Tichys Einblick
„Meine Studenten glauben zum Teil alles“

Der Traum von Regierenden: Ein Volk, das alles glaubt und nichts mehr hinterfragt

Deutschlands Studenten verlernen das eigenständige Denken und werden so zur perfekten Zielgruppe für jede politische Steuerung. Der renommierte Geschichtsprofessor Michael Sommer erklärt, was an deutschen Hochschulen geschieht. Eine gültige und zugleich vernichtende Diagnose über den geistigen Zerfall der einstigen Bildungsnation.

picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Es kommt mittlerweile eher selten vor, dass sich renommierte Hochschulleute kritisch – und das auch noch öffentlich – über das 3-Millionen-Studenten-Heer äußern. Pardon: Heute heißen Studenten ja „Studierende“, auch wenn das Wort „Studierende“ als Partizip Präsens in vielen Fällen ein Euphemismus ist.

Michael Sommer (55) spricht Klartext. In einem Interview  äußerte sich der Bestsellerautor und renommierte Geschichtsprofessor, der an der Universität Oldenburg lehrt, zur deutschen Bildungsmisere. Sommers Aussagen sind gleichermaßen gültige und vernichtende Diagnose über die (vormalige) „Bildungsnation“.

Ein Professor rechnet ab

Sommers wichtigste Aussagen: Zu viele Studenten an den Hochschulen seien fehl am Platz und in einer soliden beruflichen Bildung besser aufgehoben – zumal in Zeiten des Fachkräftemangels. Statt dessen hat man das deutsche berufsbildende System, um das uns die ganze Welt einst beneidet hat, an die Wand gefahren und systematisch zerstört. Laut Sommer gehören 20 bis 25 Prozent der Studenten nicht nicht an die Universität.

Ebenfalls etwa 20 Prozent seien gute Studenten, die mitarbeiten. Mit der Mittelgruppe von etwa 60 Prozent könnte man ganz gut arbeiten. Jedenfalls habe man zu viele Leute an die Unis geholt, die Universitäten seien zu groß. Hochschulleitungen allerdings finden es natürlich ganz toll, immer weiter zu expandieren.

Sommer ist davon überzeugt, dass es für alle besser wäre, wenn es 50 Prozent weniger Studenten gäbe – aber dann entsprechend auch nur 50 oder 60 Prozent der Mittel.

Sterbende Kulturtechnik
Wie die Handschrift verschwindet
Viele Studenten erfüllen zum einen nicht die Eingangsvoraussetzungen, haben aber zum anderen auch nicht das Entwicklungspotenzial, um dahin zu kommen, wo man sie haben will. Schon das Lesen von mittelschweren Texten bereitet einem Großteil Schwierigkeiten. Der Wortschatz vieler Studenten sei arg begrenzt, weil sie nicht lesen. Und sie lesen nicht, weil es ihnen so viel Mühe macht.

In der Folge können laut Sommer viele Studenten oftmals nicht mal einen Text, der klar aus einer ideologischen Ecke kommt, als solchen identifizieren. Das hat gravierende Folgen für das demokratische Miteinander. Wenn wir zu einer Gesellschaft von strukturellen Analphabeten werden, kann uns jeder mit Fake News einseifen, der das möchte.

Sommer wörtlich: „Ich sehe es an meinen Studenten. Die glauben zum Teil alles.“

Das fängt bei den Elternhäusern an. Weil es dort vielfach kaum Bücher gibt, Texte kaum eine Rolle spielten. Später in den Schulen bekommen diese „strukturellen Analphabeten“ dann als Feedback: Ja, ihr seid super, mit euch ist nichts falsch. Solche Leistungsfeindlichkeit ist ein deutscher Spezialfall. Bei uns sind an den Schulen die Leistungsschwachen und Faulen die ‚Cool Kids‘.

Ein weiteres Problem ist mit der übermäßigen Nutzung elektronischer Geräte verbunden: Oftmals ist die erste Hürde bereits, eineinhalb Stunden Lehrveranstaltung zu überstehen, ohne ständig auf dem Handy rumzuwischen, auf dem Laptop in die Sozialen Medien abzutauchen.

Sommer bemerkt zudem, dass von den Studenten keine Eigenverantwortung erwartet wird. Wir nehmen die Studenten – vor allem seit der Errichtung des Bologna-Systems – immer mehr an die Hand. Mit irgendwelchen Methoden wie Gruppenarbeit und anderem Pipapo sollen sie dort abgeholt werden, wo sie sind.

Ein verdummtes Volk regiert sich leichter

Und so weiter und so fort. Nein, es ist kein larmoyantes Getue, was Professor Sommer hier loslässt. Viele seiner Kollegen erleben Ähnliches, auch wenn sie es nicht öffentlich sagen und um des Friedens wegen gute Noten für dürftige Leistungen vergeben. Es hat schon seinen Grund, wenn Hochschulen in immer mehr Fächern Liftkurse für Studienanfänger einrichten müssen, weil viele von ihnen nicht mitbringen, was sie in der Schule an Wissen und Motivation hätten erwerben sollen.

Kritik an Prüfungsaufgaben
Petition gegen NRW-Abitur: Es gibt keinen Anspruch auf Wohlfühlbildung
Nein, vieles passt nicht mehr zusammen in dieser vormaligen Bildungsnation. Die Abiturientenquoten werden bei immer noch besseren Noten immer höher. Entgegen der Erkenntnis, dass sich Quote und Qualität reziprok verhalten. So ist aus vielen Abiturzeugnissen ein bloßes Attest der Studierberechtigung, aber nicht mehr der Studierbefähigung geworden. Aber für viele aus dem Boden schießende „Haltungs“-Fächer (Gender, Diversity usw.) scheint das zu reichen. Pseudoakademisierung ist das. Und eine Abitur-Vollkaskoversicherung – möglichst ohne Eigenbeteiligung. Eine populistische Gefälligkeitspolitik will es so. Mehr oder weniger quer durch alle Parteien.

Viel Haltung, aber wenig Ahnung: Damit erklimmt man sogar Spitzenämter in der Politik. Und der Weg dorthin wird immer noch mehr geebnet. Bereits in der Schule: bloß keine „kränkenden“ Noten, keine Diktate, kein Auswendiglernen, keine Hausaufgaben, keine ehrlichen Prüfungen und keine ehrlichen Noten. Im Abitur dann die Analyse eines „Essays“ einer Klima-Ikone. Dazu viel „Schule gegen Rassismus“. Statt Lehrplänen Leerpläne, die keinen Wissenskanon mehr vorgeben. Weil man ja alles „downloaden“ kann.

Immanuel Kant hatte mit seinem wegweisenden Essay zur Frage „Was ist Aufklärung?“ schon Recht: Es ist leider so bequem, unmündig zu sein. Aktualisiert könnte man ergänzen: Es ist so bequem, sich Mini-Häppchen-Infos auf das eigene Mäusekino (Smartphone) zu holen, irgendwelchen Influencern zu glauben oder einfach nur die öffentlich-rechtliche Gehirnwäsche von Böhmermann und Co. über sich ergehen zu lassen.

Oder noch boshafter: Ein dummes, verdummtes Volk regiert sich einfach leichter. Vor allem, wenn man in die Verdummung auch noch die Angst vor dem Klimawandel und/oder die Angst vor den „Rechten“ hineinträufelt. Schließlich gilt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ (Marie von Ebner-Eschenbach). Und: „Unwissenheit ist Stärke“ (Orwells Big Brother).

Die mobile Version verlassen