Seit fast 10 Jahren ist Herr R. ein Stammkunde in einem BioMarkt im Ruhrgebiet. Hier trifft er sich gerne mit Freunden im Bistro-Bereich des Backshops. Erste Probleme gab es in der Corona-Zeit. Obwohl Herr R. ein detailliertes ärztliches Attest hatte, wurde es im Markt nicht gerne gesehen, dass er keine Maske trug. Herr R. spürte damals, wie er in unterste Schubladen gesteckt wurde und man ihn am liebsten im Markt nicht mehr sehen würde.
Jetzt im Januar kam es zur Eskalation. Herr R. hatte sich wieder einmal mit einem Freund im Bistro getroffen. Es entwickelte sich ein angeregtes Gespräch über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Es saßen keine weiteren Gäste im Bistro. Unvermittelt trat die Thekenmitarbeiterin an den Tisch und forderte die beiden auf, solche Gespräche umgehend zu unterlassen. Herr R. war überrascht und verteidigte sich mit der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit. Die Mitarbeiterin ließ sich davon nicht beeindrucken und rief die Chefin des Marktes zur Hilfe. Weil Herr R. sich weigerte, trotz Hinweis auf das Hausrecht den Laden zu verlassen, wurde die Polizei gerufen und Herr R. und sein Freund bekamen Hausverbot. „Dass so etwas möglich ist“, klagte Herr R. „Das war ein Erlebnis, das mich innerlich schwer aufgewühlt hat.“
Als ich von der Angelegenheit erfuhr, meldete ich mich als Autor von Tichys Einblick beim BioMarkt, um zu erfahren, wie die Angelegenheit von der anderen Seite gesehen wird.
In diesem Alltagserlebnis entdecke ich Muster, die für das gegenwärtige Deutschland mittlerweile charakteristisch zu sein scheinen.
Da werden Menschen nunmehr seit Jahren von Politik und „Qualitätsmedien“ hochoffiziell mit verächtlichen Begriffen belegt: Schwurbler, Covidiot, Klimaleugner, Rechtsextremist, Faschist, Blinddarm, Putinversteher und vieles mehr. Das hat Wirkung. Durch diese entmenschlichenden Etiketten werden Menschen zu Ketzern, mit denen man nicht mehr menschlich umzugehen braucht. Man darf ihnen gegenüber mit gutem Gewissen ein Verhalten an den Tag legen, das jenseits des normalen menschlichen Umgangs liegt. Ich kann mir gut vorstellen, dass Herr R., sein Freund und die Thekenmitarbeiterin eine friedliche Lösung hätten finden können. Aber bei Ketzern fühlt man sich klasse, wenn man „klare Kante“ zeigt. Genau wie die „Omas gegen rechts“ stolz darauf sind, wenn sie bei einer Bank durchgesetzt haben, dass einem Abgestempelten das Bankkonto gekündigt wird.
Es schleicht sich in unserer Gesellschaft ein doppelter Standard ein: Da ist der zivilisierte Umgang mit den vermeintlich Zivilisierten; und dann ist da der knallharte unmenschliche Umgang mit den Etikettierten. Durch solche doppelten Standards fault ein Land menschlich von innen; ein Fäulnisprozess selbstverständlich im Namen von Menschlichkeit, Vielfalt, Respekt und Toleranz.
Doch auch wirtschaftlich ist diese kleine Begebenheit ein Alarmzeichen. Die Thekenmitarbeiterin ist im BioMarkt angestellt, um Lebensmittel zu verkaufen. Wenn sie Dinge im Bistro-Bereich hören muss, die ihr politisch nicht gefallen, dann gehört das zu ihrem Beruf. Dafür wird sie bezahlt. Privat braucht sie sich das nicht anzutun. Aber im Geschäft ist der Kunde König. Wenn politische oder medizinische Präferenzen die berufliche Aktivität überlagern, dann stimmt etwas nicht im Berufsethos.
Von einem Psychologen erwarte ich psychologische Begleitung und kein Ablästern über Trump. Von einem Staatsanwalt verlange ich faire juristische Behandlung und kein Engagement für die Regierung. Von einer Außenministerin fordere ich diplomatische Beziehungsverbesserungen zu möglichst allen Ländern und keine fundamentalistisch zur Schau gestelllte grüne Ideologie.
Wenn das nicht mehr gilt, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die wirtschaftliche Dynamik in unserem Land darniederliegt. Eine professionelle Arbeitsmoral ist die Basis für den Wohlstand in einem Land, das mit Ressourcen nicht übermäßig gesegnet ist.
Ich wünsche Herrn R., dass er sich von diesem verletzenden und kränkenden Erlebnis erholt. Hinfallen, aufstehen, Krone richten, lernen – und dann geradeaus weitergehen für eine Gesellschaft, in der mehr Menschen Lust an der offenen Debatte haben, um die besten Ideen zu finden und neuen Schwung in unser Land bringen.
Die Antwort vom BioMarkt ging spät ein, wird der Vollständigkeit halber aber natürlich noch abgebildet:
Sehr geehrter Herr Zorn,
vielen Dank für Ihre Anfrage, der wir gerne nachgehen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu personenbezogenen Vorgängen einzelner Kunden nicht äußern.
Grundsätzlich gilt in unseren Märkten , dass wir das Recht auf freie Meinungsäußerung respektieren und Vielfalt als eines der höchsten Güter schätzen.
Diskriminierung und Extremismus lehnen wir ab.
Mit freundlichen Grüßen