Tichys Einblick
Im Spiegel der Umfragen:

Wird Lenins mörderische Frage „Wer wen“ zur Geschäftsgrundlage der „wehrhaften Demokratie“?

Grünen, Linken, SPD geht es nicht um die Demokratie, ob wehrhaft oder nicht. Es geht gegen Marktwirtschaft und Freiheit. Es geht ihnen um die Macht, und das umso heftiger, je mehr eine linke Mehrheit auf demokratischem Weg nicht zu erreichen ist – wie die Umfragen, auch die aktuelle von INSA, zeigen.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Laut INSA bekäme die AfD – würde heute gewählt werden – 25 Prozent der Stimmen und die CDU/CSU unverändert 27 Prozent. Die SPD hängt bei 15 Prozent, die Grünen bei 11 Prozent, die Linke (SED) bei 10 Prozent, BSW bei 4 Prozent und FDP bei 3 Prozent der Stimmen der Wähler. Aber eigentlich kann man, wenn man über die FDP schreibt, inzwischen auch über die Tierschutzpartei schreiben. Die untote FDP erinnert als Widergängerin der Vergangenheit nur daran, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmal den Versuch einer liberalen Partei gegeben hat.

Eigentlich ist das Prinzip der Demokratie sehr einfach, dennoch verstehen große Teile des politischen, wirtschaftlichen, medialen und kulturellen Establishments dieses Prinzip nicht. Weil an die Stelle des demokratischen Prinzips Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit, die Angst vor dem Machtverlust und das Ersetzen der Analyse durch Illusionen, des Denkens durch das Fühlen getreten ist. An den Türen der Eliten hängt das Schild: „Wage niemand zu stören, wir träumen gerade so schön.“

Das Prinzip Demokratie bedeutet jedoch, dass laut Grundgesetz Artikel 20, Absatz 2 „alle Staatsgewalt … vom Volke“ ausgeht. Dieses Grundgesetz hat sich „das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt … gegeben“. Es ist also nicht gnädig von den mit den Linken und Grünen vereinigungssüchtigen Genossen der SPD, nicht von der Blockflöte spielenden Union dem dumpfen Volk bewilligt worden, nein – leider muss man es wieder klar und deutlich schreiben –, weil es den Eliten als modus operandi ihrer Dysfunktionalität nicht mehr erinnerlich ist: Das Deutsche Volk ist der Souverän des Grundgesetzes.

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Mit Blick auf die grundgesetzwidrige Finanzierung der roten und grünen Garden, die unter der Sammelbezeichnung NGO sich verharmlosen, hat der Staatsrechtler Hubertus Gersdorf erst im Februar und aus gegebenem Anlass gemahnt: „Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes schreibt eine Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, also ‚von unten nach oben‘ vor.“ Wäre es anders herum, könnte sich die Regierung frei nach Brecht ein neues Volk wählen. Teile der dysfunktionalen Eliten scheinen genau das zu betreiben, nur mit dem Resultat, dass dann das Volk in Volkgruppen aufgelöst würde, die nur noch der sich verschärfende Verteilungskampf verbindet. Wenn man NGOs als politische Aktivisten finanziert, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit durch Zensur, im Grunde die Grundrechte einschränken will, alle diese Maßnahmen, die sich mit dem Begriff der „wehrhaften“ Demokratie verbinden, exekutiert, dann löst man die Demokratie auf.

Das Grundgesetz, schreibt der Staatsrechtler Gersdorf, „stemmt sich damit gegen eine staatliche Beeinflussung oder gar Lenkung des grundrechtlich geschützten Kommunikationsprozesses durch den Staat“. Aber genau das unternimmt der Staat im Konzept der „wehrhaften Demokratie“ oder die EU im Digital Services Act, den „grundrechtlich geschützten Kommunikationsprozess“ zu beeinflussen und mehr noch zu lenken und zu zensieren. Gersdorf schreibt weiter: „Die Gefahr einer solchen Beeinflussung besteht, wenn der Staat gesellschaftliche Organisationen, deren satzungsmäßiger Zweck die Mitwirkung an der (politischen) Willensbildung des Volkes ist, finanziell fördert.“

Das Grundgesetz sagt im Artikel 21 ganz klar: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Da steht nicht, dass die Parteien sich in der „politische Willensbildung“ an die Stelle des Volkes setzen, dem sie ihren Willen aufzwingen, sondern da steht unmissverständlich, dass sie an der „politischen Willensbildung“ mitwirken. Denn, so Gersdorf weiter: „Auch kollidiert eine solche Förderung mit dem Grundrecht des Einzelnen auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Dieser Grundsatz gleicher Teilhabe gilt nicht nur bei Wahlen, sondern auch außerhalb von Wahlen … Das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung ist Kernelement der Demokratie.“

