Die vielleicht wichtigste Szene im Quadrell von RTL mit den Spitzenkandidaten von Union, AfD, SPD und Grüne fand nach dem Ende der Sendung statt. Während Günther Jauch mit Olaf Scholz plauderte, Co-Moderatorin Pinar Ataly mit Alice Weidel sprach, verließen Friedrich Merz und Robert Habeck im vertrauensvollen Gespräch vertieft wie Kanzler und Vizekanzler einer neuen Koalition das Studio. Und gingen gemeinsam ins Dunkel, wohin sie Deutschland auch führen würden, wenn sie eine Koalition bilden sollten. Mehr Schonung im Quadrell für Robert Habeck, der als einziger in der Runde keines Faktenchecks bedurfte, weil er nicht einen Fakt äußerte, konnte Merz dem rhetorisch strauchelnden Wirtschaftsminister, der es fertigbrachte, nichts Substantielles, eigentlich gar nichts zur Wirtschaft zu sagen, angedeihen lassen. Die Milde von Merz erklärt sich aus seinen Koalitionswünschen. Der Mann, der glaubt, die Wahl schon gewonnen zu haben, denkt längst nicht mehr an den 23.02., sondern an den 24.02..
Obwohl in dem durchsichtigen Spiel zur Wählertäuschung „good cop/bad cop“ Markus Söder eine Koalition mit den Grünen kategorisch ausgeschlossen hatte, trat bis zum Montag Friedrich Merz als unsicherer Kantonist in der Koalitionsfrage auf. Immer wieder wurde er gefragt, mit wem er denn das Wahlprogramm der Union umsetzen wolle, wenn er den mit denen, mit denen er es umsetzen kann, ausschließt zu koalieren. Am Montag hat Friedrich Merz, der sich schon als Kanzler sieht und meint, keine Rücksichten nehmen zu müssen, weil er seine Wähler fest in Parteihaltung wähnt, Klarheit geschaffen.
Auf die Frage nach der Koalition verfing sich die Nadel wieder in der Rille von Merzens Platte wie Plattitüde, denn mit der AfD wollte er nie und niemals nicht und überhaupt, die, die sind doch usw., usf., bevor er stolz wie Bolle auf seine beiden Koalitionsmöglichkeiten, die eigentlich drei sind, verwies: „Möglicherweise die Sozialdemokraten, möglicherweise die Grünen“ und möglicherweise mit beiden.
Mit Blick nach München fiel er auch noch aus dem „good cop/bad cop“-Konzept: „Herr Söder schreibt mir gar nichts vor.“ Damit dürfte Merz zum ersten Mal die von ihm erträumte Richtlinienkompetenz angewandt haben. Doch verfängt sie nur und wird sie auch nur innerhalb der Partei verfangen, innerhalb einer künftigen Koalition wird sie wohl eher zum Witz mit Bart. Oder wie Paul Scheerbarth im Wunderfabelbuch schrieb: Ja .. was .. möchten wir nicht Alles!“.
Man könnte die Frage stellen, wozu Friedrich Merz dann Kanzler werden will, und die Antwort würde schlicht und schnörkellos lauten, um Kanzler zu werden. Friedrich Merz dürfte eine politische Transition vorgenommen haben. Er scheint sich jedenfalls fest vorgenommen zu haben, die bessere Angela Merkel zu werden. Kaum glückte es ihm wohl, die Anzahl der Kanzlerschaften Merkels zu übertreffen, doch könnte er ihr an einer anderen Stelle eine lange Nase drehen. Nämlich das zu verwirklichen, was der sehnlichste Wunsch der besten Kanzlerin, die die Grünen je hatten, war: mit den Grünen ein Regierungsbündnis zu schmieden und eine schwarz-grüne Koalition zu bilden.
Gesetzt in dieser Konstellation wäre wohl, dass Baerbock – zu Deutschlands immensen Schaden – weiter Außenministerin bliebe. Friedrich Merz schloss zwar aus, dass Robert Habeck wieder Wirtschaftsminister würde, doch eben nicht generell, dass Habeck Minister in seinem Kabinett werden könnte. Aber das erledigt ohnehin die grüne Partei, denn Habecks Wahlergebnis wird über seine politische Zukunft entscheiden. Baerbock wusste sehr genau, weshalb sie ihm die Kanzlerkandidatur von New York aus vor die Füße warf.
