Tichys Einblick
Abschied aus dem Bundestag – Joana Cotar:

„Die Bürger müssen begreifen, dass der Nanny-Staat nicht gut für sie ist“

Siebeneinhalb Jahre lang war Joana Cotar Bundestagsabgeordnete, ab 2022 als fraktionslos. Im TE-Interview spricht sie über ihre Zeit im Bundestag, die Schwächen des politischen Systems und die Verantwortung der Bürger.

Joana Cotar, Deutscher Bundestag, Berlin, 11.02.2025

Joana Cotar war seit 2017 Bundestagsabgeordnete – zuerst für die AfD, dann, nach ihrem Austritt aus der Partei im November 2022, als fraktionslose Abgeordnete. Mit TE spricht sie über ihre Erfahrungen mit dem Berliner Politbetrieb, über den Vorteil, als fraktionsloser Abgeordneter nur dem eigenen Gewissen verpflichtet zu sein, und über die Aufgabe, die den Bürgern in einer funktionierenden Demokratie zukommt.

Tichys Einblick: Frau Cotar, ab der nächsten Legislaturperiode werden Sie nicht mehr Mitglied des Bundestags sein. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Zeit in Berlin zurück?

Joana Cotar: Mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge. Ich werde definitiv vermissen, im Bundestag zu reden, die Menschen zu erreichen, und mit den Themen, die ich anbringe, Sprachrohr für die Menschen zu sein. Ich werde auch die Interaktion mit den Bürgern vermissen, nicht nur über die sozialen Medien – da bleibt der Kontakt ja bestehen –, sondern auch über andere Kanäle: die Postkarten, die bei mir im Büro ankamen, oder die Nachrichten über die offizielle E-Mail-Adresse.

Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich aus dem Zirkus erst einmal raus bin; dass ich nicht alle zwei Wochen die Sachen packen und nach Berlin muss, um mir die Reden von Habeck und Scholz, und wie sie alle heißen, im Bundestag live anhören zu müssen. Und dass ich jetzt reflektieren kann: Was habe ich eigentlich gelernt aus diesen siebeneinhalb Jahren im Bundestag? Der Blick hinter die Kulissen zeigt ja die Schwächen des politischen Systems. Es ist gut, dass ich mir jetzt die Zeit nehmen kann, um das aufzuarbeiten.

Haben Sie die Fraktionslosigkeit eher als Stärke empfunden, als hilfreich, oder eher als Problem?

Die zwei Jahre als Fraktionslose, das war für mich die beste Zeit im Bundestag. Weil man als Fraktionslose tatsächlich das machen kann, was das Grundgesetz eigentlich vorsieht: Man ist nur seinem Gewissen verpflichtet.

Ich habe immer das Feedback bekommen, dass das, was ich mache, tatsächlich bei den Bürgern ankommt. Die, die sich von den Parteien nicht gehört fühlen, finden sich in einer fraktionslosen Abgeordneten wieder. Man kann das, was den Bürgern wichtig ist, im Bundestag einbringen, unabhängig von Parteipolitik: Ich stehe nicht unter Fraktionszwang. Ich muss nicht so abstimmen, wie die Fraktionen mir das vorgeben. Und vor allem kann ich Reden halten zu den Themen, die ich wichtig finde.

Wenn man in die Fraktion eingebunden ist, geht das nicht: Ich war ja digitalpolitische Sprecherin. Da konnte ich zu Digitalthemen reden. Ich hätte nie zu einer Regierungserklärung von Olaf Scholz reden können, obwohl es mir auf der Seele gebrannt hätte. Auch mal im Plenum sagen zu können: „Steuern sind Raub.“ Oder: „Alle Parteien, die hier sitzen, haben sich den Staat zur Beute gemacht.“ Die Freiheit zu haben, zu sagen, dass hier ein generelles, ein strukturelles Problem vorliegt.

Es war auch gut, den Unterschied zu erleben: Was bedeutet das, in einer Fraktion zu sein? Und wie viel wertvoller ist es, fraktionslos zu sein? Meiner Ansicht nach brauchen wir viel mehr Leute im Bundestag, die nicht Parteimitglieder sind. Laut Grundgesetz müssen die Mitglieder des Bundestags über eine Partei ins Parlament gewählt werden. Das ist leider noch so. Ich würde das gerne ändern, sodass freie Listen auch für die Bundestagswahl zugelassen würden. Man könnte bereits jetzt durchaus Menschen in die Listen aufnehmen, die keine Parteimitglieder sind. Über die hätte man nur eine begrenzte Kontrolle. Und das brauchen wir in Deutschland: wirklich freie Abgeordnete im Bundestag.

Das führt zur nächsten Frage: Sie haben hinter die Kulissen des Berliner Politbetriebs geblickt, und auch schon eine Schwäche benannt. Was muss sich Ihrer Meinung nach noch ändern?

