Viel Freude haben die erkennbaren Fortschritte auf dem Weg zu einem Ende des russischen Kriegs gegen die Ukraine in Deutschland und Europa nicht ausgelöst. Der Mangel an Enthusiasmus über ein mögliches Ende dieses fast dreijährigen Krieges mit Hunderttausenden von Toten und Verletzten sowie von Millionen Flüchtlingen lässt sich kaum anders erklären als mit einem tief sitzenden Widerwillen und enormen Misstrauen gegenüber dem neuen US-Präsidenten. Denn noch weiß niemand, wie die Verhandlungsergebnisse sein werden.
Allerdings scheint ein Frieden im Osten Europas erstmals seit 2022 näher zu rücken – vor allem, weil Donald Trump seinen Worten tatsächlich Taten folgen lässt. Nach einem Telefonat mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin zeichnet sich ab, dass es Verhandlungen geben wird, an deren Ende die Waffen dauerhaft schweigen könnten.
Skepsis und Ablehnung im Westen
Die Reaktionen im Westen waren geprägt von Kritik, Skepsis und Ablehnung. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte wie andere westliche Politiker auch, es dürfe keine Gespräche „über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben“ – dabei hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unmittelbar nach dem amerikanisch-russischen Gipfeltelefonat berichtet, dass Trump schon angerufen habe.
Die Grünen-Politikerin im Außenamt erwähnte nicht, welch enorm großes Interesse Deutschland an einem Kriegsende haben müsste, insbesondere in ökonomischer Sicht. Baerbock, andere EU-Außenminister und NATO-Generalsekretär Rutte forderten am Rande des Treffens der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel stattdessen lautstark, dass Europäer und NATO an den Gesprächen beteiligt werden müssten. Dieses Verlangen basiert wohl auf einer derzeit deutlichen Überschätzung der eigenen Bedeutung.
Das zumindest hat Trump mit seinem 90-minütigen Gespräch deutlich gemacht; schließlich haben die Europäer Putin wegen des Angriffskrieges und wegen Kriegsverbrechen nicht mehr als Gesprächspartner akzeptieren wollen. Eine sicher nachvollziehbare, sehr moralische Haltung – die mit politischem Handeln allerdings wenig zu tun hat.
Der US-Präsident bewies mit seinem Telefonat – wie auch schon mit seiner Nahost-Politik – zum einen seinen Willen, ohne große Absprachen mit den Verbündeten zu agieren, zum anderen sein Vertrauen in direkte und persönliche Verhandlungen, um zu einem Abkommen, einem „Deal“ zu kommen.
Trump kommt Putin demonstrativ entgegen
Allein schon die Länge des Gesprächs und die Vereinbarung, erst einmal bilateral sprechen zu wollen, sendet wichtige Signale an Putin. „Wir haben über die Stärke unserer jeweiligen Nationen gesprochen und über die großen Vorteile, die wir eines Tages durch die Zusammenarbeit haben werden“, sagte Trump und bestätigte damit, dass er Putin in Augenhöhe begegnen wolle und ihn als Führer einer Großmacht akzeptiere. Russland-Experten meinen, dass es den russischen Präsidenten nachhaltig gekränkt habe, als 2014 der damalige US-Präsident Barack Obama Russland als „Regionalmacht“ abtat und verhöhnte.
Die Kritiker Trumps in Europa bemängeln vor allem, dass die USA schon deutlich gemacht haben, dass es für die Ukrainer wohl kaum „eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014“ noch eine NATO-Mitgliedschaft geben werde. US-Verteidigungsminister Peter Hegseth betonte in Brüssel, dass es nach dem Abschluss eines Friedensabkommens vor allem die Aufgabe der europäischen Länder sein müsse, der Ukraine – in einem Rahmen außerhalb der NATO – solide militärische und wirtschaftliche Sicherheitsgarantien zu geben.
„Das ist kein Verrat“
Hegseth wandte sich entschieden gegen den Vorwurf, die USA lasse die Ukraine im Stich. „Das ist kein Verrat“, betonte er, schließlich habe kein Land die Ukraine mehr unterstützt als die USA.
Washington drängt die Europäer, die Verantwortung für die Ukraine zu übernehmen. Allerdings traut Kiew den Europäern offenbar nicht viel zu. „Es gibt Stimmen, die sagen, dass Europa Sicherheitsgarantien ohne die Amerikaner anbieten könnte, und ich sage immer nein“, hatte der ukrainische Präsident Selenskyj dem britischen „Guardian“ gesagt. „Sicherheitsgarantien ohne Amerika sind keine echten Sicherheitsgarantien.“ Selenskyjs Worte sind eine vernichtende Beurteilung der Fähigkeiten und der Zuverlässigkeit der EU.
