Tichys Einblick
Geheimdienst gefährdet Demokratie

Weshalb der Verfassungsschutz Deutschland schadet

Die Deutschen haben mit ihren Inlandsgeheimdiensten schlechte Erfahrungen gemacht. Das galt einst für die Gestapo und für die Stasi, es gilt heute für den Verfassungsschutz in Bund und Ländern. Unsere freiheitliche Demokratie sollte darauf komplett verzichten. Eine Polemik.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

„Chemie ist das, was knallt und stinkt – Physik ist das, was nie gelingt“: Zu meiner Schulzeit wusste das jedes Kind. Der Satz ist klassische Pennäler-Poesie, und er transportiert – wie alles aus dieser Kategorie – durchaus wichtige Lebensweisheiten.

In unserem Fall: den Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

Vorstellung und Wirklichkeit rasseln bekanntlich andauernd aneinander, in den Naturwissenschaften und auch gesellschaftlich. In der Politik sehen wir besonders drastisch, dass „gut gemeint“ nur allzu oft das Gegenteil von „gut gemacht“ ist.

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In der Theorie sollen das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz Feinde unseres Grundgesetzes aufspüren. Wohlgemerkt: Feinde, nicht Gegner.

Denn natürlich ist nicht jeder, der irgendetwas im Grundgesetz kritisiert oder zur Änderung vorschlägt, dadurch schon ein Verfassungsfeind. Wäre das so, dann müssten augenblicklich alle Politiker (namentlich der SPD und der Grünen) angeklagt werden, die die Schuldenbremse des Grundgesetzes kritisieren und sie ändern oder gar abschaffen wollen.

Man kann also unsere Verfassung ändern wollen, allerdings nicht überall. Das Grundgesetz selbst legt über die sogenannte „Ewigkeitsgarantie“ fest, welche Kernbestandteile nicht angetastet werden dürfen (Art. 79 Abs. 3 GG). Es sind dies:

• die Grundrechte
• die Aufteilung der Bundesrepublik in Bundesländer
• die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung.

Man kann eine Fusion von Bundesländern wollen, das ist erlaubt. Nicht erlaubt wäre es dagegen, die Abschaffung aller Bundesländer zugunsten einer zentralistischen Bundesregierung zu fordern. Und man darf die Bundesländer auch nicht ihrer Mitsprache bei Gesetzen berauben.

Nun gibt es Menschen, die die Demokratie insgesamt für überflüssigen Schnickschnack halten oder die den deutschen Staat ablehnen oder beides: die also auch den ewigen Kernbereich unserer Verfassung nicht akzeptieren. Sofern sie das privat tun und nicht gegen Gesetze verstoßen, ist dagegen nichts einzuwenden. Eine freiheitliche Demokratie sollte alle (ich meine das so: alle) Meinungsabweichungen ertragen und aushalten.

Tut sie das nicht, ist sie weder freiheitlich noch demokratisch.

Schwieriger wird es, wenn Verfassungsfeinde sich offen und womöglich sogar gewaltsam „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ wenden. Diese Formulierung aus dem Bundesverfassungsschutzgesetz (§ 3 BVerfSchG) umschreibt die Planung oder Vorbereitung eines Umsturzes.

Um Informationen über solche gewaltbereiten Staatsfeinde zu sammeln, wurde 1950 einst das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gegründet, die Landesämter kamen dann dazu. Im Laufe der Zeit ließ man die Ämter dann noch ein paar Dinge mehr beobachten:

• Bestrebungen, die eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane (…) oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben
• sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht
• Bestrebungen, die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind.

Es geht also um Angriffe auf die Staatsorgane, um Sabotage und Spionage sowie um Kriegstreiberei.

Dagegen soll der Verfassungsschutz sozusagen als Frühwarnsystem Informationen sammeln und auswerten – vor allem personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen. So steht es im Gesetz (§3 Abs. 1 BVerfSchG).

Klingt erst einmal gut. Theoretisch.

Praktisch allerdings hängt alles immer an den Menschen, die so etwas umsetzen sollen. Dazu gehören hier Figuren wie Stephan Kramer, der aktuelle Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, und Thomas Haldenwang, der Bis-gerade-eben-noch-Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Und aus dem, was theoretisch gut geklungen haben mag, wird praktisch ein Desaster.

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Stephan Kramer hat einen FH-Abschluss als Sozialpädagoge, immerhin. Seitdem die damalige dunkelrot-rot-grüne Landesregierung 2015 das SPD-Mitglied an die Spitze des Landesverfassungsschutzes spülte, fremdelt der 57-Jährige mit seiner Aufgabe und seinen Pflichten.

