Die Klagen über die Spaltung der Gesellschaft sind an Verlogenheit kaum zu überbieten. Zuerst werden objektive Probleme – die Grenzen der Integrierbarkeit illegaler Migranten – ignoriert. Dann wird auch noch die notwendige demokratische Auseinandersetzung darüber vergiftet. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um einen sogenannten Tabubruch.
I.
Besonders widerwärtig ist, wie in dieser Woche Friedrich Merz zum Buhmann gemacht wird. Er hat auf zwei Ereignisse reagiert, die nicht nur zeitlich miteinander verbunden sind: auf den Furor, mit dem der neue amerikanische Präsident die Migrationspolitik der USA verschärft, und auf die jüngsten Morde von Aschaffenburg. Merz kann nicht warten, bis er am ersten Tag seiner Kanzlerschaft – nach wochen- und monatelangen Koalitionsverhandlungen – irgendetwas tun kann oder zumindest so tun kann, als würde er etwas tun. Wahlkampf ist jetzt. Als Dank für seine doch alles andere als radikale Kurskorrektur wird er von potenziellen Koalitionspartnern wie SPD und Grünen als Nazi-Freund geschmäht. Der 80. Jahrestag von Auschwitz wird schändlich missbraucht, so als sei die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber identisch mit der Deportation in Todeslager. Das ist unsäglich bösartig.
II.
Besonders perfide war die Verleumdung durch Gesundheitsminister Lauterbach. Das Mindeste, was Merz darauf hätte antworten müssen, wäre, dass er diesen Herrn in seinem Kabinett nicht ertragen werde. Und überhaupt: Die maßlos überzogenen Attacken der SPD im Bundestag lassen eigentlich eine Koalition mit den Unionsparteien nicht mehr zu. SPD und Grüne sind nicht bereit, das Notwendige zu tun. Doch der Wind dreht. Deshalb reagieren sie so hysterisch. Ihr eigenes Verhalten ist scheinheilig. Sie machten selbst mit der AfD gemeinsame Sache, als sie die Beschlussunfähigkeit des Bundestages herbeiführten, um nicht über Hilfe für die Ukraine abstimmen zu müssen. Diejenigen, die Transformation predigen, sind zu einem Politikwechsel nicht bereit. Sie verteidigen nur die reine Lehre – die reine Leere ihrer Machtbesessenheit.
III.
Nicht die AfD gefährdet aktuell die Demokratie, sondern das jahrelange Versagen der Altparteien und eine moralisierende „Willkommenskultur“ jenseits aller Vernunft. An der Spitze der Versager: Angela Merkel. Dass nun ausgerechnet sie, der die AfD letztlich ihren Erfolg verdankt, sich gerade jetzt in parteischädigender Manier vom Kanzlerkandidaten Merz distanziert, setzt dem Fass die Krone auf. Es ist unübersehbar, mit welch gewaltigen Widerständen Merz in den eigenen Reihen noch immer zu kämpfen hat. Er kann jetzt auch nicht mehr zurück.
IV.
Es wäre absurd, auf notwendige, wenn auch noch nicht hinreichende, Anträge zu verzichten, nur weil auch die „Falschen“ ihnen zustimmen. Nichts hat die Republik so systematisch gespalten wie die sogenannte Brandmauer. Die Unionsparteien bestehen darauf, sie stehen zu lassen, schlagen jedoch Löcher in sie hinein. Ob es Merz damit gelingt, der AfD Wähler abspenstig zu machen (Fritz Goergen hat es hier bezweifelt) oder nur den immer noch regierenden Parteien der Resteampel, ist noch nicht ausgemacht. Bemerkenswert destruktiv ist, wie haltlos auch von rechts auf Merz eingedroschen wird. Offenbar geht es manchen Kommentatoren (und kommentierenden Lesern, sicher auch wieder unter diesem Artikel) nur noch darum, Wahlkampf für die AfD zu machen. Was die Rechten dabei vergessen: Ihr Hauptgegner sind und bleiben die Linken. Der Kulturkampf gegen die woke Mafia in Ministerien, Behörden, Universitäten und Medien ist noch lange nicht gewonnen. Sich jetzt an Merz abzuarbeiten, ist defätistisch.
V.
Merz steckt objektiv in einer Klemme, aus der es für ihn keinen bequemen Ausweg gibt – nur einen anstrengenden: Er muss liefern. Wenn er das nicht schafft, wird es eine kurze Kanzlerschaft. Merz wird verachtet von einer sich zunehmend radikalisierenden Rechten und dämonisiert von einer zunehmend hysterischen Linken. Wer wollte bestreiten, dass es nicht nur im Habeck-Land, sondern auf beiden Ufern des Mainstreams kompromisslose Schwachköpfe gibt? Sie bilden unsichtbar eine unheilige Allianz. Sie blockieren. Merz wird die nächste Regierung bilden müssen/sollen/dürfen – aber zu beneiden ist er dafür nicht. Das wirft ein Licht auf die eigentliche Krise dieses Landes im Niedergang. Unregierbar ist es nicht, aber es ist unfähig zum sachlichen Diskurs. Immer mehr desillusionierte Verächter des Systems fühlen sich bestätigt. Nach den Wahlen wird sich vermutlich weniger ändern, als viele hoffen – und dennoch steht mehr auf dem Spiel als je zuvor, nämlich das, was in besseren Zeiten einmal „politische Kultur“ genannt wurde. Diejenigen, die am lautesten die Spaltung beklagen, spalten selbst.
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