„Es gibt weitaus Schlimmeres als den Tod, Tom.“ So belehrt der Schulleiter von Hogwarts, Albus Dumbledore, seinen ehemaligen Schützling, Lord Voldemort. Der größte Zauberer aller Zeiten meint damit ein Leben ohne Liebe oder ein Leben in ewiger Verdammnis, was für ihn auf das Gleiche herausläuft. Nun wäre es vermessen, sich selbst mit Albus Dumbledore zu vergleichen – und gefährlich, die FDP in eine Analogie mit dem Bösewicht Lord Voldemort zu bringen. Drei Jahre mit einem Justizminister der FDP haben gereicht, um für einen solchen Vergleich mit einem Bein im Knast zu stehen. Drei Jahre mit einem Justizminister der FDP haben gereicht, dass die internationalen Partner Deutschlands dessen Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Frage stellen.
Das ist einer der Gründe, warum der FDP am Sonntag der politische Tod droht. Die anderen aufzuzählen ist mühselig. Denn mit der FDP ist es wie mit einem Verwandten, der an Geräte angeschlossen auf der Intensivstation liegt: Klar könnte man jetzt darüber reden, dass er ein Ehebrecher war, ein notorischer Betrüger und ein Tagedieb. Aber so wie der Verwandte da röchelt, denkt man nur noch, das ist es nicht wert, und hofft, dass er es bald hinter sich hat. Am besten noch an diesem Sonntag.
Doch, doch. Ich kenne die FDP. Ich stehe auch an ihrem Sterbebett. 1995 bin ich zum ersten Mal ihr Mitglied geworden. Ich war gerade von Neunkirchen nach Homburg Saar umgezogen. Aus den Grünen war ich ausgetreten, weil deren Homburger Kreisverband in seiner Führung potenziell kriminell war. Doch ich vermisste die Politik und entschied mich daher für das liberale Original. Die saarländische FDP war damals nicht im Landtag vertreten und in Homburg trat ein junger Mann an, um den Landesverband wieder aufzubauen. Beim zweiten Treffen machte er mich zum Kassenwart des Kreisverbands, beim dritten bot er mir an, jederzeit Geld besorgen zu können – für die Partei, aber auch für mich persönlich. Zwei Tage habe ich über das Angebot nachgedacht, bis ich zum Ergebnis kam, dass mich dieser Weg ins Gefängnis führen würde. Worauf ich mich nie wieder bei der FDP Homburg meldete.
Zwei Jahre später zog ich nach Mainz weiter. Bis 2008 blieb ich eine Karteileiche der FDP – und habe in 13 Jahren weder einen Pfennig noch einen Cent Beitrag gezahlt. Die Partei bekam durch meine Mitgliedschaft mehr Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Der Mainzer Kreisverband erhielt dadurch mehr Stimmrechte auf Parteitagen. Das genügte offensichtlich. Niemand fragte nach Geld. 2003 habe ich sogar versucht, mich zu engagieren. Ich besuchte die Jahreshauptversammlung der FDP Mainz-Neustadt. Im Weinhaus suchte ich zuerst nach einem Nebenzimmer, dann nach voll besetzten Tischen, um letztlich eine Kellnerin zu fragen: „Wo trifft sich denn die FDP?“ „Die FDP? Das sind die beiden da in der Ecke.“ Von mir nahmen sie keine Notiz, da sie sich aus vollstem Herzen stritten. Mehr als eine volle Stunde. Es gibt Schlimmeres als den Tod, Tom.
2008 verließ ich die FDP. Plötzlich sollte ich doch Beitrag bezahlen – und das auch noch rückwirkend. Da ich mein privates Geld nicht der Allgemeinheit zuführen, sondern für mich behalten wollte, habe ich der FDP den Rücken zugekehrt. Mal ehrlich: Gibt es ein besseres liberales Motiv? Eben. Apropos Geld. Nochmal ein Jahr später habe ich angefangen, für die Grünen zu arbeiten.
Für die FDP war die Zeit zwischen 1995 und 2009 nicht die schlechteste. Mit Guido Westerwelle hatten sie einen der klügsten Köpfe der eigenen Parteigeschichte als Vorsitzenden. Als Theoretiker. Machtpolitisch war er Angela Merkel (CDU) nicht gewachsen, wie sich ab 2009 in der gemeinsamen Regierung zeigte. Westerwelle versprach Steuersenkungen, die Kanzlerin verweigerte diese. Damit war die Partei erledigt und flog 2013 aus dem Bundestag. Das war nicht mehr mein Problem. Im Gegenteil. Als Pressesprecher der Grünen setzte ich mich in der Wahlnacht – leicht angetrunken – über die eigene Sprachregelung hinweg, setzte einen Tweet ab, der das Ende der FDP feierte, und traf damit den Nerv von hunderten Parteifreundinnen in den Grünen. Drei Monate später wechselte ich den Job und wurde wieder Journalist.
