Tichys Einblick
Trudeaus Abschied:

Zehn kleine Wokerlein – Abschied von der woken Politelite

„Da waren’s nur noch drei.“ Der Rücktritt von Justin Trudeau markiert deutlich die Zeitenwende auf der internationalen Politbühne. Das Zeitalter der Wokeness unter dem Zepter progressiver Charismaten neigt sich dem Ende zu. Nur in Deutschland dauert es mal wieder länger.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Adrian Wyld

Das Jahr 2025 beginnt mit dem Ende einer Ära. Als vor zehn Jahren (genau genommen nur knapp mehr als neun) im November 2015 Justin Trudeau Premierminister Kanadas wurde, schien die Welt gefangen in einem unaufhaltsamen Lauf hin zu immer progressiveren Gesellschaftsmodellen. In den USA schwang Obama das Zepter und alle Welt erwartete eine Präsidentin Hillary Clinton als Nachfolgerin. In Deutschland regierte die Schein-Konservative Angela Merkel, die erst wenige Monate zuvor die Schleusen geöffnet und Deutschland mit über einer Million Flüchtlingen geflutet hatte. Zwar ließ Emmanuel Macron als williger Zerstörer Frankreichs noch bis 2017 auf sich warten, dennoch standen die Zeichen in weiten Teilen der westlichen Welt auf woke.

Wie schnell sich doch das Blatt wenden kann. Nun, zugegeben – es waren gefühlt lange zehn Jahre, es kann also nur bedingt von Schnelligkeit die Rede sein. Doch die Welt hat sich drastisch gewandelt. Zwar konnte man die unliebsame PiS in Polen zumindest zeitweise von der Macht verdrängen und Emmanuel Macron nach wie vor Marine Le Pen verhindern, doch in vielen anderen Ländern haben drastische Kehrtwenden stattgefunden oder stehen kurz bevor.

In Ungarn sitzt Viktor Orbán, allen Unkenrufen zum Trotz, nach wie vor fest im Sattel. Giorgia Meloni schwang sich in kürzester Zeit zu einer der beliebtesten Postfaschistinnen seit … den Faschisten auf. Die französische Regierung wackelt und wankt, in den Niederlanden hat Geert Wilders trotz Verhinderungsversuchen das Ruder übernommen, ja selbst in Österreich, das fast so verbohrt ist wie Deutschland, hat die ÖVP die Brandmauer eingerissen und wird Kickl demnächst erster FPÖ-Bundeskanzler werden. Wirft man den Blick weiter, dann scheint Javier Milei seine wilden Versprechungen des radikal-libertären Umbaus Argentiniens erfolgreich wahr zu machen und über all diesen Personalien thront die anstehende zweite Amtszeit von Donald Trump, die mit der ungebremsten Unterstützung von Elon Musk eine neue Dimension der „soft power“-Politik der USA einläutet.

In dieser Welt wirkte Justin Trudeau fast schon wie ein Relikt vergangener Tage. Altbackene Beschwörungen woker Hirngespinste und der tyrannische Umgang mit den eigenen Truckern beförderten Trudeau auf den ideologischen Müllhaufen der Geschichte. Seine Partei wird sich – wie auch die Democrats in den USA – neu erfinden müssen, um nicht in Windeseile in der Irrelevanz zu verschwinden. Trudeau hat seinen Stuhl noch nicht geräumt, da rührt Elon Musk bereits die Werbetrommel für Oppositionsführer Pierre Poilievre, der von Medien bereits mit Angst als „kanadischer Donald Trump“ angekündigt wird.

Von den einstigen zehn kleinen Wokerlein sind nach dem Abgang von Trudeau nicht mehr viele übrig. „Da waren’s nur noch drei“, könnte man meinen. Und von diesen großen drei in Großbritannien, Frankreich und in Deutschland sitzt kaum jemand fest im Sattel. Keir Starmer hat zwar erst kürzlich das Zepter der notorisch halbgaren Tories übernommen, doch seine Rhetorik der Wokeness klingt, als käme sie zehn Jahre zu spät. Denn die Briten haben mittlerweile ganz andere Probleme. Der Unmut wächst und damit der Zulauf zu Nigel Farage, dessen Partei mittlerweile mehr Mitglieder aufweisen kann als die altehrwürdigen Tories.

