Tichys Einblick

Trump First – Terroristen jubeln, Israelis bangen

Der künftige US-Präsident demonstriert beim Abkommen zwischen Israel und der Hamas, wie er die Welt verändern möchte. Die Ukraine wird es bald spüren. Israel muss einen höchst fragwürdigen „Deal with the devil“ akzeptieren.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Nir Alon

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu musste am heiligen Schabbat in sein Büro fahren. Vergeblich hatte er den Nahost-Beauftragten von Donald Trump, Steve Witkoff, gebeten, das Gespräch auf einen Zeitpunkt nach dem Sonnenuntergang am Samstag aufzuschieben. Netanjahu, der sich von der Präsidentschaft des Israel-Freundes Donald Trump sehr viel mehr Unterstützung aus Washington verspricht als das bisher der Fall war, wurde israelischen Medien zufolge am vergangenen Wochenende erst einmal mit der Härte der neuen US-Führung konfrontiert.
„Trump zwingt Netanjahu zu einem Pakt mit dem Teufel“, so der Washington-Korrespondent der Zeitung „Israel Hayom“, Ariel Kahana. „Einige Geiseln werden nach Hause kommen, aber die Hamas überlebt, was bedeutet, dass mehr Israelis und Amerikaner sterben werden.“

In Israel gibt es verständlicherweise massive Kritik an dem Abkommen, wobei viele, wie wohl auch Netanjahu, Trump nicht direkt kritisieren – schließlich ruhen auf seiner Präsidentschaft enorme Hoffnungen für einen gemeinsamen Kampf gegen die Feinde des jüdischen Staates, wie den islamistischen Machthabern in Iran und anderen Terror-Gruppen.

Der scheidende US-Präsident Biden hat stolz und geradezu begeistert seinen angeblichen Verhandlungserfolg der Öffentlichkeit präsentiert; allerdings wäre der ohne den Druck seines ziemlich verhassten Konkurrenten unmöglich gewesen, berichten die israelischen Medien übereinstimmend.

„Israel wurde erpresst“

„Israel hat unter dem Druck der USA vor den rechtswidrigen und erpresserischen Forderungen der Hamas kapituliert, weil es wohl auch die einzige Möglichkeit war, das Leben entführter Babys, Mütter und anderer unschuldiger, meist ziviler Geiseln zu retten“, schrieb der ehemalige Harvard-Jura-Professor Alan M. Dershowitz für das Gatestone-Institut.

Allerdings sei es der Hamas damit gelungen, so der emeritierte Wissenschaftler, von Israel „Freilassungen zu erpressen, die die Sicherheit Israels in Zukunft gefährden und noch mehr unschuldige Menschenleben kosten könnten“. Schließlich wird Israel 1000 Gefangene, darunter viele, die für mörderische Terroranschläge verurteilt wurden, freilassen.

Natürlich gibt es in Israel viel Freude darüber, dass zumindest ein Teil der vermutlich etwa 100 noch lebenden israelischen Geiseln in den Händen palästinensischer Terrororganisationen im Gaza-Streifen bald frei sein könnten. Aber der Preis scheint keineswegs nur den radikalen rechten und religiösen Parteien – und Koalitionspartnern Netanjahus – zu hoch zu sein.

Kämpfer und Anhänger der Hamas dominieren bald wieder in Gaza

Schließlich hatte auch der Ministerpräsident das im Kern schon seit neun Monaten vorliegende Waffenstillstands-Abkommen mit der Hamas, das vor allem die Handschrift des bisherigen US-Präsidenten Joe Biden trug, abgelehnt. Angesichts des internationalen Drucks und der verständlichen Verzweiflung der israelischen Angehörigen der Geiseln war es für Netanjahu nicht leicht, sich gegen eine Vereinbarung zu wehren, die mit einer versprochenen Geiselfreilassung und angekündigtem Waffenstillstand verführerisch nach baldigem Frieden und Ende des Sterbens und Leidens klang. Aber der am längsten regierende Ministerpräsident wollte auf keinen Fall ein Abkommen akzeptieren, das der – wenngleich mächtig dezimierten – Hamas wieder die Kontrolle des Gaza-Streifens ermöglichen könnte. Genau das aber droht jetzt.

Hamas jubelt und kündigt die Fortsetzung des Kampfes an

Es hat gute Gründe, warum nach Bekanntgabe der grundsätzlichen Einigung auf die Vereinbarung, Palästinenser im Gaza-Streifen, Hamas-Kämpfer in Uniformen mittendrin, auf den Straßen jubelten. Ähnliche Freudenfeste von Arabern und Islamisten gab es in mehreren Städten Europas.

Hamas-Chef Khalil al-Hayya zeigte sich in Katar geradezu siegestrunken. Er pries das Massaker vom 7. Oktober 2023 als eine „militärische und sicherheitspolitische Errungenschaft, die eine Quelle des Stolzes für unser Volk, unsere Nation und künftige Generationen sein wird“. Er kündigte eine Fortführung des Kampfs zur Zerstörung Israels und der Befreiung Jerusalems an – entsetzt, aber nicht sonderlich überrascht, wurden in Israel die Worte des Hamas-Chefs registriert.