Das sogenannte Mäßigungsgebot zählt zu den gesetzlichen Grundpflichten jedes Staatsdieners. Es verpflichtet Beamte, bei politischer Betätigung innerhalb und außerhalb des Dienstes „diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben“.

Weiterhin wird von Beamten verlangt, ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht auszuführen und sicherzustellen, dass ihr Handeln frei von politischen Einflüssen bleibt. Kramer allerdings sagte in einem Interview des israelischen Senders „Kan“: Wenn die AfD in Deutschland an die Regierung käme, würde er noch am selben Tag mit seiner Familie auswandern.

Der Mann ist kein Staatsdiener, der die Verfassung schützt, sondern ein politischer Aktivist.

Das hat er gerade eben erst wieder nach dem Parteitag der AfD in Riesa eindrucksvoll vorgeführt. Den analysierte er im „Deutschlandfunk“. Das ist für sich schon bemerkenswert, weil der Thüringer Verfassungsschutz mit einem Bundesparteitag gar nichts zu tun hat. Aber mit solchen juristischen Kleinigkeiten hält sich ein Kramer nicht auf.

Die AfD, behauptet er, sei verfassungsfeindlich. Schriftliche Belege dafür, etwa im Parteiprogramm, bleibt er schuldig. Auch in den Parteitagsreden ist ihm nichts aufgefallen. „Man muss das in den kommenden Tagen analysieren“, sagt er und meint: Man hat nichts gehört und muss nun versuchen, Verfassungsfeindlichkeit in Redebeiträge hineinzuinterpretieren

Die Partei verfolge einen „völkischen Nationalismus“, behauptet Kramer weiter. Das wird von ihm nicht nur nicht belegt, sondern noch nicht einmal definiert. Er beklagt bei der AfD eine „radikale Rhetorik“. Die freilich ist nicht nur nicht verboten, sondern vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt. Daran hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen immer wieder erinnert.

Doch Kramer spricht unbeirrt von „Feinden“ der Verfassung. Noch nicht einmal das BfV hat die AfD so eingestuft. Da verleumdet also ein Beamter, der die freiheitliche demokratische Grundordnung schützen soll, öffentlich eine nicht verbotene politische Partei.

Was muss eigentlich noch passieren, damit so jemand aus dem Staatsdienst entfernt wird?

Thüringens oberster Spitzel verlegt sich dann auf politische Analysen und trägt sie im Radio ungebremst vor. „Man stellt sich strategisch auf“, sagt er über die AfD. Was für eine Erkenntnis über eine politische Partei. Und dann holt Kramer auch noch die Glaskugel hervor und sagt die Zukunft radikaler Strömungen bei den Blauen voraus: „Im Endeffekt wird es darauf hinauslaufen, dass diese Kräfte noch viel stärker in der Partei zur Geltung kommen, als das bisher der Fall war.“

Woher, bitteschön, will der Mann das wissen? Und weshalb sollte seine mystische Wahrsagerei eine behördliche, womöglich gar noch geheimdienstliche Überwachung der AfD irgendwie rechtfertigen? Wir sind hier ja nicht bei „Minority Report“.

Schließlich bedauert Kramer noch, dass es gewisse gesetzliche Beschränkungen für den Inlandsgeheimdienst gibt. Er kritisiert, dass das BfV seinen Bericht zur AfD nicht vor der Bundestagswahl am 23. Februar vorlegen will. Es sei „höchst bedauerlich“, dass sich das Bundesamt auf eine „sogenannte Neutralitätspflicht“ berufe und eine „Mäßigung im Wahlkampf“ in den Vordergrund stelle.

„Die wehrhafte Demokratie muss zeigen, dass sie es ernst meint mit ihren eigenen Regeln“: Das sagt voller Inbrunst Thüringens oberster Verfassungsschützer. Kann jemand, der selbst gegen diese Regeln verstößt, wirklich die Verfassung schützen?

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Nun könnte man Kramer einfach Kramer sein lassen und das alles nicht so ernst nehmen. Es ist aber ernst. Wie nützlich oder schädlich ein Inlandsgeheimdienst ist, entscheidet sich nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.

Damit wären wir beim Bundesamt für Verfassungsschutz, bei dessen Ex-Chef Thomas Haldenwang und bei dessen Vorgänger Hans-Georg Maaßen.