„Da waren’s nur noch drei“

Und in Frankreich krallt sich Emmanuel Macron mit allen Kräften an die Macht, doch die Fragilität der französischen Politik wurde erst kurz vor Ende des Jahres deutlich unter Beweis gestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in Frankreich noch in diesem Jahr Neuwahlen stattfinden werden, liegt sehr hoch – vor allem wenn Elon Musk einen Grund finden sollte, auch zur dortigen politischen Lage seine Meinung kund zu tun.

Zu guter Letzt, der ewige Nachzügler Deutschland. Erst spät kamen die Grünen, die bereits Jahre zuvor die Politik aller eingesessener Parteien Deutschlands ideologisch unterwandert haben, zu Regierungsposten. Nun könnten sie – nach nicht einmal einer vollständigen Legislaturperiode – auch schon wieder Geschichte sein. Wobei sich die Sache in Deutschland komplexer darstellt als in anderen Ländern, da die ideologische Besessenheit vor allem weiter Teile der CDU (und ihr prinzipielles Festhalten an der Brandmauer) jeglicher Pragmatik einen Strich durch die Rechnung macht.

Dabei genügt ein Blick nach Österreich. Nach der Wahl hatte Kickl ÖVP-Chef Nehammer noch angeboten, trotz Wahlsieg der ÖVP den Kanzlerposten zu überlassen. Nehammer weigerte sich, wurde Geschichte, sodass nun die ÖVP wohl als Juniorpartner erstmals einem FPÖ-Kanzler zur Kür verhilft.

Noch ist der Vorsprung der CDU groß genug, um nach den Wahlen im Februar vor der AfD zu landen. Doch wenn die CDU die AfD ignoriert und sich wieder einmal als bürgerlicher Steigbügelhalter eines veralteten Wokeismus mit grünem Anstrich in die nächste Legislaturperiode geht, dann dürften die Rollen in vier Jahren mit ziemlicher Sicherheit umgekehrt sein.

Das Ende der Boomer bedeutet das Ende der Wokeness

Denn der Abgesang der Woken ist auch ein Abgesang der Boomer-Generation. Während der Wokeismus sich gerne mit „young global leaders“ an der Spitze jung gab, war er ideologisch nur das ideologische Ziehkind der Alt-68er. Und während die Generation Z zwar durchaus die Bereitschaft zur politischen Radikalität der Boomer teilt, lebt sie in ganz anderen Realitäten als die Boomer. Immer härter trifft junge Generationen die ökonomische Realität, die das Resultat einer von Hypermoral fehlgeleiteten Wohlstandsgeneration ist, die ihrem diffusen Schuldgefühl für die Sünden der Vorväter und der Gnade ihrer Geburt in einer Zeit rasanten Wachstums durch Verprassen desselbigen im Alter („es geht uns ja gut“) als vermeintlichem Ablass Abhilfe zu schaffen trachtete.

Nicht die Jungen sind es, auf die die Grünen hoffen, sondern auf die Generation pensionierter Lehrer und Ärzte, die Verzicht nur als Wohlfühlphrase kannten. Wenn diese Generation ausstirbt, werden auch die letzten Vertreter des Wokeismus von der politischen Weltbühne abtreten.

Allerdings betrifft das eben nicht nur die Grünen, sondern fast alle Alteingesessenen des politischen Nachkriegsestablishments. Denn wohin man auch blickt: Die Woken wurden nicht von klassischen Konservativen der Marke CDU abgelöst, sondern meist von charismatischen Populisten, die einen neuen Tonfall in die Politik brachten. Die Tatsache, dass diese Wachablöse in Großbritannien, Frankreich und Deutschland noch nicht vollendet wurde, hat wohl auch teilweise mit den dort vorhandenen Alternativkandidaten zu tun. Ein Nigel Farage mag zwar als früher Vertreter dieser Spezies durchgehen, doch wirkt auch er im Vergleich zu Trump, Milei und Meloni vergleichsweise altbacken. Marine Le Pen versuchte gerade durch eine äußerliche Angleichung an die Gepflogenheiten des Mainstreams den letzten Schritt in den Präsidentenpalast setzen zu können, doch bislang vergebens. Und die AfD ist in der wenig beneidenswerten Situation, dass ein Maximilian Krah als der potenziell größte Charismat unter dem Führungspersonal gilt.

Die Zeit ist reif für das Ende der letzten Wokerlein. Die Frage ist nur, wann die neuen Kandidaten, die diese dahinraffen, auf dem Plan erscheinen. Aber manchmal können die Dinge schnell gehen. Es ist davon auszugehen, dass die bisherige Stromverschnellung sich auch in diesem Jahr fortsetzen wird.


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