Nirgendwo außerhalb deutschsprachiger Länder war ich öfter als in Amerika. Früh lernte ich, dass tendenziell jeder zweite Ami ein geborener Entertainer ist, während jeder zweite hierzulande eher ein Langweiler. Übertreibung gehört zu jeder Show. Ich habe es unzählige Male erlebt von Deadwood in den Black Hills über Keystone, Hollywood und Santa Fe bis Los Alamos. Noch der kleinste Event hatte seine Show. Ein paar runde Tische in einem Restaurant, an jedem Tisch steht nacheinander einer auf und bringt in drei Minuten alles zum Lachen, während er ein ernsthaftes politisches Statement abgibt.
Der damals etwa siebenjährige Sohn eines alten Freundes sagte zu seinem etwas älteren Bruder: Du musst nicht hören, was er sagt, du musst verstehen, was er meint.
Diese Lektion täte vielen gut, die als Journalisten, Politiker und „Experten“ tägliche Botschaften Donald Trumps in Online-Medien einfallslos wörtlich nehmen. Wenn er sagte, den Krieg in der Ukraine beende er binnen 24 Stunden, empfiehlt sich, nicht zu hören, was er sagt, sondern zu verstehen, was er meint. Was er meint, tut er in diesen Tagen. Er will diesen Krieg unbedingt schnell still stellen, weil er bei seiner Mission Make America Great Again keine Nebenkriegsschauplätze mag. Dass er als US-Chefeinkäufer dabei ein Geschäft machen will, versteht sich. Das wird er bei allem, was er anfängt, nie vergessen. Trump ist kein Parteipolitiker wie alle in Old Europe und viele bei den Democrats und Republicans. Wenn Macron bei Trump den bösen Putin adressiert, funkt er auf einer Frequenz, die Trump nicht hört. Geschäft ist Geschäft, bleib mir vom Leib mit deinem Moralin.
Die Lehre vom Verstehen statt nur Hören erinnert mich an ein langes Gespräch mit dem führenden Kopf der Lakota im Pine Ridge Reservat (Lakota Oglala Oyanke), der mir zum Schluss seine Telefonnummer gab und sagte: You are ja keiner von denen aus Europa, der mich morgen anruft, um sich zum Essen zu verabreden, nur weil ich gesagt habe Let’s have Lunch. Eine Höflichkeitsfloskel, die sonst nichts bedeutet, eine Mini-Show.
Von Trump, von Vance und den meisten seiner Secretary of State – vulgo Minister – sind unkonventionelle Lösungen auf allen möglichen Feldern zu erwarten. Wobei er – hoffentlich nicht zu viele – genug Leute in seiner Mannschaft hat, die sich in den Institutionen des Deep State nur zu gut auskennen. Wenn es irgendwo drauf ankommt, wette ich, greift Trump auf seine Art ein und haut den gordischen Knoten durch.
Trump verfolgt seine Strategien wie ein Schachmeister, sagt Victor David Hanson, während die Democrats damit beschäftigt sind, alberne Spiele zu spielen.
Trump und die wichtigsten seiner Leute denken nicht in den alten, eingefahrenen Bahnen. Bei der Ukraine gilt der Ansatz, der Krieg ist nicht zu gewinnen, jedenfalls zu keinem vertretbaren Preis, aber der Frieden ist zu gewinnen – und zwar mit Gewinn für die Ukraine und die USA. Eine amerikanische Wirtschaftspräsenz bringt mehr Sicherheit als Friedenstruppen. Die könnt ihr gern hinschicken und zahlen, sagt Trump der EU.
Der gestrige Auftritt von Ukraines Präsident Selenskyj im Oval Office könnte in die Geschichtsbücher als der historische Moment vom Ende der alten Diplomatie eingehen, wie sie alle gewohnt waren. Die fuß- und kopflahmen polit-medialen Truppen Europas und die schwächer und weniger werdenden legacy media in den USA werden noch lange brauchen, bevor sie das kapiert haben. Nun wird die Welt erleben, dass Trump und Vance, wenn es ernst wird, das, was sie sagen, auch meinen.
Die wahre strategische Bedrohung geht nicht von der Ukraine, dem Vorderen Orient und Russland aus, beurteilen Trumps Leute die Lage. Amerika darf doch nicht selbst eine chinesisch-russische Allianz indirekt fördern, sagen Trumps Strategen.
Wenn Merz bei Macron war und sich beide großer Übereinstimmung rühmen, vor allem auch bei einer neuen Rolle der EU gegenüber den USA, fehlt beiden die Lektion der jungen Söhne meines Freundes. Wenn Macron Merz sagt, wir sind einer Meinung, und Merz das glaubt, hat er nicht verstanden, was französische Präsidenten seit jeher meinen, nämlich: Wir sagen, wo’s lang geht. Ihr dürft folgen und zahlen.
Nichts verändert die Welt ausgehend von Amerika mehr als der Epochenwechsel von der Massenkommunikation der alten Medien zur Kommunikation mit Massen zwischen jedem Einzelnen und vielen auf Onlinekanälen, die jeder betreiben und nutzen kann – an den verschwindenden Gatekeepern vorbei. Die Kommunikation über Kanäleanbieter im Orbit, wie sie Musk und andere vorantreiben, macht den Wohnort der Einzelnen unbedeutend. Auf die Herrschenden wartet der totale Kontrollverlust über die Rede- und Meinungsfreiheit der Bürger.
Sagen die Herrschenden den Beherrschten, sie würden sie vor gefährlichen falschen Nachrichten durch Zensur schützen, meinen sie, dass sie sich selbst vor den freien Gedanken und Meinungen ihrer Bürger schützen wollen. Die Freiheit, online zu sagen, was man denkt, und das auch zu meinen, ist schlecht für die Herrschenden und gut für Freiheit und Wohlstand der Bürger.