Tichys Einblick
Maskendeal und Untersuchungsausschuss

Der lange Schatten von Corona: Union und SPD verweigern echte Aufarbeitung

Jens Spahn habe in Sachen Maskendeal nichts zu verbergen und verbirgt es trotzdem. Genauso läuft die gesamte Aufklärung der Pandemie-Politik: CDU, CSU und SPD wollen darüber zwar reden – aber nach ihren Regeln.

picture alliance / Andreas Gora | Andreas Gora

Zombies sind Tote, die noch unter den Lebenden weilen. Im Horrorgenre bilden sie eine beliebte Gruppe. In der politischen Landschaft ist Jens Spahn ein Zombie. Eigentlich müsste seine Karriere längst tot sein. Doch als Vorsitzender der größten Regierungsfraktion gehört er zu den wichtigsten Handelnden im Berliner Politgeschäft. Jens Spahn ist damit der beste Beweis dafür, dass es in der politischen Eliten-Auswahl längst nicht mehr um die Wirkung auf den Souverän, das Volk, geht – sondern um die interne Vernetzung. Solange die Regisseure in Politik und Medien einen Handelnden wie Jens Spahn akzeptieren, solange kann er weiter in der Inszenierung wichtig sein – und sei es in einer Rolle als Zombie, der auf Außenstehende nur noch wie Horror wirkt.

TE berichtete schon 2021
Jens Spahn, die Masken und der längst bekannte Skandal
Jens Spahn war in den drei Jahren Opposition nach Angela Merkel einer der häufigsten CDU-Gäste in den Talkshows des Staatsfernsehens. Er galt in seiner Partei sogar als der mögliche Nachfolger, falls Friedrich Merz als Kanzler ausfällt. Beides, obwohl Spahn zur Bedingung gemacht hat, dass “Journalisten” ihn nicht auf seine Zeit als Gesundheitsminister Merkels ansprechen. Schon gar nicht auf die Monate während der Pandemie. Da durfte jemand immer wieder fabulieren, was er tun würde, wenn er könnte, obwohl er Debatten darüber verweigerte, was er getan hat, als er konnte. Dass seine Partei und Journalisten dieses Spiel überhaupt mitgemacht haben, zeigt, in welch schlechtem Zustand das Politik- und Mediengeschäft in Berlin ist.

Nun gibt es ein Gutachten der Juristin Margaretha Sudhof zu Spahns Amtszeit als Gesundheitsminister. Genauer gesagt zu den Maskendeals, die er während der Pandemie abgeschlossen hat. Spahn sagt, er habe nichts zu verbergen zu dem Thema. In der Opposition hat er Journalisten Fragen zu den Deals verboten. Seine Parteifreundin, die jetzige Gesundheitsministerin Nina Warken, hat das Gutachten zuerst komplett zur Geheimsache erklärt. Als sich die Position nicht mehr halten ließ, verteilte sie das Gutachten an die zuständigen Fachpolitiker – mit vielen geschwärzten Passagen. Er habe nichts zu verbergen, sagt Spahn. Aber er verbirgt.

Schon früh während der Pandemie sagte Spahn, dass sich in Deutschland nach der Pandemie viele vieles zu vergeben hätten. Das klang weise. Nach gesellschaftlicher Versöhnung. Doch eigentlich hat er sich damit nur selbst die Absolution erteilt. Unter dem Unions-Minister Spahn haben Unions-Abgeordnete damit Geld verdient, Maskengeschäfte zu vermitteln. Verurteilt wurden sie deswegen nicht. Es ist in Deutschland erlaubt, Bürger zum Tragen von Masken zu zwingen und dann am Verkauf der Masken ordentlich mitzuverdienen. Verurteilt wurde nur Andrea Tandler, weil sie die Einnahmen nicht versteuerte. Aus dem Gutachten schält sich nun die Erkenntnis raus, dass ein Unternehmen aus der Heimat des Ministers unter zweifelhaften Bedingungen an den Deal gekommen ist, obwohl es damit überfordert war. Der Chef des Unternehmens war ein Parteifreund Spahns. Er habe nichts zu verbergen, sagt Spahn heute. Aber reden will er halt auch nicht darüber.

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Was ging im Robert-Koch-Institut vor sich?
In der Frühphase der Pandemie, im Frühjahr 2020, stand eine überwältigende Mehrheit noch hinter den Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen. Auch weil das Vertrauen in Einrichtungen wie das Robert Koch-Institut (RKI) groß war. Die Maskendeals waren der erste Punkt, an dem auch medizinischen Laien klar wurde, dass sich die Pandemiepolitik eben nicht an “der Wissenschaft” ausrichtet. Sondern dass “die Wissenschaft” die Wünsche der Politik erfüllt: Das RKI urteilte, dass Masken nicht helfen und nur ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelten. Und dass Masken helfen, auch schon Stoffmasken. Und auch, dass nur FFP2-Masken helfen. Was “die Wissenschaft” an wissenschaftlichem Urteil fällte, hing immer davon ab, ob es der Regierung gerade an Masken mangelte oder ob sie auf zu vielen bestellten Masken saß.