Röttgen will den Krieg intensivieren
Das Echo zu den jüngsten Entwicklungen zwischen Washington und Moskau fällt weltweit überwiegend skeptisch und mäkelnd aus. Deutsche und europäische Politiker suchen sich in erster Linie zu distanzieren. Der CDU-Verteidigungsexperte Norbert Röttgen rief die Europäer dazu auf, sofort mehr und stärkere Waffen an die Ukraine zu liefern. „Dies ist die letzte Chance für Europa zu handeln. Sonst wird unsere Sicherheit zur Verhandlungsmasse zwischen Trump und Putin“, schrieb er im Nachrichtendienst X.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sorgte sich im Podcast des Magazins „Politico“ um eine „zu große Nachgiebigkeit gegenüber Russland“. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil warnte vor einem „faulen Deal“ – noch bevor auch nur im Ansatz bekannt ist, wie ein Friedensschluss aussehen könnte.
Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) nannte Hegseths Äußerungen „bedauerlich“. Die USA hätten gegenüber Putin vor Beginn von Verhandlungen öffentlich Zugeständnisse gemacht, bemängelte Pistorius. Besser wäre es gewesen, über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine oder über mögliche Gebietsverluste des Landes erst am Verhandlungstisch zu sprechen.
Wagenknecht fühlt sich bestätigt
Lediglich BSW-Chefin Sahra Wagenknecht wertete die Entwicklung positiv. „Jahrelang wurden diejenigen, die für Friedensverhandlungen anstelle endloser Waffenlieferungen eingetreten sind, in Deutschland wahlweise als Naivlinge oder Putin-Freunde diffamiert“, meinte Wagenknecht. Sie unterschlug dabei, dass ohne die Waffenlieferungen die Ukraine dem Machtanspruch Moskaus wehrlos ausgeliefert gewesen wäre. Der Frieden wäre in einem solchen Fall in der Tat ein Kapitulationsfrieden gewesen.
Die frühere NATO-Strategin Stefanie Babst sprach im ZDF von einem „sehr schwarzen Tag“ für die Ukraine. Putin habe einen „absoluten strategischen Punktsieg“ erzielt. Es zeige, dass ein Aggressor Kriegsverbrechen begehen kann und anschließend mit einem „bilateralen Treffen“ mit dem US-Präsidenten „belohnt“ werde, so die Politologin. Es werde letztendlich nicht um einen „Friedensschluss“ sondern um „Kapitulationsbedingungen der Ukraine“ gehen.
Auch viele Zeitungskommentatoren empörten sich über Trumps Vorgehen. „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Jaques Schuster sprach von einem „Dilettantismus“ der Amerikaner, „der einem den Atem verschlägt“. Kiew werde „am Katzentisch“ sitzen, wenn Putin und Trump verhandelten.
„Neo-imperialer Ansatz“
Für den „Corriere della Sera“ verfolgt Trump einen „neoimperialen Ansatz“. Im Weltbild des US-Republikaners würden die historischen Weichen von starken Führern der großen Nationen gestellt. Seine eigentliche Sorge gelte nicht Russland, sondern China, die eigentliche Herausforderung für die US-Außenpolitik.
Trump versuche den Präsidenten „eines Imperiums mit Atomwaffen und Rohstoffen“ aus der „erdrückenden Umarmung zu lockern, die (Chinas Staatschef) Xi Jinping“ ausübe. Mit einem Ende des Ukraine-Kriegs werde auch die Bedeutung der engen Bande zwischen Moskau und Peking reduziert.
Trump will als großer Friedensstifter in die Geschichte eingehen
Das „Wall Street Journal“ verweist auf die Parallelität von Trumps Initiativen in Nahost und in Osteuropa. „Sie entspringen seinem Glauben an seine eigene Überzeugungskraft, seinem erklärten Bestreben, als Friedensstifter von historischer Bedeutung gesehen zu werden, und seiner Vorliebe, schwächeren Ländern, auch Verbündeten, Entscheidungen aufzuzwingen“, schreibt die US-Zeitung.
