Tichys Einblick
Machtkampf ums Bundesverfassungsgericht

Asylkritischer Kandidat für Karlsruhe blockiert – droht eine rot-grüne Umgestaltung des Verfassungsgerichts?

CDU-Kandidat Seegmüller sollte Verfassungsrichter werden – doch SPD und Grüne blockieren die Wahl. Nun könnte eine Grundgesetzänderung den Prozess noch komplizierter machen. Droht eine politische Neubesetzung nach rot-grüner Logik?

IMAGO / Herrmann Agenturfotografie

Seit dem 1. Dezember 2024 hätte die Stelle eines Richters am Bundesverfassungsgericht neu besetzt werden müssen. Josef Christ hatte die Höchstaltersgrenze von 68 Jahren erreicht. Christ war 2017 auf CDU-Ticket gewählt worden. Das bedeutet: Für Christs Nachfolge hat erneut die CDU das Vorschlagsrecht. Nun schickte die CDU Robert Seegmüller (56) ins Rennen. Seegmüller gehört seit 2015 einem der höchsten deutschen Gerichte an: dem Bundesverwaltungsgericht. Parallel dazu war er ab 2014 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin.

Eine Wahl zum Richter am Bundesverfassungsgericht läuft zumeist ohne großes Aufsehen ab. Im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ist festgelegt: Die jeweils acht Richter jedes der beiden Senate werden auf Vorschlag des Plenums des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Dabei ist in geheimer Wahl jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Tatsächlich wechseln sich die Parteien mit ihren Nominierungen ab. Man könnte sagen: Sie haben sich „Karlsruhe“ zur Beute gemacht. An manchen Urteilen ist das ablesbar. Aktuell gibt es jedoch Streit. Die SPD ist skeptisch, den Grünen passt CDU-Mann Robert Seegmüller gar nicht. Die Wahl, die am 30. Januar 2025 im Bundestagsplenum stattfinden sollte, wurde deshalb kurzfristig verschoben – auf Wunsch der Union. Der Grund: Die Grünen halten Seegmüller für einen Hardliner in Sachen Asylrecht. Seegmüllers Wahl wäre nun nur noch in der letzten Bundestagssitzung am 11. Februar möglich. Angesichts der aufgeheizten Asyl-Debatte ist jedoch ungewiss, ob es dazu kommt. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Neubesetzung des Postens von Josef Christ erst nach der Neukonstituierung des Bundestages im Mai oder Juni 2025 erfolgt.

Seegmüller: „Zurückweisungen an den Grenzen sind möglich“

Die spannende Frage bleibt: Wird die Union dann erneut mit Robert Seegmüller antreten oder ihn gegen jemanden austauschen, der für SPD und Grüne akzeptabler ist? Die Süddeutsche Zeitung mischt bereits mit. Sie etikettierte Seegmüller am 30. Januar als einen „Verwaltungsrichter mit eskalierender Rhetorik“ und als „prononcierten Kritiker des Asylrechts“. Seegmüller hatte im Zusammenhang mit Zurückweisungen an der Grenze der WELT unter anderem am 28. Juni 2018 in einem Interview gesagt: „Die nationale Rechtslage ist eindeutig … Zurückweisungen sind möglich, so steht es in Paragraf 18 Asylgesetz.“

Für die SZ steht das im Widerspruch zum EU-Recht. Dabei hätte man dort nachlesen können, was der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts (2002–2010), Hans-Jürgen Papier, am 8. September 2024 in einem Interview mit der Bild-Zeitung festgehalten hat. Papier zufolge gibt es keine europarechtliche Regel, die über dem deutschen Paragrafen 18 des Asylgesetzes steht. Menschen aus sicheren Drittstaaten sei die Einreise zu verweigern. Die jetzige Praxis sei nicht zulässig, weil sie die öffentliche Sicherheit gefährde.

Ein neuer Kuhhandel droht

Wie geht es weiter im neuen Bundestag – dann in neuer Konstellation? Ist eine Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten überhaupt denkbar? Die AfD könnte allein oder gemeinsam mit dem BSW eine Sperrminorität von einem Drittel der Sitze im Bundestag haben und damit eine Wahl blockieren. Sollte die AfD allein eine Sperrminorität erreichen, könnte sie ihre Zustimmung zu einem Kandidaten davon abhängig machen, dass ihr ein eigenes Vorschlagsrecht eingeräumt wird. Falls das BSW in den Bundestag einzieht, könnten die etablierten Parteien die Zweidrittelmehrheit auch sichern, indem sie das BSW mit einem Vorschlagsrecht einbinden und die AfD weiter außen vor lassen.

Eine „Lex AfD“ – oder bald eine „Lex CDU“?

Eine weitere Möglichkeit ergibt sich durch eine Grundgesetzänderung vom 19. Dezember 2024. Der Bundestag hat mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP eine Änderung beschlossen, um das Bundesverfassungsgericht „resilient“ zu machen. Ziel ist es, Sperrminoritäten bei der Richterbesetzung zu umgehen. Seit dem 28. Dezember 2024 gilt folgender Passus in Artikel 93 Grundgesetz:

„Durch Bundesgesetz … kann vorgesehen werden, dass das Wahlrecht vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden kann, wenn innerhalb einer zu bestimmenden Frist nach dem Ende der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters eine Wahl seines Nachfolgers nicht zustande kommt.“

In der Folge wurde im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) dem § 7a folgender Absatz 5 angefügt:

„Hat das zuständige Wahlorgan innerhalb von drei Monaten, nachdem ihm das Bundesverfassungsgericht einen Wahlvorschlag gemacht hat, keinen Nachfolger gewählt, kann sein Wahlrecht auch vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden. Ein so gewählter Richter gilt als vom ursprünglich zuständigen Wahlorgan gewählt.“

Im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht wurde entsprechend festgelegt, dass der Bundesrat einspringen kann, wenn der Bundestag innerhalb von drei Monaten keinen neuen Richter wählt. Ein so gewählter Richter gilt dann als vom ursprünglich zuständigen Wahlorgan bestimmt. Damit wäre sichergestellt, dass die AfD bei der Wahl neuer Verfassungsrichter keinen Einfluss nehmen kann, da sie in keiner Landesregierung vertreten ist und somit nicht im Bundesrat sitzt.

Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, bezeichnete die Neuregelung im Cicero als „eine weitere undemokratische Trickserei“. Die entscheidende Frage lautet nun: Soll das Bundesverfassungsgericht, wenn es nach dem Willen von SPD und Grünen geht, künftig auch noch gegen CDU-Vorschläge immunisiert werden? Wird Karlsruhe am Ende rot-grün gleichgeschaltet?

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