Es muss sich so viel ändern. Im Prinzip ist das politische Konstrukt, das wir im Moment haben, kaputt. Die Parteien haben sich diesen Staat derart zur Beute gemacht; schauen Sie, wie viele Millionen Euro im Parteiensystem stecken. Aus welchen Quellen sich die Parteien überall bedienen. Sei es die Partei, die Fraktion, über Stiftungen, über alles Mögliche. Jeder möchte die Kohle behalten. Jeder möchte die Ämter und die Mandate, jeder möchte die Macht behalten. Wenn man das Geld aus dem System herausnehmen würde, würde sich bereits ganz viel ändern. Dann könnte sich die Regierung auch keine NGOs mehr kaufen und finanzieren, und gegen die Opposition aufmarschieren lassen.

Dann ist da generell das Thema, wie man im Bundestag arbeitet: Wir sind viel zu viele Abgeordnete. Wir haben eine viel zu große Verwaltung. Es ist alles viel zu groß. Wir leisten uns das zweitgrößte Parlament der Welt. Und wenn man sich mal wirklich anschaut, was die Abgeordneten tatsächlich leisten: Klar gibt es da auch wirklich fleißige. Das sind dann 16-Stunden-Tage ohne Ende. Aber es gibt auch solche, die nach vier Jahren aus dem Bundestag gehen, und gerade einmal zwei oder drei Reden gehalten, vielleicht nicht einen einzigen Antrag gestellt haben. Und trotzdem kommen sie wieder auf die Liste, weil sie sich innerparteiliche Stimmen irgendwie gekauft haben. Weil sie das Personalbudget von 23.000 Euro nicht benutzt haben, um Referenten in Berlin einzustellen. Sondern um zehn 520-Euro-Jobs im Wahlkreis zu vergeben – das sind dann zehn Stimmen, die sie brauchen für die nächste Wiederwahl in die Liste.

Da gibt es ganz, ganz viele Punkte, wo es nicht richtig läuft. Wo das System korrupt ist. Da gibt es auch viel, was die Bürger nicht sehen können. Darauf will ich jetzt das Augenmerk richten und meine Reichweite nutzen, um Bürger aufzuklären. Das ist eines meiner Ziele.

Das heißt, Sie haben schon Pläne für die Zeit nach dem Bundestag?

Also – ich verschwinde jetzt nicht von der politischen Bühne. Man kann ja auch außerhalb des Bundestages Politik machen. Und das habe ich definitiv vor. Und wie gesagt, viel Aufklärungsarbeit.

Sie haben Schwächen des Politbetriebs genannt. Fragen wir einmal andersherum: Was ist die Aufgabe der Bürger? Was können und müssten die Deutschen selbst verändern?

Eine ganze Menge! Also, das ist das, was ich auch in meiner letzten Rede gesagt habe, was die Leute vergessen: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Wenn die Bürger sagen „genug“, dann ist genug. Wenn du aber nur auf die Straße gehst, wenn es ums eigene Portemonnaie geht oder Ver.di dazu aufruft, aber nicht auf die Straße gehst, wenn es um die Freiheit geht, oder wenn es um wirkliche Probleme in Deutschland geht, dann wird sich nicht viel ändern. Die Bürger müssen begreifen, dass der Vater Staat, dass der Nanny-Staat nicht gut für sie ist.

Man darf sich nicht darauf verlassen, dass die Politiker das schon irgendwie regeln, weil: Man wählt die ja, das ist ja ihr Job. Man muss Eigenverantwortung erlernen, Verantwortung fürs eigene Leben übernehmen, aber auch Verantwortung für das eigene Land. Und aufhören, den Politikern alles zu glauben. Also, was ich gelernt habe: Glaube den Politikern kein Wort.

Man muss deren Worte immer nachprüfen: Ist das so? Stimmt das so? Ist das Propaganda? Sind das Fake News? Sind das Wahlkampfversprechen? Ich finde es erstaunlich, dass wir nach all dem Drama der letzten zehn Jahre jetzt wieder einen Wahlkampf haben, bei dem die Leute überlegen, was das kleinere Übel ist, und sie auf die Wahlkampfversprechen hören. Wenn die FDP wirbt mit „mehr Freiheit“, wenn die SPD behauptet „Wir machen mehr Netto vom Brutto.“ – Und es gibt tatsächlich immer noch Leute, die das glauben! Also die Menschen müssen doch mittlerweile begriffen haben, dass Wahlkampf hauptsächlich aus Lügen besteht, dass Wahlkampfprogramme wunderschön zu lesen sind, aber in den seltensten Fällen auch umgesetzt werden. Dementsprechend müssen die Leute genauer hinschauen, welche Politiker sie wählen.

Gerade jetzt bei der Wahl könnte man ja mal hingucken, was denn so die Schlagzeilen waren, die es in den letzten Jahren so gab, zum Beispiel über die FDP: Wo haben die denn überall zugestimmt? Welche FDP-Ministerin, ich sage jetzt mal: Bettina Stark-Watzinger, hat in ihrem Ministerium ihre eigenen Freunde befördert ohne Ende? Das sind ja Schlagzeilen, allgemein zugängliche Informationen. So etwas muss man im Hinterkopf haben, wenn man zur Wahl geht. Die Bürger müssen mündiger werden.

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