Vor der Bundestagswahl 2021 hatte Robert Habeck lange und sehr laut mit der Möglichkeit geliebäugelt, ein Ressort zu übernehmen, von dem er noch weniger versteht als von der Wirtschaft. Man glaubt es kaum, dass ein Ressort existiert, dass ihm fremder sei als Wirtschaft, und doch ist es so, nämlich das Finanzressort. Robert Habeck hatte schon vor der Wahl 2021 seine Phantasien über Basel III dargelegt, 2022 eine originelle Philosophie des Geldes in die Maxime münden lassen: „Dann nehmen wir Geld auf. Am Ende ist es nur Geld“ und: „Wenn die Situation es erfordert, werden die nötigen Geldmittel lose gemacht“ und im gleichen Jahr verblüffte er bei Maischberger die interessierte Öffentlichkeit mit einer Revolution des Insolvenzrechtes: „Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erstmal aufhören, zu produzieren“, „dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“
Robert Habecks zweiten Traum, einmal Bundesfinanzminister zu werden, zu erfüllen, könnte für Friedrich Merz als Bundeskanzler zum Glücksfall werden. Merz weiß, dass ohne eine generelle und radikale Richtungsänderung, die sich von der Außenpolitik, über die Bildung, über die Energiewirtschaft, über die Finanzpolitik, über die Migration, über die Sozial- bis hin zur Wirtschaftspolitik zieht, wird alles Stückwerk bleiben und unendlich teuer. Deshalb will Merz die Schuldenbremse kippen, was er gleißnerisch reformieren nennt. Doch auch reformierte Schulden bleiben Schulden. Ein nicht nur williger, sondern noch vorpreschender Finanzminister, der die nötigen „Geldmittel lose“ macht, wenn Friedrich Merz und Robert Habeck zu der Einschätzung gelangen, dass es „die Situation … erfordert“, könnte dann auch die Verantwortung für das Desaster übernehmen.
Natürlich will Merz sparen – und er weiß auch wo. In der Union überschlagen sich die Überlegungen, eine, die möglicherweise nicht mehrheitsfähig ist, geht dahin, dass eine Koalition mit den Grünen den Vorteil brächte, dass man nicht nur in der Außen- und Kriegspolitik übereinstimmt, sondern auch mit den Grünen leichter den Sozialstaat reformieren würde, sprich das Bürgergeld. Da die Grünen unter der Bedingung mitgehen könnten, dass die Kürzungen im Sozialbereich nicht die illegale Migration einbeziehen, dürften die „Reformen“ ausschließlich deutsche Staatsbürger treffen.
In der Wirtschafts- und Energiepolitik wird es zu etwas mehr Vernunft kommen, Beispiel das Aus für das Verbrenner-aus, doch bei weitem nicht genug. Allerdings könnte es Robert Habeck gefallen, nicht mit dem Pfusch im BMWK, den er zu verantworten hat, behelligt zu werden, denn er ist auf dem Weg, zum Primaklimapumpminister zu werden, und zwar den größten, den die Welt je gesehen hat.
Und in der Migrationspolitik wird man mit den Grünen statt an grundsätzlichen Änderungen nur umso härter am Wording arbeiten. Man wird sehen, ob Merzens Versuch der Änderung der Migrationspolitik am 19.1. und am 31.1. ernst gemeint oder nur Wahlkampftaktik war.
Eine schwarzgrüne Koalition wird vor allem mit Formelkompromissen und mit Alibi-Maßnahme versuchen, sich in der Regierung zu halten. Wie man sich entscheiden wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Allerdings zeigt sich auch in den Reaktionen auf die Rede von JD Vance und auf Statements von Elon Musk, dass die Bewohner Neu-Versailles die Brandmauer als wichtigsten Schutz ihrer Herrschaft sehen – und in Wahrheit geht es nur um Herrschaft. Es ist die Herrschaft, die sie eint.
Das Land steht auf der Kippe. Es steckt in der Anachronismusfalle. Um aus dem Anachronismus in die Gegenwart zu springen, bedarf es einer Richtungsänderung und tiefgreifender Maßnahmen.
Wir benötigen die Rückkehr der Politik, was wir erleben, sind die politischen Spielchen der Merkel Ära. Ob Merz damit zu brechen vermag, woran immer weniger glauben, wird zur Existenzfrage der Union. Entweder die Union löst die existentiellen Probleme des Landes, oder das Land löst sich von der Union.