Immer beunruhigendere Ergebnisse
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Um auf die neuesten INSA-Zahlen zurückzukommen, der „Grundsatz gleicher Teilhabe“ wird von den Vertretern des rot-grün-schwarzen Establishments im Umgang mit der AfD pausenlos verletzt, wenn beispielsweise der größten Oppositionspartei der Posten eines Bundestagsvizepräsidenten verweigert wird oder die Erasmus-Stiftung von der Finanzierung der parteinahen Stiftungen ausgeschlossen bleibt, die Rosa Luxemburg Stiftung beispielsweise im Jahr 2020 80,3 Millionen Euro von Bund und Ländern an Steuergeldern erhielt oder die Heinrich Böll Stiftung im gleichen Jahr 73,3 Millionen Euro. Übrigens auch hier könnte, wenn gespart werden muss, gespart werden, insgesamt eine halbe Milliarde sicherlich.

Die gern genutzte Möglichkeit der Willkür ist gegeben, weil die Finanzierung von parteinahen Stiftungen nicht gesetzlich geregelt ist und von der Bundesregierung entschieden werden darf. Wenn die Einheitsfront aus Linken, Grünen und SPD für ein Verbot der AfD Sturm läuft, dann will sie 10 Millionen Wähler entmündigen, dann ist „das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung“ nicht mehr gegeben. Es mag ein Restkalkül und eine Restvernunft in den Reihen der CDU und CSU vorliegen, wenn sie ein Verbot der AfD noch ablehnt, weil mit dem Verbot der AfD auch die Union als politische Kraft Geschichte wäre, denn dann ist die wehrhafte Demokratie zu dem geworden, was sie im Grunde auch ist, eine Diktatur durch den Ausschluss eines Viertels der Wähler.

Die Union stünde dann einer linken Mehrheit gegenüber, die nicht vom Wählerwillen, sondern durch einen judikativen Putsch durch das Verfassungsgericht unter Bruch des Grundgesetzes zustande gekommen wäre. Dass man diesen Bruch des Grundgesetzes juristisch durch Rechtsdogmatik und Rechtsmethodik rechtfertigen kann, ist klar, aber rechtsdogmatisch und rechtsmethodisch lässt sich auch jeder Rechtsbruch legalisieren. Im Übrigen würde eine politische Polizei, wie sie durch dubiose Materialsammlungen die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einschätzen will, im umgekehrten Fall Linke und Grüne als „gesichert linksextremistisch“ und die SPD als in Teilen gesichert linksextremistisch einschätzen können.

In beiden Fällen ist von derartigen Unternehmungen einer politischen Polizei nichts zu halten, denn dort, wo man nicht mehr „rechts“ sein darf, befindet man sich in einer linken, und wo man nicht mehr links sein darf, in einer rechten Diktatur. Die Entscheidung liegt beim Wähler, nicht bei einer politischen Polizei. Ein Verfassungsschutz, der politische Polizei sein will, delegitimiert sich selbst. Wenn er diese kritische Einlassung als Versuch, den Verfassungsschutz zu delegitimieren zu werten versucht, begibt er sich auf die Ebene des Paragraphen 220 des StGB der DDR (§ 220. Staatsverleumdung. (1) Wer in der Öffentlichkeit 1. die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen; 2. einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit, wegen seiner Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder gesellschaftlichen Organ oder einer gesellschaftlichen Organisation verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.).

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Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer der Linken, hat klar und deutlich formuliert: „Mittelfristig muss das Ziel sein, dass es wieder eine Mehrheit links der CDU gibt. Für Debatten, die dieses Ziel aus den Augen verlieren, habe ich in Zeiten, in denen eine faschistische Partei droht, stärkste Kraft zu werden, kein Verständnis.“ Nicht nur Linke wollen das unter Nutzung aller Möglichkeiten verhindern, sondern auch Grüne, wie die letzten Äußerungen von Jette Nietzard belegen: „Wie müsste unser Widerstand gegen eine regierende AfD aussehen? Wäre der intellektuell? Oder müssten wir auch zu den Waffen greifen?“

Erinnern wir all jene, die ein Verbot der AfD durchsetzen wollen, an die Grundprinzipien der Demokratie. Die Parteien wirken insofern an der politischen Willensbildung des Volkes mit, indem sie gleichberechtigt im Wettstreit der Konzepte und der Richtungen der gesellschaftlichen Entwicklung um Mehrheiten bei den Wählern werben. Die Entscheidung darüber, welches Konzept realisiert werden soll, liegt beim Wähler, nicht bei den Parteien, auch wenn die Funktionäre mancher Parteien all jene, die sie nicht wählen, verachten und deren Stimmen entwerten wollen. Diese Konzepte, in vulgo zentrale Wahlversprechen, für deren Umsetzung die Parteien gewählt worden sind, zu brechen, ist kein Kavaliersdelikt, sondern stellt die Demokratie in Frage, die von Mehrheitsentscheidungen und von Verlässlichkeit lebt. Hinzu kommt, dass Parteien Wählerinteressen vertreten.

