Tichys Einblick
Die große Stagnation

Deutschland oder: Wie ich lernte, den Mehltau zu lieben

Die Mehrheit der Wähler wünscht sich Schwarz-Rot. Die „Große Koalition“ verspricht Stabilität, doch in Wahrheit zementiert sie das Immergleiche. Opposition? Geduldet, aber nicht gewünscht. Der süße Mehltau einer stagnierenden Republik kündigt sich an.

IMAGO / Achille Abboud

Die Wiederholung des Immergleichen ist ein Albtraum. In Deutschland ist er nicht nur Wirklichkeit geworden – es gibt offenbar auch nur eine Minderheit, die das ändern will.

Stichwortgeber ist in diesem Fall eine Forsa-Umfrage. Umfragen spiegeln nicht die Wahrheit wider. Sie sind wässrige Momentaufnahmen – und sie irren sich. Aber sie zeigen einen Trend. Und wenn dieser Trend deutlich ist, kann man daraus Stimmungen ablesen – ob einem das gefällt oder nicht.

In diesem Fall sagt der Trend: Die Mehrheit der Deutschen will die „Große Koalition“. Ob man bei einer 15-Prozent-SPD und einer 30-Prozent-Union noch von einer großen Koalition sprechen kann, sei dahingestellt. Sozial- und Christdemokratie sind nicht nur wegen ihrer Stimmenschwäche keine Volksparteien mehr – sie sind es auch deshalb nicht mehr, weil sie nicht mehr wie früher alle Facetten eines Landes abbilden. Tatsächlich dürfte das SPD-Milieu zu den homogensten in der Bundesrepublik zählen.

Da verwundert es nicht, dass die Partei, die in Deutschland seit Gerhard Schröder fast ununterbrochen an der Macht ist, auch Wähler hat, die das ähnlich sehen. 81 Prozent der SPD-Wähler plädieren für Schwarz-Rot. 53 Prozent der Unionswähler sehen in dieser Koalition ebenfalls eine Lösung.

Es ist die Koalition, die seit 2005 dreimal regiert hat. Es sind verlorene Jahre. Die vermeintliche „Große Koalition“ als Lösung für Deutschlands Probleme entspricht dem Vorschlag, bei Dunkelflaute im Dezember mehr Windkraft- und Solaranlagen zu bauen – Vorschläge, die wir kennen und die sich wiederholen.

Die Ampel gehört zu den erfolglosesten Bundesregierungen. Aber sie war keine Merkel-Regierung. Es knirschte, es ratterte – nicht nur innerhalb der Koalition. Die um die Liberalen ergänzte rot-grüne Regierung gab den oppositionellen Kräften und Medien einen gemeinsamen Gegner. CDU-nahe Kräfte konnten sich nach Jahren wieder positionieren. Sie konnten sich in einem nicht-linken Lager verorten. Der Gegner stand nun klar vor Augen, statt nur über NGOs und Medien in zweiter Reihe zu agieren.

Dass die Grünen in der Bundesregierung waren, war nicht nur für rechte, konservative oder libertäre Medien ein Gottesgeschenk – das galt auch für linksalternative und altlinke Medien. Dass ausgerechnet in dieser Konstellation das Bündnis Sahra Wagenknecht entstand, ist kein Zufall. Anders als in den zwölf Jahren Schwarz-Rot unter Merkel war die Opposition, ob innerparlamentarisch oder außerparlamentarisch, keine Randerscheinung mehr.

Freilich: Die Brandmauer gibt es nicht nur in der Politik. Aber die Oppositionsrolle der Union und der Rückzug Merkels in den Hintergrund – wenn auch nicht ihr Abgang – verschafften manchen Christdemokraten Atemluft und Manövrierfähigkeit. Opposition zu sein war nicht mehr eine gänzliche Außenseiterrolle. Während die Blätter des Axel-Springer-Verlags in der Merkel-Zeit in der Migrationsfrage Schulter an Schulter mit dem Kanzleramt standen, hinterfragen dieselben Medien nun nicht nur Merkels Erbe, sondern konnten Gegenpositionen einnehmen, die zuvor nur als AfD-nah wahrgenommen wurden.

Man sollte diesen zaghaften Ausbruch nicht unterschätzen. Die Aufmärsche zu Correctiv-Zeiten oder auch in diesen Tagen unterstreichen eher, dass ein großer Teil der Bevölkerung andere Gefahren höher einschätzt als die vermeintliche Einkehr des Vierten Reiches. Die Ampel-Zeit war eine Periode, in der sich aufgrund extremer Regierungspolitik Menschen zusammenschlossen, die vor 2021 noch getrennt waren.

Das mag bei CDU/CSU und ihrem Anhang Taktiererei sein. Es sorgte jedoch für Aufruhr und eine lebendige Opposition, die nicht von allen Seiten unter Druck stand, weil nunmehr eine weitere Oppositionspartei nach der Macht trachtete, die sie 16 Jahre lang ausgeübt hatte. Das ist der Grund für Massenkundgebungen gegen das Heizungsgesetz und auch für so manches sich öffnende Fenster auf X, wo nicht allein die AfD stand oder alles als AfD-Position abgekanzelt werden konnte. Die Unvernunft der Ampel kehrte den gesunden Menschenverstand hervor.

Die Fortführung einer linken Koalition würde diesen Kontrast schärfen. Sie würde dazu führen, dass der Graben zwischen Normalität und Extremismus noch deutlicher zutage träte. Dadurch, dass auch Personen von Mitte-Rechts unter Druck gerieten und Gängelung erfuhren – der „Straßenwahlkampf“ der Linksradikalen gegen CDU-Liegenschaften ist dazu ein Auftakt –, würde sich nicht nur in der Politik und den Medien, sondern im gesamten Land eine Entwicklung entfalten. Wie auch immer sie ausfallen mag: Es würde sich etwas ändern.

Die „Große Koalition“ ist ein Stopfen. Deutschland ist ein altes Land geworden. Veränderung ist unerwünscht – nicht nur auf einer Seite. Das Bürgertum der Union und die Bourgeoisie der Grünen sind deswegen kompatibel, weil sie den Ton angeben und aufgrund von Verbindungen und Stellungen das maßgebliche Milieu der Republik darstellen. Was als „Veränderung“ verkauft wird, sind indes alte Pläne. Es sind keine Reformen, sondern Routinen. Das Unvorhergesehene – etwa eine Rückgängigmachung von Gesetzen – ist in Deutschland ein Sakrileg.

Ungestörtes Weiter-so. Kein Sand im Getriebe. Was die Politik selbst bringt, ist nachrangig. Deutschland wird nicht regiert, sondern verwaltet. Das ist nicht nur die Ansicht der Mehrheit der Parteien – es ist ganz offenbar auch die Ansicht derjenigen, die sie wählen. Ob aus Schwarz-Rot noch Schwarz-Rot-Grün wird, ist dabei zweitrangig. Hauptsache, keine Unordnung – wie in den USA, in Argentinien, in Österreich oder anderswo. Süßer Mehltau, du kündigst dich an. Nicht nur politisch, sondern auch mentalitätsmäßig hat Merkel ihre Spuren hinterlassen.


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