Tichys Einblick
Prinzipienlosigkeit

Die besondere Wendigkeit des Markus Söder bei Kernenergie

Markus Söder war einst der erste, der ein Atomkraftwerk abschalten ließ – heute fordert er die Rückkehr. Zwischen Rücktrittsdrohung und Rückgratlosigkeit passt bei Bayerns biegsamem Meister der Meinungswende stets ein Wahlplakat.

IMAGO, Screenprints X - Collage: TE

Einen besseren PR-Mann und Influencer in eigener Sache als sich selbst findet Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder nie. Außer vielleicht im Weißen Haus. Söders eisernes Ego-Motto scheint zu lauten: „Was interessieren mich meine Grundsätze und Rücktrittsdrohungen von gestern! Heute ist heute, und übermorgen ist wieder eine Wahl. Da kommt zumindest in Bayern so schnell keiner an mir vorbei. Schließlich bin ich erst 58, also 11 Jahre jünger als Merz. Und 11 Jahre jünger als der neue Papst. Weiß Gott, wozu ich noch gebraucht werde?!“

Zukunft Kernkraft
Bayerischer Atomino dreht am Reaktor
Gigantische Wahlergebnisse hat Söder indes noch nie eingefahren. Die 40 Prozent, die für die CSU bis 2013 als unterstes Minimum galten, hat er nie geschafft: Bei den Landtagswahlen 2018 bzw. 2023 waren es 37,2 bzw. 37,0 Prozent; bei den Bundestagswahlen 2021 und 2025 31,7 bzw. 37,2 Prozent. Turbulenzen gab es deswegen in der CSU nicht, denn es gibt dort keine starke zweite Reihe und schon gar keinen virtuellen Kronprinzen.

Also fährt Söder unangefochten seinen Slalomkurs. Stets darauf bedacht, im Gespräch zu bleiben und im Bild zu sein. Etwa mit peinlichen Selfies zum Trauergottesdienst für den verstorbenen Papst Franziskus. Oder wenn sein Erz- und Unionsfreund Armin Laschet den Führerschein wegen 97 km/h in der Stadt abgeben muss und erklärt, er sei gerast, weil er sich in Aachen verfolgt gefühlt habe. Söder lässt solche Gelegenheiten nicht aus, in der „Bild am Sonntag“ zu “schmutzeln“: Er gibt zum besten, immerhin er, Söder, habe Laschet nicht verfolgt. Dafür habe er ein Alibi.

Und wer weiß schon, wen morgen
Eben noch umarmte Söder nur Bäume, nun auch Grüne
„Schmutzeleien“: So hat Söders Vorgänger und Parteifreund (= Superlativ von Feind und Todfeind) Horst Seehofer Söders Charakter bei einer mehr oder weniger launigen Rede zu einer Weihnachtsfeier Ende 2012 einmal beschrieben. Seehofer attestierte dem abwesenden Söder, damals Seehofers Finanzminister, „charakterliche Schwächen“ und einen Hang zu „Schmutzeleien“. Söder sei zudem von „Ehrgeiz zerfressen“.

Seinem Ego ordnet Söder alles unter, notfalls mit 180-Grad-Wendungen.

Markantestes Beispiel ist Söders Herumeiern in Sachen Atomkraft. Am 16. Mai 2025 twitterte er: „Belgien ist klüger als andere! Kernenergie wäre auch für den Industriestandort Deutschland der richtige Weg gewesen: Verfügbare und bezahlbare Energie für unsere Industrie. Außerdem bleibt Kernenergie ein wichtiger Beitrag zur CO-2 Reduktion. Trotz des Ausstieges nutzen wir jedoch weiter Atomstrom über Europa. Denn ohne, hätte unser Land ein Versorgungsproblem. Glaubwürdig ist das nicht, allenfalls ideologisch…“

Rund zwölf Jahre zuvor hatte Söder am 11. März 2013 zum zweiten Jahrestag von „Fukushima“ getwittert: „Jahrestag #Fukushima. Die Katastrophe in Japan hat alles verändert – auch mich. Damals habe ich als erster das Atomkraftwerk Isar1 abgeschaltet.“ „Ich“!

Zur gefälligen Erinnerung: Söder war zur Zeit des Fukushima-Tsunami-Unglücks (11. März 2011) bayerischer Umweltminister im Kabinett Seehofer. Damals drohte Söder für den Fall, dass Bayern nicht aus der Atomkraft aussteige, seinen Rücktritt an. Hätte Seehofer damals doch ……. Es kam alles, wie es Söder 2011 gewollt hatte.

Am 30. Mai 2011 beschloss das Merkel-Kabinett einen weitreichenden Atomausstieg. Die zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerungen wurden zurückgenommen. Mehrere AKWs waren bereits zuvor stillgelegt worden. Jetzt gingen acht weitere vom Netz. Zwischen 2015 und 2021 wurden sechs weitere AKWs abgeschaltet. Die verbliebenen drei Reaktoren gingen endgültig am 15. April 2023 vom Netz. Söder aber hatte seit 2011 dazugelernt: Die bayerischen AKWs wollte er im April 2023 gegen den Beschluss der Bundesregierung in Landesregie weiterbetreiben. Hat er aber nicht, hätte er auch nicht gekonnt, weil selbst die Betreiber nicht mehr wollten.

Dann zerbrach die „Ampel“ Anfang November 2024. CDU/CSU witterten Morgenluft in Sachen Atomenergie. Von November 2024 bis April 2025 entfachten CDU/CSU eine Diskussion um die Rückkehr zur Kernenergie. Bereits stillgelegte AKWs sollten für zwanzig Jahre wieder in Betrieb gehen. Im CDU/CSU-Wahlprogramm für die vorgezogene Bundestagwahl vom 23. Februar 2025 finden wir die folgenden Sätze:

Da aber wurde die Rechnung ohne den zu erwartenden zukünftigen Koalitionspartner gemacht. Die SPD schrieb in ihr Wahlprogramm 2025: „Die Atomkraft in Deutschland ist stillgelegt und das ist gut so“ (Seite 53). Die AfD übrigens wollte laut Wahlprogramm zurück zur Kernkraft.

Radioaktiv strahlende Krokodilstränen
Die größten Wendehälse beim Atomausstieg
Aber dann kam, was zu erwarten war: Die CDU/CSU beugte sich auch hier der 16-Prozent-Partei SPD. In der am 5. Mai 2025 – auch von Söder – unterzeichneten Koalitionsvereinbarung kommen Begriffe wie „Kernenergie“, „Atomkraft“, „Kernenergie“ überhaupt nicht mehr vor. Deutschland macht in Sachen Kernenergie also weiter den Geisterfahrer. Weltweit gibt es in 32 Ländern insgesamt 440 aktive Kernreaktoren. In der Europäischen Union sind es 12 Statten mit AKWs. Die VR China hat 28 AKWs im Bau und 36 in Planung, in Indien sind es sieben bzw. 12 im Bau bzw. in Planung. Selbst Japan baut an zwei neuen AKWs und plant ein  weiteres. Polen plant drei AKWs, Schweden, Ungarn, Bulgarien und Rumänien arbeiten an der Planung von jeweils zwei AKWs, Tschechien an einem AKW.

Söder hat sich als Musterbeispiel das kleine Belgien mit seinen fünf AKWs herausgesucht. Als ob es keine viel gewichtigeren Vergleiche und Argumente gegeben hätte. Aber was soll ein fundiertes Recherchieren, wenn man schnell etwas hinauszwitschern will!?


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