„Was er in beiden Situationen will, ist Ruhe, Frieden, ein Abkommen“, wird der Direktor des Rafik-Hariri-Zentrums beim Atlantic Council, William Wechsler, zitiert. Letztendlich strebe Trump „weniger amerikanisches Engagement und weniger amerikanische Risiken“ an.
Die Neue Zürcher Zeitung lenkt den Blick auf das Versagen Europas: „In dieser Welt der neodarwinistischen Machthaber – von Trump über Putin zu Xi Jinping – haben die Europäer ihre Stimme verloren“, kommentiert die Zeitung. Europa habe die Zeit des Friedens nicht zur Entwicklung eigener Stärke genutzt: „Wir bezahlen den Preis einer sicherheitspolitischen Sorglosigkeit. Wir haben die Friedensdividende verprasst und damit die militärische Resilienz.“
Idealismus und Moral haben politisch wenig verändert
Die kritischen Kommentare aus Europa spiegeln eine Haltung wider, wie sie auf diesem Kontinent seit Kriegsbeginn vorherrschend war: Sie war voller illusorischer Zielvorgaben, idealistischer Reden und heftiger Moralisierung. Letztendlich aber bewirkte der enorme finanzielle Aufwand zur Unterstützung der Ukraine in der Praxis herzlich wenig. Lediglich das Sterben und Leiden wurde fortgesetzt, bei offenbar zunehmenden Verlusten auf der ukrainischen Seite.
Enttäuscht von Trumps Initiative und seinen Signalen an Moskau, gemeinsam nach einer für alle akzeptablen Lösung zu suchen, können nur Politiker sein, die glaubten, in einem Krieg mit der Atommacht Russland Maximalforderungen durchsetzen zu können. Aber wie realistisch war von Anfang an die Forderung, es müsse einen militärischen Sieg der Ukraine über die Großmacht Russland geben?
Wie viel Verantwortung für Tod und Leid haben Politiker auf sich geladen, die einzig und allein auf die Kriegs-Karte setzten, die darauf vertrauten, die Ukraine werde schon, gut ausgestattet mit ausreichend Marschflugkörpern, Langstreckenraketen und anderen High-Tech-Waffensystemen, Putins Truppen vertreiben können.
Bedroht Russland ganz Europa?
Einzig das Argument, Russland betreibe mittel- und langfristig eine imperiale Politik, die, sobald sie in der Ukraine erfolgreich gewesen war, unverzüglich neue Ziele ins Auge fassen werde. Putin bedroht in diesem Szenario zunächst die baltischen Staaten, dann Polen und schließlich ganz Europa. Abgesehen von manchem Wortgeklingel aus Moskau gibt es für solch weitreichende Pläne trotz der massiven russischen Aufrüstung nicht viele handfeste Indizien.
Schließlich hat schon der Ukraine-Krieg für Russland einen ungeheuren Kraftakt bedeutet, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Abgesehen von den ökonomischen Problemen wird Russland massiv von der demografischen Entwicklung herausgefordert. Angesichts historisch einmalig niedriger Geburtenraten von 1,3 droht Russlands Bevölkerung von derzeit etwa 145 Millionen weiter zu schrumpfen und gleichzeitig zu vergreisen. Für 2050 rechnet man nur noch mit etwa 135 Millionen Russen – mit weiter sinkender Tendenz.
Trump wird die Welt verändern – so oder so
Die drei baltischen Staaten, inzwischen alle NATO-Mitglieder, befürchten sicher zu Recht, dass Moskau am liebsten wieder zu den Grenzen der Sowjetunion zurückkehren und damit ihre Unabhängigkeit beseitigen möchte – allerdings bedarf es schon viel Phantasie sich vorzustellen, dass sich Putin tatsächlich auf ein solches Abenteuer einlassen würde, was im Grunde angesichts der baltischen NATO-Zugehörigkeit der Beginn eines dritten Weltkriegs bedeuten würde.
Trumps Ukraine-Vorstoß belegt seine ehrgeizigen Ziele, wobei noch offen ist, wer welchen Preis dafür zahlen muss. „Wir haben eine Welt in Flammen geerbt, dank einer Generation sogenannter Experten aus dem außenpolitischen Establishment“, sagte jüngst der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Brian Hughes. „Präsident Trump macht ihre schrecklichen Fehler schnell rückgängig, und Amerika ist wieder die dominierende Kraft für Frieden und Stabilität.“ Ob das wirklich gelingt, ist noch völlig unklar. Aber das sich vieles verändern wird, scheint sicher.