Entlassene Palästinenser stärken Terror-Organisationen

Vor allem die Freilassung der palästinensischen Gefangenen schmerzt die Israelis zutiefst. Erfahrungsgemäß werden die entlassenen Palästinenser in ihre Terror-Organisationen zurückkehren – ähnlich dem Hamas-Führer Yahya Sinwar, der Mitte Oktober im Gaza-Streifen von israelischen Soldaten getötet worden war.
Sinwar hatte eine 22-jährige Haft in Israel verbüßt, bis er 2011 bei einem Gefangenenaustausch freikam. Er galt als Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober 2023, bei dem in Israel mehr als 1200 Menschen getötet und mehr als 200 verschleppt worden waren.

„Die Hamas wird in der Lage sein, ihre dezimierten Reihen wieder aufzufüllen“, schrieb die „Israel Hayom“. Viele der Entlassenen „sind sadistische Mörder, die ihre Jahre hinter Gittern damit verbracht haben, von einer Rückkehr auf das Schlachtfeld zu träumen.“ Israel wiederhole mit der Freilassung einen Fehler, „den es bereits 100-mal auf die harte Tour gelernt hat: Die Freilassung einer großen Anzahl von Terroristen löst Wellen des Terrors aus.“

50 Terroristen für eine israelische Soldatin

Noch ist das Abkommen zwischen Israel und der Hamas nicht in trockenen Tüchern und schon gar nicht umgesetzt. Die erste Phase sieht sechs Wochen Waffenruhe und die Freilassung von 33 israelischen Geiseln vor, zunächst vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche, danach Männer über 50 Jahren. Israel soll für jede zivile Geisel 30 palästinensische Gefangene entlassen, für jede israelische Soldatin, die in der Gewalt der Hamas ist, sollen 50 palästinensische Gefangene freikommen.
Während der ersten Phase sollen sich die israelischen Streitkräfte schrittweise aus dem Gaza-Streifen zurückziehen. Täglich sollen zudem 600 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern in den Gaza-Streifen gebracht werden. Ab Tag 16 der Waffenruhe sollen dann Verhandlungen über die weiteren Phasen beginnen. Nach den Vorstellungen Washingtons sollen dann alle verbliebenen Geiseln freikommen. Ziel sei dann ein dauerhafter Waffenstillstand und der vollständige Abzug des israelischen Militärs aus dem Gaza-Streifen.

Trump hat den Israelis offenbar zugesichert, sie nicht alleine zu lassen, sollte das Abkommen erneut zu einer Herrschaft der radikalen palästinensischen Organisationen führen und die Sicherheit Israels gefährden. Der künftige US-Präsident will der „Wall Street Journal“ zufolge den Schwung des Deals nutzen, um die sogenannten Abraham-Abkommen zwischen Israel und arabischen Staaten auszuweiten, insbesondere mit Saudi-Arabien. Trump habe Netanjahu versichert, Israel werde nicht zusehen müssen, wie Hamas wieder im Gazastreifen die Macht erobert. Allerdings sieht es derzeit genau danach aus.

„Wir haben sehr deutlich gemacht, dass Gaza voll demilitarisiert sein muss, die Hamas muss so weit zerstört sein, dass sie sich nicht rekonstituieren kann, betonte der designierte US-Sicherheitsberater Mike Waltz am Mittwoch. Israel habe weiterhin jedes Recht, „sich voll zu schützen“. Wie aber sollen die erneute Machtübernahme der Hamas in Gaza verhindert werden, wenn Israel sich ganz zurückziehen soll? Auf diese Frage gibt es bisher keine Antwort.

Menetekel für Präsident Selenskyj?

Was sich bei dem noch fragilen Nahost-Abkommen zeigt, das ohne Trump in Jerusalem niemals so akzeptiert worden wäre, ist sein Wille, mit Vehemenz amerikanische Interessen durchzusetzen, wie er sie definiert. Wobei in Jerusalem auch deutlich wurde, dass der Republikaner für seine außenpolitischen Erfolge auch von Freunden und Bündnispartnern einiges abverlangt.

Zerschlagen hat sich die Hoffnung vieler Israelis, dass Donald Trump den Druck auf Israel zur relativen Zurückhaltung in ihren Operationen beendet. Aus militärischer Sicht agierten die israelischen Streitkräfte, beispielsweise mit den ständigen Vorwarnungen an die Bevölkerung, natürlich nur mit halber Kraft, um die Zahl der zivilen Opfer in Grenzen zu halten. Aber statt „grünem Licht“ für Netanjahu, „um die Hamas ein für alle Mal zu zerschlagen“, habe Trump die Israelis jetzt erst einmal ausgebremst, kritisierte Kahana.

Mit Blick auf die Ukraine kann das nur heißen, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj möglicherweise sehr schmerzhafte, territoriale Zugeständnisse an Moskau für ein Ende der Kampfhandlungen wird machen müssen. Trump möchte Erfolge sehen. Offen ist dabei, ob sich schnelle Ergebnisse langfristig bitter rächen könnten. Allerdings scheinen direkte amerikanische Interessen weder im Nahen Osten noch in der Ukraine in Gefahr zu sein.

Anzeige
Die mobile Version verlassen