2015 war aber dann schon wieder kein gutes Jahr mehr für Journalisten. Die Mainzer Lokalzeitung hatte mich als ehemaligen Grünen eingestellt, um der rot-grünen Landesregierung zu schmeicheln. Die rot-grün regierte Stadt Mainz war der wichtigste Anzeigenkunde dieser Zeitung. Um es kurz zu machen. Wir wurden zur gegenseitigen Enttäuschung. Ich wollte darüber schreiben, wie unter Merkel die Einwanderung schieflief. Die Zeitung wollte mit dem rot-grünen Anzeigenkunden an der „Brandmauer“ bauen. 2019 gingen wir auseinander. Im Streit.
Zwischenzeitlich war ich wieder Mitglied der FDP geworden. 2018. Während der Fußball-Weltmeisterschaft. Leicht angetrunken. Ein Muster. Christian Lindner hatte mich damit beeindruckt, dass er mit Merkel nicht zusammenarbeiten wollte, weil er eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit in der Einwanderung forderte – was mit der Kanzlerin offensichtlich nicht zu machen war. Was mich hätte abschrecken sollen, war, dass Lindner sich nicht traute, das so offen beim Namen zu benennen. Schließlich war ich – entgegen anderslautenden Gerüchten – in dieser Zeit nicht dauerbesoffen.
Die Pandemie kam. Deutschland drehte durch. Bisher darmausgangumschmeichelnde Ladenschwengel schwangen sich zu staatlichen Vollzugsbeamten auf. Echte staatliche Vollzugsbeamte schlugen alte Frauen nieder, zogen Kinder von Rodelschlitten oder hetzten Jugendliche mit Autos durch Parks. Erstmal dem Knaben alle Knochen brechen, damit er nicht vergisst, seine Maske auch draußen aufzuziehen. Gesundheitsvorsorge ist ja so wichtig. Die FDP machte 2021 damit Wahlkampf, diesen Wahnsinn stoppen zu wollen. Ich habe sie dafür gewählt. Zum definitiv letzten Mal.
Denn im Sommer 2022 verlängerte der besagte Justizminister der FDP die Pandemie-Maßnahmen. Grinsend an der Seite von Karl Lauterbach (SPD). Ich selbst hatte an diesem Tag eine Exklusiv-Geschichte veröffentlicht darüber, dass dem von der FDP geführten Wissenschaftsministerium eine Studie vorliegt, nach der die „Durchseuchung“ abgeschlossen ist – und die vom FDP-Minister verlängerten Maßnahmen damit reine staatliche Willkür bedeuteten. Was sich unter anderem darin zeigte, dass noch eine Maskenpflicht in Fernzügen galt, aber nicht in Flugzeugen.
An dem Tag bin ich aus der FDP ausgetreten. Ein zweites Mal. Ein letztes Mal. Danach kam sie für mich als Partei nicht mehr in Frage. Weder als Wähler, noch als Mitglied. Die Beteiligung an Atomausstieg, Heizhammer, „Doppelwumms“ oder Selbstbestimmungsgesetz bestärkten diesen Beschluss. Drei Jahre hatte die FDP das Justizministerium. Nach diesen drei Jahren erklärt „die Heimat der Freiheit“ Deutschland zu den Staaten, die nicht mehr als frei zu betrachten sind – damit ist die Grabrede zur FDP schmucklos, aber gehalten.
Doch es gibt Schlimmeres als den Tod, Tom. Scheitert die FDP am Sonntag an der Fünf-Prozent-Hürde, wäre sie zwar tot, aber auch erlöst. Schlimmer wäre für die Partei, wenn sie gemeinsam mit Linken, Bündnis Sahra Wagenknecht und Freien Wählern in den Bundestag einzieht. Dann bräuchte es eine Mehrparteienkoalition. Es wären Bündnispartner nötig, die frei von Werten und Anstand sind. Menschen, die bereit sind, ihre Oma zu verkaufen und Vater wie Mutter gratis dazuzugeben. Mit anderen Worten: Christian Lindner und der ehemalige Justizminister wären ziemlich sicher dabei.
Das wäre schlimmer als ein Tod der FDP in Würde. Die alten Weggefährten in Mainz müssten ihre Freizeit opfern, um an Ständen zu erklären, warum man wie Sahra Wagenknecht nun Wladimir Putin gut findet oder mit Olaf Scholz den Mindestlohn staatlich bestimmen will. Die Liberalen im Saarland müssten zugeben, dass es künftig keine Industrie mehr gibt. Aber sie könnten damit werben, dass, wenn es Industrie geben würde, die theoretisch per Quote gezwungen würde, ausreichend Metrosexuelle einzustellen, Transsexuelle, Intersexuelle, Ikeasexuelle und Otter.
Ganz ehrlich: Da wäre ein sauberer Tod der FDP am Sonntag die bessere Lösung. Lieber in Würde sterben, als Lindner und dem Justizminister weiter in all ihrer Unfähigkeit ihre Karriere zu erhalten. Auf diesen Tod könnte ich durchaus ein, drei oder auch sieben Bier trinken. Denn so besoffen, um nochmal FDP-Mitglied zu werden, kann ich gar nicht sein.