Werden Interessen von großen oder wichtigen Gruppen der Wähler nicht mehr vertreten, so suchen sich diese Wählergruppen neue Vertreter. Gerade dadurch realisiert sich der friedliche Aushandelsprozess in der Demokratie. Mit dem Verbot von Parteien, von Vertretern der Interessen immer größerer Wählergruppen werden die Interessen nicht aus der Welt geschafft, sie werden nur unterdrückt. Der für die Demokratie wesentliche Mechanismus des Aushandelns und Ausbalancierens von Interessen findet nicht mehr statt und wird sich à la longue andere Wege suchen.

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Hat man sich auf diese Ebene begeben, dass die Interessen von wesentlichen Wählergruppen unterdrückt werden dürfen, weil sie dem eigenen Weltbild nicht entsprechen, zu delegitimieren sind, dann werden die Anstrengungen der Regierung zur Unterdrückung an Intensität zunehmen müssen, weil die Probleme, die Interessen und die Verletzung der Interessen durch Verbote nicht aus der Welt geschafft werden. Regierungen, Regierungsformen und Regime brechen letztendlich zusammen, wenn sie zwei Funktionen nicht mehr erfüllen, wenn sie sich erstens selbst nicht mehr an das sie legitimierende Recht halten, ganz gleich, ob sie es ignorieren, beugen oder brechen, und sie zweitens nicht mehr in der Lage sind, die Interessen von wesentlichen Gruppen der Gesellschaft auszugleichen, bzw. wenn sie gegen die Interessen wesentlicher Gruppen der Gesellschaft Politik betreiben.

Der Kampf der dysfunktionalen Eliten gegen „rechts“ ist in Wahrheit der Kampf gegen die Wirklichkeit. Die AfD ist in diesem Zusammenhang, um Carl Schmitt zu paraphrasieren, die eigene Frage der dysfunktionalen Eliten Deutschlands als Gestalt, mehr noch als Gestalt des Versagens angesichts der Dimension der historischen Prozesse. Das Versagen angesichts der Dimension der historischen Prozesse nennt man gemeinhin Dekadenz.

Deutschland befindet sich in einem unruhigen Zustand. Die Parteien laufen der Entwicklung hinterher, unfähig der Forderung des Tages zu entsprechen. Ihre Sprache wird martialischer. Je mehr sie an Wirklichkeit verlieren, müssen sie Wirklichkeit simulieren. Doch die Erkenntnis der Wirklichkeit ist kein intellektueller Akt, sondern ein Akt der Erfahrung oder genauer des Erfahrens. Was immer mehr Menschen auf der Alltagseben erfahren, ist der Zusammenbruch dessen, was für sie über Jahrzehnte hinweg Realität war. Schaut man sich Klingbeils Haushalt an, kann man an einem Beispiel den Wirklichkeitsverlust der dysfunktionalen Eliten praktisch studieren. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Lars Klingbeil der erste Finanzminister der Bundesrepublik ist, der den Überblick über die Finanzen und über das finanziell Mögliche verloren hat.

Die Regierung spielt Hasard, während die letzte Chance der Linken, Grünen und SPD darin besteht, die Machtfrage mit allen Mitteln in ihrem Sinne zu entscheiden, wird ihr Handeln einzig von der Frage bestimmt: wer wen? Den Linken, wie den Grünen, wie der SPD geht es darum, wie man auf dem Blog der Rosa Luxemburg Stiftung nachlesen kann, den Katastrophenkapitalismus „aus den Angeln“ zu heben, „die ökologische und soziale Frage in einer radikalen Transformation“ zu „verbinden, wirtschaftliche Forderungen und langfristigen wirtschaftlichen Umbau“ zusammenzuführen …

Es geht nicht um die Demokratie, ob wehrhaft oder nicht, es geht gegen die Marktwirtschaft und gegen die Freiheit, es geht um die Macht, und das umso heftiger, je weiter eine linke Mehrheit auf demokratischem Weg, wie Umfragen, auch diese, zeigen, nicht zu erreichen ist.


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