Tichys Einblick
Irreführung der Wähler

Die Kanzlerfrage

Demoskopen messen nicht nur das Meinungsklima. Sie beeinflussen es auch. „Wen würden Sie zum Kanzler wählen?“ ist schon deshalb eine unsinnige Frage, weil niemand den Kanzler wählen kann. Es ist auch gut so, dass der Kanzler nicht zur direkten Wahl steht. Sonst wäre jemand wie Habeck noch gefährlicher.

Demoskopen messen nicht nur das Meinungsklima. Sie beeinflussen es auch – ob sie wollen oder nicht –, besonders in Wahlkampfzeiten. Dabei sind manche Fragen der Meinungsforscher unsinnig. Das wird aber so gut wie nie kritisch diskutiert.

I.

Die Wirkung von Umfragen besteht auch in dem allgemein verbreiteten Irrtum, es gäbe eine Art Schwarmintelligenz der repräsentativ Befragten. Dabei zielen die meisten Erhebungen nicht auf begründete Überzeugungen, sondern auf schwankende Hoffnungen oder Befürchtungen, kurz auf Gefühle. Ein Beispiel: Die meisten Deutschen haben Angst vor Trump. Umfragen, die dies belegen, suggerieren aber zugleich, dass diese Einschätzung berechtigt ist. Fast drei Viertel der Deutschen (71 Prozent) rechneten etwa vor Kurzem noch mit einer Zuspitzung der weltweiten Probleme und Krisen, wenn Donald Trump die Wahl gewinnt. Was den Krieg im Gazastreifen angeht, ist bereits jetzt das Gegenteil bewiesen.

II.

Ein besonders dummes Demoskopieprodukt ist das Politikerranking, also die Frage nach den beliebtesten, besten, wichtigsten Politikern. Ja was eigentlich? Es ist doch offensichtlich, dass die Sympathie, die einzelne Politiker erfahren, mit deren Leistung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Ein gewisser Habeck liegt beim Politbarometer immer noch auf Platz 4. Gemessen an seinem tatsächlichen Wirken dürfte er in den Top 10 gar nicht mehr vorkommen. „Was halten Sie von …?“ oder „Wer sollte eine größere Rolle spielen?“ sind völlig irrelevante Fragen.

III.

Am blödsinnigsten aber ist die sogenannte Kanzlerfrage. „Wen würden Sie zum Kanzler wählen?“ ist schon deshalb eine unsinnige Frage, weil niemand den Kanzler wählen kann. Er wird bekanntlich von den Abgeordneten des Bundestags gewählt. Welcher Kandidat auch immer aus welchen Gründen am Ende die Mehrheit im Parlament auf sich vereinigen kann: Keiner kann garantieren, dass das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen dem Willen der Mehrheit entspricht. Die K-Frage der Demoskopen gaukelt etwas vor, was es in der deutschen Parteiendemokratie nicht gibt. Insofern ist sie eine Irreführung des Publikums.

IV.

Es ist auch gut so, dass der Kanzler nicht zur direkten Wahl steht. Denn sonst wäre jemand wie Habeck noch gefährlicher. Obwohl dessen Partei in der Sonntagsfrage („Wenn am Sonntag Wahlen wären“) nur von 15 Prozent der Wähler gewählt würde, liegt er in der K-Frage gleichauf mit dem Kanzlerkandidaten der Union Friedrich Merz, dessen Parteienbündnis CDU/CSU das Doppelte, nämlich 30 Prozent der Stimmen einfahren würde?

V.

Fast ein Drittel der Bevölkerung wünscht sich ausgerechnet diesen Habeck zum Kanzler. Wie gesagt, die meisten Leute können (oder wollen) zwischen Beliebtheit und Kompetenz der Kandidaten nicht unterscheiden. Sie lassen sich einwickeln von der Ausstrahlung (Charisma) eines heillos überforderten Amtsträgers. Sie hören dem Küchentisch der Nation gerne zu. Sein neuester Einfall beweist, wie wenig der Märchenerzähler von der Materie versteht, für die er Verantwortung trägt. Er kann nicht einmal zwischen Versicherungsprämie und Steuern unterscheiden. Die Notlage der Krankenkassen mit einer neuen Abgabe auf Kapitaleinkünfte beantworten zu wollen, ist ordnungspolitisch verrückt. Dieses Verrückte, das alle Experten ablehnen, auch noch von „Bürgerräten“ absegnen zu lassen, beweist nur, dass der Deindustrialisierungsminister der gefährlichste Populist des Landes ist. Er leitet die niederen Instinkte gegen Millionäre auf seine Mühlen. Nicht zum ersten Mal ist seine Ordnungswut größenwahnsinnig und selbstgefällig. L’état c’est moi: Ein Sonnenblumenkönig gefährdet den Wohlstand dieses Landes wie kein zweiter Politiker vor ihm – und wird dafür im Kanzlerkandidaten-Ranking belohnt.

VI.

Die Demoskopen erklären das „Kopf-an-Kopf-Rennen“ von Habeck und Merz mit der Polarisierung der Debatte. Polarisierung drückt sich meist besonders in einer Personalisierung aus. Wird die K-Frage nur auf zwei Kandidaten bezogen, wird das noch deutlicher: Vor die Wahl gestellt, sich zwischen Friedrich Merz und Robert Habeck entscheiden zu müssen, liegt Merz mit 44 Prozent (minus vier) nur noch knapp vor Habeck mit 41 Prozent (plus zwei). Diese Bewertung ist, gemessen am tatsächlichen Handeln und an den Wahlprogrammen, völlig absurd. Offenbar ist fast die Hälfte der Bevölkerung dem Personenkult, der um den grünen Patentschwätzer entfacht wird, hilflos ausgeliefert.

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