So wie Spahn, nachdem er für 4,50 Euro das Stück bestellt hatte. Folglich entschied sich die Politik für eine Maskenpflicht. Teilweise sogar im Freien, wie am Mainzer Rheinufer. In Bussen und Bahnen bis in den Februar 2023, als die Maskenpflicht in Flugzeugen längst gefallen war. Deutschland werde sich nach der Pandemie viel zu verzeihen habe, sagte Spahn. Nur hat die Politik den Bürgern nichts zu verzeihen, umgekehrt gäbe es durchaus vieles.

Der Bundestag richtet an diesem Mittwoch auf Antrag der Regierungsfraktionen eine Enquete-Kommission zur Corona-Pandemie ein. Eine solche Enquete beschäftigt sich mit grundsätzlichen Fragen. Etwa, warum es in der nächsten Pandemie auch wieder eine Maskenpflicht im Freien geben wird. Linke und Grüne hätten lieber einen Untersuchungsausschuss gehabt. Der wäre in der Lage gewesen, konkrete Verfehlungen aufzuarbeiten. Etwa Spahns Maskendeal, zu dem er ja nichts zu verbergen habe.

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Warum es einen Untersuchungsauschuss braucht und keine Enquete-Kommission
Doch die Reserve-Regierungsparteien haben nicht genügend Abgeordnete, um einen Untersuchungsausschuss durchzusetzen. Grüne und Linke bräuchten dafür die Zustimmung von mindestens zehn Abgeordneten aus Reihen der CDU, CSU und SPD. Oder eben von der größten Oppositionspartei, der AfD. Doch mit der wollen Grüne und Linke nicht zusammenarbeiten, weil die gegen “unsere Demokratie” sei. Das darf man sich gerne auf der Zunge zergehen lassen: Die “Opposition” verzichtet auf konsequente Oppositionsarbeit, um die Demokratie nicht zu gefährden. Der Berliner Politikbetrieb befindet sich wirklich in einem schlechten Zustand.

Die Grünen haben schriftlich eine Kleine Anfrage zu den Deals gestellt. Spahns Parteifreundin Julia Klöckner hat sie in ihrer Funktion als Präsidentin des Bundestags abgewiesen. Sie wird diese Anfrage nicht, wie sonst eigentlich üblich, an die betreffenden Ministerien weiterleiten. Mit dem Zusenden des massiv geschwärzten Papiers an den zuständigen Ausschuss sei die Anfrage ja schon beantwortet – und zu verbergen gibt es bekanntlich auch nichts.

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Erst Vernichtung - und jetzt Vergebung einfordern?
Die Enquete zu Corona wird genauso ablaufen, wie die Debatte um Spahns Maskendeal: Im Prinzip sei alles gut gewesen. Über das bisschen, was nicht gut war, will man lieber nicht reden, auch wenn man nichts zu verbergen habe. Aber über die Fehler zu reden, würde nur “den Falschen” helfen und damit “unserer Demokratie” schaden. In der nächsten Pandemie würden die gleichen Fehler ganz sicher nicht wieder passieren, auch wenn man jetzt nicht so laut darüber redet.

Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell der Politikbetrieb gravierend falsche Entscheidungen durchsetzen kann, die massiv das Leben der Bürger ruinieren. Der Medienbetrieb hat während Corona bewiesen, dass er nicht als Korrektiv wirkt, sondern sich als Verstärker der Regierung versteht. Dass Journalisten bereit sind, Kritiker als “Covidioten” zu beschimpfen und öffentlich zu brandmarken und vernichten, etwa wenn sie auf die fehlende Wirkung und die fatalen Folgen der Isolation von Kindern hinweisen. Auch wenn die Zeit nach der Pandemie ihnen darin völlig recht gibt.

Spahn hat während der Pandemie gesagt, dass danach viele vieles zu vergeben hätten. Das hat er wohlweislich auch deshalb gesagt, weil er wusste, dass weder ein Politiker noch ein Journalist für seine fatalen Fehler während der Pandemie um Entschuldigung bitten will. Die Absolution durch den Bürger erwarten sie auch so. Die stehe ihnen zu. Dieser Gedanke zeigt sich in der “Aufarbeitung” der Corona-Zeit, wie sie der Bundestag und die sie umschwirrenden Journalisten-Satelliten betreiben. Auch darin, dass ein Mann als Führung und Kanzlerreserve weitermachen kann, über dessen Zeit als Minister er Fragen lange abgelehnt hat und jetzt vieles von dem verbirgt, was angeblich nicht zu verbergen sei. Ein politischer Zombie – und für den Bürger der reine Horror.

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