Als „rechtsextremen Verdachtsfall“ stuft das BfV seinen eigenen Ex-Präsidenten Maaßen ein. Der wehrt sich dagegen vor dem Verwaltungsgericht Köln. Die bisher vorliegenden Schriftsätze sowohl der Behörde als auch von Maaßens Anwälten zeigen überdeutlich, dass man so, wie es unser Inlandsgeheimdienst versucht, unser Grundgesetz unmöglich verteidigen kann.

Das BfV hat offenbar seine eigene Rechtsgrundlage ignoriert oder zumindest völlig falsch interpretiert. Da werden wahllos persönliche Daten gesammelt, mit denen man hofft, einen Anfangsverdacht gegen Maaßen konstruieren zu können. Das Problem dabei arbeiten Maaßens Anwälte fein heraus: Die Daten dürfen nur erhoben werden, wenn es schon einen Anfangsverdacht gibt.

Da werden Sachverhalte verkürzt wiedergegeben, Zitate in Zusammenfassungen verändert, entlastende Inhalte einfach weggelassen und Formulierungen als Zitate ausgegeben, obwohl es gar keine Originalzitate sind.

Da wird Maaßen – der seit vielen Jahren vor dem (aus dem muslimischen Kulturkreis) importierten Antisemitismus warnt – vorgeworfen, er verbreite „antisemitische Narrative und Topoi“. Konkret hatte er das Davoser Weltwirtschaftsforum mit den Worten kritisiert, beim WEF handele es sich um „Pseudolinke“ und „globale Vermögenseliten“ bzw. „Wirtschaftsglobalisten“, die zusammen eine neue Weltordnung schaffen wollten.

Seit Jahrzehnten hat Maaßen – nicht zuletzt als Chef des Verfassungsschutzes – Antisemitismus in Deutschland bekämpft. Wiederholt wurde er dafür von mehreren israelischen Geheimdiensten geehrt. Nie hat er sich antisemitisch geäußert, dafür hat er sehr oft vor Antisemitismus gewarnt.

Doch für das BfV ist seine Kritik am WEF jetzt „auch ohne explizite Benennung von Juden als Akteuren im Hintergrund eindeutig als antisemitisch erkennbar“. Was der Verfassungsschutz Maaßen also vorwirft, ist ein Antisemitismus ohne Juden.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das dem Innenministerium unterstellte BfV hier einen pointierten politischen Kritiker der sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser unter hanebüchenen Vorwänden öffentlich als Verfassungsfeind brandmarken will.

Dabei federführend war Thomas Haldenwang als Präsident des BfV. Ausgerechnet er hat nun kurz vor der Bundestagswahl sein Amt niedergelegt, um für die CDU als Abgeordneter zu kandidieren. Bis eben gerade noch hatte Haldenwang Zugriff auf geheime, teilweise mit nachrichtendienstlichen Mitteln gesammelte Informationen über genau jene politischen Kräfte, mit denen er jetzt in einem Wahlkampf konkurrieren will.

Was Haldenwang macht, könnte man auch als politischen Insiderhandel bezeichnen. Dass er es tut, sagt etwas über seinen Charakter (und zwar nichts Gutes). Dass er es aber überhaupt legal tun kann, offenbart einen schweren Konstruktionsfehler des Verfassungsschutzes. In der freien Wirtschaft gibt es Konkurrenzschutzklauseln, wenn eine Spitzenkraft ein Unternehmen verlässt. Ausgerechnet beim Inlandsgeheimdienst gibt es das nicht.

Das ist lächerlich.

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Der Verfassungsschutz ist keine Gesinnungspolizei und kein Regierungsschutz.

Der Inlandsgeheimdienst ist nicht dazu da, kritische (und zulässige) Meinungen und Gedanken zum Wohle bestimmter Parteien oder Ideologien zu unterdrücken. Doch er versucht genau das. Das BfV praktiziere „eine völlig ausufernde Geheimdiensttätigkeit weit weg von demokratischen Regelungen“, schreiben Maaßens Anwälte.

Aber man schützt die Verfassung nicht dadurch, dass man sie aushöhlt.

Um es einmal philosophisch zu sagen: Politik ist Grenzmoral. Sie soll immer nur das jeweils Schlimmere verhüten. Die Fälle Kramer und Haldenwang und Maaßen zeigen: Eine verantwortliche Politik müsste den Verfassungsschutz abschaffen. Nicht ein bisschen, nicht teilweise, sondern komplett. Das könnte zwar unter Umständen schlimme Folgen haben. Aber wir würden damit in jedem Fall etwas noch wesentlich Schlimmeres verhindern:

Das Abrutschen Deutschlands in einen totalitären Überwachungsstaat.

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