Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Ist Pazifismus heute rechts?

Wer früher für eine Außenpolitik eintrat, die sich auf Interessen und Interessenausgleich stützte, und nicht auf hohe Moral, der galt als "Bellizist" und Kriegstreiber. Heute wird in die rechte Ecke gestellt, wer sich als "pazifistisch" outet.

Screeprint: Kalenderblatt via Youtube

Wer ein wenig älter ist, erinnert sich noch gut an den grünen Pazifismus, an Petra Kelly, einst das Gesicht der Friedfertigkeit. In ihrem ersten Wahlprogramm 1980 forderte die Partei die „Demontage“ der Bundeswehr und „die sofortige Auflösung der NATO“.

Gegen den Nato-Doppelbeschluss (1979), eine „Kombination aus Nachrüstung und Dialog“, gingen in Deutschland einst Millionen auf die Straße. Legendär die Demonstration in Bonn mit etwa 500 000 Teilnehmern. In der DDR und in der Bundesrepublik war man sich einig: ganz Deutschland würde im Fall des Falles zerstört werden. Diese Friedensbewegung war ganz im Sinne der Sowjetunion. Und in der Tendenz antiamerikanisch.

1991 kulminierte erneut die deutsche Angst vor einem dritten Weltkrieg, weiße Bettlaken hingen aus den Fenstern und man demonstrierte mit weißen Gesichtern gegen die drohende Auslöschung. Der Anlass: der erste Golfkrieg. 1990 eroberte der Irak unter Saddam Hussein Kuwait. Im Januar 1991 begann eine Koalition, angeführt von den USA und legitimiert durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, mit Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits. Und dabei beließ man es zunächst auch, die Absetzung Saddam Husseins war nicht das Ziel.

Ich war damals der Meinung, dass man die Ölmacht Kuwait im eigenen Interesse nicht dem Irak überlassen dürfe. Das brachte mir den Ruf einer Bellizistin ein. Die politisch korrekte Parole hieß „Kein Blut für Öl“, „Interesse“ galt als schmutziges Wort und nicht als einhegendes Moment: man zerstört nämlich nicht, was man braucht.

Doch in Deutschland bevorzugt man die Moralisierung militärischer Aktionen, entweder, um sie zu diskreditieren, oder um sie unangreifbar zu machen. Joschka Fischer, damals seit einem halben Jahr deutscher Außenminister, griff 1999 zum ganz großen Besteck, als er Auschwitz bemühte, um die Intervention im Kosovo-Krieg zu rechtfertigen. Es sei ja doch eine „humanitäre Intervention“.

Nun, mit dem Völkerrecht war die Bombardierung Jugoslawiens nicht vereinbar, der Kosovo ist kein autonomer Staat, der Militärschlag der NATO verletzte die staatliche Integrität Jugoslawiens. Weshalb im Falle des Kosovo-Konflikts auch kaum anders als moralisch argumentiert werden konnte. Moral bricht Völkerrecht.

Damals kam Fischers Bekenntnis bei den Grünen noch nicht sonderlich gut an. Und auch, wie der damalige Verteidigungsminister Peter Struck 2002 die deutsche Beteiligung am Einsatz einer Internationalen Truppe in Afghanistan rechtfertigte, gefiel nicht jedem: „Unsere Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Doch immerhin: hier wird wenigstens der Anschein erweckt, es gehe um Interessen, nicht um den Kampf gegen das Böse.

Doch die lebenswichtige Unterscheidung zwischen Moral und Interesse ist ausgerechnet bei den einst Friedensbewegten offenbar völlig verschwunden. Die Kritik an dem in der Tat völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine und der Wunsch, ihn zurückzuweisen, ist das eine. Und verständlich ist die Furcht, Russland sei nichts anderes als die Sowjetunion. Doch die überschießende Kriegslust und der Wunsch nach einer möglichst umfangreichen Schädigung Russlands, wie sie nicht nur von der hoffentlich bald ehemaligen Außenministerin Annalena Baerbock wieder und wieder geäußert wird („das wird Russland ruinieren“), ist nicht hilfreich, um mit Angela Merkel zu sprechen.

Ebenso wenig hilfreich ist es, jede Analyse der russischen Interessen als „Putinismus“ zu definieren. Denn eben das ist die Aufgabe von Diplomatie: die Analyse von Kräfteverhältnissen und Interessen. Realpolitik bedeutet, alle Seiten in Augenschein zu nehmen. Das aber wird ein unmögliches Unterfangen, wenn Russland und Putin zum absolut Bösen erklärt werden, weshalb man sie weder verstehen noch mit ihnen verhandeln kann.

Unsere neuen Bellizisten wünschen die Vernichtung des Gegners, nicht ein baldiges Ende des Sterbens und Tötens.

Ihre Rechtfertigung? Im Kampf gegen das absolut Böse sind alle Mittel erlaubt. Moralisierung ist das Kennzeichen eines sich zum Totalen hinwendenden Kriegsgeschehens. Trumps Frage an Selenski, ob der einen dritten Weltkrieg wünsche, war nicht unberechtigt.

Nun, da unter dem neuen Sheriff in den USA eine weitere Unterstützung der Ukraine und Selenskis fraglich wird, bläht man sich nicht nur in Deutschland, das sich stets gern hinter dem Rücken der USA versteckt hat, sondern in Europa auf, als könne man innerhalb von Monaten herstellen, was man so lange schon vernachlässigt hat: nicht nur die Kriegs-, sondern auch die Verteidigungsfähigkeit.

Jetzt fordert Joschka Fischer ein Zurück zur Wehrpflicht, auch für Frauen. Die CSU möchte das noch in diesem Jahr erreichen: „Wir können ja nicht teilnahmslos zusehen, wie die Welt um uns unsicherer wird.“

Eine ziemlich späte Erkenntnis. Pazifismus ist jetzt rechts, als ob es nicht einfach um Weitblick und das Abwägen von Kosten und Nutzen ginge.

Kurz: Wenn die Stimmung vom bedingungslosen Pazifismus zum bedingungslosen Bellizismus kippt, sollte man misstrauisch sein.

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