. Außerdem positionierte er sich gegen die Vorratsdatenspeicherung und für Kopftuchverbote für Richterinnen.

In seiner Amtszeit am Berliner Verfassungsgericht ordnete Seegmüller die Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus an. Am 30. Januar 2025 sollte er um 8 Uhr im „Wahlausschuss für die vom Deutschen Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts“ nominiert werden. Künast hatte bereits am 23. Januar eingeladen. Doch dann kam alles anders. Am 29. Januar verschickte der Wahlausschuss die Mitteilung, die Sitzung „findet nicht statt“. Eine Begründung wurde nicht gegeben. Schließlich scheiterte Seegmüllers Kandidatur am Widerstand der Grünen – und an der Feigheit der Union.

Frank Lübberding hatte kurz und bündig in einem Tweet festgestellt: „Das @BVerfG wurde beschädigt als die damalige Bundeskanzlerin ihren Vertrauten aus der Bundestagsfraktion zum Präsidenten machte. Jetzt geht es um parlamentarische Kontrolle. Wo ist das Problem?“

Die Nominierung und Wahl der Verfassungsrichter muss raus aus den Hinterzimmern der Parteien und in die öffentliche Diskussion und Verhandlung.

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